Urteil des BVerwG vom 22.04.2005

Vertretung, Verfügung, Verschulden, Form

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 12.05
VGH 4 N 740/02
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. April 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und
Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Dezember 2004
aufgehoben.
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Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentschei-
dung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde führt zum Erfolg. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs leidet
unter einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zum Zwecke
der Verfahrensbeschleunigung macht der beschließende Senat von der Möglichkeit
der Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.
Der Verwaltungsgerichtshof hält den Normenkontrollantrag des Antragstellers für un-
zulässig, da er nicht innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt worden
sei und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO aus-
scheide. Dabei lässt die Vorinstanz die Frage offen, ob es sich bei der Frist nach
§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO um eine echte Ausschlussfrist handelt, auf die § 60 VwGO
von vornherein keine Anwendung findet. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand scheitere jedenfalls daran, dass der Antragsteller nicht ohne Verschulden ver-
hindert gewesen sei, diese Frist einzuhalten. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt
werden. Sie ist mit § 60 Abs. 1 VwGO nicht vereinbar.
Der Verwaltungsgerichtshof führt zunächst zu Recht aus, dass eine Fristversäumung
im Sinne von § 60 VwGO verschuldet ist, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt au-
ßer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sach-
gemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten
ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war
(vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juni 1995 - BVerwG 1 C 38.93 - Buchholz 310 § 60
VwGO Nr. 200 m.w.N.; stRspr). Im vorliegenden Fall kann dem Antragsteller kein
Vorwurf daraus gemacht werden, dass er die Zweijahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1
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VwGO versäumt hat. Das ergibt sich aus den konkreten Umständen des Verfahrens-
ablaufs:
Nachdem der Antragsteller mit Schreiben vom 5. März 2002 ohne anwaltliche Vertre-
tung die Aufhebung der umstrittenen Landschaftsschutzverordnung begehrt hatte,
wurde er mit gerichtlicher Verfügung vom 13. März 2002 u.a. auf das Vertretungser-
fordernis nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VwGO hingewiesen; zugleich wurde ihm die Gele-
genheit eingeräumt, "dem Vertretungserfordernis bis zum 30. April 2002 nachzu-
kommen". Auf Nachfrage des Antragstellers wurde er mit gerichtlicher Verfügung
vom 25. März 2002 auf die vorangegangene Verfügung hingewiesen; ferner wurde
ihm mitgeteilt, dass nach fruchtlosem Ablauf der gesetzten Frist der Antrag als unzu-
lässig verworfen werde. Mit einem am 29. April 2002 per Telefax an den Verwal-
tungsgerichtshof übermittelten Schriftsatz seines Bevollmächtigten hat der Antrag-
steller seine anwaltliche Vertretung angezeigt und sich auf seinen bisherigen Vortrag
und den bereits gestellten Antrag bezogen. Die Zweijahresfrist des § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO war bereits am 3. April 2002 abgelaufen.
Vor diesem verfahrensrechtlichen Hintergrund trifft den Antragsteller kein Verschul-
den an der Fristversäumnis, weil der Wortlaut der beiden gerichtlichen Verfügungen
aus der Sicht des Empfängers die Annahme nahe legte, er könne die vom Gericht
gesetzte Frist ohne Rechtsnachteile ausschöpfen. Die Auffassung des Verwaltungs-
gerichtshofs, der Antragsteller habe aufgrund der gerichtlichen Schreiben allein dar-
auf vertrauen dürfen, dass sein Normenkontrollantrag vor Ablauf der gesetzten Frist
nicht wegen fehlender anwaltlicher Vertretung als unzulässig verworfen werden wür-
de, wird dem objektiven Erklärungsinhalt der gerichtlichen Verfügungen nicht ge-
recht. Die beiden Schreiben des Gerichts konnten dem Antragsteller auch den Ein-
druck vermitteln, dass er bis zum 30. April 2002 einen form- und fristgerechten Nor-
menkontrollantrag stellen könne. Soweit der Verwaltungsgerichtshof dies mit der Er-
wägung verneint, beide gerichtlichen Schreiben hätten keinen Hinweis auf die Zwei-
jahresfrist des § 47 Abs. 1 Satz 2 VwGO enthalten, überspannt er die Anforderungen
an einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden
juristischen Laien.
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Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs beruht auch auf dem geltend gemachten
Verfahrensfehler. Es besteht die Möglichkeit, dass die Vorinstanz im Hinblick auf die
von ihr nicht von vornherein ausgeschlossene Möglichkeit der Wiedereinsetzung in
die versäumte Antragsfrist ohne den dargelegten Rechtsfehler zu einem für den An-
tragsteller günstigen Ergebnis hätte gelangen können.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Dr. Jannasch