Urteil des BVerwG vom 10.04.2002

Einstellung des Verfahrens, Rücknahme, Bedingung, Prozessrecht

B
U
N
D
E
S
V
E
R
W
A
L
T
U
N
G
S
G
E
R
I
C
H
T
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 12.02 (4 PKH 2.02)
OVG 1 K 4145/00
In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. April 2002
durch den Vorsitzenden Richter Dr. P a e t o w
sowie die Richter H a l a m a und G a t z
beschlossen:
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdever-
fahren Prozesskostenhilfe gewährt und Rechtsan-
walt Franziskowski beigeordnet.
- 2 -
Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 5. Dezember 2001 wird aufge-
hoben.
Das Verfahren wird eingestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens, der Antragsteller trägt die
Kosten des Normenkontrollverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 313,17 € (früher
612,50 DM) festgesetzt.
G r ü n d e :
Dem Antragsteller ist antragsgemäß für die Durchführung des
Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu gewähren und
Rechtsanwalt F. beizuordnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 und § 121
Abs. 1 ZPO). Er ist nicht in der Lage, die Kosten der Prozess-
führung auch nur zum Teil oder in Raten aufzubringen. Dies er-
gibt sich aus der Erklärung über seine persönlichen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse sowie den dieser Erklärung beigefüg-
ten Belegen. Unschädlich ist, dass die nach § 166 VwGO i.V.m.
§ 117 Abs. 2 ZPO erforderliche Erklärung erst nach Ablauf der
Beschwerdefrist vorgelegt worden ist (vgl. hierzu BVerwG, Be-
schluss vom 21. Januar 1999 - BVerwG 1 B 3.99 - Buchholz 310
§ 166 VwGO Nr. 38). Der Antragsteller hat bereits in seinem
Prozesskostenhilfegesuch auf die Prozesskostenhilfeunterlagen
der ersten Instanz Bezug genommen. In der Zwischenzeit haben
sich keine nach § 166 VwGO i.V.m. § 115 ZPO relevanten Ände-
rungen in seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnis-
sen ergeben.
Die Rechtsverfolgung des Antragstellers bietet auch hinrei-
chende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Dies
ergibt sich aus Folgendem:
- 3 -
Die sinngemäß auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des
Normenkontrollgerichts vom 5. Dezember 2001 ist zulässig. Sie
ist auch begründet.
Die angefochtene Entscheidung leidet an dem in der Beschwerde-
begründung bezeichneten Verfahrensmangel. Das Normenkontroll-
gericht hat den Normenkontrollantrag des Antragstellers ver-
worfen. Es ist so verfahren, obwohl die prozessuale Lage für
eine Sachentscheidung keinen Raum ließ. Denn der Antragsteller
hat seinen Normenkontrollantrag mit Schriftsatz vom 19. De-
zember 2001, beim Oberverwaltungsgericht eingegangen am
20. Dezember 2001, zurückgenommen. Das war zu diesem Zeitpunkt
nach § 92 Abs. 1 Satz 1 VwGO möglich. Der Beschluss vom 5. De-
zember 2001 war noch nicht rechtskräftig. Er wurde dem An-
tragsteller erst am 12. Januar 2002 zugestellt.
Die Rücknahme ist wirksam. Sie lässt sich entgegen der Auffas-
sung der Vorinstanz nicht mit der Begründung als unbeachtlich
abtun, sie sei "an Bedingungen geknüpft" gewesen. Richtig ist
allerdings, dass die Rücknahme einer Klage oder eines sonsti-
gen Rechtsbehelfs zu den Prozesshandlungen gehört, die bedin-
gungsfeindlich sind. Die Rücknahme hat eine Gestaltungswir-
kung. Sie führt, ohne dass es zusätzlicher gerichtlicher Maß-
nahmen bedürfte, unmittelbar zur Beendigung des Prozesses.
Diese Rechtsfolge verbietet es, ihre Wirksamkeit von einem au-
ßerprozessualen Ereignis abhängig zu machen. Ob die prozessbe-
endigende Wirkung eingetreten ist, darf nicht ungewiss blei-
ben. Wegen der Bedeutung für den Gegner, aber auch für das Ge-
richt verträgt die Rücknahme aus Gründen der Rechtssicherheit
keinen Schwebezustand (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. August 1995
- BVerwG 11 C 2.95 - Buchholz 424.01 § 142 FlurbG Nr. 4; BGH,
Beschluss vom 26. Oktober 1989 - IVb ZB 135/88 - NJW-RR 1990,
- 4 -
67). Rechtlich zulässig ist es dagegen, auf Ereignisse abzuhe-
ben, die in einem innerprozessualen Abhängigkeitsverhältnis
stehen. Wird die Wirksamkeit einer Prozesserklärung mit Vor-
gängen verknüpft, die das Gericht in Ausübung seiner prozessu-
alen Befugnisse selbst herbeigeführt hat oder herbeizuführen
in der Lage ist, so wird die Rechtssicherheit nicht beein-
trächtigt. Als ein solcher prozessualer Vorgang, der zur Vo-
raussetzung für die Beendigung eines Prozesses gemacht werden
darf, kommt nicht zuletzt der Erfolg oder der Misserfolg einer
eigenen oder vom Prozessgegner unbedingt vollzogenen anderwei-
tigen Prozesshandlung in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom
10. November 1983 - VII ZR 72/83 - NJW 1984, 1240 und vom
11. Juli 1996 - IX ZR 226/94 - NJW 1996, 3147). Dies hat das
Normenkontrollgericht verkannt.
Der Antragsteller begehrte für den von ihm gestellten Normen-
kontrollantrag die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Diesen
Antrag lehnte die Vorinstanz mit Beschluss vom 24. August 2001
ab. Unter Bezugnahme auf diese Entscheidung wurde der An-
tragsteller um Mitteilung gebeten, ob er den Normenkontrollan-
trag zurücknehme. Auf diese Verfügung reagierte er mit Schrei-
ben vom 19. Dezember 2001 wie folgt: "Der Beschluß vom
24.08.2001 liegt mir nicht vor. Er ist hier nicht auffindbar,
dadurch kann ich den Vorgang nicht erneut überprüfen." Das
Schreiben schloss mit der Erklärung: "Sollte der Beschluß tat-
sächlich unanfechtbar sein und die geschilderten
Mißstände
mit
dieser Normenkontrollklage nicht angegriffen werden können, so
ziehe ich die Klage hiermit zurück, um eventuelle Kosten durch
ein noch zu fällendes Urteil zu sparen." Dieser Satz ließ sich
nicht als unzulässige Bedingung qualifizieren. Der Antragstel-
ler brachte unzweideutig zum Ausdruck, den Normenkontrollan-
trag zurücknehmen zu wollen, falls der Beschluss vom
24. August 2001 unanfechtbar sei. Er erläuterte, weshalb er
die Rücknahmeerklärung an diese Maßgabe knüpfte. Als Grund
- 5 -
nannte er den Umstand, dass der Beschluss vom 24. August 2001
ihm nicht vorliege bzw. nicht auffindbar sei, so dass er die
hierzu ihm gegenüber gemachten Angaben nicht überprüfen könne.
Diese vom Normenkontrollgericht als unzulässiger Vorbehalt ge-
wertete Wendung war bei objektiver Würdigung nicht geeignet,
Zweifel darüber aufkommen zu lassen, ob die Erklärung die Wir-
kungen einer Antragsrücknahme entfaltete oder nicht. Der Be-
schluss vom 24. August 2001, der in dem Schreiben des An-
tragstellers angesprochen wurde, war eine Tatsache, die das
Normenkontrollgericht selbst geschaffen hatte. Dass diese Ent-
scheidung nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar war, lag für die
Vorinstanz ebenfalls auf der Hand. Nur so erklärt sich, wieso
dem Antragsteller unter Hinweis auf den besagten Beschluss in-
direkt nahe gelegt wurde, den Normenkontrollantrag zurückzu-
nehmen. Das Oberverwaltungsgericht konnte auf die Erkenntnis-
se, über die es aufgrund eigener Tätigkeit und Sachkunde ver-
fügte, problemlos zurückgreifen, ohne darauf angewiesen zu
sein, dass auch der Antragsteller insoweit vollständig im Bil-
de war. Machte der Antragsteller ungeachtet des von ihm be-
haupteten Informationsdefizits, ohne weitere Aufklärung zu er-
bitten, die Rücknahme davon abhängig, dass ein unanfechtbarer
Beschluss vorliege, in dem die Gewährung von Prozesskosten-
hilfe versagt werde, so war es für die Vorinstanz ein
Leich-
tes
, sich Gewissheit darüber zu verschaffen, ob diese Voraus-
setzung vorlag oder nicht. Ebenso wie es in ihre Sphäre fiel
festzustellen, dass die vom Antragsteller genannte Bedingung
erfüllt war, war es ihre Sache, die Konsequenzen zu ziehen,
die das Prozessrecht für diesen Fall vorsieht.
Wird eine Klage zurückgenommen, so fällt die Grundlage für ei-
ne Sachentscheidung weg. Das Gericht hat nach § 92 Abs. 3
Satz 1 VwGO das Verfahren durch Beschluss einzustellen. Für
die Rücknahme eines Normenkontrollantrags gilt Entsprechendes.
- 6 -
Der Beschluss des Normenkontrollgerichts vom 5. Dezember 2001
trägt dieser Rechtslage nicht Rechnung.
Der Senat macht von der in § 133 Abs. 6 VwGO eingeräumten Mög-
lichkeit Gebrauch, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits erübrigt sich. Sie ist
nur dann geboten, wenn im Sinne des § 133 Abs. 6 VwGO eine an-
derweitige Verhandlung und Entscheidung in Betracht kommt,
weil die Sache noch nicht spruchreif ist. Diese Voraussetzung
ist nicht gegeben, wenn der Verfahrensfehler darin liegt, dass
die Vorinstanz eine wirksame Rücknahmeerklärung übergangen
hat. In diesem Fall scheidet die Möglichkeit, dass das Ge-
richt, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, die Sach-
entscheidung, die auf dem Verfahrensfehler beruht, durch eine
fehlerfreie andere ersetzt, von vornherein aus. Die schlichte
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung reicht aus, um dem
Recht Genüge zu tun. Die Einstellung des Verfahrens dient le-
diglich der Klarstellung. Sie ändert nichts daran, dass der
Rechtsstreit bereits durch die Rücknahme beendet worden ist.
Um das mit § 133 Abs. 6 VwGO verfolgte Ziel der Verfahrensbe-
schleunigung zu erreichen, kann es mit der Aufhebung der Ent-
scheidung sein Bewenden haben, die diesen rechtlichen Zusam-
menhängen nicht gerecht wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom
2. April 1996 - BVerwG 7 B 48.96 - Buchholz 310 § 133
VwGO n.F. Nr. 22, vom 3. Dezember 1998 - BVerwG 1 B 110.98 -
Buchholz 310 § 124 a VwGO Nr. 6 und vom 2. Juni 1999 - BVerwG
4 B 30.99 - Buchholz 310 § 120 VwGO Nr. 10).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die
Antragsgegnerin hat als unterliegender Teil die Kosten des Be-
schwerdeverfahrens zu tragen. § 154 Abs. 1 VwGO stellt allein
auf das Ergebnis der jeweiligen Instanz, nicht auf die Gründe
des Misserfolgs ab (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober
2000 - BVerwG 1 B 51.00 - Buchholz 310 § 144 VwGO Nr. 69).
So-
- 7 -
weit
es um die Kosten des Normenkontrollverfahrens geht,
bleibt es im Ergebnis bei der vom Oberverwaltungsgericht ange-
ordneten Kostenfolge. Die Kostenpflicht des Antragstellers er-
gibt sich zwar nicht, wie die Vorinstanz angenommen hat, aus
§ 154 Abs. 1 VwGO. Sie folgt jedoch aus § 155 Abs. 2 VwGO, wo-
nach die Kosten auch derjenige zu tragen hat, der einen Antrag
zurücknimmt. Allerdings kommt dem Antragsteller hierbei zugu-
te, dass Gerichtsgebühren im Normenkontrollverfahren nicht
entstanden sind (vgl. § 11 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 2110 b des
Kostenverzeichnisses). Der Schriftsatz der Antragsgegnerin vom
14. Dezember 2000 hatte nicht den Charakter einer Antragserwi-
derung. Als Reaktion auf die gerichtliche Verfügung vom 1. De-
zember 2000 diente er lediglich der Klärung der Frage, ob das
Haus B.-straße 8 überhaupt im Geltungsbereich eines bekannt
gemachten Bebauungsplans liegt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei orientiert sich der
Senat an der Höhe der Gerichtsgebühren, die dem Antragsteller
bei richtiger Sachbehandlung erspart geblieben wären (Nr. 2110
und Nr. 2116 des Kostenverzeichnisses).
Paetow Halama Gatz
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Prozessrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquelle:
VwGO § 92 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1,
§ 133 Abs. 6
Stichworte:
Rücknahme; Bedingung; Prozessbeendigung; Nichtzulassungsbe-
schwerde; Verfahrensfehler.
Leitsätze:
Die Rücknahme einer Klage oder eines sonstigen Rechtsbehelfs
ist bedingungsfeindlich. Sie darf aber von innerprozessualen
Vorgängen abhängig gemacht werden. Trifft das OVG eine Sach-
entscheidung, obwohl die Klage wirksam zurückgenommen worden
ist, so kann es im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nach
§ 133 Abs. 6 VwGO mit einer Aufhebung dieser Entscheidung sein
Bewenden haben.
Beschluss des 4. Senats vom 10. April 2002
- BVerwG 4 BN 12.02 (4 PKH 2.02) -
I. OVG Lüneburg vom 05.12.2001 - Az.: OVG 1 K 4145/00 -