Urteil des BVerwG vom 16.09.2014

Stadt, Realisierung, Kritik, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 11.14
OVG 2 A 2.12
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Berlin-Brandenburg vom 24. Oktober 2013 wird zu-
rückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen einer Abwei-
chung des angefochtenen Urteils von Entscheidungen des Bundesverwaltungs-
gerichts zuzulassen.
Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt vor, wenn die Vorinstanz
in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragen-
den Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungsge-
richts widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B
35.95 - NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass
der Tatbestand der Divergenz nicht nur durch die Angabe der höchstrichterli-
chen Entscheidung, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Gegen-
überstellung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze dargelegt wird.
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Der Senat hat im Urteil vom 3. Juli 1998 - BVerwG 4 CN 5.97 - (Buchholz
406.11 § 165 BauGB Nr. 4), das die Antragstellerin in Bezug nimmt, den
Rechtssatz formuliert, dass eine Prognoseentscheidung für die planerische
Praxis nur tauglich ist, wenn die Prognose in einer der jeweiligen Materie an-
gemessenen, methodisch einwandfreien Weise erarbeitet wird bzw. auf einer
zuverlässigen Tatsachenbasis beruht und in sich schlüssig ist. Im Beschluss
vom 16. Februar 2001 - BVerwG 4 BN 55.00 - (Buchholz 406.11 § 165 BauGB
Nr. 9) hat er bekräftigt, dass eine Prognose nur dann den rechtlichen Anforde-
rungen genügt, wenn sie auf zuverlässigen Fakten und Daten beruht. Die An-
tragstellerin hält dem Oberverwaltungsgericht vor, sich dieser Rechtsprechung
mit dem Rechtssatz widersetzt zu haben, dass eine planerische Prognose auch
dann nicht zu beanstanden sein könne, wenn weder die Grundlage noch die
konkreten Ermittlungen, auf denen die Prognose beruhe, dokumentiert seien
und damit die Prognose nicht überprüfbar sei.
a) Die Divergenzrüge scheitert bereits daran, dass die angeblich unvereinbaren
Rechtssätze nicht zu derselben Vorschrift aufgestellt worden sind. Die Rechts-
sätze des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich auf § 165 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 BauGB, der Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts auf § 1 Abs. 7
BauGB. Dass die rechtlichen Anforderungen an eine Prognose im Anwen-
dungsbereich der beiden Vorschriften identisch sind, ist unerheblich (vgl. Be-
schluss vom 16. Oktober 1979 - BVerwG 2 B 61.79 - Buchholz 310 § 132
VwGO Nr. 184). Darüber hilft der Verweis der Antragstellerin auf die Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach sich das Gebot gerechter Ab-
wägung aller von einer staatlichen Planungsentscheidung berührten öffentli-
chen und privaten Belange unabhängig von einer gesetzlichen Positivierung
aus dem Wesen einer rechtsstaatlichen Planung ergibt, nicht hinweg. Die ver-
meintlich divergierenden Entscheidungen sind nicht zu Art. 20 Abs. 3 GG, son-
dern zu unterschiedlichen Vorschriften des Baugesetzbuchs ergangen.
b) Davon abgesehen hat das Oberverwaltungsgericht auch keinen Rechtssatz
gebildet, der von den Rechtssätzen des Senats abweicht. Dem vorinstanzlichen
Urteil ist ein Rechtssatz des Inhalts, eine Prognoseentscheidung sei für die pla-
nerische Praxis auch dann tauglich, wenn die Prognose nicht in einer der jewei-
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ligen Materie angemessenen, methodisch einwandfreien Weise erarbeitet wird
bzw. nicht auf einer zuverlässigen Tatsachenbasis beruht und in sich nicht
schlüssig ist, nicht zu entnehmen. Dass weder die Grundlagen noch die konkre-
ten Ermittlungen, auf denen eine Prognoseentscheidung beruht, im Aufstel-
lungsvorgang dokumentiert und damit im Einzelnen nicht überprüfbar sind, hat
das Oberverwaltungsgericht nicht generell gebilligt, sondern nur „unter den hier
gegebenen Umständen“ nicht beanstandet und diese Umstände benannt und
gewürdigt (UA S. 28 f.). Mit einer Kritik hieran lässt sich weder der Zulassungs-
grund des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO noch die grundsätzliche Bedeutung der
Sache im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1VwGO darlegen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Ver-
fahrensfehlers zuzulassen.
a) Die Antragstellerin rügt,das Oberverwaltungsgericht habe gegen § 108
Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, wonach das Gericht nach seiner freien, aus
dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet.
aa) Das Oberverwaltungsgericht hat dem von der Fa. GMA erstellten und der
Antragsgegnerin beschlossenen Einzelhandelskonzept für die Stadt Templin
seine Tauglichkeit als Grundlage für den angefochtenen Bebauungsplan attes-
tiert (UA S. 16 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass ungeeignete bzw. wissenschaft-
lich nicht anerkannte Methoden angewandt worden seien, seien weder ersicht-
lich noch von der Antragstellerin vorgetragen (UA S. 28 f.). Letzterem hält die
Antragstellerin entgegen, aus den Aufstellungsvorgängen sowie dem schrift-
sätzlichen Vorbringen im Normenkontrollverfahren ergebe sich das Gegenteil.
Sie habe im Planaufstellungsverfahren ein Standortgutachten der Fa. BBE ein-
gereicht, das sich mit dem Einzelhandelskonzept kritisch auseinandersetze, und
sich im Normenkontrollverfahren nochmals auf das Gutachten berufen sowie
eine ergänzende Stellungnahme der Fa. BBE vorgelegt.
Der Vorwurf gegen die tatrichterlichen Feststellungen ist unbegründet. Das
Oberverwaltungsgericht ist auf das BBE-Gutachten der Antragstellerin einge-
gangen (UA S. 17 f., S. 34) und hat sich ausdrücklich mit methodischen Ein-
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wänden befasst (UA S. 17 f.). Es hat ihm aber wegen der Wahl eines anderen
Untersuchungsansatzes die Eignung abgesprochen, die Ergebnisse des GMA-
Gutachtens zu erschüttern. Die Kritik der Antragstellerin, das Oberverwaltungs-
gericht habe sich nur unzureichend mit ihren methodischen Bedenken gegen
das Einzelhandelskonzept befasst, ist nicht geeignet, einen Verstoß gegen
§ 108 Abs. 1VwGO aufzuzeigen.
bb) Das Oberverwaltungsgericht hat dem Einwand der Antragstellerin, eine
Vermietung frei gewordener Flächen (in dem von ihr betriebenen Stadt Center)
sei derzeit nicht möglich und durch den damit einhergehenden Leerstand droh-
ten Sonderkündigungen, die eine Abwärtsspirale in Gang setzten, entgegenge-
halten, die Antragstellerin habe unabhängig davon, dass ihr während einer
Übergangszeit die mit Umstrukturierungsmaßnahmen naturgemäß verbunde-
nen Nachteile und Einbußen zuzumuten seien, nicht vorgetragen, mit der Reali-
sierung bisher nicht genutzter Kapazitäten und durch die streitgegenständliche
Planung eingeräumter Möglichkeiten überhaupt begonnen zu haben. Zudem sei
die Argumentation der Antragstellerin nicht schlüssig, da bereits bei Inkrafttre-
ten des Bebauungsplans Leerstand im Stadt Center zu verzeichnen gewesen
sei, der nicht auf die vorgenommenen Sortimentsbeschränkungen zurückge-
führt werden könne (UA S. 33). Die Antragstellerin bemängelt, dass die Bewer-
tung ihres Vortrags als unschlüssig auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundla-
ge beruhe. Zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des Bebauungsplans seien die Ver-
kaufsflächen zu 97,6 % vermietet gewesen und der verbliebene Leerstand
durch die Sortimentsbeschränkungen bedingt.
Der Senat kann offen lassen, ob die Rüge, die Vorinstanz habe den Sachver-
halt aktenwidrig festgestellt, den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO genügt (vgl. dazu Beschluss vom 19. November 1997 - BVerwG
4 B 182.97 - Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1); denn das Urteil beruht nicht
auf dem - als gegeben unterstellten - Verfahrensfehler. Das Oberverwaltungs-
gericht hat, die Entscheidung insoweit selbständig tragend, auf die Zumutbar-
keit von Umsatzeinbußen während der Umstrukturierung und einen fehlenden
Vortrag zur Inangriffnahme der Realisierung bisher nicht genutzter Kapazitäten
und durch die streitgegenständliche Planung eingeräumter Möglichkeiten abge-
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stellt. Das zusätzliche („zudem“) Verdikt der Unschlüssigkeit der Argumentation
der Antragstellerin zur Leerstandsproblematik kann hinweggedacht werden,
ohne dass sich der Ausgang des Rechtsstreits ändert.
Hiervon unabhängig kam es dem Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen
Passage des Urteils erkennbar auf die Feststellung an, dass es Leerstand im
Stadt Center gegeben hat, der, da er zeitlich vor dem Inkrafttreten des Bebau-
ungsplans aufgetreten war, nicht auf die vorgenommenen Sortimentsbeschrän-
kungen zurückgeführt werden konnte. Dies zieht auch die Beschwerde nicht in
Zweifel.
b) Die Antragstellerin bemängelt ferner einen Verstoß gegen die Verpflichtung
zur Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Das Oberverwaltungsgericht habe sie nicht darauf hingewiesen, dass es ihren
Vortrag zum Vorliegen eines Abwägungsfehlers wegen dauerhaft fehlender
Realisierbarkeit der planerischen Festsetzungen für unzureichend bzw. un-
schlüssig halte.
Die Gehörsrüge bleibt erfolglos. Die Antragstellerin räumt mit ihrer Beschwerde
ein, dass der abwägungsrelevante Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Auswir-
kungen der Festsetzungen des Bebauungsplans auf das Stadt Center in der
mündlichen Verhandlung zur Sprache gekommen ist und sie deutlich gemacht
hat, dass die planerischen Festsetzungen auf Dauer zum wirtschaftlichen Ruin
führten. Das Oberverwaltungsgericht hat ihren Vortrag zur Kenntnis genommen
und in den Entscheidungsgründen des Urteils verarbeitet. Damit hat es seine
Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs erfüllt. Wie es das Vorbringen der
Antragstellerin zu würdigen gedenke, brauchte es in der mündlichen Verhand-
lung nicht offen zu legen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts (vgl. etwa Beschlüsse vom 8. August 1994 - BVerwG 6 B 87.93 -
Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 335 = juris Rn. 5, vom 26. Juni 1998
- BVerwG 4 B 19.98 - juris Rn. 5, vom 28. Dezember 1999 - BVerwG 9 B
467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 = juris Rn. 2, vom 13. März
2003 - BVerwG 5 B 253.02 - NVwZ 2003 1125 = juris Rn. 17 und vom
29. Januar 2010 - BVerwG 5 B 21.09, 5 PKH 16.09 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3
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VwGO Nr. 61 Rn. 18) muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab
auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozess-
stoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmä-
ßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Dass vorliegend aus-
nahmsweise etwas anderes gelten könnte, ist nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Külpmann
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