Urteil des BVerwG vom 14.05.2014

Juristische Person, Subjektives Recht, Regionalplanung, Anfechtung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 10.14
VGH 8 S 3025/11
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts-
hofs Baden-Württemberg vom 12. Dezember 2013 wird
zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Antragsteller
beimisst.
Der Antragsteller hält folgende Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Kann ein privater Eigentümer durch die Regionalplanung
in eigenen Rechten verletzt und mithin antragsbefugt im
Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sein, wenn im Regio-
nalplan das Fehlen einer Festlegung von raumordneri-
schen Grundsätzen oder Zielen (sog. „weiße Flächen“) zu
einer für ihn unerwünschten und damit belastenden Be-
bauung auf Grundstücken führen kann, die bislang u.a.
wegen § 1 Abs. 4 BauGB unbebaubar waren?
Ist die Antragsbefugnis für die Anfechtung von Regional-
plänen nur dann gegeben, wenn der Antragsteller behaup-
tet, dass ihm die legale Nutzung seines Grundstücks auf-
grund der regionalplanerischen Festlegungen und des
Entfallens einer Festlegung unmöglich werde?
Erfordert die Antragsbefugnis bei der Anfechtung von Re-
gionalplänen (bei Fehlen einer Festlegung von raumord-
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nerischen Grundsätzen oder Zielen), dass der Antragstel-
ler die Nutzung dieser Flächen selbst beabsichtigt
und/oder dass sie in seinem Eigentum stehen?
Auf alle Fragen lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Re-
visionsverfahrens bedarf.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürli-
che oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvor-
schrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in abseh-
barer Zeit verletzt zu werden. Der Verwaltungsgerichtshof ist der Ansicht, dass
sich weder aus Art. 14 Abs. 1 GG noch aus dem raumordnungsrechtlichen Ab-
wägungsgebot eine Antragsbefugnis des Antragstellers ergebe. Auf Art. 14
Abs. 1 GG könne sich der Antragsteller nicht berufen, weil er nicht behauptet
habe, dass ihm die legale Nutzung seines Grundstücks aufgrund der regional-
planerischen Behandlung des Nachbargrundstücks als „weiße Fläche“ und der
Aufhebung der Darstellung des Grundstücks als Vorbehaltsgebiet für Landwirt-
schaft und Bodenschutz unmöglich werde. Das Abwägungsgebot helfe dem
Antragsteller ebenfalls nicht weiter, weil das von ihm geltend gemachte Interes-
se am Fortbestand der bisherigen raumplanerischen Festlegung kein Belang
sei, der in der Abwägung zu berücksichtigen gewesen wäre. Allein der Um-
stand, dass durch die Umplanung eine aus Sicht des Antragstellers un-
erwünschte kommunale Bauleitplanung mit Blick auf § 1 Abs. 4 BauGB gege-
benenfalls erst ermöglicht werde, berühre seine Interessen noch nicht. Sollten
dem Antragsteller rechtlich beachtliche Belange zustehen, die gegen die Er-
möglichung einer Wohnnutzung auf dem ehemaligen Vorbehaltsgebiet sprä-
chen, wären diese bei der Aufstellung eines entsprechenden Bebauungsplans
abzuwägen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zu der Frage, ob und unter welchen
Voraussetzungen sich ein Antragsteller gegen eine Norm wenden kann, die
nachfolgenden selbständigen Rechtsakten den Weg bereitet, bereits geäußert.
Im Beschluss vom 18. Dezember 1987 - BVerwG 4 NB 1.87 - (Buchholz
406.401 § 15 BNatSchG Nr. 2 = NVwZ 1988, 728), in dem es um die Änderung
einer Landschaftsschutzverordnung ging, hat der Senat zu § 47 Abs. 2 Satz 1
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VwGO a.F. entschieden, dass sich ein Nachteil, der nach damaliger Rechtslage
die Antragsbefugnis begründete, auch daraus ergeben kann, dass durch die zur
Prüfung gestellte Rechtsvorschrift der bestehende Landschaftsschutz für ein
dem Grundstück des Antragstellers benachbartes Gebiet (ganz oder teilweise)
zu dem Zweck aufgehoben wird, dort eine bestimmte bisher nicht zulässige
Nutzung (Anlegung eines Golfplatzes) zu ermöglichen. Im Beschluss vom
14. Februar 1991 - BVerwG 4 NB 25.89 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 56 =
NVwZ 1991, 980) hat er ausgeführt, ob ein Nachteil durch einen Bebauungs-
plan möglich erscheine, richte sich danach, ob sich die geltend gemachte Be-
einträchtigung subjektiver privater Interessen der angegriffenen Norm tatsäch-
lich und rechtlich zuordnen lasse. Das sei der Fall, wenn zu erwarten sei, dass
die Norm, die den Gegenstand des Normenkontrollverfahrens bilde, eine weite-
re Rechtsvorschrift oder eine anderweitige behördliche Maßnahme nach sich
ziehe, die sich ihrerseits nachteilig auf geschützte Interessen des Betroffenen
auswirke. Diese Erwägung hat der Senat in seinem Beschluss vom 9. Juli 1992
- BVerwG 4 NB 39.91 - (Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 68 = NVwZ 1993, 470)
erweitert. Eine Antragsbefugnis sei auch gegeben, wenn die geltend gemachte
Beeinträchtigung subjektiver privater Interessen zwar endgültig erst als Folge
eines nachfolgenden eigenständigen Rechtsaktes drohe, dieser Rechtsakt je-
doch in der vom Antragsteller angegriffenen Rechtsvorschrift als vom Normge-
ber geplante Folgemaßnahme bereits angelegt sei.
In den Entscheidungen hat der Senat den Gedanken verfolgt, dass aus Grün-
den des angemessenen Rechtsschutzes einerseits, aber auch aus dem Allge-
meinwohlgrund der Klärung der objektiven Rechtslage andererseits der von
einem zu erwartenden Rechtsakt Betroffene bereits den zeitlich vorangehenden
Plan solle angreifen können, wenn abzusehen sei, dass dieser Rechtsakt dem
Plan folgen werde (vgl. Beschluss vom 29. August 2000 - BVerwG 4 BN 40.00 -
Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 143 = NVwZ-RR 2001, 199).
Nachdem § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Jahre 1996 geändert worden ist, hat
sich der Senat allerdings außer Stande gesehen, seine Rechtsprechung unver-
ändert fortzuführen. Da nach geltendem Recht die Antragsbefugnis die Mög-
lichkeit einer Rechtsverletzung durch die angegriffene Norm oder deren An-
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wendung voraussetzt, kann eine prinzipale Normenkontrolle eines zeitlich vor-
gelagerten Plans nur erreichen, wer ein subjektives Recht darauf geltend ma-
chen kann, dass der Plangeber sein „negatives Betroffensein“ in einem privaten
Interesse zu berücksichtigen hat (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2003 - BVerwG
4 CN 10.02 - BVerwGE 119, 312 <320>). Das bedeutet: Wenn und soweit das
Interesse des Antragstellers an der Abwehr planbedingter Folgemaßnahmen
zum notwendigen Abwägungsmaterial gehört, wird es von dem - vorliegend
durch § 3 Abs. 2 LplG und § 7 Abs. 7 Satz 3 ROG a.F. vermittelten - Recht auf
gerechte Abwägung erfasst, dessen mögliche Verletzung die Antragsbefugnis
begründet (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2003 a.a.O. S. 322). Mit der Festle-
gung von „weißen Bereichen“ bringt die Regionalplanung zum Ausdruck, dass
nachfolgende Rechtsakte für sie unerheblich sind. Die Regionalplanung trifft zu
diesen Flächen also keine Aussage (Urteil vom 13. März 2003 - BVerwG 4 C
3.02 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 356 S. 96). Das Abwägungsgebot des
§ 3 Abs. 2 LplG und des § 7 Abs. 7 Satz 3 ROG a.F. erstreckt sich in diesem
Fall daher nicht auf die Bodennutzungskonflikte, die erst durch eine spätere
Bauleitplanung ausgelöst und durch das Abwägungsgebot in § 1 Abs. 7 BauGB
gesteuert werden.
Auf die nachfolgenden Fragen kommt es mithin nicht mehr an. Der Senat wirkt
aber darauf hin, dass das Interesse an der Abwehr planbedingter Folgemaß-
nahmen allerdings nicht nur dann beachtlich ist, wenn diese Maßnahmen den
Antragsteller schwer und unerträglich träfen. Abwägungsrelevant sind alle eige-
nen Belange, die mehr als geringwertig, nicht mit einem Makel behaftet und für
den Planer erkennbar sind (Urteil vom 24. September 1998 - BVerwG 4 CN
2.98 - BVerwGE 107, 215 <219>, Beschluss vom 9. November 1979 - BVerwG
4 N 1.78 u.a. - BVerwGE 59, 87 <102 f.>). Da das Abwägungsgebot drittschüt-
zend ist, ist die Antragsbefugnis auch nicht auf Antragsteller beschränkt, die
von den Festlegungen in einem Regionalplan unmittelbar betroffen sind. Mehr
ist verallgemeinernd nicht zu sagen.
Die Revision ist auch dann nicht zuzulassen, wenn die Grundsatzrüge in eine
Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) umgedeutet wird. Der Verwaltungs-
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gerichtshof hat die Anforderungen an die Antragsbefugnis nicht überspannt.
Dies ergibt sich aus dem oben Gesagten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Külpmann
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