Urteil des BVerwG vom 22.05.2006

Ablauf der Frist, Abstrakte Normenkontrolle, Bebauungsplan, Gemeinde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 10.06
OVG 10 D 27/03.NE
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezem-
ber 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdever-
fahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzli-
cher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die Formulierung
einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsent-
scheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die
Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Be-
deutung bestehen soll (stRspr).
1. Die Beschwerde wirft sinngemäß die Frage auf, ob die Frist des § 47 Abs. 2
Satz 1 VwGO auch für Bebauungsplanänderungen gilt, die einen bereits mit der
Normenkontrolle angegriffenen Bebauungsplan betreffen.
Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Antragsgegnerin hat 1991 einen
Bebauungsplan Nr. 67 bekannt gemacht, der die Grundlage für einen Freizeit-
park bildet. Mit dem 1994 bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. 67/1 ist der
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Bereich nach Norden ausgeweitet worden. Daraufhin ergingen die erste, zweite
und dritte Änderung zum Bebauungsplan Nr. 67 und die erste Änderung zum
Bebauungsplan Nr. 67/1. Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontroll-
antrag gegen alle genannten Satzungen wegen Ablaufs der Frist nach § 47
Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig abgewiesen. Dies nimmt die Beschwerde
hin. Den fristgerecht gestellten Normenkontrollantrag gegen die 4. Änderung
des Bebauungsplans Nr. 67, der einen „Free Fall Tower“ betrifft, sieht das
Oberverwaltungsgericht als zulässig an. Dagegen hat es die Anträge wiederum
als unzulässig angesehen, soweit sie sich gegen die 5. Änderung des Bebau-
ungsplans Nr. 67 und die 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 67/1 richten,
mit denen die Errichtung eines „Airdriver“ auf Teilbereichen ermöglicht werden
soll. Diese Änderungen sind während des Normenkontrollverfahrens bekannt
gemacht worden. Sie wurden jedoch erst nach Ablauf von zwei Jahren in den
Normenkontrollantrag einbezogen.
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage rechtfertigt nicht die Zulassung
der Revision. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer
Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Re-
visionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisi-
onszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vor-
handene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich
gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichter-
liche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller
Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die auf-
geworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung
und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne
weiteres beantworten lässt. So liegt es hier.
Der Senat hat bereits in dem auch in der Beschwerde erwähnten und vom
Normenkontrollgericht herangezogenen Urteil vom 16. Dezember 1999
- BVerwG 4 CN 7.98 - (BVerwGE 110, 193) ausgeführt, dass ein Gericht nicht
von sich aus eine Satzung, die in einem Zusammenhang mit einer anderen
Satzung steht, aufgreifen und zum Gegenstand seiner Entscheidung machen
kann. Vielmehr bedarf es insoweit eines entsprechenden ausdrücklichen An-
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trags. Dabei ging der Senat ebenso davon aus, dass die weiteren Sachurteils-
voraussetzungen, wie beispielsweise die Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1
VwGO, für jede Satzung gesondert erfüllt sein müssen (a.a.O. S. 198). Daher
kann auch eine Bebauungsplanänderung, die im Anschluss an eine frühere
Satzung (Bebauungsplan oder Bebauungsplanänderung) bekannt gemacht
worden ist, nur durch entsprechenden ausdrücklichen Antrag wirksam in ein
bereits anhängiges Normenkontrollverfahren einbezogen werden. Dies gebietet
auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der bei der Beurteilung der Gül-
tigkeit von Normen von besonderer Bedeutung ist. Der Gesetzgeber hat die
Antragsfrist in § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO eingeführt, um der Gemeinde und den
übrigen an der Bestandskraft eines Bebauungsplans Interessierten Gewissheit
darüber zu verschaffen, dass eine abstrakte Normenkontrolle nach Ablauf der
Frist ausscheidet.
2. Auch die weiteren Fragen, die die Beschwerde aufwirft, ergeben nicht die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Sie betreffen den Normenkontroll-
antrag gegen die 4. Änderung des Bebauungsplans Nr. 67, den das Oberver-
waltungsgericht als zulässig ansieht.
2.1 Die Frage, ob bei der Ausweisung von sonstigen Sondergebieten im Sinne
von § 11 BauNVO erhöhte Anforderungen an den Grundsatz der Normenklar-
heit bestehen und durch welche rechtlichen Vorgaben diese bei der Auswei-
sung von derartigen Sondergebieten zu erfüllen sind, ließe sich ohne ein Ein-
gehen auf die Besonderheiten des Einzelfalls nicht sachgerecht beantworten
oder würde auf eine geradezu lehrbuchartige Darstellung hinauslaufen, die
wiederum nicht Aufgabe eines Revisionsverfahrens sein kann. Im Übrigen setzt
sich die Beschwerdebegründung zu diesem Punkt in keiner Weise mit der bis-
her ergangenen Rechtsprechung auseinander und lässt jeden Hinweis dazu
vermissen, dass Anlass für eine Weiterentwicklung vorhandener Rechtgrund-
sätze bestünde.
2.2 Auch die weitere Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie
vermengt die Möglichkeit der Gemeinde, Festsetzungen in Bebauungsplänen
zu ändern und damit eine „ursprüngliche planerische Konzeption“ gegebenen-
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falls auch grundlegend umzugestalten, mit der Rechtsfrage, wann von der
Funktionslosigkeit eines Bebauungsplans auszugehen ist. Letzteres kommt
gerade dann in Betracht, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse ändern, der
Satzungsinhalt jedoch nicht novelliert wird. Im Übrigen besteht zu den Voraus-
setzungen für eine Funktionslosigkeit bereits eine ständige Rechtsprechung
(vgl. zum Beispiel BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 - 4 C 10.03 - BRS 67
Nr. 68).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2
VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizu-
tragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Dr. Jannasch Dr. Philipp
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