Urteil des BVerwG vom 23.10.2006

Gemeinde, Bebauungsplan, Regierung, Rechtfertigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 BN 1.06
VGH 2 N 04.2476
In der Normenkontrollsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers zu 4 wird der
Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 25. Oktober 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwie-
sen.
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Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers zu 4 führt zum Erfolg. Der Be-
schluss des Verwaltungsgerichtshofs leidet unter einem Verfahrensmangel im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleuni-
gung macht der beschließende Senat von der Möglichkeit der Zurückverwei-
sung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch.
Das Urteil beruht auf der von der Beschwerde gerügten Verletzung des rechtli-
chen Gehörs sowie der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Der Verwaltungsgerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, die Festsetzung des
MK 2 erweise sich nicht als abwägungsfehlerhaft, weil der Bebauungsplan hier
die bauliche Nutzung „sortimentsbezogen in der Verkaufsfläche“ beschränke
(Urteilsabdruck S. 9). Er führt im Anschluss daran näher aus, dass sich eine
Beschränkung auf bestimmte Sortimente nach der Rechtsprechung des be-
schließenden Senats (Beschluss vom 4. Oktober 2001 - BVerwG 4 BN 45.01 -
BRS 64 Nr. 28; vgl. ferner Beschluss vom 27. Juli 1998 - BVerwG 4 BN 31.98 -
Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 25 = BRS 60 Nr. 29 m.w.N.) auf § 1 Abs. 9
BauNVO stützen lässt, sofern die Differenzierung marktüblichen Gepflogenhei-
ten entspricht. Die Beschwerde stellt hierzu selbst nicht in Frage, dass die vor-
liegend betroffenen Branchen des Einzelhandels (Elektroartikel, Sportartikel,
Schuhe und Haushaltswaren) in der sozialen und ökonomischen Realität exis-
tieren.
Das Normenkontrollurteil lässt jedoch jegliche Auseinandersetzung mit der von
den Antragstellern im Normenkontrollverfahren angesprochenen (vgl. insbe-
sondere Schriftsatz vom 4. Oktober 2005) Frage vermissen, ob sich auch die im
angegriffenen Bebauungsplan erfolgten Festsetzungen von Verkaufsflächen im
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dem Rahmen halten, der der Gemeinde durch die im BauGB und der BauNVO
vorgegebenen Festsetzungsmöglichkeiten für ein Kerngebiet eingeräumt wird.
§ 1 Abs. 9 BauNVO gestattet es zwar über § 1 Abs. 5 BauNVO hinaus, einzelne
Unterarten von Nutzungen mit planerischen Festsetzungen zu erfassen.
Gegenstand einer solchen Festsetzung können jedoch nur bestimmte
Anlagentypen sein. Unproblematisch sind Gattungsbezeichnungen oder ähnli-
che typisierende Umschreibungen. Der Gemeinde ist es nicht grundsätzlich
verwehrt, die Zulässigkeit auch nach der Größe der Anlagen, wie etwa der Ver-
kaufs- und Geschossfläche von Handelsbetrieben, unterschiedlich zu regeln.
Den Anforderungen des § 1 Abs. 9 BauNVO entspricht eine solche Planung
allerdings nur, wenn durch die Größenangabe bestimmte Arten von baulichen
oder sonstigen Anlagen zutreffend gekennzeichnet werden. Betriebe, bei denen
die Verkaufs- oder die Geschossfläche eine bestimmte Größe überschreitet,
sind nicht schon allein deshalb auch „bestimmte Arten“ im Sinne des § 1 Abs. 9
BauNVO. Die Begrenzung der höchstzulässigen Verkaufs- oder Geschossflä-
che trägt die Umschreibung eines bestimmten Anlagentyps nicht gleichsam in
sich selbst. Vielmehr muss die Gemeinde darlegen, warum Betriebe unter bzw.
über den von ihr festgesetzten Größen generell oder doch jedenfalls unter Be-
rücksichtigung der besonderen örtlichen Verhältnisse einem bestimmten Anla-
gentyp entsprechen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 1987 - BVerwG 4 C
77.84 - BVerwGE 77, 317 <322>; Beschlüsse vom 17. Juli 2001 - BVerwG 4 B
55.01 - BRS 64 Nr. 29 und vom 8. November 2004 - BVerwG 4 B 39.04 -
BRS 67 Nr. 34). Die Bezugnahme auf die landesplanerische Stellungnahme
der Regierung von Oberbayern ersetzt die Umschreibung eines bestimmten An-
lagentyps nicht; das Normenkontrollgericht führt die Stellungnahme lediglich als
Beleg für die besondere städtebauliche Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 9
BauNVO an.
Der Verwaltungsgerichtshof hat auch weder erörtert, ob die auf das Plangebiet
bezogenen Verkaufsflächenbegrenzungen überhaupt auf die Umschreibung
eines bestimmten Anlagentyps zielen, noch hat er Ermittlungen zu der Frage
angestellt, ob die Verkaufsflächenbegrenzung auf insgesamt 5 100 m
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, für den
Food-Bereich auf 3 100 m
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und den Non-Food-Bereich auf 2 000 m
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eine be-
stimmte Art oder bestimmte Arten von Einzelhandelsbetrieben umschreibt, die
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auch im Hinblick auf ihre Auswirkungen in dem in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO
umschriebenen Sinn als in der sozialen und ökonomischen Realität existierende
Anlagentypen abgrenzbar sind.
Auf diesen Verstößen beruht das angegriffene Normenkontrollurteil.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Dr. Jannasch Dr. Philipp
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