Urteil des BVerwG vom 19.01.2005

Treu Und Glauben, Grundstück, Begriff, Befund

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 91.04
VGH 4 B 01.722
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Januar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 12. Oktober 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 20 000 € und für das Berufungsverfahren unter Än-
derung des Streitwertbeschlusses des Bayerischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 12. Oktober 2004 ebenfalls auf 20 000 €
festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrens-
mangels zuzulassen. Die Beschwerde kann nicht damit gehört werden, das Beru-
fungsgericht habe die Berufung der Beklagten zu Unrecht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2
VwGO zugelassen und im Zulassungsbeschluss entgegen § 124 Abs. 5 Satz 3
VwGO auch nicht begründet, warum die Rechtssache besondere tatsächliche und
rechtliche Schwierigkeiten aufweise. Die Zulassungsentscheidung des Berufungsge-
richts hat bindende Wirkung, auch wenn sie sich als fehlerhaft erweisen würde. Nach
§ 557 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO unterliegen Entscheidungen, die dem Endurteil
der Vorinstanz vorausgegangen sind, der Beurteilung des Revisionsgerichts nur
dann, wenn sie nicht unanfechtbar sind. Für die Berufungszulassung trifft dies wegen
§ 152 Abs. 1 VwGO nicht zu.
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2. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO für die Zulassung der Diver-
genzrevision liegen ebenfalls nicht vor.
Eine Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist gege-
ben, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre
Entscheidung tragenden Rechtssatz einem in der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz widerspricht (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). Das
Darlegungserfordernis nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt, dass der Tat-
bestand der Divergenz nicht nur durch Angabe der Entscheidung des Bundesverwal-
tungsgerichts, von der abgewichen sein soll, sondern auch durch Gegenüberstellung
der miteinander unvereinbaren Rechtssätze bezeichnet wird.
a) Soweit die Beschwerde eine Abweichung von der Entscheidung des Bundesver-
waltungsgerichts vom 22. Januar 1993 - BVerwG 8 C 46.91 - (BVerwGE 92, 8) rügt,
scheitert sie daran, dass sie keinen Rechtssatz aus dem Berufungsurteil herausar-
beitet, der von einem Rechtssatz aus der vorgenannten Entscheidung des Bundes-
verwaltungsgerichts abweicht. Sie beanstandet, dass das Berufungsgericht den
Grundsatz von Treu und Glauben, aus dem das Bundesverwaltungsgericht einen
Anspruch auf Durchführung einer in einem Bebauungsplan vorgesehenen Erschlie-
ßung hergeleitet habe, fehlerhaft angewandt habe. Dabei verkennt sie, dass von dem
Begriff der Abweichung in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nur eine Abweichung in
Rechtssätzen erfasst wird, nicht aber eine (vermeintlich) unzutreffende Subsumtion
des Sachverhalts unter einen von der Vorinstanz akzeptierten höchstrichterlichen
Rechtssatz.
b) Der behauptete Widerspruch zu der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
vom 28. Oktober 1981 - BVerwG 8 C 4.81 - (BVerwGE 64, 186) liegt nicht vor. Das
Berufungsgericht hat mit dem Rechtssatz, ein auf dem Gedanken der Folgen-
beseitigung basierender Erschließungsanspruch beschränke sich auf Erschlie-
ßungsmaßnahmen, die für die funktionsgerechte Nutzbarkeit der auf dem Grund-
stück vorhandenen baulichen Anlagen nach Lage der Dinge unerlässlich sei (UA
S. 9), dem Bundesverwaltungsgericht nicht die Gefolgschaft verweigert. Zwar trifft es
zu, dass der Begriff der Unerlässlichkeit im Urteil vom 28. Oktober 1981 nicht auf-
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taucht. Er findet sich aber im Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 44.84 -
(Buchholz 406.11 § 123 BBauG Nr. 29, S. 20 <23>), in dem der Erschließungsan-
spruch, der als Folge der Mitwirkung der Baugenehmigungsbehörde an der Entste-
hung eines (wegen Fehlens der Erschließung) unerträglichen Zustands eintrete, in-
haltlich auf das beschränkt wird, was unerlässlich sei, um das Eigentum überhaupt
sachgerecht nutzen zu können. Mit der Aussage im Urteil vom 28. Oktober 1981
(a.a.O. <194 f.>), der Erschließungsanspruch sei auf die Herstellung einer Anlage
gerichtet, welche die funktionsgerechte Nutzbarkeit des anspruchsbegünstigten
Grundstücks gestatte, ist der Sache nach dasselbe gemeint (so auch Driehaus,
Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl., § 5, Rn. 47 i.V.m. der Fußnote 80,
S. 91).
c) Das Berufungsgericht hat schließlich keinen Rechtssatz formuliert, der von dem
Rechtssatz im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1981 (a.a.O.
<195>) zu den Mindestbedingungen abweicht, die an eine ausreichende wegemäßi-
ge Erschließung eines Grundstücks zu stellen sind. Die Vorinstanz hat dadurch, dass
sie den geltend gemachten Anspruch auf einen Ausbau des Feldweges in Verlänge-
rung der Industriestraße verneint hat, nicht den erforderlichen Mindeststandard ge-
senkt. Vielmehr sieht sie die funktionsgerechte Nutzbarkeit des Grundstücks der
Klägerinnen nach Maßgabe der Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts des-
halb als gewährleistet an, weil das Grundstück unmittelbar vom Wendehammer der
Industriestraße aus befahren werden kann.
3. Die Revision kann schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zur Klärung der
als grundsätzlich bedeutsam bezeichneten Frage zugelassen werden, "ob, soweit
eine zweite wegemäßige Erschließung vorhanden ist, ein geringeres Ausbauerfor-
dernis als im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1981 genannt
im Wege der Folgenbeseitigung ausreichend ist." Die Frage dient der Beschwerde
als Mittel, um gegen den Befund des Berufungsgerichts zu Felde zu ziehen, das
Grundstück der Klägerinnen sei über den Wendehammer der Industriestraße ver-
kehrsmäßig ausreichend erschlossen. Mit einer inhaltlichen Kritik an der vorinstanzli-
chen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung lässt sich die grundsätzliche
Bedeutung einer Rechtssache indes nicht begründen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO und die
Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1, § 63 Abs. 3
Satz 1 GKG. Der Senat folgt der Beschwerde darin, dass der vom Berufungsgericht
angenommene Streitwert in Höhe von 51 129 € übersetzt ist. Für die Bemessung des
Streitwerts ist allerdings unerheblich, welche Kosten für den geforderten Ausbau des
Feldweges voraussichtlich anfielen. Vielmehr sind die Vorteile zu bewerten, die sich
die Klägerinnen von dem Ausbau versprechen. Die Klägerinnen streben eine
Verbreiterung und Befestigung des Weges hauptsächlich deshalb an, damit ihr
Grundstück auch von Lastkraftwagen problemlos angefahren werden kann. Dieses
Interesse ist mit 20 000 € angemessen erfasst. Der Senat hat sich bei seiner Ent-
scheidung an der Praxis des 8. Senats des Bundesverwaltungsgerichts orientiert, der
in den Verfahren BVerwG 8 C 4.81 (a.a.O.), BVerwG 8 C 4.86 (BVerwGE 78, 266)
und BVerwG 8 C 46.91 (a.a.O.) die geltend gemachten Erschließungsansprüche mit
Beträgen zwischen 15 000 und 25 000 DM bewertet hatte, und die gewerbliche Nut-
zung des Gründstücks der Klägerinnen streitwerterhöhend berücksichtigt.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp