Urteil des BVerwG vom 03.08.2010

Gaststätte, Anwendungsbereich, Begriff, Überprüfung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 9.10
OVG 7 A 146/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Novem-
ber 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3 750 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die
Beigeladene stellt zur Anwendbarkeit der TA-Lärm die Frage, ob
bei einer Gaststätte, welche keine Freiluftgaststätte im
Sinne der Nr. 1 Satz 2 b) TA-Lärm ist, jedoch sowohl auf
einen Innen- als auch Außenbetrieb ausgerichtet ist, bei
der Frage der Umwelteinwirkungen durch Geräusche ein-
zelne Betriebsteile unterschiedlich bewertet werden und
zwar dahingehend, dass zwar einerseits und grundsätzlich
von der Anwendbarkeit der TA-Lärm ausgegangen wird,
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jedoch andererseits - in Bereichen besonderer Art - die
Immissionsrichtwerte der TA-Lärm als nicht mehr ausrei-
chend angesehen werden können.
Die Frage bezieht sich auf den Rechtssatz des Oberverwaltungsgerichts, dass
es jedenfalls dann, wenn der Freiluftbereich einer Gaststätte bis auf wenige Me-
ter an den Ruhebereich der Wohngrundstücke eines angrenzenden reinen
Wohngebiets heranreicht, nicht sachgerecht sei, auch diesen Bereich der Be-
wertung auf der Grundlage der TA-Lärm zuzuführen (UA S. 22). Insofern greift
die von der Beschwerde aufgeworfene Frage zur Anwendbarkeit der TA-Lärm
auf Gaststätten, welche keine Freiluftgaststätten im Sinne der Nr. 1 Satz 2
Buchst. b) TA-Lärm sind (Beschwerdebegründung S. 2) zu weit, denn das
Oberverwaltungsgericht hat im Fall gemischter Gaststätten deren Freiluftbe-
reich entscheidungstragend nicht generell vom Anwendungsbereich der TA-
Lärm ausgenommen. Das erkennt auch die Beschwerde, wie sich aus der in
der Frage enthaltenen Umschreibung „- in Bereichen besonderer Art -“ ergibt.
Sinngemäß stellt sie die Frage, ob der Freiluftbereich einer Gaststätte im abso-
luten Nahbereich zu einer Wohnnutzung (UA S. 20) einer Freiluftgaststätte im
Sinne der Nr. 1 Satz 2 Buchst. b) TA-Lärm gleichzustellen ist und daher nicht in
den Anwendungsbereich der TA-Lärm fällt.
Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es nicht der Durchführung eines Revisi-
onsverfahrens. Die Nichtanwendbarkeit der TA-Lärm auf Freiluftgaststätten
gemäß Nr. 1 Satz 2 Buchst. b) TA-Lärm wird unter anderem damit begründet,
dass die durch den Betrieb dieser Anlagen verursachten Geräuscheinwirkun-
gen, die durch das Verhalten der Gäste bestimmt werden, anhand der TA-Lärm
nicht zutreffend bewertet werden können (Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus,
Bundesimmissionsschutzrecht, Bd. 4, Stand Juni 2008, B 3.6 Rn. 16; Hans-
mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. 2, Stand März 2010, 3.1,
Rn. 12; Pfaff, TA-Lärm, Stand 2000, III-3.2, S. 6). Dass die Ausnahmeregelung
für Freiluftgaststätten auch darauf zielt, unter dem Gesichtspunkt der sozialen
Bedeutung und örtlichen/regionalen Herkömmlichkeit solcher Anlagen die Zu-
mutbarkeitsschwelle ggf. anheben zu können (BRDrucks 254/98, S. 47), ändert
nichts an dem Umstand, dass die TA-Lärm wegen der besonderen Lärmsituati-
on, die mit dem Betrieb einer Freiluftgaststätte verbunden ist, als Beurteilungs-
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grundlage nicht geeignet erscheint und es daher einer Beurteilung der Lärm-
auswirkungen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls
bedarf. Dieser Befund sieht sich durch die Systematik der TA-Lärm bestätigt.
Denn die TA-Lärm hat die lärmtechnischen Besonderheiten menschlichen
Lärms in Freiluftgaststätten zum Anlass einer ausdrücklichen Ausnahme vom
Anwendungsbereich genommen und sich gerade nicht darauf beschränkt, eine
sog. „Ergänzende Prüfung im Sonderfall“ nach Nr. 3.2.2 TA-Lärm anzuordnen.
Die Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, dass jedenfalls der Freiluftbereich
einer Gaststätte, der bis auf wenige Meter an den Ruhebereich der Wohn-
grundstücke eines angrenzenden reinen Wohngebiets heranreicht, einer Frei-
luftgaststätte i.S.d. Nr. 1 Satz 2 Buchst. b) TA-Lärm gleichzustellen ist, weil
auch in diesem Fall lärmspezifische Besonderheiten bestehen, zu deren Beur-
teilung sich die standardisierte Regelfallbeurteilung auf der Grundlage der TA-
Lärm als unzureichend erweist, orientiert sich erkennbar an Sinn und Zweck der
Ausnahmeregelung und ist nicht zu beanstanden. Denn auch in diesem Fall
wird in ähnlicher Weise wie im Fall einer Freiluftgaststätte i.S.d. Nr. 1 Satz 2
Buchst. b) TA-Lärm, verschärft durch die räumliche Nähe eine Lärmsituation
befördert, die sich durch besondere Geräuschcharakteristiken auszeichnet.
Auch hier geht es um die Eigenart und Wahrnehmbarkeit des durch Menschen
verursachten Lärms, dessen Zumutbarkeit ganz maßgeblich von den konkreten
örtlichen Gegebenheiten abhängt.
Soweit die Beschwerde meint, es müsse dann aber zumindest geklärt werden,
ab welcher Entfernung des Freiluftbereichs einer Gaststätte zum Wohnen die
Anwendung der TA-Lärm ausschließe und darauf hinweist, das Oberverwal-
tungsgericht habe im Tatbestand „30 m“ angegeben (Beschwerdebegründung
S. 4), wird keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgezeigt. Die Be-
schwerde wendet sich vielmehr nur gegen die auf einer Würdigung der örtlichen
Gegebenheiten beruhende Feststellung, dass die Entfernung zwischen Freiluft-
bereich und Ruhebereich der Wohngrundstücke „wenige Meter“ betrage. An
diese Sachverhaltswürdigung, mit der das Oberverwaltungsgericht erkennbar
an den zuvor verwendeten Begriff „absoluter Nahbereich“ anknüpft (UA S. 20),
wäre der Senat bei einer revisionsgerichtlichen Überprüfung gebunden. Verfah-
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rensrügen hat die Beigeladene nicht geltend gemacht. Im Übrigen lässt sich der
räumliche Umgriff eines „absoluten Nahbereichs“ nicht mathematisch-exakt in
Meter-Angaben ausdrücken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Philipp
Dr. Bumke
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