Urteil des BVerwG vom 21.01.2003

Kritik, Erfüllung, Haus, Parkplatz

B
U
N
D
E
S
V
E
R
W
A
L
T
U
N
G
S
G
E
R
I
C
H
T
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 82.02
VGH 1 B 98.2945
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Januar 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
18. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwer-
deverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde
ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die
ihr die Beigeladene beimisst.
a) Die Beigeladene hält für klärungsbedürftig, ob bei Zweifeln
an der Stimmigkeit eines durch Nebenbestimmungen in eine Bau-
genehmigung integrierten Lärmschutzkonzepts eine Auslegung ge-
boten ist, bevor die Genehmigung aufgehoben werden darf. Sie
weist selbst darauf, dass es zu dem von ihr schlagwortartig
mit "Auslegung vor Aufhebung" umschriebenen Fragenkomplex be-
reits Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt. Sie
zitiert ausdrücklich das Urteil vom 25. Februar 1994
- BVerwG 8 C 2.92 - (DVBl 1994, 810), in dem der 8. Senat un-
ter Hinweis auf weitere Entscheidungen den Rechtssatz aufge-
stellt hat, dass eine Auslegung, die etwaige Zweifel an der
Bestimmtheit eines Verwaltungsakts beseitigt, der Annahme der
Nichtigkeit wegen Unbestimmtheit vorgeht. Die Beigeladene legt
- 3 -
nicht dar, weshalb Anlass besteht, diesen Rechtsgrundsatz in
dem von ihr erstrebten Revisionsverfahren erneut zu bestäti-
gen. Sie lässt es mit dem an die Vorinstanz gerichteten Vor-
wurf bewenden, aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts zu diesem Fragenkreis nicht die Folgerungen gezogen zu
haben, die nach ihrer Einschätzung geboten gewesen wären. Die-
se unterschiedliche Sichtweise lässt sich nicht mit einem Klä-
rungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gleichsetzen.
b) Auch mit der Frage, ob die Aufhebung einer Baugenehmigung,
die eine Nutzung während der Tag- und der Nachtzeit ermög-
licht, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auf die
Nachtzeit beschränkt werden muss, wenn der Anlagenbetrieb le-
diglich zu dieser Zeit rechtlichen Bedenken begegnet, zeigt
die Beigeladene keinen Problemgehalt auf, der zur Durchführung
eines Revisionsverfahrens nötigt. Dass ein – teilbarer - Ver-
waltungsakt nur aufgehoben werden darf, soweit er rechtswidrig
und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, ergibt
sich, ohne dass es des Rückgriffs auf den Grundsatz der Ver-
hältnismäßigkeit bedarf, unmittelbar aus § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO. Ein etwaiges Revisionsverfahren könnte dem Senat ledig-
lich Gelegenheit bieten, dies zu bekräftigen. Erkenntnisse,
die über die gesetzlichen Vorgaben hinausreichen, lässt das
Beschwerdevorbringen nicht erwarten.
c) Ob das Berufungsgericht davon ausgehen durfte, dass die
früheren Genehmigungen nur eine der Nachbarschaft zumutbare
Nutzung zuließen, lässt sich ausschließlich einzelfallbezogen
beurteilen und entzieht sich einer Würdigung, der über das an-
hängige Verfahren hinaus Bedeutung zukommen könnte, schon des-
halb, weil das Berufungsurteil insoweit das Ergebnis der Aus-
legung konkreter Einzelregelungen widerspiegelt.
d) Als grundsätzlich bedeutsam erweist sich auch nicht die
Frage, ob sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung des
- 4 -
auf öffentlichen Verkehrsflächen abgewickelten anlagenbezoge-
nen Verkehrs nicht an den nach der Nr. 6 der TA Lärm maßgebli-
chen Immissionsrichtwerten hätte ausrichten dürfen, sondern an
der Nr. 7.4 der TA Lärm i.V.m. mit der 16. BImSchV hätte ori-
entieren müssen. Ob Zu- und Abgangsverkehr, der einem Vorhaben
zurechenbar ist, von der Nachbarschaft hinzunehmen ist, be-
stimmt sich im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 1 BauGB nach
dem in dieser Vorschrift enthaltenen Rücksichtnahmegebot, das
sich in diesem Punkt mit den immissionsschutzrechtlichen An-
forderungen deckt (vgl. BVerwG, Urteile vom 30. September 1983
- BVerwG 4 C 74.78 - BVerwGE 68, 58 und vom 24. September 1992
- BVerwG 7 C 7.92 - Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22). Ent-
scheidend ist, was den Betroffenen nach Lage der Dinge zuzumu-
ten ist. Wo die Erheblichkeitsgrenze verläuft, richtet sich
nach der Schutzwürdigkeit und der Schutzbedürftigkeit der Um-
gebung (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1977 - BVerwG 4 C
22.75 - BVerwGE 52, 122 und vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C
5.98 - NVwZ 1999, 523). Die TA Lärm 1998, die nach Maßgabe ih-
rer Nr. 1 auch auf immissionsschutzrechtlich nicht genehmi-
gungsbedürftige Anlagen anwendbar ist, ist geeignet, als Beur-
teilungsmaßstab herangezogen zu werden, da sie dazu dient, nä-
her zu konkretisieren, ob Lärmeinwirkungen als erheblich ein-
zustufen sind. Dies hat das Berufungsgericht nicht verkannt.
Wie aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu
ersehen ist, hat es sich an den Anforderungen der TA Lärm 1998
orientiert (UA S. 12/13). Wenn es die Nr. 7.4 hierbei außer
Acht gelassen hat, dann beruht dies darauf, dass es den Kur-
hauskomplex samt den Parkflächen ohne Rücksicht auf den recht-
lichen Status der für Betriebszwecke in Anspruch genommenen
Grundstücke als eine Einheit bewertet, deren Nutzung nach sei-
ner tatrichterlichen Einschätzung von der Erfüllung weiterge-
hender Auflagen hätte abhängig gemacht werden müssen, als sie
der Beklagte angeordnet hat (UA S. 16). Nach Ansicht der Bei-
geladenen hält diese Würdigung einer kritischen Prüfung nicht
stand. Ob diese Wertung zutrifft, ist indes keine Frage, die
- 5 -
der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO verleiht, sondern ein Gesichtspunkt, der
sich nur fallbezogen anhand der konkreten Gegebenheiten beur-
teilen lässt.
2. Die Divergenzrügen greifen ebenfalls nicht durch.
a) Das Berufungsgericht hat sich von dem Rechtssatz "Auslegung
vor Aufhebung", den die Beigeladene dem Urteil des Bundesver-
waltungsgerichts vom 25. Februar 1994 - BVerwG 8 C 2.92 -
(a.a.O.) entnimmt, nicht ausdrücklich distanziert. Das ange-
fochtene Urteil bietet auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es
ihn sinngemäß in Frage gestellt haben könnte. Jedenfalls hat
es keinen Rechtssatz aufgestellt, der sich als Beleg für das
Gegenteil werten lassen mag. Das Vorbringen der Beigeladenen
erschöpft sich in der Kritik, dass sich die Vorinstanz bei ih-
rer Entscheidung nicht von dem im Urteil vom 25. Februar 1994
bekräftigen Rechtssatz hat leiten lassen. Offen bleiben kann,
ob die Beigeladene dem Berufungsgericht nicht letztlich bloß
vorhält, die einschlägigen Baugenehmigungen anders ausgelegt
zu haben, als dies nach ihrer Sichtweise angebracht gewesen
wäre. Selbst wenn die Vorinstanz die im Urteil vom 25. Februar
1994 enthaltene Aussage außer Acht gelassen hätte, dürfte dies
nicht mit einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO verwechselt werden.
b) Das Berufungsgericht hat auch keinen Rechtssatz aufge-
stellt, der in Widerspruch zu der Auffassung des Bundesverwal-
tungsgerichts (Beschluss vom 25. April 1997 - BVerwG 7 B
114.97 - Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 16) steht, dass die
TA Lärm nicht starr und schematisch angewandt werden darf. Die
Feststellung, dass der allgemeine Nachtrichtwert von 45 dB(A)
und der Nachtrichtwert für seltene Ereignisse von 55 dB(A)
überschritten wird, dient ihm lediglich als Ausgangspunkt für
die Überlegung, dass der Beklagte es nicht damit bewenden las-
- 6 -
sen durfte, die maßgeblichen Immissionsrichtwerte als Grenz-
werte festzuschreiben, sondern wegen der Besonderheiten der
mit dem Besucherverkehr verbundenen Lärmbeeinträchtigungen zum
Schutz der Nachbarschaft verpflichtet gewesen wäre, "nicht nur
für das Haus des Gastes und den Parkplatz auf dem so genannten
Kurhausvorplatz, sondern auch für den so genannten Asamplatz
Betriebszeiten" festzusetzen (UA S. 16). Das Berufungsgericht
hat es im Sinne des von der Beigeladenen zitierten Beschlusses
vom 25. April 1997 gerade vermieden, seiner Beurteilung die
abstrakt festgelegten Richtwerte als absolut verbindlich zug-
runde zu legen. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass der
An- und Abfahrtsverkehr wegen seiner spezifischen Geräuschku-
lisse Vorkehrungen erfordert, die über die vom Beklagten ange-
ordneten Auflagen hinausreichen. Vor dem Hintergrund der von
ihm angestellten Erwägungen geht die Rüge der Beigeladenen ins
Leere.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die
Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.
Lemmel Halama Gatz