Urteil des BVerwG vom 08.03.2010

Rechtliches Gehör, Wohngebäude, Bebauungsplan, Stadtrat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 76.09
OVG 8 A 10401/09.OVG
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts-
hofs Rheinland-Pfalz vom 2. September 2009 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 24 491,25 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (grundsätzliche
Bedeutung) und § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrensmangel) gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung kommt
der Rechtssache nicht zu.
a) Grundsätzliche Bedeutung misst die Beschwerde zunächst der Frage zu,
ob bei der Überplanung einer Gemengelage eine - unzu-
lässige - Vertiefung eines Nutzungskonflikts anzunehmen
ist, wenn zwar ein Nebeneinander von Wohnen und Ge-
werbe besteht, es jedoch durch die im Bebauungsplan
festgesetzten Nutzungsmöglichkeiten zu einem Nutzungs-
konflikt kommen kann.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie in einem Re-
visionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre. Denn nach den - gemäß
§ 137 Abs. 2 VwGO bindenden, das festgesetzte Gewerbegebiet (UA S. 8)
ebenso wie das eingeschränkte Gewerbegebiet (UA S. 9) betreffenden - Fest-
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stellungen des Oberverwaltungsgerichts kann im Fall der Ansiedlung von Ge-
werbebetrieben, von denen intensivere Belästigungen für die Umgebung als bei
der vorhandenen Nutzung zu erwarten sind, den Belangen des Wohnens im
Genehmigungsverfahren über § 15 Abs. 1 BauNVO ebenso Rechnung getra-
gen werden wie den eventuellen Rücksichtnahmeinteressen anderer Gewerbe-
treibender im Gebiet. Danach kann es zu dem in der Frage vorausgesetzten
Nutzungskonflikt nicht kommen.
b) Darüber hinaus will die Beschwerde geklärt wissen,
welchen Untersuchungsaufwand eine Gemeinde bei der
Überplanung einer Gemengelage im Hinblick auf etwaig
vorhandene oder potentiell entstehende Nutzungskonflikte
vorzunehmen hat.
Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung nicht. Sie zeigt eine revisionsgerichtlich klärungsfähige Rechtsfrage
nicht auf.
Wie in der Rechtsprechung des erkennenden Senats bereits geklärt ist, bean-
sprucht das Trennungsgebot des § 50 Satz 1 BImSchG für die Überplanung
einer bestehenden Gemengelage keine strikte Geltung (vgl. etwa Beschluss
vom 20. Januar 1992 - BVerwG 4 B 71.90 - Buchholz 406.11 § 214 BauGB
Nr. 5 S. 6). Auch insoweit gilt allerdings der Grundsatz, dass die aufgrund der
Festsetzungen eines Bebauungsplans bewältigungsbedürftigen Konflikte nicht
ungelöst bleiben dürfen (Beschluss vom 14. Februar 1991 - BVerwG 4 NB
25.89 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 56 S. 71 f. m.w.N.). Der Planungsgeber
muss deswegen insbesondere die zu erwartenden immissionsschutzrechtlichen
Nutzungskonflikte in den Blick nehmen und einer Lösung zuführen, sofern er
dies nicht ausnahmsweise im Wege der „Nachsteuerung“ dem Baugenehmi-
gungsverfahren überlassen kann (Beschluss vom 6. März 1989 - BVerwG 4 NB
8.89 - Buchholz 406.11 § 30 BBauG/BauGB Nr. 27 S. 2). Das setzt eine sorg-
fältige Analyse des Bestandes und eine Prognose der zukünftigen Entwicklung
voraus. Welche Anforderungen insoweit zu stellen sind, hängt von den tatsäch-
lichen Umständen des Einzelfalles ab und ist einer verallgemeinerungsfähigen
Beantwortung durch ein Revisionsgericht nicht zugänglich. Mit ihrer Kritik an
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den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, der Stadtrat der Beklagten
habe sich auf die - vom Oberverwaltungsgericht näher bezeichneten - Erfah-
rungen und Nachweise, die die Stadtverwaltung in vergleichbaren Bebauungs-
planverfahren gewonnen habe, verlassen und diese auf den hier in Rede ste-
henden Bebauungsplan übertragen dürfen, zeigt die Beschwerde einen weite-
ren Klärungsbedarf jedenfalls nicht auf, sondern erschöpft sich in Angriffen ge-
gen die Sachverhaltswürdigung durch das Oberverwaltungsgericht, die eine
Zulassung der Revision nicht begründen können.
2. Als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG,
§ 108 Abs. 2 VwGO) macht die Beschwerde geltend, das Oberverwaltungsge-
richt gehe auf das klägerische Vorbringen nicht ein, dass der Bebauungsplan
abwägungsfehlerhaft sei, weil im Plangebiet mehrere Wohngebäude vorhanden
seien, die alleine aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes nicht als privile-
gierte Wohngebäude im Sinne von § 8 BauNVO zu qualifizieren sein dürften
und deren Überplanung wegen ihrer damit verbundenen bauplanungsrechtli-
chen Unzulässigkeit einen erheblichen Eigentumseingriff darstelle, mit dem sich
der Plangeber nicht auseinandersetze.
Diese Verfahrensrüge greift nicht durch. Zwar hat sich das Oberverwaltungsge-
richt - anders als das Verwaltungsgericht (UA S. 13) - mit diesem Vorbringen in
den Urteilsgründen nicht ausdrücklich befasst. Das lässt aber noch nicht den
Schluss zu, das Gericht habe Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis ge-
nommen und nicht in Erwägung gezogen (vgl. zu diesen Anforderungen
BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 1983 - 2 BvR 731/80 - BVerfGE 64, 135
<143 f.>). Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet ein Gericht
nicht, sich mit jedem Argument in den Entscheidungsgründen auseinanderzu-
setzen. Nur wenn besondere Umstände den eindeutigen Schluss zulassen,
dass es die Ausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur
Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen hat, wird der
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt (Beschlüsse vom 5. Februar 1999
- BVerwG 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 S. 3 und vom
17. August 2004 - BVerwG 6 B 49.04 - juris Rn. 22 f.). Derartige Umstände sind
hier nicht ersichtlich.
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Wie die Beschwerde selbst darlegt, ist das Verwaltungsgericht in seinem erst-
instanzlichen Urteil auf das genannte Vorbringen der Klägerin eingegangen (UA
S. 13). Es hat einen Abwägungsfehler des Plangebers insoweit „nicht einmal
ansatzweise“ erkennen können, weil die überplante Wohnnutzung entweder
nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO privilegiert oder illegal sei. Den abweichenden
Vortrag der Klägerin, wonach es sich um genehmigte, nicht privilegierte Wohn-
nutzung handele, hat das Verwaltungsgericht auf der Grundlage der Darlegun-
gen der Beklagten als unsubstantiiert bezeichnet. In ihren Berufungsschriftsät-
zen hat die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen lediglich wiederholt und
sich dabei wiederum auf bloße Vermutungen zur Genehmigungssituation be-
schränkt (Schriftsätze vom 16. März 2009 S. 2 und vom 19. Mai 2009 S. 5 f.),
ohne Anknüpfungspunkte für eine abweichende Beurteilung durch das Ober-
verwaltungsgericht aufzuzeigen. Dass sich aus den „Bauarchivakten“ ergebe,
dass mindestens zwei Häuser im festgesetzten Gewerbegebiet als „völlig nor-
male“ Wohngebäude genehmigt worden seien, hat die Klägerin erst - allerdings
wiederum unsubstantiiert - im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde be-
hauptet. Unter diesen Umständen ist ohne weiteres davon auszugehen, dass
sich das Oberverwaltungsgericht, das die Entscheidung des Verwaltungsge-
richts nicht nur „im Ergebnis“ für zutreffend gehalten hat, dessen Gründe inso-
weit stillschweigend zu Eigen gemacht hat, zumal es sich bereits aus der Sicht
des Verwaltungsgerichts erkennbar nicht um einen zentralen rechtlichen Ge-
sichtspunkt im Vortrag der Klägerin gehandelt hat (vgl. zu diesem Kriterium et-
wa Beschluss vom 4. Juli 2008 - BVerwG 3 B 18.08 - juris Rn. 10 m.w.N.).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Bumke
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