Urteil des BVerwG vom 04.09.2003
Unzumutbarkeit, Nacht, Verfahrensmangel, Bestandteil
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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 76.03
OVG 4 KS 5/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts
vom 21. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 70 000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat
keinen Erfolg. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Revision wegen
der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache, wegen einer Abweichung des
angefochtenen Urteils von einer höchstrichterlichen Entscheidung oder wegen eines Verfah-
rensfehlers zuzulassen ist.
1.a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob Lärmberechnungen für eine
Straße die zulässige oder die tatsächlich zu erwartende Höchstgeschwindigkeit zugrunde zu
legen ist. Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO, weil sie sich ohne weiteres mit dem Gesetz und der vorhandenen Rechtsprechung
beantworten lässt. Nach § 3 Satz 1 16. BImSchV vom 12. Juni 1990 (BGBl I S. 1036) ist der
Beurteilungspegel für Straßen nach Anlage 1 zu berechnen. Diese verweist auf die Richtli-
nien für den Lärmschutz an Straßen, Ausgabe 1990 (RLS-90). Hiernach ist die Stärke der
Schallimmission von einer Straße oder einem Fahrstreifen aus der Verkehrsstärke, dem
LKW-Anteil, der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, der Art der Straßenoberfläche und der
Gradiente zu berechnen (RLS-90 Nr. 4.0). Zu Unrecht hält die Beschwerde dem Berech-
nungsmodus entgegen, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen häufig nicht eingehalten wür-
den. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist verkehrswidrigem Verhalten mit den Mitteln
des Straßenverkehrsrechts zu begegnen (vgl. Urteil vom 23. November 2001 - BVerwG 4 A
46.99 - Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 19).
Auch bei Lärmberechnungen für Straßen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung ist nicht, wie
die Beschwerde meint, von der Geschwindigkeit auszugehen, die nach dem Stand der Fahr-
zeugtechnik und den örtlichen Gegebenheiten erreichbar ist. Vielmehr folgt aus Nr. 4.4.1.1.2
RLS-90, dass für PKW eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h und für LKW
von 80 km/h in Ansatz zu bringen ist. Das Straßenbauamt R. hat in seiner lärmtechnischen
Untersuchung vom 15. Dezember 2000, die Bestandteil des Planfeststellungsbeschlusses
geworden ist, angenommen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der B 76 zwi-
schen der Anschlussstelle Gettorf Süd und dem Ende der Ausbaustrecke, also in dem vier-
spurigen Straßenabschnitt, für PKW 120 km/h beträgt. Worauf diese Prämisse beruht, ist
nicht ersichtlich. Sie erscheint unzutreffend, da ausweislich des Planfeststellungsbeschlus-
ses (S. 66) die Anordnung einer Geschwindigkeitsbegrenzung durch die Straßenverkehrs-
behörde nicht vorgesehen ist und eine normative Höchstgrenze fehlt (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2
Buchst. c Satz 2 StVO). Ein etwaiger, vom Oberverwaltungsgericht nicht markierter Fehler
würde die Zulassung der Revision aber nicht rechtfertigen, da § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
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nicht auf die "Richtigkeit" der vorinstanzlichen Entscheidung zielt.
b) Die Revision ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob durch den Neubau einer
Straße in der Nähe eines Gewerbegrundstücks im Außenbereich im gleichen Maße ein
rechtlich ungeschützter Lagevorteil entfällt wie in dem vom Bundesverwaltungsgericht be-
reits entschiedenen Fall des baubedingten Abrückens der Straße von einem Gewerbebe-
trieb. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Anspruch des Klägers auf Entschädigung für die
Beeinträchtigung des Betriebs seiner Ferienwohnanlage durch das Heranrücken der plan-
festgestellten Straße entgegengehalten, dass der mit Wohnbebauung im Außenbereich un-
ter dem Aspekt größerer Ruhe und Abgeschiedenheit verbundene Lagevorteil nicht Bestand-
teil des nach Art. 14 GG geschützten Grundeigentums, sondern rein faktischer Natur ist,
ferner keinen Anspruch darauf vermittelt, von einem Straßenbauvorhaben in der Nachbar-
schaft verschont zu bleiben und sich im Falle des Heranrückens der Straßentrasse daraus
kein vom Vorhabenträger auszugleichender Vermögensnachteil - etwa auch in Gestalt von
Umsatzeinbußen - ableiten lässt. Das entspricht der Auffassung des Senats in der Entschei-
dung vom 24. Mai 1996 - BVerwG A 39.95 - (NJW 1997, 142 ff.), die im angefochtenen Urteil
zitiert ist. Hat das Bundesverwaltungsgericht eine aufgeworfene Frage bereits entschieden,
bedarf es einer Erläuterung, weshalb die Frage eine erneute revisionsgerichtliche Beurtei-
lung erfordert. Es genügt nicht, dass die Beschwerde - wie hier - lediglich ihre abweichende
Rechtsauffassung ohne jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts darlegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. August 1997 - BVerwG 1 B
145.97 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 67).
c) Die Frage, ob ein Anspruch auf Entschädigung wegen einer planungsbedingten Unmög-
lichkeit bzw. Unzumutbarkeit einer bis zur Heranführung einer Bundesstraße zulässigerwei-
se ausgeübten Nutzung eines Grundstücks im Außenbereich in Form eines Ferienbetriebs
besteht, wenn es keine anderen wirtschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten gibt, nötigt ebenfalls
nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Sie würde sich in dem angestrebten Revisions-
verfahren nicht stellen, weil das Oberverwaltungsgericht zutreffend ermittelt hat, dass die
Lärmbeeinträchtigungen, welche die beanstandete Straßenführung der B 76 für die Ferien-
anlage des Klägers mit sich bringt, den Grad der Unzumutbarkeit nicht erreichen. Nach § 2
Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 16. BImSchV liegt die Grenze, bis zu der Lärmimmissionen
ohne Ausgleich hinzunehmen sind, für Anlagen im Außenbereich mit der Schutzbedürftigkeit
derjenigen des Klägers bei 64 db(A) am Tage und 54 db(A) in der Nacht. Sie wird nach den
Feststellungen im angefochtenen Urteil "bei weitem" nicht erreicht werden. Dies gilt übrigens
auch für den Fall, dass die Lärmberechnung fehlerhaft sein sollte. Die Berücksichtigung ei-
ner zulässigen Höchstgeschwindigkeit für PKW von 130 km/h statt 120 km/h hätte nicht zur
Folge, dass die jetzt auf 57,4 db(A) am Tage und 50 db(A) in der Nacht prognostizierten
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Werte die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 16. BImSchV gezogene Grenze überschritten. Unterhalb der
einfach-gesetzlichen Zumutbarkeitsschwelle besteht - dies sei abschließend bemerkt - auch
kein Anspruch auf Lärmschutzmaßnahmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2002 - BVerwG
4 A 44.00 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 59; Urteil vom 30. Mai 1984 - BVerwG 4 C 58.81 -
BVerwGE 69, 256 <275>).
2. Die Beschwerde macht eine Abweichung des angefochtenen Urteils von verschiedenen
Urteilen des Senats geltend. Ihre Rüge ist unzulässig, weil sie den Darlegungserfordernissen
des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Der Revisionszulassungsgrund der Abwei-
chung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung dersel-
ben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz zu einem in der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in
Widerspruch tritt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 -
NVwZ-RR 1996, 712). Der Tatbestand der Divergenz muss in der Beschwerdebegründung
nicht nur durch Angabe der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der abgewi-
chen sein soll, sondern auch durch Darlegung der miteinander unvereinbaren Rechtssätze
bezeichnet werden. Hieran lässt es die Beschwerde fehlen. Sie arbeitet keine Rechtssätze
aus dem Berufungsurteil heraus, die von Rechtssätzen aus den Urteilen des Senats vom
14. April 1978 - BVerwG 4 C 68.76 - (DVBl 1978, 618), vom 16. September 1993 - BVerwG
4 C 9.91 - (BRS 55 Nr. 163) und vom 24. Mai 1996 (a.a.O.) abweichen, sondern beanstan-
det eine fehlerhafte Umsetzung der Senatsrechtsprechung auf den zu entscheidenden Fall.
(Angebliche) Subsumtionsmängel sind indes nicht mit einer Divergenz im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO gleichzusetzen.
3.a) Die Beschwerde beklagt als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen den Grundsatz des
fairen Verfahrens und das Gebot der Berücksichtigung entgegenstehender höchstrichterli-
cher Rechtsprechung. Sie wirft dem Oberverwaltungsgericht vor, die in der Klageschrift er-
wähnte Entscheidung des Senats vom 16. September 1993 (a.a.O.) nicht beachtet zu ha-
ben. Der Senat kann offen lassen, ob dieses Versäumnis - sein Vorliegen unterstellt - über-
haupt als Verfahrensmangel (in Gestalt der Verletzung rechtlichen Gehörs) zu werten ist;
denn das vorinstanzliche Urteil beruht darauf nicht. Die Klage ist ohne Erfolg geblieben, weil
die maßgeblichen Grenzwerte in § 2 Abs. 1 Nr. 3 der 16. BImSchV in der Ferienanlage des
Klägers nicht überschritten werden. Dieses Ergebnis wird durch die Entscheidung vom
16. September 1993 nicht in Frage gestellt.
b) Der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht dem Vortrag des Klägers zur Reichweite
des Art. 14 Abs. 1 GG nicht gefolgt ist, vermag einen Verfahrensmangel nicht zu begründen.
Ein Fehler bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Norm wäre dem sachlichen Recht
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zuzuordnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf
§ 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Rojahn Gatz