Urteil des BVerwG vom 27.10.2004

Treu Und Glauben, Aktenwidrige Feststellung, Verwirkung, Diplom

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 73.04
VGH 3 S 2168/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und
Prof. Dr. R o j a h n und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P h i l i p p
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 25. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 50 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
§ 108 Abs. 1 Satz 1 und § 86 Abs. 1 VwGO sind nicht deshalb verletzt, weil das Be-
rufungsgericht davon ausgeht, dass im Zeitpunkt der Verfügung vom 7. Dezember
2000 "lediglich 75 % der Fundamente fertig gestellt" gewesen seien (UA S. 17).
Es handelt sich nicht um eine aktenwidrige Feststellung. Der Verwaltungsgerichtshof
nimmt Bezug auf den angefochtenen Bescheid, der ihm als Teil der Akten des Be-
klagten vorlag (UA S. 12). Danach wurden am 28. Juli 1997 Lichtbilder gefertigt, die
ergaben, dass zu diesem Zeitpunkt 75 % der Streifenfundamente vorhanden waren.
Dieser fotografisch festgehaltene Zustand erwies sich unbeschadet der vom Kläger
geschilderten und vom Berufungsgericht nicht in Abrede gestellten Erd- und Entwäs-
serungsarbeiten bei einem Ortstermin am 13. Oktober 2000 als unverändert (UA
S. 4).
Der Verwaltungsgerichtshof hatte von seinem materiell-rechtlichen Ansatz her keinen
Anlass, zu diesem Punkt weitere Ermittlungen anzustellen. Nach seiner Einschät-
zung hätte der Kläger "allenfalls bei einer fertig gestellten Halle" darauf vertrauen
können, dass der Beklagte nicht mehr einschreite (UA S. 17). Dieser Bauzustand war
im Dezember 2000 bei weitem noch nicht erreicht. Der Kläger räumt selbst ein, dass
das Vorhaben zu dieser Zeit nicht über wesentliche Teile des Fundaments hinaus
gediehen war.
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Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den Investitionskosten lassen sich
nicht als Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 oder § 86 Abs. 1 VwGO werten. Der
Kläger bestreitet selbst nicht, die Baukosten im Laufe des gerichtlichen Verfahrens
unterschiedlich beziffert zu haben. Während in der ersten Instanz zunächst von
100 000 DM und später von 180 000 DM die Rede war, nannte er im Berufungsver-
fahren einen Betrag von 150 000 €. Das Berufungsgericht brauchte zur Höhe der
Investitionskosten keinen Beweis zu erheben. Ihm lag die Abschätzung des Diplom-
Ingenieurs L. vom 16. August 2002 vor (BA S. 33), die an die Baukostenaufstellung
vom 20. Oktober 2001 (VGA S. 113 ff.) anknüpfte. Hierin wurde ein Betrag von
181 774,30 DM genannt. Diese Angabe hätte sich durch gerichtliche Ermittlungen
nicht weiter erhärten lassen. Denn Diplom-Ingenieur L. stellt in der Erklärung vom
16. August 2002 ausdrücklich folgendes klar: "Für alle Positionen ist eine zeitliche
Zuordnung im Nachhinein nicht möglich, da die Arbeiten in eigener Regie in Zeit-
räumen, in denen keine Fremdaufträge vorlagen, ausgeführt wurden. Ein Bautage-
buch für die eigene Baustelle wurde nicht geführt. Für einzelne Positionen konnte
anhand der vorliegenden Lieferscheine und Rechnungen der Zeitpunkt des Einbaues
annähernd festgelegt werden." Der Kläger stellt nicht in Abrede, die in der Baukos-
tenaufstellung vom 20. Oktober 2001 aufgeführten Leistungen überwiegend selbst
erbracht zu haben. Mit welchem Aussagegehalt die Einschätzung des Geldeswerts
dieser Leistungen zu Buche schlägt, hatte das Berufungsgericht auf der Grundlage
des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO frei zu würdigen. Der Kläger macht selbst nicht gel-
tend, zur Frage der von ihm aufgewendeten Beträge in der mündlichen Verhandlung
einen förmlichen Beweisantrag gestellt zu haben. Er zeigt auch nicht auf, welche Er-
kenntnismittel sich der Verwaltungsgerichtshof über die ohnehin ins gerichtliche Ver-
fahren eingeführten, näher erläuterten Berechnungen vom 20. Oktober 2001 und
vom 16. August 2002 hinaus hätte nutzbar machen können, um sich davon zu über-
zeugen, dass ihm Baukosten in der von ihm - zuletzt mit 150 000 € - angegebenen
Höhe entstanden sind.
2. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Rüge ist unzulässig. Sie genügt nicht
den formellen Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Der Senat hätte keinen Anlass, in dem erstrebten Revisionsverfahren Bestands-
schutzprobleme zu erörtern. Hierzu Erwägungen anzustellen, würde sich von vorn-
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herein erübrigen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts trägt das vom Kläger in
Angriff genommene Bauvorhaben von Anfang an den Stempel materieller Illegalität,
da es von der erteilten Baugenehmigung nicht gedeckt wird.
Auch die Frage, ob dem Beklagten der Einwand der Verwirkung entgegengehalten
werden kann, ließe sich in einem etwaigen Revisionsverfahren nicht klären. Unter
welchen Voraussetzungen die Bauaufsichtsbehörden gegen baurechtswidrige Zu-
stände vorgehen können, richtet sich nach dem irrevisiblen Landesrecht. Danach
bestimmt sich auch, ob der Befugnis zum Einschreiten der rechtsvernichtende Ein-
wand der Verwirkung entgegensteht. Hieran ändert der Umstand nichts, dass es sich
bei der Verwirkung als einem Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben um
einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handelt, dem über das Bauordnungsrecht hinaus
Bedeutung zukommt. Verwaltungsrechtliche Grundsätze gehören nicht schon
deshalb dem revisiblen Recht an, weil ihnen in der Rechtsordnung allgemeine Gel-
tung zukommt. Sie teilen vielmehr den Rechtscharakter des Rechts, das sie ergän-
zen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - BVerwG 4 C 4.89 - Buchholz 406.19
Nachbarschutz Nr. 102; Beschlüsse vom 11. Februar 1997 - BVerwG 4 B 10.97 -
Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 144 und vom 19. September 2000 - BVerwG
4 B 65.00 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 15).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.
Halama Prof. Dr. Rojahn Dr. Philipp