Urteil des BVerwG vom 16.07.2007

Rüge, Ablauf der Frist, Wichtiger Grund, Flughafen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 71.06
OVG 20 D 89/05.AK
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und Dr. Hofherr
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 13. Juli 2006 wird zurückgewie-
sen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu
je ½.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
Der Senat entscheidet über die Beschwerde, weil die Voraussetzungen für die
- vom Beschwerdeführer beantragte - Aussetzung oder Anordnung des Ruhens
des Verfahrens nicht gegeben sind. Eine Aussetzung nach § 94 VwGO scheidet
schon deshalb aus, weil das Revisionsverfahren BVerwG 4 C 12.07 (BVerwG
4 B 70.06) kein vorgreiflicher Rechtsstreit im Sinne dieser Vorschrift ist. In
diesem Verfahren ist darüber zu entscheiden, ob der angefochtene Plan-
feststellungsbeschluss Rechte des dortigen Klägers verletzt. Dagegen ist
Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens allein die Frage, ob
die Kläger sich auf Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2
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VwGO stützen können. Wegen dieses unterschiedlichen Streitgegenstandes
wäre - eine Zustimmung der anderen Verfahrensbeteiligten zum Ruhensantrag
unterstellt - auch kein wichtiger Grund im Sinne von § 173 VwGO i.V.m. § 251
ZPO erkennbar, der eine Anordnung des Ruhens des entscheidungsreifen Be-
schwerdeverfahrens zweckmäßig erscheinen lässt.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt erfolglos.
1. Die mit Blick auf die Planrechtfertigung erhobenen Rügen führen nicht zur
Zulassung der Revision.
1.1 Die Beschwerde zeigt keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Die Zulassung der Revision nach dieser Vorschrift setzt
die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für
die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und
außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinaus-
gehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, Beschluss vom 20. November 2006
- BVerwG 4 B 50.06 -).
Die Beschwerde sieht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich fol-
gender Fragen:
Ist die Weiterentwicklung des Angebots eines Flughafens,
die bereits in seiner Widmung als internationaler Ver-
kehrsflughafen angelegt ist, hin zu einem interkontinenta-
len Flugverkehr unter gleichzeitiger besserer Positionie-
rung in Bezug auf eine restriktionsfreie Nutzung im Be-
reich des langen Mittelstreckenverkehrs ein Ziel des
LuftVG, welches ohne Hinzutreten weiterer Gesichtspunk-
te, wie insbesondere eines konkret feststellbaren Ver-
kehrsbedarfs, einer Entlastungswirkung für hoch belastete
Flughafenstandorte u.a., ein Flughafenausbauvorhaben
rechtfertigen kann? (Rüge 1.2)
Sind Dezentralisierung des Luftverkehrs und Wettbe-
werbsstärkung Gründe, die geeignet sind, einem luftver-
kehrsrechtlichen Ausbauvorhaben die Planrechtfertigung
zu verleihen? (Rüge 1.7, 1. Alt.)
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Die Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die Plan-
rechtfertigung ist ein ungeschriebenes Erfordernis jeder Fachplanung, deren
Fehlen auch ein mittelbar in seinem Eigentum Betroffener geltend machen kann
(Urteil vom 9. November 2006 - BVerwG 4 A 2001.06 - NVwZ 2007, 445 <447
Rn. 33>; Urteil vom 26. April 2007 - BVerwG 4 C 12.05 -, jeweils zur Ver-
öffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Sie fehlt, wenn das Vorhaben den Zie-
len des jeweiligen Fachplanungsgesetzes - hier des LuftVG - nicht entspricht
(Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <177
Rn. 182 f.>). Zu den Zwecken des LuftVG gehört nach § 28 Abs. 1 LuftVG die
zivile Luftfahrt. Das Gesetz soll den Luftverkehr fördern (Urteile vom 11. Juli
2001 - BVerwG 11 C 14.00 - BVerwGE 114, 364 <375> und vom 9. November
2006, a.a.O., S. 447 Rn. 36). Ein Vorhaben muss weiter für sich in Anspruch
nehmen können, in der konkreten Situation erforderlich, also vernünftigerweise
geboten zu sein (Urteil vom 9. November 2006, a.a.O., S. 447 Rn. 34).
Das Oberverwaltungsgericht hat die Bedarfslage für das Vorhaben geprüft und
festgestellt, dass nach Abschluss des Ausbaus die „realistische Entwicklungs-
chance“ einer Nutzung als internationaler Flughafen bis hin zur Nutzung der
vollen Länge der projektierten Bahn besteht (UA S. 28). Für den Mittelstrecken-
verkehr sieht es „solide und günstige Entwicklungschancen“ (UA S. 31). Für
den Interkontinentalverkehr werde erwartet, dass zunächst eher wenig etablier-
te und/oder ausländische Luftfahrtunternehmen mit Zielen im Chartertouristik-
verkehr akquiriert werden können (UA S. 30). Es sei im Charterbereich eine
Entwicklung auch abseits der Großflughäfen wahrzunehmen (UA S. 31). Die
verbleibenden Prognoseunsicherheiten blieben im Rahmen dessen, was jeder
langfristigen Verkehrsprognose mehr oder weniger immanent sei, auch wenn
sie weiter reichen mögen als in anderen Fällen (UA S. 32). Von diesen auf die
Umstände des Einzelfalls bezogenen Feststellungen ausgehend stellen sich die
von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht.
1.2 Zur Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führt auch nicht die Frage:
Können Fluglärmbetroffene bei der Untersuchung des
Verkehrsbedarfs im Rahmen der Planrechtfertigung den
Einwand vorbringen, der für einen Flughafenausbau ange-
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führte künftige Verkehr könne auf anderen Flughäfen ab-
gewickelt werden und dies sei eine sich geradezu auf-
drängende Alternative zum geplanten Flughafenausbau?
(Rüge 1.9, 1. Alt.)
Die Frage ist bereits geklärt. Die Möglichkeit, andere Flughäfen zu nutzen, ist
eine Frage der Abwägung, die der gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. dazu
Urteile vom 9. November 2006, a.a.O., S. 459 Rn. 59 und vom 20. April 2005 -
BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 <272>), und damit keine Frage der
Planrechtfertigung.
1.3 Die Behandlung der Planrechtfertigung weicht nicht im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Urteil des beschließenden Senats vom
24. November 1989 (BVerwG 4 C 41.88 - BVerwGE 84, 123 <132>) ab (Rüge
2.3). Eine die Revision eröffnende Abweichung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO
läge nur vor, wenn das angegriffene Urteil in Anwendung derselben Vorschrift
des Bundesrechts mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz von
einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufge-
stellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr, Beschluss vom
1. Juni 2007 - BVerwG 4 B 19.07 -). Die genannte Entscheidung des Bundes-
verwaltungsgerichts betraf indes § 1 Abs. 2 FStrG und damit nicht dieselbe
Rechtsnorm wie die angegriffene Entscheidung (vgl. Beschluss vom 10. April
1963 - BVerwG 8 B 16.62 - BVerwGE 16, 53 <55>).
1.4 Die im Zusammenhang mit der finanziellen Realisierbarkeit des Vorhabens
erhobenen Rügen bleiben ohne Erfolg.
1.4.1 Die Kläger rügen zu Unrecht, das Ausgangsgericht sei unter Verstoß ge-
gen die Pflicht zur Amtsermittlung aus § 86 Abs. 1 VwGO der Frage der Finan-
zierbarkeit des Vorhabens nicht weiter nachgegangen (Rüge 3.1.1).
Damit wird ein Verfahrensfehler nicht dargelegt. Die Aufklärungsrüge ist kein
Mittel, um die Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsachenin-
stanz, vor allem das Stellen von Beweisanträgen, zu kompensieren (stRspr,
Beschluss vom 18. Dezember 2006 - BVerwG 4 BN 30.06 -). Die Kläger haben
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einen Beweisantrag zur Finanzierbarkeit des Vorhabens nicht gestellt. Der Vor-
trag der Kläger, sie hätten nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung mit
einer weiteren Sachaufklärung von Amts wegen gerechnet, führt nicht zu einer
anderen Bewertung. Allein auf die Länge der Erörterung durften die Kläger nicht
die Erwartung stützen, das Gericht werde von Amts wegen weiteren Beweis
erheben. Namentlich war das Ausgangsgericht nicht unter dem Gesichtspunkt
des rechtlichen Gehörs - etwa zur Vermeidung einer Überraschungsent-
scheidung - verpflichtet, den Beteiligten seine Einschätzung der Beweislage
vorab mitzuteilen.
Die Beschwerde legt auch nicht dar, dass sich dem Ausgangsgericht eine wei-
tere Sachaufklärung habe aufdrängen müssen. Nach der insoweit maßgebli-
chen Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts war zu prüfen, ob eine „greifbare
Fehlplanung“ (UA S. 27) vorlag. Das Ausgangsgericht hat aus einer Reihe von
Anhaltspunkten gefolgert, dass der planfestgestellte Flughafenausbau nicht aus
finanziellen Gründen scheitern werde (UA S. 28). Die von den Klägern - nach
Ablauf der Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO - vorgelegten Presseartikel zei-
gen zwar kommunalpolitische Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Vorha-
bens auf, begründen aber auch in ihrer Gesamtheit nicht die Annahme, dem
Ausgangsgericht habe sich eine weitere Sachaufklärung aufdrängen müssen.
1.4.2 Rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht nicht hinsichtlich der Fra-
ge:
Kann von einer Finanzierbarkeit eines Flughafenausbau-
vorhabens ausgegangen werden, wenn ausschließlich für
einen Teilausbau die Finanzierbarkeit geprüft und be-
schlossen wurde, für einen anderen Teil vom Flughafen-
betreiber die Finanzierungsfrage aber noch nicht einmal
beraten wurde? (Rüge 1.1)
Welche Bedeutung diese Frage über die Besonderheiten des Einzelfalls hinaus
haben soll, legt die Beschwerde nicht dar. Sie verfehlt damit die Anforderungen
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Im Übrigen ist in der Rechtsprechung geklärt, welche Bedeutung die Finanzie-
rung eines Vorhabens im Fachplanungsrecht hat. Die Art der Finanzierung ist
nicht Gegenstand eines Planfeststellungsbeschlusses (Urteil vom 20. Mai 1999
- BVerwG 4 A 12.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 154, S. 30 f.). Eine Pla-
nung, die aus finanziellen Gründen nicht realisierbar ist, ist rechtswidrig, weil ihr
die Planrechtfertigung fehlt (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 -
BVerwGE 125, 116 <182 Rn. 200>). Das Ausgangsgericht hat aus verschiede-
nen Indizien geschlossen, dass die Annahme gerechtfertigt sei, der planfestge-
stellte Flughafenausbau werde nicht aus finanziellen Gründen scheitern (UA
S. 27 f.). Dass die Kläger die Indizien anders bewerten, verleiht der Sache kei-
ne grundsätzliche Bedeutung.
1.4.3 Die in diesem Zusammenhang erhobenen Divergenzrügen (Rüge 2.8)
bleiben erfolglos.
Die Beschwerde stützt sich auf die Formulierung des Urteils vom 16. März
2006, die Planfeststellungsbehörde habe bei der Planaufstellung vorausschau-
end zu beurteilen, ob dem geplanten Bauvorhaben unüberwindbare finanzielle
Schwierigkeiten entgegenstehen (a.a.O., S. 182 Rn. 200). Das Ausgangsgericht
weiche hiervon ab, weil es das Fehlen entsprechender Darlegungen in dem
angegriffenen Planfeststellungsbeschluss nicht beanstandet habe. Dies zeigt
keine Divergenz auf. Der Senat hatte in seinem Urteil vom 16. März 2006
keinen Anlass, sich zu den Rechtsfolgen einer fehlenden Befassung der Plan-
feststellungsbehörde mit der Finanzierbarkeit eines Vorhabens zu äußern.
Denn die Planfeststellungsbehörde hatte sich in dem der Entscheidung zugrun-
de liegenden Sachverhalt mit den Einwänden gegen die Finanzierbarkeit des
Vorhabens auseinandergesetzt (a.a.O., Rn. 201).
Die Divergenz zu fernstraßenrechtlichen Entscheidungen ist nicht ausreichend
gerügt. Die Kläger benennen keine Entscheidung des Bundesverwaltungsge-
richts, von der die angegriffene Entscheidung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO abweichen soll. Im Übrigen verhalten sich die in Bezug genommenen
Aussagen zu anderen als den hier streitentscheidenden Vorschriften, nämlich
solchen des Bundesfernstraßengesetzes.
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2. Die Beschwerde legt mit Blick auf die Unsicherheiten einer Prognose für den
künftigen Verkehr keinen Zulassungsgrund dar.
2.1 Sie will grundsätzlich geklärt wissen:
Kann ein Gericht davon ausgehen, dass höhere Unsi-
cherheiten des Eintritts eines einen Flughafenausbau
rechtfertigenden Szenarios das Gewicht der für das Vor-
haben streitenden Belange nicht mindern? (Rüge 1.13)
Insoweit besteht kein Klärungsbedarf. Die Kläger entnehmen dem angegriffe-
nen Urteil den Rechtssatz, Unsicherheiten in der Prognose könnten das Ge-
wicht der für ein Vorhaben streitenden Belange nicht mindern. Einen solchen
Rechtssatz stellt das angegriffene Urteil indes nicht auf. Er wäre auch unzutref-
fend. Das Gewicht eines Verkehrsbedarfs in der Abwägung mit entgegenste-
henden Interessen hängt auch von seiner Dringlichkeit ab (Urteil vom
29. Januar 1991 - BVerwG 4 C 51.89 - BVerwGE 87, 332 <386>). Mit dem Ge-
wicht der beeinträchtigten Lärmschutzbelange steigen die Anforderungen an die
Darlegung des Verkehrsbedarfs, der eine Erweiterung der Flugmöglichkeiten
rechtfertigen soll (Urteile vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE
123, 261 <268> und vom 9. November 2006, a.a.O., S. 449 Rn. 55). Das Ge-
richt hat zu fragen, ob die mit jeder Prognose verbundene Ungewissheit
künftiger Entwicklungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Eingriffen
steht, die mit ihr gerechtfertigt werden sollen (Urteil vom 8. Juli 1998 - BVerwG
11 A 53.97 - BVerwGE 107, 142 <146>). Von diesen Grundsätzen weicht das
angegriffene Urteil nicht ab. Die von den Klägern herangezogene Passage (UA
S. 32 f.) räumt Prognoseunsicherheiten ein, hält diese aber nicht für so gewich-
tig, dass dem Interesse der Kläger, das Vorhaben zu verhindern, Vorrang ge-
bührt. Dies zeigt der „Bezug auf die vorliegend zu überwindenden entgegenste-
henden Lärmschutzbelange der Kläger“. Dass das Ausgangsgericht der Dring-
lichkeit des Verkehrs in der Abwägung Bedeutung beigemessen hat, belegen im
Übrigen seine Ausführungen zur Nachtflugregelung (UA, S. 63).
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Auch die folgenden Fragen zeigen keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbe-
darf auf:
Kann allein die Feststellung von Entwicklungschancen ei-
nes Flughafens einem Ausbauvorhaben ein Gewicht ver-
leihen, vergleichbar einer aktuell festzustellenden oder mit
hinreichender Sicherheit in absehbarer Zeit prognostizier-
baren Bedarfslage? (Rüge 1.3)
Kann allein die Feststellung von Entwicklungschancen ei-
nes Flughafens einem Ausbauvorhaben ein Gewicht ver-
leihen, dass dieses Vorhaben auch ohne das Vorliegen
besonderer weiterer Rechtfertigungsgesichtspunkte, wie
der Förderung einer besonders strukturschwachen Region
geeignet ist, eine Zurückstellung der gegen das Vorhaben
sprechenden Gesichtspunkte zu rechtfertigen? (Rüge 1.4)
Kommt es zur Gewichtung der für ein Ausbauvorhaben
sprechenden Belange entscheidend darauf an, ob Prä-
missen nur behauptet werden oder aus konkreten aktuel-
len Entwicklungen ableitbar sind? (Rüge 1.5)
Kommt es zur Gewichtung der für ein Ausbauvorhaben
sprechenden Belange entscheidend darauf an, ob für die
Rechtfertigung eines Vorhabens eine Änderung der
Marktbedingungen, die sich aktuell nicht abzeichnet, un-
terstellt werden muss oder an aktuelle Entwicklungen an-
geknüpft werden kann? (Rüge 1.6)
Aus den vorstehend genannten Gründen ist es eine Frage des Einzelfalls, wel-
che Folgerungen aus Prognoseunsicherheiten für das Gewicht des Vorhabens
in der Abwägung zu ziehen sind. Dies gilt besonders für die Frage, ob Progno-
seunsicherheiten sich „entscheidend“ auswirken, da dies wesentlich auch von
den gegenläufigen Belangen abhängt.
2.2 Die Beschwerde sieht zu Unrecht rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf bei
der Ermittlung von Prognoseunsicherheiten.
2.2.1 Die Beschwerde wirft die Frage auf:
Kann ein Gericht davon ausgehen, dass höhere Unsi-
cherheiten des Eintritts eines einen Flughafenausbau
rechtfertigenden Szenarios das Gewicht der für das Vor-
haben streitenden Belange nicht mindern, wenn zugleich
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die Prämissen der eine höhere Unsicherheit aufweisenden
Stellungnahmen selbst höhere Unsicherheiten aufweisen
und damit die Eintrittswahrscheinlichkeit des der
Rechtfertigung des Ausbaus zugrunde gelegten Szenarios
sinkt? (Rüge 1.14)
Die aufgeworfene Frage betrifft die tatrichterliche Würdigung der Vorinstanz und
zeigt keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Bei der Überprüfung
einer luftverkehrsrechtlichen Bedarfsprognose hat das Gericht zu prüfen, ob
diese Prognose mit dem zu ihrer Zeit verfügbaren Erkenntnismitteln unter
Beachtung der für sie erheblichen Umstände sachgerecht erarbeitet worden ist
(Urteile vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 13.85 - BVerwGE 75, 214
<234>). Hiervon ausgehend ist es Sache des Tatrichters, mögliche Unsicher-
heiten in einer Prognose festzustellen. Dieses Gebot erstreckt sich auch auf
Unsicherheiten hinsichtlich der in die Prognose eingehenden Ausgangsdaten.
2.2.2 Auch die folgende Frage entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung:
Kann ein Gericht Abweichungen der Ist-Zahlen einer
Prognose von den tatsächlichen Flugbewegungszahlen
zum Zeitpunkt der Planfeststellung um > 30 % und sogar
> 100 % als übliche Unsicherheit einer Prognose werten?
(Rüge 1.16)
Die gerichtliche Prüfung einer Prognose erstreckt sich nicht darauf, ob eine
Prognose durch eine spätere Entwicklung mehr oder weniger bestätigt oder
widerlegt ist (Urteile vom 7. Juli 1978 - BVerwG 4 C 79.76 u.a. - BVerwGE 56,
110 <122> und vom 8. Juli 1998, a.a.O., S. 146). Im Einzelfall kann das Ausei-
nanderklaffen zwischen Prognose und nachträglicher Entwicklung für eine un-
sachgemäße Prognose in Betracht zu ziehen sein (Urteil vom 20. April 2005,
a.a.O., S. 277). Wann dies der Fall ist, entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klä-
rung. Eine in Prozentpunkten ausgedrückte Abweichung als Grenze der übli-
chen Prognoseunsicherheit kann nicht benannt werden. Dies gilt insbesondere
mit Blick auf die von den Klägern in den Mittelpunkt gerückten Anteile, etwa der
Nachtflugbewegungen an den Gesamtflugbewegungen. Die prozentuale Ab-
weichung hängt in solchen Fällen entscheidend von der gewählten Bezugsgrö-
ße ab. Es ist eine Frage des Einzelfalls, ob die Betrachtung mit Blick auf eine
bestimmte Bezugsgröße sachgerecht ist.
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3. Die Beschwerde rügt in der Sache, das Ausgangsgericht habe zu Unrecht
eine Strukturschwäche der Region angenommen und diesen Gesichtspunkt den
Belangen der Lärmbetroffenen entgegengestellt. Dieses Vorbringen führt nicht
auf Gründe für eine Zulassung der Revision.
3.1 Die Beschwerde meint, das Ausgangsgericht habe unter Verstoß gegen
§ 86 Abs. 1 VwGO Defizite in der Region und eine Möglichkeit der Wettbe-
werbsstärkung angenommen (Rüge 3.1.2). Die Kläger haben in der mündlichen
Verhandlung keinen Beweisantrag zur weiteren Sachaufklärung dieses Punktes
gestellt. Es ist auch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass sich dem Aus-
gangsgericht eine weitere Sachaufklärung aufdrängen musste.
Das Ausgangsgericht hat sich bei der Annahme eines gewissen Förderbedarfs
der Region für den Bereich der Dienstleistungen auf das Gutachten von
Allemeyer et. al, Verkehrswirtschaftliche und verkehrspolitische Begründung
des Ausbauvorhabens für den Flughafen Münster/Osnabrück (FMO) und regio-
nalpolitische Implikationen, Münster 1996 gestützt (UA S. 26 f.; Gutachten,
S. 31 ff.). Zur Einholung eines weiteren Gutachtens war das Gericht bei dieser
Sachlage nur verpflichtet, wenn sich ihm eine weitere Sachaufklärung aufdrän-
gen musste. Die Beschwerde legt nicht dar, aus welchen Gründen sie das vor-
liegende Gutachten für unzureichend hält. Die vorgelegten Presseartikel führen
nicht weiter, weil sie sich zur wirtschaftlichen Lage der Region allgemein äu-
ßern, nicht aber zur relativen Bedeutung des Dienstleistungssektors im Ver-
hältnis zu anderen Wirtschaftsbereichen.
Die Rüge, das Ausgangsgericht habe die Möglichkeit einer Wettbewerbsstär-
kung der Region durch den Flughafenausbau weiter aufklären müssen, bleibt
ohne Substanz. Die Kläger selbst halten eine Wettbewerbsstärkung für plausi-
bel, wenn sich für das planfestgestellte Vorhaben eine ausreichende Nachfrage
entwickelt. Letzteres hat das Ausgangsgericht für das Revisionsgericht bindend
festgestellt.
3.2 Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig:
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Kann ein Gericht strukturelle Defizite in der Region ergän-
zend zur Ermittlung und Gewichtung der für ein Flugha-
fenausbauvorhaben sprechenden Belange heranziehen,
ohne die strukturellen Defizite zu benennen, ihr tatsächli-
ches Vorliegen aufzuklären und ohne, dass dies bei der
Zulassungsentscheidung zur Begründung angeführt wor-
den wäre? (Rüge 1.8)
Die Beschwerde wiederholt in Gestalt einer Grundsatzrüge im Wesentlichen
den Vorwurf mangelnder Sachaufklärung. Dies führt nicht zur Zulassung der
Revision. Die Rechtsfrage, ob ein Gericht auch Gesichtspunkte heranziehen
darf, die der Planfeststellungsbeschluss nicht selbst benennt, stellt sich nicht.
Der Planfeststellungsbeschluss nimmt zu den regionalwirtschaftlichen Effekten
eines Flughafens Stellung und verweist auf die besondere Standortgunst
(S. 64 ff.). Das Ausgangsgericht knüpft hieran an und verweist auf „positive re-
gionalwirtschaftliche Effekte“ (UA S. 26) und „Arbeitsplatzeffekte“ (UA S. 27).
Der Hinweis auf einen „gewissen Förderbedarf der Region für den Bereich der
Dienstleistungen“ (UA S. 26) hat in diesem Zusammenhang bloß illustrierende
Funktion. Für die angenommenen regionalwirtschaftlichen Effekte war es be-
deutungslos, ob diese vorhandene Defizite ausgleichen oder Vorzüge weiter
stärken.
3.3 Die Kläger streben die rechtsgrundsätzliche Klärung folgender Frage an:
Sind Dezentralisierung und Wettbewerbsstärkung Gründe,
die geeignet sind, entgegenstehende Lärmschutzinteres-
sen zu überwiegen? (Rüge 1.7 2. Alt.)
Dies verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die Frage, ob „allein“ diese Ge-
sichtspunkte ausreichend sein könnten, stellt sich nicht, weil das Ausgangsge-
richt das Vorliegen einer Bedarfslage festgestellt hat. Im Übrigen besteht kein
Klärungsbedarf. Dezentralisierung und Wettbewerbsstärkung können in der
Abwägung für ein Vorhaben ins Feld geführt werden. Denn Verkehrsflughäfen
werden von privatrechtlich organisierten Unternehmen betrieben, die als Anbie-
ter von Flughafenleistungen miteinander in einem Wettbewerb stehen, in dem
es nicht zuletzt um die Sicherung und Förderung von Wirtschaftsstandorten
geht (Urteil vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261
<272>). Den Flughafenbetreibern steht es offen, zur Stärkung ihrer Wettbe-
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werbsfähigkeit auf eine geänderte Nachfrage zu reagieren (Urteil vom
9. November 2006, a.a.O., S. 448 Rn. 37). Bei der Entscheidung über den
Standort eines Flughafens kann eine Rolle spielen, welche wirtschaftlichen Im-
pulse von dem Flughafen für die Region zu erwarten sind (Urteil vom 16. März
2006, a.a.O., S. 157 ff. Rn. 128 ff.). Mit welchem Gewicht diese Belange in die
Abwägung eingestellt werden können und ob sie sich in der Abwägung gegen
entgegenstehende Interessen durchsetzen, ist eine Frage des Einzelfalls und
revisionsgerichtlicher Klärung nicht zugänglich.
3.4 Das angegriffene Urteil weicht auch nicht von dem Urteil des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 11. Juli 2001 (BVerwG 11 C 14.00 - BVerwGE 114, 364) ab
(Rüge 2.2). Die Beschwerde sieht das angegriffene Urteil im Widerspruch zu
der genannten Entscheidung, weil es eine Angebotsplanung auch „ohne zu-
sätzliche rechtfertigende Aspekte, wie die Strukturförderung“ für zulässig erach-
te. Das Urteil vom 11. Juli 2001 (a.a.O.) äußert sich indes nicht zu der Frage,
ob und unter welchen Umständen eine Angebotsplanung in einer Region ohne
Strukturschwäche zulässig sein könnte.
4. Die Beschwerde bleibt erfolglos, soweit sie die Behandlung von Standortal-
ternativen durch das Ausgangsgericht angreift.
4.1 Die Beschwerde wirft folgende Frage als rechtsgrundsätzlich auf:
Können Fluglärmbetroffene bei der Überprüfung der Ab-
wägung den Einwand vorbringen, der für einen Flugha-
fenausbau angeführte künftige Verkehr könne auf anderen
Flughäfen abgewickelt werden und dies sei eine sich
geradezu aufdrängende Alternative zu dem geplanten
Flughafenausbau? (Rüge 1.9, 2. Alt.)
Insoweit besteht kein Klärungsbedarf. In der Abwägung müssen die ernsthaft in
Betracht kommenden Standortalternativen ermittelt, bewertet und untereinander
abgewogen werden (Urteil vom 5. Dezember 1986 - BVerwG 4 C 13.85 -
BVerwGE 75, 214 <236 f.>). Dieses Gebot erstreckt sich auch auf die Möglich-
keit, an der gegenwärtigen Verkehrsinfrastruktur festzuhalten (Urteil vom
16. März 2006, a.a.O., S. 146 Rn. 98). Auch bei einem standortgebundenen
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Vorhaben, wie dem Ausbau eines vorhandenen Flugplatzes, ist in den Grenzen
des Abwägungsgebotes zu prüfen, ob sich etwa die Neuanlage eines die Be-
lange Dritter weniger beeinträchtigenden Flughafens an anderer Stelle als Al-
ternativlösung anbietet oder gar aufdrängt (Urteil vom 22. März 1974 - BVerwG
4 C 42.73 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 6, S. 29). Eine Standortauswahl ist
rechtswidrig, wenn sich eine verworfene Alternative entweder als die eindeutig
vorzugswürdige Lösung hätte aufdrängen müssen oder wenn der Planungsbe-
hörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzel-
ner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (Urteil vom 16. März
2006, ebd.). Von einer Alternative kann nicht mehr gesprochen werden, wenn
eine Variante auf ein anderes Projekt hinausläuft. Dies ist namentlich der Fall,
wenn ein mit dem Vorhaben verbundenes wesentliches Ziel mit einer Alternati-
ve nicht erreicht werden kann (vgl. Urteile vom 15. Januar 2004 - BVerwG 4
A 11.02 - BVerwGE 120, 1 <11> und vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A
20.05 - UA S. 66 Rn. 143, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen).
Von diesen Rechtsgrundsätzen geht die Vorinstanz aus. Nach ihren Feststel-
lungen erhält das streitgegenständliche Vorhaben „sein besonderes Gewicht
gerade mit Blick auf die damit verbundene Erwartung einer weiteren Dezentrali-
sierung und einer Wettbewerbsstärkung“. Es diene dazu, das Nachfragepoten-
zial „vor Ort“ abzuschöpfen (UA S. 35). Dieses Ziel könne nur durch einen Aus-
bau des Flughafens Münster/Osnabrück erreicht werden, so dass die Durchfüh-
rung des Verkehrs auf anderen Flugplätzen keine Alternative, sondern andere
Projekte seien, auf die sich eine Alternativenprüfung nicht erstrecken müsse.
4.2 Die angegriffene Entscheidung weicht auch nicht, wie die Beschwerde
meint, von dem Urteil des Senats vom 20. April 2005 (a.a.O., S. 272) ab (Rüge
2.1). Dort heißt es zur Abwägung im Fall einer Erweiterung von Nachtflugmög-
lichkeiten: „Von Gewicht kann ferner sein, ob ein von der Genehmigungsbehör-
de angeführter zusätzlicher Nachtflugbedarf von anderen Flughäfen nachfrage-
gerecht gedeckt werden könnte.“ Hierzu setzt sich das Ausgangsgericht nicht in
Widerspruch. Denn der angeführten Formulierung des Senats ist zu entneh-
men, dass die Möglichkeit einer anderweitigen Abwicklung von Verkehr nicht
stets von Gewicht sein muss.
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- 15 -
5. Die Beschwerde legt mit Blick auf die Regelung über die Entschädigung des
Außenwohnbereichs keinen durchgreifenden Zulassungsgrund dar.
5.1 Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage:
„Reicht ein energieäquivalenter Dauerschallpegel von
L
eq(3)
=65 dB(A) als Obergrenze aus, um dem Interesse an
der Wahrung einer angemessenen Wohnqualität im Au-
ßenwohnbereich Rechnung zu tragen und damit die
Grenze zur Entschädigungspflicht zu markieren?“ (Rüge
1.10)
Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Es ist Aufgabe des jeweiligen Tat-
sachengerichts zu beurteilen, wo die Zumutbarkeitsgrenze verläuft (Urteile vom
21. September 2006 - BVerwG 4 C 4.05 - BVerwGE 126, 340 <348 Rn. 34>
und vom 26. April 2007 - BVerwG 4 C 12.05 - UA S. 33 Rn. 67, zur Veröffentli-
chung in BVerwGE vorgesehen). Ob eine äußerstenfalls zumutbare Geräusch-
einwirkung in einem bestimmten Geräuschpegel zutreffend ausgedrückt ist, ist
in den Tatsacheninstanzen zu klären (Urteil vom 30. Mai 1984 - BVerwG 4 C
58.81 - BVerwGE 69, 256 <276>). Die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze ist
damit als Tatsachenfrage einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
5.2 Die Beschwerde (Nr. 2.6) rügt eine Abweichung von dem Senatsurteil vom
16. März 2006 (a.a.O., S. 242 Rn. 360 ff.). Dies bleibt erfolglos. Der beschlie-
ßende Senat hat in dem genannten Urteil keinen Rechtssatz aufgestellt, der es
ausschließt, die Zumutbarkeitsschwelle bei einem Dauerschallpegel von
65 dB(A) anzunehmen (Urteil vom 26. April 2007, ebd.), sondern sich zu tat-
sächlichen Fragen des dortigen Einzelfalls geäußert.
5.3 Die Beschwerde legt im Zusammenhang mit der vom Oberverwaltungsge-
richt angenommenen Vorbelastung keinen Zulassungsgrund dar.
5.3.1 Die Kläger halten für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Kann ein Gericht eine schutzmindernde Vorbelastung bis
hin zu einer „Möglichkeit der Entwicklung des Flugplatzes“
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- 16 -
als schutzmindernde Vorbelastung bei der Bewertung ei-
nes Fluglärmschutzkonzeptes in Rechnung stellen? (Rüge
1.15)
Die Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie betrifft auslaufendes
Recht. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG bedarf die Änderung eines bestehenden
Flughafens einer Planfeststellung, bei der nach Satz 2 der Vorschrift die von
dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der
Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind. Hier-
bei sind nach § 8 Abs. 1 Satz 3 LuftVG in der Fassung des Gesetzes zur
Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen
vom 1. Juni 2007 (BGBl I S. 986) zum Schutz der Allgemeinheit und der Nach-
barschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Fluglärm die jeweils an-
wendbaren Werte des § 2 Abs. 2 des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm
(FluglärmG) zu beachten. Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 lit. a) FluglärmG um-
fasst die Tag-Schutzzone 1 im Fall eines neuen oder wesentlich baulich erwei-
terten zivilen Flugplatzes diejenigen Gebiete, in denen der durch Fluglärm her-
vorgerufene äquivalente Dauerschallpegel L
Aeq Tag
den Wert 60 dB(A) über-
steigt. Neue oder wesentlich baulich erweiterte Flugplätze im Sinne dieser Vor-
schriften sind u.a. Flugplätze, für die ab dem 7. Juni 2007 eine Planfeststellung
für eine sonstige bauliche Erweiterung erteilt wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3
FluglärmG). Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 FluglärmG kann der Eigentümer eines in
dieser Zone liegenden Grundstücks, auf dem bei Festsetzung des Lärmschutz-
bereichs für einen wesentlich baulich erweiterten Flugplatz Wohnungen errichtet
sind, eine angemessene Entschädigung für die Beeinträchtigung des Au-
ßenwohnbereichs in Geld nach Maßgabe einer Rechtsverordnung verlangen.
§ 9 Abs. 6 Satz 1 FluglärmG ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechts-
verordnung mit Zustimmung des Bundesrates Regelungen über die Entschädi-
gung des Außenwohnbereichs zu treffen, u.a. auch unter Berücksichtigung der
Vorbelastung der betroffenen Flächen. Der Gesetzgeber beabsichtigte, durch
die Regelung für Planfeststellungsverfahren Rechtssicherheit und Gleichbe-
handlung zu gewährleisten (BTDrucks 16/508, S. 14). Eine Klärung der von den
Klägern aufgeworfenen Rechtsfragen könnte das Ziel einer Wahrung der
Rechtseinheit und einer Fortentwicklung des Rechts daher nicht mehr errei-
chen.
51
- 17 -
5.3.2 Die Beschwerde zeigt auch keine Abweichung von dem Senatsurteil vom
21. September 2006 (a.a.O., hier: S. 346 Rn. 29) auf (Bl. 766 GA). In dem ge-
nannten Urteil hat der Senat - in Bezug auf die Gewährleistung eines störungs-
freien Schlafens bei gekipptem Fenster - ausgeführt, dieser Anspruch werde
nicht grundsätzlich dadurch gemindert, dass die Schlafräume durch Luftlärm
oder andere Geräusche bereits vorbelastet seien. Diese Passage ist indes, was
die Beschwerde übersieht, nicht tragend. Der Senat hatte in seiner Entschei-
dung nur zu klären, ob bei einem nach § 71 Abs. 2 LuftVG fiktiv planfestgestell-
ten Flughafen eine negative Vorprägung berücksichtigt werden könne. Diese
Frage hat der Senat bejaht (a.a.O., Rn. 33).
6. Die Beschwerde führt nicht zur Revision, soweit die Kläger sich gegen die
Berechnung des Nachtschutzkriteriums wenden.
6.1 Die Kläger halten folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Ist der Ermittlung des Nachtschutzkriteriums
L
max
=6 x 70 dB(A) außen eine Betriebsrichtungsverteilung
für jede Richtung (100:100 Regelung) und eine Betrach-
tung für jede Nacht (im Gegensatz zum Durchschnitt der
sechs verkehrsreichsten Monate) zu Grunde zu legen?
(Rüge 1.11)
Dies zeigt keine klärungsfähige Rechtsfrage auf. Dem Tatsachengericht obliegt
die Bestimmung der Zumutbarkeitsschwelle. Zu dieser Bestimmung gehört
auch die Prüfung der Berechnungsverfahren, die zur Ermittlung der zu erwar-
tenden Belastung Verwendung finden.
Hiervon unabhängig legen die Kläger nicht dar, inwieweit die angegriffene Re-
gelung ihre Rechte verletzen könnte. Nach der Regelung A V 1.2.1 des ange-
griffenen Planfeststellungsbeschlusses hat die Beigeladene auf Antrag eines
Eigentümers eines innerhalb des Nachtschutzgebietes liegenden Grundstücks,
das am 22. Mai 1998 mit Wohngebäuden rechtlich zulässig bebaut war oder für
das insoweit zu diesem Zeitpunkt Baurecht bestand, für Schallschutzvorrich-
tungen an Schlafräumen Sorge zu tragen. Diese Vorrichtungen haben zu ge-
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währleisten, dass zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr Ortszeit durch An- und Ab-
flüge von der Start-/Landebahn des Verkehrsflughafens Münster/Osnabrück
einschließlich des auf dem Gelände entstehenden Bodenlärms im Rauminnern
bei ausreichender Belüftung nicht mehr als sechs Einzelschallpegel L
ASmax
über
55 dB(A) bzw. kein höherer äquivalenter Dauerschallpegel als L
eq(3)
35 dB(A)
auftreten. In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte bei Rechtsmittelver-
zicht der Beigeladenen (Bl. 551 R, 567 der Gerichtsakte) diese Regelung er-
gänzt. Danach ist außerhalb des Nachtschutzgebietes durch Einzelfallprüfung
das Erfordernis von Schallschutzmaßnahmen durch den Eigentümer des
Grundstücks nachzuweisen. Das festgesetzte Nachtschutzgebiet schließt damit
keine Ansprüche solcher Eigentümer aus, deren Grundstücke außerhalb des
Nachtschutzgebietes liegen. Es dient nur der erleichterten Geltendmachung von
Ansprüchen. Dass die so gestaltete Festsetzung des Nachtschutzgebietes
Rechte der Kläger verletzen könnte, macht die Beschwerde nicht substantiiert
geltend.
6.2 Die Beschwerde rügt auch zu Unrecht, das angegriffene Urteil weiche von
dem Urteil des Senats vom 16. März 2006 ab (a.a.O., S. 232 Rn. 336) (Rügen
2.4 und 2.5). In diesem Urteil hatte der Senat keinen Anlass, dazu Stellung zu
nehmen, ob bei Zugrundelegung eines Schutzkonzeptes mit Maximalpegeln
stets eine Verteilung 100:100 auf beide Betriebsrichtungen erfolgen muss, da
nach dem dortigen Sachverhalt die Planfeststellungsbehörde ohnehin so ver-
fahren war.
6.3 Ohne Erfolg bleibt auch die Verfahrensrüge, das Gericht habe aufklären
müssen, wie sich Fehler in der Zusammensetzung der Flugbewegungszahlen in
der Prognose auf ihre Lärmbelastung ausgewirkt haben (Rüge 3.1.3).
Hinsichtlich des höheren prozentualen Anteils der Nachtflugbewegungen an
den Gesamtflugbewegungen hat das Ausgangsgericht festgestellt, dass die
Abweichung sich „in der Bandbreite üblicher Prognoseunsicherheiten“ bewegt
(UA S. 58). Es hat überzeugend darauf hingewiesen, dass der höhere Anteil
von Nachtflugbewegungen von der Zahl der Tagesbewegungen abhängt und
daher aus einem höheren Anteil von Nachtflugbewegungen nicht auf eine hö-
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- 19 -
here nächtliche Gesamtbelastung geschlossen werden kann. Hiervon ausge-
hend war eine Neuberechnung nicht erforderlich.
Hinsichtlich der Auswirkungen eines geänderten Flugzeugmixes - höherer Anteil
von Strahlflugzeugen - hat das Ausgangsgericht sich auf die Nachberechnung
der Lärmbelastung durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. W. gestützt, die auch
die geänderten Flugbedingungen eingeschlossen hat (UA S. 59; Beiakte 25a).
Ein weiteres Gutachten musste das Ausgangsgericht nur dann einholen, wenn
sich ihm eine weitere Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen, insbesondere
weil das vorhandene Gutachten Mängel aufwies, die es im gerichtlichen
Verfahren zur Sachverhaltsfeststellung ungeeignet erscheinen ließen (Urteil
vom 26. April 2007 - BVerwG 4 C 12.05 - UA S. 35 Rn. 71). Warum diese
Voraussetzungen hier gegeben sein sollten, legt die Beschwerde nicht dar. Die
Stellungnahme legte einen geänderten Flugzeugmix zugrunde, der weniger
Turbopropmaschinen bei erhöhter Zahl von Strahlflugzeugen enthält (Beiakte
25a zu BVerwG 4 C 12.07). Zu den Grundlagen und Quellen verweist der
Sachverständige auf frühere Berechnungen aus dem März 2006 (Beiakte 34 zu
BVerwG 4 C 12.07). Diese nehmen für die Flugrouten auf die „Basisdaten für
die Ermittlung des Fluglärms und der Luftschadstoffimmissionen am Flughafen
Münster/Osnabrück für die Jahre 1995 und 2010 (DES)“ Bezug, die Gegens-
tand der Planfeststellungsunterlagen waren (Beiakte 12 zu BVerwG 4 C 12.07,
Anlage 7). Die Beschwerde trägt nicht substantiiert vor, welche Einwände sie
gegen diese Datengrundlagen erhebt.
6.4 Die Beschwerde rügt erfolglos, den Klägern sei verfahrensfehlerhaft kein
Schriftsatznachlass zu der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Neube-
rechnung der zu erwartenden Immissionen gewährt worden (Rüge 3.1.4). Die
Kläger hätten bei Gewährung eines Schriftsatznachlasses auf eine abweichen-
de Abflugroute von Turbopropmaschinen hingewiesen sowie darauf, dass die
gemessenen Überflugpegel von Turbopropmaschinen niedriger seien als die
Pegel von Strahlflugzeugen.
Dies legt keinen Verfahrensfehler dar, auf dem das Urteil im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann. Nach §§ 173 VwGO, 283 Satz 1 ZPO kann
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das Gericht auf Antrag einem Beteiligten einen Schriftsatznachlass einräumen,
wenn sich dieser in der mündlichen Verhandlung auf ein Vorbringen des Geg-
ners nicht erklären kann, weil es ihm nicht rechtzeitig vor dem Termin mitgeteilt
worden ist. Die Vorschrift dient der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG). Die Beschwerde legt indes nicht dar, was die Kläger zu dem in der
genannten Stellungnahme enthaltenen neuen Sachverhalt vorgetragen hätten.
Zu den Abflugrouten von Turbopropmaschinen enthielt der Bericht nichts Neu-
es, sondern verwies auf das DES, das bereits in den Planfeststellungsunterla-
gen enthalten war. Die Kläger konnten sich in der mündlichen Verhandlung zu
diesem Punkt äußern. Dies haben sie auch getan (vgl. Protokoll der mündlichen
Verhandlung vom 4. Juli 2006, S. 4, GA Bl. 547 R). Zu gemessenen Über-
flugpegeln äußert sich der vorgelegte Bericht nicht, da er eine Prognose zum
Gegenstand hatte.
7. Die Beschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
Kann auf einem ausgebauten Flughafen der Nachtflugbe-
trieb aufgenommen werden, wenn der daraus entstehende
Konflikt mit der Wohnbevölkerung nicht planerisch be-
wältigt ist? (Rüge 1.12)
Das Urteil stelle den Rechtssatz auf, dass bei fehlerhafter Abwägung hinsicht-
lich des Nachtflugbetriebes dieser Betrieb aufgenommen werden könne, bevor
der Plan ergänzt sei (UA S. 66). Damit weiche es von dem Senatsurteil vom
16. März 2006 (BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <211 Rn. 290>) ab,
wonach der nächtliche Flugbetrieb nicht aufgenommen werden dürfe, solange
die Vervollständigung der Lärmschutzkonzeption aussteht (Rüge 2.7).
Ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwGO ist damit nicht
aufgezeigt. Erhebliche Mängel bei der Abwägung führen nach § 10 Abs. 8
Satz 2 LuftVG nur zur Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, wenn sie
nicht durch Planergänzung oder durch ein ergänzendes Verfahren behoben
werden können. Bei fehlerhafter Abwägung des Interesses an nächtlichem
Flugbetrieb verpflichtet der beschließende Senat die Behörde zur erneuten
Entscheidung über die Zulässigkeit des Nachtflugbetriebs unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts (Urteile vom 16. März 2006, a.a.O. und vom
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9. November 2006, a.a.O.). So ist auch das Ausgangsgericht verfahren. Dass
es darüber hinaus - anders als die Praxis des beschließenden Senats - keine
Teilaufhebung tenoriert, ist ohne Belang. Denn die ausgesprochene Verpflich-
tung zur Neubescheidung setzt denknotwendig die Aufhebung entgegenste-
hender Regelungen des Planfeststellungsbeschlusses voraus.
Welche Rechtsfolgen dieser Urteilsausspruch hat, ist nicht mehr Gegenstand
der tragenden Erwägungen. Daher scheidet eine Revisionszulassung nach
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 VwGO aus. Die Frage, ob die Kläger mit dem von
ihnen erstrittenen Urteil nächtlichen Flugverkehr vor Abschluss der Planergän-
zung verhindern können, stellt sich erst, wenn ein solcher Flugverkehr ohne
ergänzendes Verfahren aufgenommen würde.
8. Von einer weiteren Begründung, etwa zur Rüge 3.2 (Verstoß gegen § 117
VwGO), sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Vor-
aussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Hofherr
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