Urteil des BVerwG vom 07.04.2006

Mangel des Verfahrens, Luftfahrt, Bundesamt, Willkür

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 69.05
OVG 20 D 40/04.AK
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. April 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Halama, Gatz und
Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Juli 2005 wird zu-
rückgewiesen.
Die Kläger tragen jeweils ihre eigenen Kosten. Im Übrigen
trägt die Klägerin zu 27 5/30 und tragen die übrigen Klä-
ger jeweils 1/30 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwer-
deverfahren auf 300 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die Formulie-
rung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisi-
onsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem
die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung bestehen soll (stRspr).
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift
enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsver-
fahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulas-
sungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene
Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener
Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Ent-
scheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate
des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfe-
ne Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit
Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres
beantworten lässt. So liegt es hier.
1.1 Die Beschwerde wirft zunächst die Frage auf, ob die tatsächliche Vorbelas-
tung eines Gebiets mit einer Flugroute dazu führt, dass in Folge einer neuen
Flugroutenfestlegung zu erwartende unzumutbare Fluglärmbeeinträchtigungen
hinzunehmen sind. Damit wird indes keine Frage aufgeworfen, die in einem
Revisionsverfahren weiterer grundsätzlicher Klärung zugänglich wäre. Der be-
schließende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 24. Juni 2004 - BVerwG
4 C 11.03 - (BVerwGE 121, 152; vgl. auch das Urteil vom 24. Juni 2004 in der
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Parallelsache - BVerwG 4 C 15.03 - sowie die Beschlüsse vom 4. Mai 2005
- BVerwG 4 C 6.04 und 4 C 4.04 - Buchholz 442.42 § 27a LuftVO Nr. 4, Veröf-
fentlichung in BVerwGE vorgesehen) die grundsätzlichen Maßstäbe formuliert,
die das Luftfahrt-Bundesamt bei der Festlegung von Flugrouten zu beachten
hat. Von ihnen gehen sowohl das Oberverwaltungsgericht als auch die Beteilig-
ten ebenfalls aus. Danach ist das Luftfahrt-Bundesamt nicht daran gehindert,
sich in dem Zielkonflikt zwischen Luftsicherheit und Lärmschutz für eine mit
unzumutbaren Folgen verbundene Lösung zu entscheiden. Dabei unterliegt es
allerdings einem besonderen Rechtfertigungszwang. Vorliegend stützt sich das
Oberverwaltungsgericht auf Besonderheiten, die es zu der Schlussfolgerung
führen, dass die mit der Routenverlegung verbundenen Lärmeinwirkungen in
jenem Gebiet, in dem mit kritischen Lärmwerten zu rechnen war (nämlich etwa
bis zum Kaarster Kreuz), letztlich hinzunehmen seien. Auf diese Besonderhei-
ten geht die von der Beschwerde gestellte Frage nicht ein, so dass sie in der
formulierten Allgemeinheit nicht entscheidungserheblich wäre. Zum einen wird
nach der tatsächlichen Würdigung des Oberverwaltungsgerichts eine vorhan-
dene Route nicht verändert, sondern in der Auslastung erhöht. Dabei ist der
betroffene Flugverkehr bis zum Wegfall der NOR-Route bereits auf demselben
Abschnitt abgewickelt worden. Schutzwürdiges Vertrauen, dass es bei der zeit-
weilig genutzten Nordroute bleiben werde, habe sich aus mehreren Gründen
nicht entwickeln können (UA S. 37/38). Zum anderen sei zu berücksichtigen,
dass betroffene Kläger in einem Gebiet mit (im Wesentlichen) bereits vorhan-
denem passivem Schallschutz wohnten. Für die Kläger realisiere sich im Grun-
de nur der Fluglärm in einer Höhe, wie er im Rahmen der Betriebsgenehmigung
des Flughafens für jene Bereiche bereits prognostiziert und damit zugelassen
worden sei. Es bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass
diese Gesichtspunkte im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der (erneuten)
Änderung einer Flugroute berücksichtigt werden dürfen. In der Rechtsprechung
des Senats ist geklärt, dass das Luftfahrt-Bundesamt bei seiner Abwägung die
von der zuständigen Landesluftfahrtbehörde in der Planfeststellung und der
luftverkehrsrechtlichen Genehmigung des Flughafens getroffenen Entschei-
dungen zu beachten hat. Deren Ausnutzung darf es nicht vereiteln. Daher ist es
gehindert, Regelungen zu treffen, die im Widerspruch zu bereits erlassenen
Entscheidungen über den Betrieb des Flughafens stehen, und insoweit darauf
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beschränkt, den vorhandenen Lärm gleichsam zu „bewirtschaften“ (Beschlüsse
vom 4. Mai 2005 - BVerwG 4 C 6.04 und 4 C 4.04 - a.a.O.). Auf der anderen
Seite dürfen Lärmbelastungen, die bereits bei der Planfeststellung oder der Be-
triebsgenehmigung auf der Grundlage früher genutzter oder prognostizierter
Flugrouten berücksichtigt worden sind und die zur Anordnung von Maßnahmen
des passiven Schallschutzes geführt haben, im Rahmen einer - hier im Hinblick
auf den Wegfall einer Flugroute - später erforderlichen Änderung in die Abwä-
gung einbezogen werden. Dies gilt auch, wenn zwischenzeitlich eine andere
Routenführung - hier die Nordroute - praktiziert worden ist, gegen die aus ver-
schiedener Sicht Bedenken erhoben worden sind. Somit kann entgegen der
Formulierung in der Beschwerde auch nicht von einer „neuen“ Flugroutenfest-
legung gesprochen werden.
1.2 Auch die unter 1.2 bis 1.4 der Beschwerdebegründung zum Verhältnis der
Entscheidung des Luftfahrt-Bundesamts über die Festlegung von Flugrouten zu
bereits getroffenen Schutzmaßnahmen aufgeworfenen Fragen rechtfertigen
nicht die Zulassung der Revision. In der Rechtsprechung des Senats ist, wie
ausgeführt, geklärt, dass das Luftfahrt-Bundesamt die Entscheidungen der
Luftverkehrsbehörde zu beachten hat. Sie hat durch die Bereitstellung von
Flugrouten sicherzustellen, dass der genehmigte Flugverkehr auch stattfinden
kann. Ob und wann eine Änderung der Festlegung von Flugrouten eine Ände-
rung der Entscheidungen der Luftverkehrsbehörde nach sich zieht, ist nicht in
einem Rechtsstreit, der die Festlegung von Flugrouten betrifft, zu klären. Im
Übrigen stützt die Beschwerdebegründung sich auf eine Reihe von Feststellun-
gen, die das Oberverwaltungsgericht in dieser Form nicht getroffen hat.
1.3 Die unter 1.5 formulierte Frage der Auswirkungen für außerhalb eines Tag-
schutzgebiets liegende Grundstücke ergibt ebenfalls nicht die grundsätzliche
Bedeutung. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich bereits näher zu der gebo-
tenen Ermittlungstiefe geäußert. Eine parzellenscharfe Untersuchung ist nicht
geboten. Die Festlegung einer Flugroute muss auch nicht davon abhängig ge-
macht werden, wie weit ein Tagschutzgebiet bereits reicht.
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1.4 Die unter 1.6 formulierte Frage beruht auf Annahmen, die dem angegriffe-
nen Urteil nicht zugrunde liegen. Denn das Oberverwaltungsgericht unterstellt
lediglich, dass es zu unzumutbarem Lärm auf einzelnen Grundstücken kommen
werde. Aus Rechtsgründen führe dies indes nicht zu einer Rechtsverletzung der
Kläger (UA S. 37). Somit ersetzt das Gericht nicht die Abwägung der Behörde
durch seine eigene, wie die Beschwerde in ihrer Begründung annimmt. Im Üb-
rigen lässt sich die Frage nicht in grundsätzlicher Form beantworten.
2. Die Divergenzrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Eine die Revision eröffnende
Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor,
wenn das Oberverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in
der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Die Beschwerde beruft
sich insoweit auf das bereits angeführte Urteil des Senats vom 24. Juni 2004
- BVerwG 4 C 11.03 - (a.a.O.). Dort hat der Senat ausgeführt: „Ist das Luftfahrt-
Bundesamt mithin nicht daran gehindert, sich in dem Zielkonflikt zwischen Luft-
sicherheit und Lärmschutz für eine mit unzumutbaren Folgen verbundene Lö-
sung zu entscheiden, so unterliegt es nach der Konzeption des Gesetzgebers
doch einem besonderen Rechtfertigungszwang. Den Nachweis, dass schonen-
dere Mittel nicht in Betracht kommen, kann es nur dann führen, wenn ihm
überwiegende Gründe der sicheren, geordneten und flüssigen Abwicklung des
Luftverkehrs zur Seite stehen.“ Diesen Ausführungen hat das Oberverwal-
tungsgericht keinen entgegengesetzten Rechtssatz gegenübergestellt. Zum
einen hat es diese Grundsätze seinem Urteil selbst vorangestellt (UA S. 18).
Zum anderen geht es vorliegend in dem Bereich, in dem unzumutbarer Lärm
allein in Betracht kommt, um die Verteilung der Verkehrsanteile zwischen meh-
reren Flugrouten - insbesondere Nordroute und MODRU -, die jeweils weiterhin
genutzt werden sollen. Somit steht in der Gesamtschau ein schonenderes Mittel
nicht zur Verfügung. Ferner hebt das Oberverwaltungsgericht, wie unter 1.
bereits dargelegt wurde, auf mehrere Besonderheiten ab, darunter, dass im um-
strittenen Bereich bereits passiver Schallschutz angeordnet worden ist. Auf eine
derartige Konstellation beziehen sich die Ausführungen des Senats nicht.
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3. Die Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch.
3.1 Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht sei nicht vorschriftsgemäß besetzt
gewesen, da der Befangenheitsantrag hinsichtlich des Vorsitzenden Richters
willkürlich abgelehnt worden sei, bleibt ohne Erfolg.
Die Ablehnung eines Befangenheitsantrags durch das Oberverwaltungsgericht
stellt eine unanfechtbare Vorentscheidung (§ 146 Abs. 2 VwGO) dar, die ge-
mäß § 173 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO nicht der Beurteilung des Revisi-
onsgerichts unterliegt, so dass die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags
grundsätzlich auch nicht als Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO geltend gemacht werden kann. Die Rüge der unrichtigen Ablehnung ei-
nes Befangenheitsantrags ist deshalb nur ausnahmsweise in dem Maße be-
achtlich, als mit ihr die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts (Art. 101
Abs. 1 Satz 2 GG, § 138 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird (vgl. Beschluss
vom 21. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 66.04 - Buchholz 310 § 54 VwGO
Nr. 65). Das ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Ablehnungsentscheidung
auf Willkür oder einem vergleichbar schweren Mangel des Verfahrens beruht,
der in der Sache die Rüge einer nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Ge-
richts rechtfertigt. Hierfür ist nichts ersichtlich.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich in seinem Beschluss vom 13. Juli 2005
sehr eingehend mit der Anzeige des Vorsitzenden Richters vom 11. Juli 2005,
dem Ablehnungsgesuch der Kläger vom 12. Juli 2005 und dem vorhandenen
Kartenmaterial auseinander gesetzt und das Gesuch der Kläger abgelehnt. Da-
bei geht es unter anderem davon aus, dass das Grundstück des Richters au-
ßerhalb des maßgeblichen Streubereichs der Nordroute liegt. Diese Entschei-
dung beruht auf sachlichen und nachvollziehbaren Gesichtspunkten und lässt
keine Anhaltspunkte für Willkür erkennen. Die Kläger tragen zu den tatsächli-
chen Verhältnissen umfänglich vor. Im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit der
Entscheidung über die Befangenheit, kann dieser Sachvortrag nicht mehr be-
rücksichtigt werden. Der abgelehnte Richter hat hierzu eine Stellungnahme ab-
gegeben. Die Richter, die am Beschluss mitgewirkt haben, haben sich erläu-
ternd geäußert. Selbst wenn man den ergänzenden Vortrag der Kläger in der
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Beschwerdeschrift mit heranziehen würde, würde dieser zwar die Schwierigkei-
ten, das Ausmaß einer Betroffenheit durch Fluglärm deutlich abzugrenzen, ver-
deutlichen, jedoch weiterhin keine Anhaltspunkte für Willkür im Sinne von
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, also einer groben Missachtung oder groben Fehl-
anwendung der gesetzlichen Vorschriften (zum Maßstab vgl. z.B. BVerfG, Kam-
merbeschluss vom 2. Juni 2005 - 2 BvR 625/01 - NJW 2005, 3410 m.w.N.), be-
gründen.
3.2 Auch die Aufklärungsrügen und damit zusammenhängenden weiteren Ver-
fahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
3.2.1 Hinsichtlich des Beweisantrags zu 3. (Beschwerdebegründung unter 3.2)
legt die Beschwerde nicht dar, dass es für die Rechtsauffassung des Oberver-
waltungsgerichts, auf die insoweit maßgeblich abzustellen ist, auf die unter Be-
weis gestellte Tatsache überhaupt angekommen wäre.
3.2.2 Hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen dem Wegfall der NOR-Route
und der Einführung der MODRU-Route (Beschwerdebegründung unter 3.3)
setzt die Beschwerde lediglich der Beurteilung durch das Oberverwaltungsge-
richt ihre eigene Würdigung entgegen. Der Umstand, dass beide Ereignisse
zeitlich auseinander fallen, steht der Annahme eines sachlichen Zusammen-
hangs nicht entgegen. Soweit die Beschwerde eingehend ausführt, es habe
keiner Entlastung der von der Nordroute Betroffenen (mehr) bedurft, zeigt sie
keinen Verfahrensfehler auf.
3.2.3 Zu den flugbetrieblichen und flugsicherungstechnischen Fragen, den Be-
troffenheiten, der Bewertung der Vorbelastung sowie der Bewertung der Zu-
mutbarkeit werden ebenfalls keine Verfahrensfehler in zulässiger Weise darge-
legt. Insbesondere fehlt es an Darlegungen, dass das Oberverwaltungsgericht
auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nach weiterer Sachaufklärung oder
dem Gewähren einer Schriftsatzfrist und der Würdigung des entsprechenden
Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2
VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizu-
tragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Halama Gatz Dr. Jannasch
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