Urteil des BVerwG vom 27.03.2003

Verzicht, Gestaltung, Konzentration, Freifläche

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 69.02
OVG 1 A 11289/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz
vom 8. August 2002 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwer-
deverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ge-
stützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
bleibt ohne Erfolg.
1.1 Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler zunächst, das
Oberverwaltungsgericht hätte dem Beweisantrag nachgehen
müssen, durch ein (weiteres) Sachverständigengutachten zu
klären, welche Reduzierung des Schallpegels durch die von der
Beklagten verlangten Schallschutzmaßnahmen an den Parkliften
eintrete. Zur Begründung ihres Antrags hatte die Beigeladene
ausgeführt, da es um die Frage gehe, ob der Parklift beim
Betrieb störende Geräusche verursache, könne auch nur der
Zustand Beurteilungsgrundlage sein, der tatsächlich genehmigt
worden sei. Das Berufungsgericht hat hierzu ausgeführt, es
bestehe kein Anlass, dieses Beweisangebot aufzugreifen. Denn
das eingeholte Sachverständigengutachten habe ergeben, dass
allein der Liftvorgang keinen nennenswerten Einfluss auf die
zu erwartenden Beurteilungspegel habe. Somit sei unerheblich,
dass die in der Auflage
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verlangten Schalldämpfungsmaßnahmen an den Parkliften noch
nicht durchgeführt worden seien.
Vor diesem Hintergrund hätte in der Beschwerde substantiiert
dargelegt werden müssen, hinsichtlich welcher weiteren
tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche
für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen
hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen
Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen
Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären.
Weiterhin hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im
Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der
mündlichen Verhandlung, entweder auf die Vornahme der
Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt
wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die
bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von
sich aus hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge
stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines
Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das
Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren
(stRspr). Diesen Darlegungserfordernissen genügt die Be-
schwerde jedoch nicht. Denn sie legt nicht dar, dass das vom
Oberverwaltungsgericht eingeholte Gutachten die jetzt
behaupteten Auswirkungen von Schallschutzauflagen für die
Parklifte nicht berücksichtigt habe, soweit es das
(nicht das Senken und Heben) der Parklifte betrifft. Ebenso
wenig legt sie dar, dass sie insoweit in der mündlichen
Verhandlung oder zu einem späteren vom Gericht eventuell zu
berücksichtigenden Zeitpunkt auf die jetzt als fehlend gerügte
Sachverhaltsermittlung hingewirkt hätte.
1.2 Auch zu der Frage der Schallreflexionen wird den umschrie-
benen Darlegungserfordernissen an eine Aufklärungsrüge nicht
genügt.
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1.3 Die Beschwerde bemängelt ferner, dass das Berufungsgericht
als "zu berücksichtigen" gewürdigt hat, dass die
Parkliftanlage ca. 2 Meter höher als das Nachbargrundstück der
Kläger liegt. Sie führt aus, die Schallmessungen seien in
einem Zimmer durchgeführt worden, das höher als die
Parkliftanlage liege. Damit wird schon im Ansatz kein
Verfahrensmangel aufgezeigt, denn das Gericht hat bei seiner
Feststellung an dieser Stelle nicht auf dieses Zimmer und die
dort vorgenommenen Messungen abgestellt. Davon ist vielmehr
erst im Folgesatz, der ersichtlich einen weiteren
selbständigen Erwägungsgrund enthält, die Rede.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die rechtsgrundsätzliche Be-
deutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die
Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch
ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen
Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe
voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall
hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwGE 13, 90
<91 f.>; stRspr).
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
ein Parklift an einer Grundstücksgrenze, der selbst keinen ü-
ber die Nachtimmissionswerte für reine Wohngebiete hinausge-
henden Lärm verursacht, gegen das Rücksichtnahmegebot
verstoßen könne, sofern im Übrigen nur der übliche mit
Parkvorgängen verbundene Geräuschpegel erreicht werde. Mit
dieser Formulierung enthält die Fragestellung tatsächliche
Wertungen, die mit denjenigen des Oberverwaltungsgerichts
nicht übereinstimmen und schon deswegen in einem
Revisionsverfahren nicht zugrunde zu legen wären. Davon
abgesehen hebt das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen
Urteil in ausdrücklichem Anschluss an sein Urteil vom 27. Juni
2002 - 1 A 11669/99.OVG - (BauR 2003, 368; vgl. hierzu den
Beschluss des Senats vom 20. März 2003 - BVerwG 4 B 59.02 -)
hervor, dass es für die Frage, ob Stellplätze in einem reinen
Wohngebiet ausnahmsweise nicht mehr hinzunehmen seien, auf die
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Besonderheiten des Einzelfalls ankomme. Soweit die Beschwerde
möglicherweise aus § 12 BauNVO ableitet, dass die Nachbarn
uneingeschränkt die Beeinträchtigungen und Störungen dulden
müssten, die mit dem Betrieb von nach Landesrecht erfor-
derlichen Stellplätzen üblicherweise verbunden sind, verkennt
sie, dass auch die Regelung des § 12 Abs. 2 BauNVO unter dem
Vorbehalt des § 15 Abs. 1 BauNVO steht. In seinem Beschluss
vom 20. März 2003 - BVerwG 4 B 59.02 - hat der Senat hierzu
ausgeführt:
Nach § 12 Abs. 2 BauNVO sind Stellplätze - mit den dort
genannten Einschränkungen - auch in reinen Wohngebieten
gemäß § 3 BauNVO zulässig. Allerdings sind, wie der Senat
bereits in seinem vom Oberverwaltungsgericht wörtlich wie-
dergegebenen Urteil vom 7. Dezember 2000 - BVerwG 4 C
3.00 - (NVwZ 2001, 813 = BRS 63 Nr. 160) ausgeführt hat,
nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO die in den §§ 2 bis 14
BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzu-
lässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausge-
hen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Bauge-
biet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Die
Vorschrift gilt auch für die in § 12 BauNVO genannten
Stellplätze und Garagen. Sie sind vor allem dann unzuläs-
sig, wenn ihre Nutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen
für die Nachbarschaft führt. Dabei kommt der Zufahrt eine
besondere Bedeutung zu, weil - jedenfalls bei Wohnbebau-
ung - der Zu- und Abgangsverkehr die Nachbarschaft regel-
mäßig am stärksten belastet. Demgemäß begegnen Garagen und
Stellplätze in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter
Wohnhäusern oft rechtlichen Bedenken. Ob sie im Sinne des
§ 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzumutbar sind, richtet sich
gleichwohl nach der Eigenart des Baugebiets. Eine generel-
le, für alle Standorte von Stellplätzen im rückwärtigen
(Wohn-)Bereich geltende Beurteilung ist nicht möglich; sie
hängt immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls
ab.
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Daraus folgt, dass die Nachbarn die von den Stellplätzen
einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emis-
sionen im Regelfall hinzunehmen haben, dass aber besondere
örtliche Verhältnisse auch zu dem Ergebnis führen können,
dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück
nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann.
Dabei ist der in § 12 Abs. 2 BauNVO enthaltenen Grundent-
scheidung Rechnung zu tragen. Dies entbindet das Tatsa-
chengericht jedoch nicht von der Prüfung, ob im Einzelfall
unzumutbare Beeinträchtigungen zu erwarten sind. Die be-
sonderen Umstände des Einzelfalls können es, wie das Ober-
verwaltungsgericht zutreffend hervorhebt, erforderlich ma-
chen, die Beeinträchtigung der Nachbarschaft auf das ihr
entsprechend der Eigenart des Gebiets zumutbare Maß zu
mindern. Hierfür kommen beispielsweise die bauliche Ge-
staltung der Stellplätze und ihrer Zufahrt, eine Anord-
nung, die eine Massierung vermeidet, der Verzicht auf
Stellplätze zugunsten einer Tiefgarage oder Lärmschutzmaß-
nahmen an der Grundstücksgrenze in Betracht. Im Übrigen
müssen selbst notwendige Stellplätze nach allgemeinen bau-
ordnungsrechtlichen Grundsätzen nicht auf dem Baugrund-
stück selbst errichtet werden (vgl. das Senatsurteil vom
16. September 1993 - BVerwG 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151
<162> = BRS 55 Nr. 110).
Das Berufungsgericht hat im vorliegenden Fall den Verstoß
gegen das Rücksichtnahmegebot vor allem in der Konzentration
von Stellplätzen und der Lage der Parkliftanlage unmittelbar
an der Grundstücksgrenze der Kläger auf einer beengten
Freifläche gesehen. Es versteht sich von selbst, dass diese
besonderen Umstände auch bei einer Liftanlage, deren eigene
Geräusche beim Heben und Senken vernachlässigt werden können,
für die Beurteilung der Zulässigkeit der Stellplätze und der
durch sie verursachten Geräusche (Ein- und Ausfahrten,
Rangieren, Türschlagen etc.) im Rahmen des § 15 Abs. 1 BauNVO
von Bedeutung sein können. Allerdings wird es dabei stets auf
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die Besonderheiten des Einzelfalls ankommen. Weiteren
grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
3. Auch die Divergenzrüge bleibt ohne Erfolg. Eine die Revisi-
on eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten
Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwen-
dung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung
tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten
ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Die
Beschwerde legt jedoch nicht dar, welche Rechtssätze im
Widerspruch stehen könnten. Sie verweist zunächst auf den
Beschluss des Senats vom 22. September 1998 - BVerwG
4 B
88.98 - (BRS 60 Nr. 85). Dort hat der Senat ausgeführt, dass
die Richtwerte der TA Lärm unter bestimmten Umständen als
Anhalt dienen können. Ob eine Anlage in einer die Rechte des
Nachbarn verletzenden Weise rücksichtslos sei, könne
allerdings nur aufgrund einer einzelfallbezogenen Bewertung
aller ihrer Auswirkungen beurteilt werden. Von diesem
Grundsatz ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen.
Soweit die Beschwerde anschließend eben diese Würdigung des
Einzelfalls bemängelt, zeigt sie keine Divergenz im be-
schriebenen Sinn auf.
Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1999
- BVerwG 11 A 9.97 - (Buchholz 406.25 § 41 BImSchG Nr. 26) und
vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 9.95 - (BVerwGE 101, 1) behan-
deln die Auslegung und Anwendung der 16. BImSchV. Diese Norm
hat das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung jedoch
nicht zugrunde gelegt, so dass es auch keinen auf sie bezoge-
nen Rechtssatz aufgestellt hat.
Im Übrigen benennt die Beschwerde mehrere weitere Entscheidun-
gen und führt aus, im Hinblick auf bestimmte dort vorliegende
und hier zu verneinende Einzeltatsachen weiche das angegriffe-
ne Urteil von ihnen ab. Damit wird aber eine Divergenz im be-
schriebenen Sinn nicht dargelegt.
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133
Abs. 5 Satz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung
der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zu-
zulassen ist.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.
Paetow Lemmel Jan-
nasch