Urteil des BVerwG vom 09.11.2005

Grundstück, Verkehrsauffassung, Einfluss, Unterbrechung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 67.05
VGH 1 B 04.1080
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. J a n n a s c h und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 15. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Er-
folg. Die geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor.
1. Das Berufungsgericht hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der in Wider-
spruch zu einem vom Senat im Urteil vom 19. September 1986 - BVerwG 4 C 15.84 -
(BVerwGE 75, 34) formulierten Rechtssatz steht. Eine Abweichung kommt schon
deshalb nicht in Betracht, weil den Entscheidungen in baurechtlicher Hinsicht we-
sentlich verschiedene Sachverhalte zugrunde lagen. Der Senat hat im Urteil vom
19. September 1986 die Frage erörtert, unter welchen Voraussetzungen eine aufein-
ander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlos-
senheit vermittelt. Es ging um die Abgrenzung zwischen einer den Bebauungszu-
sammenhang nicht unterbrechenden Baulücke und einer "Außenbereichsinsel" im
Innenbereich (vgl. BVerwGE 75, 34 <36>). In diesem Zusammenhang hat der Senat
den von der Beschwerde herangezogenen Rechtssatz aufgestellt, dass ein bebautes
Grundstück als ein den Bebauungszusammenhang unterbrechendes Grundstück
ausscheidet, es sei denn, die Bebauung hat eine im Verhältnis zur Größe des
Grundstücks völlig untergeordnete Bedeutung. Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich
nicht mit einer Lücke zwischen einer sich zu beiden Seiten fortsetzenden Bebauung,
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sondern mit der Frage zu befassen, ob ein am Rande eines im Zusammenhang be-
bauten Ortsteils liegendes Grundstück diesem Bebauungszusammenhang noch zu-
zurechnen ist oder nicht. Ein an einen Bebauungszusammenhang angrenzendes
bebautes Grundstück ist nach der insoweit maßgebenden Rechtsprechung des Se-
nats im Regelfall als Teil des Bebauungszusammenhangs anzusehen; für die An-
nahme einer aufeinander folgenden Bebauung ausschlaggebend ist jedoch, inwie-
weit die Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit
vermittelt; hierfür kommt es auf die Verkehrsauffassung und damit jeweils auf die La-
ge des Einzelfalls an (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C
2.66 - BVerwGE 31, 20; Urteil vom 15. Mai 1997 - BVerwG 4 C 23.95 - Buchholz
406.11 § 35 BauGB Nr. 329 = BRS 59 Nr. 90). Aus diesem Grundsatz kann sich
- z.B. unter besonderen topographischen Verhältnissen - auch ergeben, dass die Be-
bauung auf einem an einen Bebauungszusammenhang angrenzenden Grundstück
nicht mehr an diesem Bebauungszusammenhang teilnimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom
15. Mai 1997, a.a.O.). Von dieser Rechtsprechung ist auch der Verwaltungsgerichts-
hof ausgegangen.
2. Die behauptete Abweichung von dem Urteil des Senats vom
6. November 1968 - BVerwG 4 C 2.66 - (BVerwGE 31, 20) liegt schon deshalb nicht
vor, weil der Senat nicht - wie die Beschwerde meint - den Rechtssatz aufgestellt hat,
dass Flächen, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit oder wegen ihrer besonde-
ren Zweckbestimmung einer Bebauung entzogen sind, den Zusammenhang nicht
unterbrechen können. Der Senat hat in dem genannten Urteil zu den Anforderungen
an das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs ausgeführt, dass in den Vorder-
grund der Betrachtung das unbebaute, jedoch gleichwohl den Zusammenhang nicht
unterbrechende Grundstück trete, d.h. einerseits und vor allem die Baulücke, ande-
rerseits freie Flächen, die einer Bebauung entzogen seien und die
auch bei größerer Ausdehnung ohne Bedeutung seien, also den Zusammenhang
nicht unterbrechen (vgl. BVerwGE 31, 20 <21>). Auch in Bezug auf die freien
Flächen hat der Senat daran festgehalten, dass es zur Beurteilung, ob eine Unter-
brechung des Zusammenhangs vorliegt, einer echten Wertung und Bewertung des
konkreten Sachverhaltes bedarf und dass ausschlaggebend ist, inwieweit die aufein-
ander folgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlos-
senheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt. Letztlich maßgebend für die Betrach-
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tungsweise ist die Verkehrsauffassung mit der Folge, dass es entscheidend jeweils
auf die Lage des Einzelfalls ankommt. Das gilt - wie der Senat in dem genannten Ur-
teil hervorgehoben hat - auch dafür, ob etwa eine Straße oder Geländehindernisse
irgendwelcher Art den Bebauungszusammenhang unterbrechen oder auf ihn ohne
Einfluss sind (vgl. BVerwGE 31, 20 <22>).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwert-
festsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow Dr. Jannasch Dr. Philipp