Urteil des BVerwG vom 19.03.2015

Offene Bauweise, Gebäude, Anbau, Begriff

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 65.14
OVG 1 A 10252/14
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 14. August 2014 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließ-
lich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
bleibt erfolglos.
I. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
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Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen
Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der
Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also nä-
her ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des
Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist und warum ihre
Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr,
BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>
und vom 9. April 2014 - 4 BN 3.14 - ZfBR 2014, 479 Rn. 2).
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
bei der Prüfung der Frage, ob ein grenzständiger Anbau
noch das Erfordernis der baulichen Einheit gemäß § 22
Abs. 2 Satz 1 BauNVO entsprechend den planerischen
Festsetzungen wahrt, zu berücksichtigen ist,
welche weiteren Bebauungen in unmittelbarer Nach-
barschaft zum Hausgrundstück der Betroffenen zuläs-
sig sind
und ob die Betroffenen selbst die Möglichkeit haben,
durch eine intensivere bauliche Nutzung ihres Grund-
stückes die Nachbarbebauung zu kompensieren.
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Eine Klärung
durch eine höchstrichterliche Entscheidung in einem Revisionsverfahren ist
nicht erforderlich, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage
der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachge-
rechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (BVerwG, Be-
schlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und
vom 16. November 2004 - 4 B 71.04 - NVwZ 2005, 449 <450>). So liegt es hier.
Nach der Rechtsprechung des Senats erfordert der planungsrechtliche Begriff
des Doppelhauses im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO eine bauliche An-
lage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken
durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Ein-
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heit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude,
die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als
zwei selbständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus verlangt ferner, dass
die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise
aneinandergebaut werden (BVerwG, Urteile vom 24. Februar 2000 - 4 C
12.98 - BVerwGE 110, 355 <357 ff.> und vom 5. Dezember 2013 - 4 C
5.12 - BVerwGE 148, 290 Rn. 13). Für den Begriff der Hausgruppe im Sinne
von § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO gelten diese Grundsätze entsprechend. Aus
ihnen folgt, dass es für die Frage, ob grenzständige Gebäude eine Hausgruppe
bilden, allein auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude ankommt.
Dies schließt es sowohl aus, die Bebauung anderer Grundstücke als der Haus-
gruppe in den Blick zu nehmen, als auch, bestehende oder fehlende Bebau-
ungsmöglichkeiten zu betrachten. Maßgebend ist allein, ob das Bauvorhaben
mit der vorhandenen grenzständigen Bebauung eine Hausgruppe bildet.
II. Die Revision ist nicht wegen Divergenz nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzu-
lassen.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit
dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder
des Bundesverfassungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung dersel-
ben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August
1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom 13. Juli
1999 - 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9). Diese Vo-
raussetzungen sind nicht erfüllt.
Anders als die Beschwerde meint, weicht das angegriffene Urteil nicht von dem
Senatsurteil vom 5. Dezember 2013 - 4 C 5.12 - (BVerwGE 148, 290 Rn. 22 f.)
ab. Das Oberverwaltungsgericht hat an der von der Beschwerde angeführten
Stelle (UA S. 11) angenommen, dass es für die Auslegung des § 22 BauNVO
allein auf die Verhältnisse innerhalb der jeweiligen Hausgruppe ankommt. Dies
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steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats, dass für den Zuläs-
sigkeitsmaßstab des § 34 Abs. 1 BauGB die Umgebungsbebauung maßgeblich
ist (a.a.O.). Denn während sich das Oberverwaltungsgericht zu der Frage äu-
ßert, ob eine Bebauung in der offenen Bauweise zulässig ist, betrifft die Aussa-
ge des Senats die Frage, wann das Einfügen in die nähere Umgebung eine of-
fene Bauweise erfordert. Dies sind unterschiedliche Fragen. Im Übrigen über-
sieht die Beschwerde, dass § 34 Abs. 1 BauGB im Streitfall keine Bedeutung
zukommt, weil das angegriffene Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebau-
ungsplans errichtet wurde.
III. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
1. Die Beschwerde hält die gerichtliche Aufklärungspflicht für verletzt, weil das
Oberverwaltungsgericht den in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweis-
antrag, die Örtlichkeit in Augenschein zu nehmen, abgelehnt und angenommen
hat, dem Gericht erschlössen sich die örtlichen Verhältnisse durch die vorlie-
genden Lichtbilder und Karten (UA S. 15).
Dies führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Lichtbilder und Lagepläne sind im
Rahmen von § 86 Abs. 1 VwGO unbedenklich verwertbar, wenn sie die Örtlich-
keiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so ein-
deutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck
mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt. Ist dies der Fall, so bedarf es
unter dem Gesichtspunkt des Untersuchungsgrundsatzes keiner Durchführung
einer Ortsbesichtigung. Dies gilt nur dann nicht, wenn ein Beteiligter geltend
macht, dass die Karten oder Lichtbilder in Bezug auf bestimmte, für die Ent-
scheidung wesentliche Merkmale keine Aussagekraft besitzen, und dies zutref-
fen kann (BVerwG, Urteil vom 14. November 1991 - 4 C 1.91 - Buchholz 310
§ 86 Abs. 1 VwGO Nr. 236; Beschluss vom 3. Dezember 2008 - 4 BN 26.08 -
BRS 73 Nr. 91 Rn. 3).
Dem Oberverwaltungsgericht lagen Lichtbilder aus dem Eilverfahren und dem
Hauptsacheverfahren vor, ferner Planunterlagen. Die Beschwerde legt nicht
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dar, inwieweit diese Unterlagen unzureichend gewesen sein sollten. Dass die
Verhältnisse auf den Grundstücken beengt sind, hat das Oberverwaltungsge-
richt erkannt und gewürdigt (UA S. 11 f.) und hinsichtlich der Besonnung, Be-
lichtung und Belüftung auf die bloße Eingeschossigkeit des Anbaus und den
von der Klägerin errichteten Sichtschutz verwiesen (UA S. 13). Welche weiteren
Erkenntnisse sich die Klägerin von einer Ortsbesichtigung verspricht, legt sie
nicht substantiiert dar.
2. Die Klägerin zeigt auch keinen Verfahrensfehler mit der Rüge auf, das Ober-
verwaltungsgericht hätte aufklären müssen, ob es sich bei dem Anbau um ei-
nen unbeheizten Wintergarten oder eine beheizte Wohnraumerweiterung ge-
handelt habe, weil im letztgenannten Fall die Privilegierung nach § 8 Abs. 9
Satz 1 Nr. 3 LBauO RP nicht eingreife und daher Abstandsflächen nach § 8
Abs. 1 LBauO RP einzuhalten seien. Maßgeblich für die Frage, ob ein Verfah-
rensfehler vorliegt, ist der materiell-rechtliche Standpunkt des Tatsachenge-
richts, auch wenn dieser rechtlichen Bedenken begegnen sollte (stRspr,
BVerwG, Urteil vom 14. Januar 1998 - 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>).
Das Oberverwaltungsgericht hat aber nicht angenommen, dass der streitge-
genständliche Anbau wegen § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO RP keine Abstands-
flächen einhalten müsse, sondern hat seine Annahme auf § 8 Abs. 1 Satz 2
Nr. 1 LBauO RP gestützt. Dass es mit Blick auf diese Norm auf die Nutzung
und Ausstattung des Anbaus ankommen könnte, legt die Beschwerde nicht dar.
3. Der Vorwurf der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe den Umfang
des Vorhabens unberücksichtigt gelassen, zeigt keinen Verfahrensfehler auf,
sondern wendet sich gegen die Anwendung nicht revisiblen Landesrechts. Dies
kann nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen.
Dass es zur Feststellung der baulichen Maße des Anbaus und der Grund-
stücksgröße einer Ortsbesichtigung bedurft haben könnte, legt die Beschwerde
nicht einmal im Ansatz dar.
Von einer weiteren Begründung, namentlich zur Beschwerdebegründung in
dem Schriftsatz vom 11. November 2014, sieht der Senat nach § 133 Abs. 5
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Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Vo-
raussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Petz
Dr. Külpmann
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