Urteil des BVerwG vom 07.11.2002

Ruhezone, Freifläche, Einheit, Anfechtungsklage

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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 64.02
OVG 2 S 711/99
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
H a l a m a und Prof. Dr. R o j a h n
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzu-
lassung der Revision in dem Urteil des Oberver-
waltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom
26. Juni 2002 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tra-
gen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 4 090,34 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I.
Der Kläger ist Eigentümer eines Gebäudes, in dem er seit 1989
eine Gaststätte und eine Sauna betreibt. Auf seinen 1993 ge-
stellten Umbauantrag wurde ihm auch die Nutzung des Hausgar-
tens als "Ruhezone und Luftbad" für Zwecke des Saunabetriebs
genehmigt. Auf den Widerspruch der beigeladenen Nachbarn hob
der Beklagte mit Widerspruchsbescheid von 1997 diese Baugeneh-
migung auf, soweit sie die Nutzung des Gartens für Zwecke des
Saunabetriebs betraf. Die dagegen vom Kläger erhobene Anfech-
tungsklage hatte im Berufungsrechtszug Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, der Widerspruchs-
bescheid des Beklagten sei rechtswidrig, weil der Widerspruch
der Beigeladenen gegen die genehmigte Gartennutzung schon man-
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gels Widerspruchsinteresses unzulässig, jedenfalls aber unbe-
gründet gewesen sei. Die vom Kläger beabsichtigte Gartennut-
zung sei nach der Landesbauordnung nicht genehmigungspflichtig
gewesen. Die Beigeladenen seien daher durch die dem Kläger
dennoch erteilte Baugenehmigung insoweit nicht in ihren Rech-
ten verletzt.
Mit der Beschwerde erstrebt der Beklagte die Zulassung der Re-
vision.
II.
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt
erfolglos. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeu-
tung, die ihr der Beklagte beimisst.
Der Beklagte hält der Sache nach für klärungsbedürftig, "ob
die Einbeziehung von Freiflächen in eine ausgeübte bauliche
Nutzung dieser zuzurechnen ist, so dass es sich um eine Nut-
zungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB handelt". Er for-
muliert hierzu die Rechtsfrage: "Ist die Nutzung einer Garten-
fläche für einen gewerblichen Betrieb, mit dem sie eine Ein-
heit bildet, bodenrechtlich relevant und nimmt sie am rechtli-
chen Schicksal des Gewerbebetriebes und den hierfür bestehen-
den Genehmigungspflichten teil?" Weder der erste noch der
zweite Teil dieser Fragestellung rechtfertigt die Zulassung
der Revision.
Der erste Teil der Frage zielt auf die Auslegung des Begriffs
der Nutzungsänderung in § 29 Satz 1 BauGB in der hier noch
maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Fassung. In-
soweit besteht kein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf. In
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt,
dass von einer Nutzungsänderung im bebauungsrechtlichen (bo-
denrechtlichen) Sinne immer dann auszugehen ist, wenn durch
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die Verwirklichung eines Vorhabens die einer genehmigten Nut-
zung eigene Variationsbreite verlassen wird und durch die Auf-
nahme dieser veränderten Nutzung bodenrechtliche Belange neu
berührt werden können, so dass sich die Genehmigungsfrage un-
ter bodenrechtlichem Aspekt neu stellt (stRspr; vgl. etwa Se-
natsurteil vom 14. Januar 1993 - BVerwG 4 C 19.90 - Buchholz
406.11 § 34 BauGB Nr. 155 S. 80; Urteil vom 11. November 1988
- BVerwG 4 C 50.87 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG/BauGB Nr. 252
S. 20; Beschluss vom 3. August 1995 - BVerwG 4 B 155.95 -
Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 55). Danach liegt eine Nut-
zungsänderung vor, wenn für die neue Nutzung weitergehende
Vorschriften gelten als für die alte, aber auch dann, wenn
sich die Zulässigkeit der neuen Nutzung nach derselben Vor-
schrift bestimmt, nach dieser Vorschrift aber anders zu beur-
teilen ist als die frühere Nutzung (vgl. Urteil vom 14. Januar
1993, a.a.O., S. 80 m.w.N.). In diesem Sinne bodenrechtlich
relevant ist eine Änderung der Nutzungsweise auch dann, wenn
sie für die Nachbarschaft erhöhte Belastungen mit sich bringt.
Eine betriebliche Erweiterung von der Innen- zur Außennutzung
kann deshalb eine Nutzungsänderung im bodenrechtlichen Sinne
darstellen (z.B. die Erweiterung eines Gaststättenbetriebes
von "drinnen" nach "draußen" - vgl. OVG Bremen, Urteil vom
3. Mai 1994 - OVG 1 BA 46/93 - GewArch 1996, 78 <79>). Ob dies
auch für die Erweiterung einer "Haussauna" durch eine Garten-
freifläche als "Ruhezone und Luftbad" gilt, kann sich nur nach
den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilen und ist da-
her einer verallgemeinerungsfähigen Klärung in einem Revisi-
onsverfahren nicht zugänglich.
Der zweite Teil der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage,
der die "bestehenden Genehmigungspflichten" betrifft, kann in
einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da er irrevi-
sibles Landesrecht betrifft (§ 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO). Ob
die zwischen den Beteiligten umstrittene Gartennutzung als
"Ruhezone und Luftbad" für Zwecke des Saunabetriebs baugeneh-
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migungspflichtig ist, beurteilt sich nach den Bestimmungen der
Bauordnung des Landes Sachsen-Anhalt. Das Oberverwaltungsge-
richt hat entschieden und im Einzelnen begründet, dass die
Nutzung des Gartens als Freifläche für Sauna-Gäste keine Er-
richtung, Änderung oder Nutzungsänderung einer baulichen oder
sonstigen Anlage oder Einrichtung im Sinne von § 65 Abs. 1
BauO LSA darstellt. Den Einwänden des Beklagten gegen diese
Auslegung der landesrechtlichen Genehmigungsvorschrift könnte
der Senat in einem Revisionsverfahren nicht nachgehen. Rechts-
fragen des Bundesrechts, die das Verhältnis zwischen dem Vor-
habenbegriff in § 29 BauGB und dem Vorhabenbegriff in den Ge-
nehmigungstatbeständen der landesrechtlichen Bauordnungen be-
treffen (vgl. hierzu Mampel, ZfBR 2000, 10 ff.) und der Klä-
rung in einem Revisionsverfahren zugänglich sein könnten,
wirft die Beschwerde auch nicht ansatzweise auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 14 Abs. 3, § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Halama Rojahn