Urteil des BVerwG vom 10.10.2006

Überzeugung, Verfahrensmangel, Windenergie, Abrede

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 62.06
OVG 9 LC 226/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Oktober 2006
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz, die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und den Richter
am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hofherr
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 28. März 2006 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind
nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 260 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1. Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe seine Aufklärungs-
pflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, weil es den Vorgang des Beklagten zur
Aufstellung des regionalen Raumordnungsprogramms für den Landkreis Har-
burg 2000 (RROP 2000) nicht beigezogen und nicht ausgewertet habe. Sie legt
jedoch nicht, wie dies erforderlich wäre, dar, hinsichtlich welcher tatsächlicher
Umstände weiterer Aufklärungsbedarf bestanden hätte. Der Aufstellungsvor-
gang hat dem Oberverwaltungsgericht in einem Parallelverfahren (9 LC 139/04)
vorgelegen (vgl. UA S. 13). Das Oberverwaltungsgericht hat der Klägerin auf
deren Antrag Einsicht in diesen Vorgang gewährt. Anschließend hat die Kläge-
rin mit Schriftsatz vom 22. März 2006 vorgetragen, welche Erkenntnisse sie
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durch Einsicht in den Aufstellungsvorgang gewonnen hat; außerdem hat sie
diese Erkenntnisse in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gewürdigt. Das
Oberverwaltungsgericht hat die Richtigkeit des Vortrags der Klägerin zum Inhalt
des Aufstellungsvorgangs, insbesondere zu den in einer Synopse zusammen-
gestellten Stellungnahmen der Gemeinden, nicht in Abrede gestellt. Das gilt
auch, soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, die
Träger öffentlicher Belange seien bei der Standortwahl Windenergie nicht betei-
ligt worden. Es hat aus der Vorgehensweise des Beklagten bei der Aufstellung
des RROP 2000 lediglich nicht den von der Klägerin für richtig gehaltenen
Schluss gezogen, dass die übergeordnete regionalplanerische Sicht durch die
Partikularinteressen der kreisangehörigen Gemeinden ersetzt worden sei (vgl.
UA S. 13). Ein Verfahrensmangel liegt darin nicht; die Beweiswürdigung ist re-
gelmäßig dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom
11. April 2003 - BVerwG 5 B 24.03 - juris). Dass das Oberverwaltungsgericht
durch Beiziehung des Aufstellungsvorgangs weitere, von der Klägerin im
Schriftsatz vom 22. März 2006 und in der mündlichen Verhandlung nicht vorge-
tragene entscheidungserhebliche Tatsachen hätte feststellen können, macht die
Beschwerde selbst nicht geltend.
2. Die Beschwerde meint außerdem, das Oberverwaltungsgericht habe die
Pflicht, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonne-
nen Überzeugung zu entscheiden (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), verletzt, weil es
von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sei und wesentliche Be-
kundungen der Klägerin nicht berücksichtigt habe. Auch insoweit zeigt sie je-
doch keine Anhaltspunkte dafür auf, dass das Oberverwaltungsgericht die von
der Klägerin vorgetragenen Tatsachen, die - wie insbesondere die Größe der
ausgewiesenen Vorrangstandorte und ihre avifaunistische Eignung - in der Pa-
rallelsache BVerwG 4 B 61.06 erörtert worden sind und deren erneute Erörte-
rung die Beteiligten übereinstimmend nicht für erforderlich gehalten haben (vgl.
Niederschrift über die öffentliche Sitzung vom 28. März 2006, S. 2), nicht zur
Kenntnis genommen haben könnte. Das Gericht kann sich im Rahmen seiner
Aufgabe, die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung
leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO), auf die wesentlichen Grün-
de beschränken. Das Oberverwaltungsgericht hat in den Urteilsgründen darge-
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legt (UA S. 13 - 16), dass das RROP 2000 weder hinsichtlich der planerischen
Verfahrensschritte noch hinsichtlich des abschließenden Abwägungsergebnis-
ses an Abwägungsfehlern leide (UA S. 13). Der Sache nach richtet sich die Ver-
fahrensrüge gegen diese dem materiellen Recht zuzuordnende tatsächliche
und rechtliche Würdigung des RROP 2000 durch das Oberverwaltungsgericht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Gatz Dr. Philipp Dr. Hofherr
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