Urteil des BVerwG vom 31.03.2015

Minimal, Ermessen, Verfahrensmangel, Rechtsverletzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 6.15
OVG 1 LB 164/13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. März 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberver-
waltungsgerichts vom 26. Nov
ember
2014 wird zurück-
gewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtli-
chen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 30 000 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führt
nicht zur Zulassung der Revision.
Einen Verfahrensmangel sieht die Beschwerde darin, dass das Oberverwal-
tungsgericht zu der Frage, ob die Geruchshäufigkeit von maximal 25 % der Jah-
resstunden vorliegend eingehalten sei, kein weiteres Sachverständigengutach-
ten eingeholt habe, obwohl es sich ihm hätte aufdrängen müssen. Das Ober-
verwaltungsgericht (UA S. 12 ff.) hat angenommen, dass sich selbst dann keine
Rechtsverletzung der Kläger ergäbe, wenn man ihnen nach der Geruchsimmis-
sions-Richtlinie - GIRL - (Gem. RdErl. vom 23. Juli 2009, Nds. MBl. S. 794) ei-
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nen für Wohnnutzung im landwirtschaftlich geprägten Außenbereich üblichen
Schutzanspruch (einer Geruchshäufigkeit) von (maximal) 25 % der Jahresstun-
den zubilligen wollte. Denn dieser Richtwert sei - dies ergäben die eingeholten
Gutachten - sicher eingehalten. Den gegen das Gutachten der Landwirtschafts-
kammer erhobenen Einwänden der Kläger sei bereits deshalb nicht nachzuge-
hen, weil sie nicht die Anforderungen erfüllten, die an die Substantiierung von
Nachbareinwendungen gegen fachgutachtliche Feststellungen zu stellen seien.
Danach sei eine bloße Methodenkritik nicht ausreichend. Erforderlich sei viel-
mehr eine darauf aufbauende Darstellung, in welcher Weise es sich auf das
Ergebnis der Begutachtung ausgewirkt haben würde, hätten die Gutachter die
von den Klägern für richtig gehaltenen Gesichtspunkte berücksichtigt. Das fehle
völlig. Angesichts eines Puffers von immerhin rund 3 % der Jahresstunden bis
zum Erreichen des Immissionswertes verstehe es sich auch keinesfalls von
selbst, dass die auf technische Details bzw. marginale Emissionsquellen bezo-
genen Rügen eine rechtlich relevante Änderung des Gutachtenergebnisses zur
Folge haben könnten. Hinzu komme, dass die Einwände der Kläger nicht ge-
eignet seien, einen Fehler des Gutachtens aufzuzeigen. Dies hat das Oberver-
waltungsgericht unter Auseinandersetzung mit den Einwänden der Kläger im
Einzelnen dargelegt. Es ist hierbei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auswir-
kungen der behaupteten Unzulänglichkeiten allenfalls minimal seien.
Die Beschwerde hält dem entgegen, die unberücksichtigt gebliebenen Ge-
ruchsquellen seien "nicht nur minimal", sondern würden die Verfahrensabläufe
"maßgeblich" beeinflussen; die erhebliche und über das Normalmaß hinausge-
hende Gesamtbelastung von 22,1 % könne "schnell" zu dem weiteren Richtwert
von 25 % führen. Sie meint, dass sie selbst nur "einzelne Punkte" habe darle-
gen können, und sieht die Ermittlungslast beim Gericht. Im Übrigen beschränkt
sich die Beschwerde darauf, noch einmal detailliert darzulegen, warum sie das
vorliegende Gutachten der Landwirtschaftskammer für unzureichend hält. Ein
Verfahrensfehler, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann, ist damit
nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechen-
den Weise bezeichnet.
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Die Einholung eines weiteren Gutachtens liegt grundsätzlich im Ermessen des
Tatrichters (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 1992 - 4 B 39.92 - NVwZ
1993, 268). Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt,
wenn das Gericht von der Einholung eines weiteren Gutachtens absieht, ob-
wohl sich ihm die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung hätte aufdrän-
gen müssen (BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310
§ 98 VwGO Nr. 31). Reichen die vorliegenden Gutachten aus, um das Gericht
in die Lage zu versetzen, die entscheidungserheblichen Fragen sachkundig
beurteilen zu können, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens oder Ober-
gutachtens weder notwendig noch veranlasst (BVerwG, Urteil vom 6. Februar
1985 - 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <42>).
Hiervon ist das Oberverwaltungsgericht ausgegangen und hat angenommen,
dass die Auswirkungen der behaupteten Unzulänglichkeiten minimal seien, und
dass dies auch seitens der Kläger im Berufungsverfahren nicht substantiiert
widerlegt worden sei. Diesen Annahmen tritt die Beschwerde nicht substantiiert
entgegen. Sie behauptet nicht einmal, im Berufungsverfahren dargelegt zu ha-
ben, von welcher Belastungshäufigkeit ohne die unterstellten Unzulänglichkei-
ten des Gutachtens anstelle der vom Oberverwaltungsgericht angenommenen
22,1 % auszugehen gewesen wäre. Auch der Beschwerdevortrag bleibt inso-
weit vage ("nicht nur minimal"; "maßgeblich"; "schnell"). Auf den weiteren Be-
schwerdevortrag hierzu kommt es deshalb nicht mehr an.
2. Die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erhobenen Grundsatzrügen führen eben-
falls nicht zur Zulassung der Revision. Die aufgeworfenen Fragen sind nicht
entscheidungserheblich.
Das Oberverwaltungsgericht (UA S. 7) hat die Zurückweisung der Berufung mit
folgenden Erwägungen begründet: Erstens sei zweifelhaft, ob sich die Kläger
auf Bestandsschutz berufen und deshalb überhaupt einen auf die Wohnnutzung
im Außenbereich bezogenen Abwehranspruch gegen das Vorhaben der Beige-
ladenen ins Feld führen könnten. Zweitens müssten sie Immissionen in deutlich
größerem Umfang als in 25% der Jahresstunden hinnehmen. Drittens gingen
von dem Vorhaben der Beigeladenen auch dann keine schädlichen Umweltein-
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wirkungen in Gestalt von Gerüchen aus, wenn man zu Gunsten der Kläger ei-
nen Immissionsrichtwert von 25% der Jahresstunden zugrunde lege.
Das erste Begründungselement wäre in einem Revisionsverfahren bereits des-
halb nicht entscheidungserheblich, weil das Oberverwaltungsgericht (UA S. 10)
die Frage des Bestandsschutzes offen gelassen hat, wie auch die Beschwerde
selbst einräumt.
Auf das zweite Begründungselement - die Einschränkungen im Schutzan-
spruch - hat sich das Oberverwaltungsgericht (UA S. 10 ff.) zwar tragend ge-
stützt. Die hierauf bezogene Grundsatzrüge führt gleichwohl nicht zur Zulas-
sung der Revision, weil auch das dritte Begründungselement (UA S. 12 ff.) - die
Einhaltung eines Immissionsrichtwerts von 25 % der Jahresstunden - selbstän-
dig trägt und die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge - wie dargelegt - erfolglos
geblieben ist, Zulassungsgründe insoweit also nicht mit Erfolg geltend gemacht
sind. Auf die gegen das zweite Begründungselement - die Einschränkungen im
Schutzanspruch - erhobene Grundsatzrüge käme es deshalb in einem durchzu-
führenden Revisionsverfahren nicht an, weil dieses hinweggedacht werden
könnte, ohne dass sich am Ausgang des Verfahrens etwas ändert (vgl. z.B.
BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3
VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1
GKG.
Prof. Dr. Rubel
Petz
Dr. Külpmann
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