Urteil des BVerwG vom 22.08.2014

Rechtliches Gehör, Eingriff, Ausnahmefall, Zustand

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 6.14
VGH 14 BV 13.487
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. August 2014
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwal-
tungsgerichtshofs vom 21. November 2013 wird zurück-
gewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
a) Für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig hält die Beschwerde die Frage,
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inwieweit ein Eingriff in das Grundrecht am eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 14 GG gerecht-
fertigt werden kann, wenn infolge des Eingriffs das aus
Art. 14 GG folgende Recht, sich die tatsächlichen Gege-
benheiten, wie die umgebende Natur, bei dem Betrieb des
Gewerbes zu Nutze zu machen, in erheblichem Maße
eingeschränkt wird.
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Die sich aus Art. 14
Abs. 1 und 2 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe sind in der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Geklärt ist insbeson-
dere, dass der Gesetzgeber bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des
Eigentums im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG die schutzwürdigen Interes-
sen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten
Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis bringen muss und dabei insbeson-
dere an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebunden ist (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss
vom 2. März 1999 - 1 BvL 7/91 - BVerfGE 100, 226 <240 f.> m.w.N.). Das stellt
auch die Beschwerde nicht in Frage, wie ihre Ausführungen zu Schutzbereich,
Eingriff (Ausgestaltung) und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung belegen.
Ihre Grundsatzrüge zielt vielmehr auf die Frage, ob und inwieweit diese Maß-
stäbe bei der sich in der Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs aus Art. 34
Abs. 3 BayNatSchG ergebenden Einschränkung des Rechts der Beigeladenen
am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eingehalten sind. Diese
Frage unterliegt jedoch nicht der revisionsgerichtlichen Überprüfung. Art. 34
BayNatSchG ist Teil des nicht revisiblen Landesrechts; die Auslegung und An-
wendung dieser Vorschrift einschließlich der Prüfung ihrer Verfassungsmäßig-
keit ist einer revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen (§ 137 Abs. 1 VwGO). Im
Übrigen geht es um die Anwendung geklärter bundesverfassungsrechtlicher
Maßstäbe im Einzelfall, worauf die Zulassung der Revision nicht gestützt wer-
den kann.
b) Entsprechendes gilt, soweit die Beschwerde rechtsgrundsätzlichen Klä-
rungsbedarf hinsichtlich der Frage reklamiert,
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ob es zulässig ist, das Grundrecht auf Berufsfreiheit aus
Art. 12 (Abs. 1) GG so weit zu beschränken, dass ein
Unternehmer dazu verpflichtet wird, sein Angebot - hier
den Betrieb der Skipisten - auch für Personen zu öffnen,
die im Gegensatz zu seiner Kundschaft - Skifahrer - keine
Entgelte entrichten und es obendrein, aufgrund der Öff-
nung für einen anderen Personenkreis, zu Benachteili-
gungen der Zielgruppe und infolgedessen zu wirtschaftli-
chen Einbußen kommt.
Auch hinsichtlich der in Art. 12 Abs. 1 GG verbürgten Berufsfreiheit sind die
abstrakten verfassungsrechtlichen Maßstäbe in der Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts geklärt; sie lassen sich den von der Beschwerde zitier-
ten Entscheidungen entnehmen. Soweit die Beschwerde geltend macht, (die
Auslegung des) Art. 34 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 i.V.m. Art. 33 BayNatSchG (durch
den Verwaltungsgerichtshof) verkenne diese Maßstäbe, weil die Regelungen
nicht zur Abwehr von Nachteilen und Gefahren führten, macht sie nur eine un-
zutreffende Anwendung geklärter bundesverfassungsrechtlicher Maßstäbe im
Einzelfall geltend, auf die die Zulassung der Revision nicht gestützt werden
kann. Nur ergänzend sei angemerkt, dass der Gestaltungsspielraum, den
Art. 12 Abs. 1 GG dem (Landes-)Gesetzgeber im Bereich von Berufsaus-
übungsbeschränkungen einräumt, nicht auf die Abwehr von Nachteilen und Ge-
fahren im engeren Sinne beschränkt ist, sondern unter Wahrung allgemeiner
verfassungsrechtlicher Grundsätze wie insbesondere des Übermaßverbots und
des Gleichheitssatzes auch zugunsten eines - in Bayern seinerseits verfas-
sungsrechtlich gewährleisteten (Art. 141 Abs. 3 BV) - Rechts auf Erholung in
der freien Natur betätigt werden kann.
c) Soweit die Beschwerde (hilfsweise) für den Fall, dass sich die Beigeladene
auf eines der Grundrechte aus Art. 12 (Abs. 1) und Art. 14 GG nicht ausdrück-
lich berufen können sollte, jedenfalls einen ungerechtfertigten Eingriff in Art. 2
Abs. 1 GG für gegeben hält, fehlt es bereits an der Formulierung einer abstrak-
ten Rechtsfrage.
d) In Bezug auf die Frage,
ob abfahrende Skifahrer und aufsteigende Tourengeher,
die dieselbe Skiabfahrt benutzen, Personengruppen dar-
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stellen, die wesensgleich sind und infolgedessen auch
gleich behandelt werden dürfen,
beruft sich die Beschwerde wiederum nur auf eine Verkennung geklärter bun-
desverfassungsrechtlicher Maßstäbe in der Rechtsanwendung. Der Zulas-
sungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist auch hiermit
nicht dargetan.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Ver-
fahrensmängel, auf denen die angegriffene Entscheidung beruhen kann, sind
nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden
Weise dargetan.
a) Die Beschwerde macht geltend, in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgerichtshof habe die Beigeladene beantragt, Beweis durch Ein-
nahme eines Augenscheins zu der Tatsache zu erheben, dass die von ihr be-
triebenen Pisten durch bauliche Maßnahmen, technische Einrichtungen und
Sicherheitsmaßnahmen ihren ursprünglichen und natürlichen Zustand verloren
hätten. Der Verwaltungsgerichtshof habe über diesen Beweisantrag weder in
der mündlichen Verhandlung entschieden noch sich in den Urteilsgründen da-
mit auseinandergesetzt und damit den Anspruch der Beigeladenen auf rechtli-
ches Gehör verletzt. Ein Verfahrensfehler ist damit nicht dargelegt.
Beurteilungsgrundlage für die Frage, ob die vorinstanzliche Entscheidung unter
einem Gehörsverstoß leidet, ist der materiell-rechtliche Standpunkt der Vorin-
stanz; das gilt selbst dann, wenn dieser Standpunkt rechtlich verfehlt sein sollte
(stRspr; vgl. zuletzt Beschluss vom 30. Juli 2014 - BVerwG 4 BN 1.14 - juris
Rn. 25 m.w.N.). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in dem angegriffenen
Urteil (UA Rn. 38) auf den Standpunkt gestellt, dass präparierte Schipisten trotz
der starken Veränderungen durch bauliche Maßnahmen, technische Einrich-
tungen und Sicherheitsmaßnahmen Teile der freien Natur blieben. Dabei sei
allgemein bekannt und letztlich auch nicht entscheidungserheblich, dass die
Grundstücke sich durch diese Veränderungen nicht mehr in ihrem ursprüngli-
chen und natürlichen Zustand befänden. Ausgehend vom diesem Rechtsstand-
punkt war die seitens der Beigeladenen hilfsweise unter Beweis gestellte Be-
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hauptung, dass die von der Beigeladenen betriebenen Pisten durch bauliche
Maßnahmen, technische Einrichtungen und Sicherheitsmaßnahmen ihren ur-
sprünglichen und natürlichen Zustand verloren hätten, nicht entscheidungser-
heblich, weil es auf die vorgenommenen Veränderungen nicht ankam. Soweit
die Beschwerde dem entgegenhält, nach den Ausführungen des angegriffenen
Urteils (UA Rn. 37) komme es doch auf die tatsächlichen örtlichen Gegebenhei-
ten an, verschweigt sie, dass der Verwaltungsgerichtshof an der betreffenden
Textstelle („Im Einzelfall muss jeweils nach den tatsächlichen Gegebenheiten
entschieden werden, ob ein Gebiet Teil der freien Natur ist.“) lediglich die Ge-
setzesbegründung zu Art. 14 ff. BayNatSchG a.F. wiedergegeben hat, die er
sich zwar argumentativ zunutze, aber nicht vollständig zu eigen gemacht hat.
Die fehlende Entscheidungserheblichkeit des Beweisantrags der Beigeladenen
hat der Verwaltungsgerichtshof in den Urteilsgründen auch klar zum Ausdruck
gebracht, wenngleich der Beschwerde zuzugeben ist, dass die Formulierung
„letztlich nicht entscheidungserheblich“ nicht ausdrücklich auf den Beweisantrag
bezogen ist.
b) Von vornherein unschlüssig ist der Vortrag der Beschwerde, der Verwal-
tungsgerichtshof habe das „ihm zustehende“ Ermessen „nicht ausgeübt“ (ge-
meint ist wohl: das der Behörde zustehende Ermessen nicht überprüft) hinsicht-
lich der Frage, ob es sich im streitgegenständlichen Verfahren um einen „Stan-
dardfall“ oder um einen Ausnahmefall im Rahmen des „intendierten Ermessens“
nach Art. 34 Abs. 3 BayNatSchG handle. Die Beschwerde macht geltend, dass
die behördliche Einordnung als Standardfall bzw. als Ausnahmefall gerichtlich
voll überprüfbar, eine Überprüfung vorliegend jedoch unterblieben sei, so dass
das Gericht nicht erkannt habe, dass es sich vorliegend um einen Ausnahmefall
handle. Der Sache nach rügt sie damit einen Rechtsanwendungsfehler bzw. - in
ihren eigenen Worten - eine „fehlende Einordnung des Sachverhalts“. Die Zu-
lassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers kann hierauf nicht gestützt
werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO ab.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Gatz
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Dr. Decker
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