Urteil des BVerwG vom 05.09.2006

Windenergieanlage, Hindernis, Landesverteidigung, Beurteilungsspielraum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 58.06
VGH 3 S 914/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 16. Mai 2006 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese
selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 77 770,48 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin
beimisst.
1.1 Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf, ob „Bau-
vorhaben wie Windkraftanlagen überhaupt mit auf jederzeit änderbaren inner-
dienstlichen Weisungen beruhenden Tieffluggebieten konkurrieren (können), so
dass ihnen ein öffentlicher Belang entgegensteht“. Diese Frage ist nicht in ei-
nem Revisionsverfahren klärungsbedürftig. In der formulierten Allgemeinheit
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würde sie sich in einem Revisionsverfahren gar nicht stellen. Das Berufungsge-
richt ist auf der Grundlage der Stellungnahmen der Beigeladenen (Wehrbe-
reichsverwaltung) zu dem Ergebnis gekommen, dass die seit etwa 40 Jahren
betriebene Nachttiefflugübungsstrecke für den Hubschrauberverband N. nach
Einschätzung der Beigeladenen aus Gründen der Landesverteidigung notwen-
dig ist. Es hat ferner im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts ausgeführt, dass der Bundeswehr bei der Entscheidung, was zur
Erfüllung ihrer hoheitlichen Verteidigungsaufgaben zwingend notwendig ist, ein
verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum zusteht und es den militärischen
Überlegungen zu überlassen ist, wann und in welchem Umfang ein Tiefflugbe-
trieb im Einzelfall nach Maßgabe der konkreten Verhältnisse durchgeführt wird
(vgl. hierzu Urteil vom 14. Dezember 1994 - BVerwG 11 C 18.93 - BVerwGE
97, 203, 209 f.). Es liegt auf der Hand und bedarf keiner Bestätigung in einem
Revisionsverfahren, dass die Durchführung von Tiefflügen, die dem Verteidi-
gungsauftrag der Bundeswehr dienen, einen öffentlichen Belang darstellen
kann, der einem privilegierten Außenbereichsvorhaben (Windenergieanlage) je
nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im Sinne von § 35 Abs. 1
BauGB entgegensteht.
1.2 Die Beschwerde wirft ferner die Frage auf,
„sofern ein Bauwerk in einem derart ausgewiesenen und
v.a. durch ein ‚Flugbetriebshandbuch Heer’ örtlich näher
beschriebenes Tieffluggebiet errichtet werden soll, steht
dann der Belang der Landesverteidigung dem Vorhaben
quasi automatisch entgegen oder ist die Qualität des
Beeinträchtigtseins (also die Frage, ob das Bauvorhaben
den ungeschriebenen öffentlichen Belang der Landesver-
teidigung lediglich beeinträchtigt oder der Belang ihm ent-
gegensteht) zunächst zu überprüfen“.
Auch diese Frage lässt keinen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf erkennen.
Als privilegiertes Außenbereichsvorhaben ist eine Windenergieanlage nach § 35
Abs. 1 BauGB u.a. nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegen-
stehen. Ob dies der Fall ist, ist im Wege einer „nachvollziehenden“ Abwägung
zu ermitteln (Urteil vom 27. Januar 2005 - BVerwG 4 C 5.04 - BVerwGE 122,
364, 366 m.w.N.). Danach sind die öffentlichen Belange je nach ihrem Gewicht
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und dem Grad ihrer nachteiligen Betroffenheit einerseits und das kraft der ge-
setzlichen Privilegierung gesteigert durchsetzungsfähige Privatinteresse an der
Verwirklichung des Vorhabens andererseits einander gegenüber zu stellen. Auf
der Grundlage dieser Rechtsprechung steht nach Auffassung des Berufungsge-
richts der geplanten Windenergieanlage der öffentliche Belang der Landesver-
teidigung entgegen (UA S. 18 f.). Mit der aufgeworfenen Grundsatzfrage rügt
die Beschwerde in der Sache die tatrichterliche Sachverhaltswürdigung und
Rechtsanwendung. Derartige Angriffe sind nicht geeignet, die grundsätzliche
Bedeutung einer Rechtssache darzulegen.
1.3 Die Beschwerde möchte schließlich rechtsgrundsätzlich geklärt wissen:
„Ist die Frage, ob es sich bei einem Bauwerk innerhalb ei-
nes auf jederzeit änderbaren innerdienstlichen Weisungen
beruhenden Tiefflugkorridors um ein für den Flugbetrieb
relevantes Hindernis handelt, aufgrund des der Bundes-
wehr eingeräumten verteidigungspolitischen Beurteilungs-
spielraumes tatsächlich nicht einer Klärung durch Sach-
verständigengutachten im gerichtlichen Verfahren zugäng-
lich und obliegt die Beurteilung der Frage, ob es sich um
ein relevantes Hindernis handelt und daher dem Vorhaben
als Belang entgegensteht, tatsächlich nur der Beurteilung
durch die Bundeswehr“?
Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. In der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass der dem Bundes-
minister der Verteidigung zustehende verteidigungspolitische Spielraum bei der
Entscheidung, was zur Erfüllung der hoheitlichen Verteidigungsaufgaben der
Bundeswehr zwingend notwendig ist, im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie
des Art. 19 Abs. 4 GG nicht unbegrenzt sein kann (vgl. Urteil vom 14. Dezem-
ber 1994 a.a.O. S. 209 m.w.N.). Zu Recht führt das Berufungsgericht im An-
schluss an diese Rechtsprechung aus, die Verwaltungsgerichte hätten die Zu-
lassung militärischer Tiefflüge nur darauf zu überprüfen, ob die zuständige Stel-
le der Bundeswehr bei der Entscheidung nach § 30 Abs. 1 Satz 3 LuftVG von
einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, den durch § 30 Abs. 1 Satz 3
LuftVG bestimmten Rahmen erkannt, sich von sachgerechten Erwägungen hat
leiten lassen und ob sie die zivilen Interessen einschließlich der Lärmschutzin-
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teressen in die gebotene Abwägung eingestellt und nicht unverhältnismäßig
zurückgesetzt hat.
Diese Grundsätze gelten auch, soweit es der Bundeswehr im Rahmen ihres
verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraums obliegt, das Gefährdungspo-
tential einer Windenergieanlage im Korridor einer Tiefflugübungsstrecke zu be-
urteilen. Einschätzungen und Wertungen, welche die zuständige Behörde im
Rahmen des ihr eröffneten Beurteilungsspielraums vornimmt, sind einem
Sachverständigengutachten grundsätzlich nicht zugänglich, weil es in solchen
Fällen auf andere Beurteilungen nicht mehr ankommen kann. Soweit die Ge-
fahrenanalyse prognostische Einschätzungen umfasst, erstreckt sich die ge-
richtliche Kontrolle darauf, ob die Prognose auf der Grundlage fachwissen-
schaftlicher Maßstäbe methodengerecht erstellt wurde. Die Prognose ist fehler-
haft, wenn sie auf willkürlichen Annahmen oder offensichtlichen Unsicherheiten
beruht, in sich widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht nachvollzieh-
bar ist (vgl. auch Beschluss vom 5. Oktober 1990 - BVerwG 4 CB 1.90 -
Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 10 = NVwZ-RR 1991, 129; Urteil vom 9. No-
vember 2000 - BVerwG 4 A 51.98 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 159 =
DVBl 2001, 644). Ob ein Sachverständigengutachten ein geeignetes Beweis-
mittel darstellen kann, um die Überschreitung des Beurteilungsspielraums
nachzuweisen, ist eine Frage des Einzelfalls, die sich nicht in verallgemeine-
rungsfähiger Weise beantworten lässt.
2. Die erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 2 VwGO) greift nicht durch.
Die Beschwerde rügt, dass das Berufungsgericht entgegen den Beweisanträ-
gen der Klägerin nicht weiter aufgeklärt habe, ob die geplante Windenergiean-
lage ein „relevantes Hindernis“ darstelle, dass den Flugbetrieb auf der Tiefflug-
übungsstrecke behindern würde.
Diese Verfahrensrüge muss erfolglos bleiben. Dem Berufungsgericht musste
sich auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachverhaltser-
mittlung nicht aufdrängen (vgl. hierzu allgemein Beschluss vom 19. August
1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Das Berufungsgericht führt aus
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(UA S. 18), dass es den Sachverhalt auf der Grundlage der sachverständigen
Ausführungen der beiden in der mündlichen Verhandlung anwesenden Vertreter
des Heeresverbandes N. aus eigener Sachkunde beurteilen könne. Ob die
geplante Windenergieanlage ein „relevantes“ Hindernis darstelle, obliege primär
der Beurteilung durch die Bundeswehr und sei aufgrund des ihr eingeräumten
verteidigungspolitischen Beurteilungsspielraums im gerichtlichen Verfahren
einer Klärung durch Sachverständigengutachten grundsätzlich nicht zugänglich,
zumal vorliegend weder ersichtlich noch von der Klägerin schlüssig dargelegt
worden sei, dass die Bundeswehr von dem ihr eingeräumten Beurtei-
lungsspielraum keinen ordnungsgemäßen Gebrauch gemacht habe. Von die-
sem Rechtsstandpunkt aus hatte das Berufungsgericht keinen Anlass, den
Sachverhalt in der von der Klägerin bezeichneten Richtung durch Sachverstän-
digengutachten weiter aufzuklären.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Dr. Jannasch
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