Urteil des BVerwG vom 10.11.2004

Lvg, Hinweispflicht, Rüge, Kreuzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 57.04
OVG 4 LB 27/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. November 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H a l a m a und Dr. J a n n a s c h
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberver-
waltungsgerichts vom 25. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht die grundsätzliche Bedeutung der Rechts-
sache.
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält
gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klä-
rende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Vo-
raussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Grün-
den der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klä-
rung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der
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ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht
der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhande-
nen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesin-
terpretation ohne weiteres beantworten lässt. So liegt es hier.
1.1 Die Beschwerde wirft zunächst die Frage auf,
ob bei Zusammenfassung mehrerer gesondert planfeststellungsbedürftiger
Maßnahmen in einem Planfeststellungsbeschluss die Aufhebung einer der
Maßnahmen immer nur in einem neuen alle zusammengefassten Maßnahmen
erfassenden Planfeststellungsverfahren möglich ist oder ob auch eine isolierte
Teilaufhebung einer der Maßnahmen ohne formelles Planfeststellungsverfah-
ren in Betracht kommt.
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. In der vom Beschwerde-
führer formulierten weiten Fassung würde sie sich in einem Revisionsverfahren nicht
stellen. Das Revisionsgericht hätte nicht darüber zu befinden, ob es bei der Aufhe-
bung einer der Maßnahmen "immer" eines neuen Planfeststellungsverfahrens bedarf.
Nach den insoweit nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Beru-
fungsgerichts (OVG Schleswig, NordÖR 2004, 290) handelt es sich vorliegend um
die Zusammenfassung zweier Straßenbauvorhaben (einer Kreisstraße und einer
Landesstraße), die in ihrem Verlauf teilweise gemeinsam geführt werden sollen. In
diesem Bereich ist die Unterquerung einer Bahnstrecke vorgesehen. Nach dem jetzt
maßgeblichen "Aufhebungs- und Änderungsbeschluss" vom 4. Juni 2003 soll auf die
ursprünglich vorgesehene Verlegung der Landesstraße auf die östliche Seite der
Bahnlinie verzichtet werden, so dass die neu zu errichtende Bahnunterführung nur
noch vom Verkehr auf der Kreisstraße genutzt wird. Das Oberverwaltungsgericht hat
daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass es sich um eine wesentliche Änderung
im Sinne von § 143 Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein (LVG SH, wort-
gleich § 76 VwVfG) handele. Nur für einen derartigen Fall wäre die von der Be-
schwerde angesprochene Frage entscheidungserheblich.
Davon abgesehen bedarf es keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass in
einem Fall wie dem vorliegenden sowohl dem Gebot, den Planfeststellungsbeschluss
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aufzuheben (§ 144 LVG SH = § 77 VwVfG), als auch den Anforderungen an Planän-
derungen (§ 143 LVG SH = § 76 VwVfG) Rechnung zu tragen ist.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass betroffene Eigentümer oder Anlieger einen
Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses haben, wenn ein Stra-
ßenbauvorhaben endgültig aufgegeben wird. Die früher in § 18c FStrG und jetzt in
§ 77 VwVfG enthaltene Verpflichtung, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben,
erstreckt sich über den Wortlaut hinaus nach Sinn und Zweck der Vorschrift auch auf
diejenigen Fälle, in denen mit der Durchführung des Vorhabens noch nicht begonnen
worden ist. Mit dem Aufhebungsbeschluss wird förmlich entschieden, dass eine Ent-
eignung der für das Vorhaben benötigten Grundstücke sowie die weiteren aus ihm
folgenden Einschränkungen (Anbauverbote etc.) nicht mehr zulässig sind (vgl. Se-
natsurteil vom 11. April 1986 - BVerwG 4 C 53.82 - DVBl 1986, 1007 = Buchholz
407.4 § 18 c FStrG Nr. 1). Folgerichtig hat das beklagte Landesamt im vorliegenden
Fall den ursprünglichen Planfeststellungsbeschluss aufgehoben, soweit er die Stra-
ßenbaumaßnahme "Verlegung der Landesstraße …" betrifft.
Dies entbindet die Planfeststellungsbehörde indes nicht von der Einhaltung der für
Planänderungen geltenden Regelungen in § 76 VwVfG (§ 143 LVG SH). Dies gilt
auch, wenn die Planänderung durch eine Teilaufhebung herbeigeführt wird. Durch
die Planänderung wird im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Berufungs-
gerichts die Gesamtkonzeption des ursprünglichen Vorhabens berührt. Daher ist sie
nach seiner Einschätzung nicht nur von unwesentlicher Bedeutung im Sinne von
§ 76 Abs. 2 VwVfG (§ 143 Abs. 2 LVG SH). Damit wendet das Oberverwaltungsge-
richt den im Gesetz vorgesehenen Maßstab auf den Einzelfall an. Insoweit erhebt
auch die Beschwerde keine Einwände. Sie meint indessen, die beiden gesondert
planfeststellungsbedürftigen Maßnahmen - Aus- und Neubau der Kreisstraße sowie
Verlegung der Landesstraße - seien nur formell zusammengefasst worden und könn-
ten daher wieder voneinander getrennt werden, ohne dass die darin liegende Ände-
rung nach § 76 VwVfG (§ 143 LVG SH) zu beurteilen wäre. Dem ist jedoch nicht zu
folgen, ohne dass es für diese Schlussfolgerung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
Mit der Zusammenfassung zweier Straßenbauvorhaben, die - möglicherweise - auch
getrennt voneinander planfestgestellt werden könnten, erfolgt eine verfahrensmäßige
und inhaltliche Verknüpfung. Die zu treffende Abwägungsentscheidung hat die zu-
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sammengefasste Maßnahme insgesamt in den Blick zu nehmen. Unter Umständen
lassen sich Eingriffe nur im Hinblick auf die mit dem gesamten Vorhaben erreichba-
ren verkehrlichen Wirkungen rechtfertigen. Mit der Durchführung eines gemeinsamen
Planfeststellungsverfahrens wird nicht nur - wie die Beschwerde meint - eine formelle
Verbindung vorgenommen; vielmehr erfolgt auch eine inhaltliche Verknüpfung. Dies
gilt in besonderer Weise in Fällen wie dem vorliegenden, in dem ein neu zu errich-
tendes Straßenstück von beiden Vorhaben gemeinsam genutzt werden soll und
überdies - hier wegen der in diesem Bereich vorgesehenen Bahnunterführung - ei-
nen besonderen Stellenwert aufweist. Wird das Vorhaben, von dem die Ausgestal-
tung des gemeinsamen Straßenstücks maßgeblich abhängt, nachträglich aufgege-
ben, so darf nicht ungeprüft bleiben, ob an dem Restvorhaben unverändert festgehal-
ten werden kann. Die Einhaltung des für Planänderungen vorgesehenen Verfahrens
schließt allerdings die Verwertung der im früheren Planfeststellungsverfahren ge-
wonnenen Erkenntnisse und eingeholten Gutachten nicht aus.
1.2 Das Oberverwaltungsgericht gelangt ferner zu der Schlussfolgerung, eine bloße
Teilaufhebung ohne Einhaltung der Regelungen über die Planänderung scheide
in denjenigen Fällen aus, in denen es sich um das Zusammentreffen mehre-
rer Vorhaben im Sinne von § 78 VwVfG (§ 145 LVG SH) handele.
Die Beschwerde wirft hierzu sinngemäß die Frage auf, unter welchen Voraussetzun-
gen eine Zusammenfassung in einem Planfeststellungsverfahren nach § 78 Abs. 1
VwVfG geboten ist. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren jedoch
nicht stellen, denn das beklagte Landesamt hat sich für ein derartiges Planfeststel-
lungsverfahren nach § 78 Abs. 1 VwVfG entschieden. Auf der Frage, ob es von die-
ser Verfahrensweise auch hätte absehen und über die beiden Vorhaben in zwei von-
einander getrennten Planfeststellungsverfahren - eventuell zeitlich gestaffelt - hätte
entscheiden können, beruht das angegriffene Urteil daher nicht. Im Übrigen hat das
Bundesverwaltungsgericht die Maßstäbe für die Anwendung von § 78 Abs. 1 VwVfG
bereits in seinen Urteilen vom 18. April 1996 - BVerwG 11 A 86.95 - (BVerwGE 101,
73) und 27. November 1996 - BVerwG 11 A 99.95 - (NVwZ 1997, 684 = Buchholz
316 § 78 Nr. 8) sowie jüngst im Beschluss vom 4. August 2004 - BVerwG 9 VR
13.04 - (juris) näher dargestellt. Die Beschwerde legt nicht dar, inwieweit diese
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Rechtsprechung weiter zu entwickeln wäre; sie setzt sich vielmehr mit diesen Ent-
scheidungen überhaupt nicht auseinander.
Die Beschwerde wirft ferner sinngemäß die Frage auf, ob bei zwingender Zusam-
menfassung zweier Maßnahmen nach § 145 Abs. 1 LVG SH nach Teilaufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses wegen Aufgabe einer der Maßnahmen immer ein neu-
es Planfeststellungsverfahren erforderlich ist. Auch insoweit fehlt es an der Entschei-
dungserheblichkeit (vgl. unter 1.2); im Übrigen ist auf die Ausführungen unter 1.1 zu
verweisen. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 VwGO
ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter
denen eine Revision zuzulassen ist.
2. Auch die Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg. Die Beschwerde rügt eine Verletzung
der Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) sowie aktenwidrige Feststellungen. Dabei be-
zieht sie sich auf eine Formulierung im angegriffenen Urteil, wonach ein isolierter
Ausbau der Kreisstraße "womöglich" auch ohne Bahnunterführung denkbar gewesen
wäre. Sie verweist demgegenüber auf die Vorschriften des Eisenbahnkreuzungsge-
setzes, wonach eine höhengleiche Bahnkreuzung ausscheide. Die Rüge bleibt schon
deswegen ohne Erfolg, weil das angegriffene Urteil nicht auf der tatsächlichen Fest-
stellung beruht, wonach eine (neu zu errichtende) höhengleiche Kreuzung ernsthaft
in Betracht komme. Vielmehr bewegen sich die Überlegungen des Berufungsgerichts
ersichtlich, wie die Formulierung "womöglich" zeigt, im Spekulativen und sollen ledig-
lich veranschaulichen, dass ein anderes Abwägungsergebnis nicht von vornherein
ausscheidet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Paetow Halama Dr. Jannasch
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Straßenplanungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VwVfG
§§ 76, 77, 78
Stichworte:
Planfeststellungsbeschluss; Planaufhebung; Planänderung; Zusammentreffen meh-
rerer Vorhaben.
Leitsatz:
Wenn zwei Straßenbauvorhaben zusammen planfestgestellt worden sind und eines
nicht mehr durchgeführt werden soll, sind sowohl die Regelungen über die Aufhe-
bung eines Planfeststellungsbeschlusses (§ 77 VwVfG) als auch diejenigen über die
Planänderung (§ 76 VwVfG) anzuwenden. Mithin kann von einem neuen Planfest-
stellungsverfahren nicht abgesehen werden, wenn die durch eine Teilaufhebung des
Planfeststellungsbeschlusses herbeigeführte Planänderung nicht nur von unwesentli-
cher Bedeutung (§ 76 Abs. 2 VwVfG) ist.
Beschluss des 4. Senats vom 10. November 2004 - BVerwG 4B 57.04
I. VG Schleswig vom 24.01.2003 - Az.: VG 21 A 433/02 -
II. OVG Schleswig vom 25.05.2004 - Az.: OVG 4 LB 27/03 -