Urteil des BVerwG vom 10.10.2005

Bebauungsplan, Stadt, Bauland, Ausweisung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 56.05
OVG 7 A 3611/04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Oktober 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundesverwal-
tungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Juni 2005 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerinnen zu 1 a) und b) tragen als Gesamtschuldner
85 Hundertstel, die Klägerin zu 2 15 Hundertstel der Kosten
des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 28 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Nachdem der anwaltlich vertretene Kläger H. K. verstorben ist, ist das
Verfahren nach § 173 VwGO i.V.m. § 246 Abs. 1 ZPO mit der Klägerin zu 1 b) als
Miterbin fortzusetzen. Die Klägerin zu 1 a) als weitere Miterbin ist als originäre
Rechtsmittelführerin ohnehin Prozesspartei.
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat kei-
nen Erfolg. Die Rechtssache hat weder die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die
Klägerinnen beimessen, noch weicht das Berufungsurteil von einer divergenzfähigen
Entscheidung ab. Die Rügen, welche die Beschwerde an die Ausführungen des Be-
rufungsgericht zur Wirksamkeit der 1. Änderung des Bebauungsplans 84/3
- Schulzentrum Herkenrath - der Stadt Bergisch Gladbach vom 11. Mai 1978 knüpft,
greifen nicht durch. Es kann deshalb offen bleiben, ob bezüglich der vorinstanzlichen
Darlegungen zur Wirksamkeit des Bebauungsplans 84/3 der ehemaligen Stadt
Bensberg vom 18. Juli 1974, auf die die angefochtene Entscheidung hilfsweise ge-
stützt sind, ein Zulassungsgrund gegeben ist.
1. Die Frage, ob Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung
(Grundflächenzahl, Geschossflächenzahl, Zahl der Vollgeschosse) für eine Gemein-
bedarfsfläche im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zulässig sind, führt nicht zur Zu-
lassung der Revision. Sie lässt sich nämlich anhand der gesetzlichen Regelungen
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und der dazu ergangenen Rechtsprechung ohne weiteres im bejahenden Sinne be-
antworten.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 des hier maßgeblichen BBauG 1976 (wortgleich
mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB) können im Bebauungsplan aus städtebaulichen Grün-
den die Art und das Maß der baulichen Nutzung festgesetzt werden. Da die Art der
baulichen Nutzung nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 23. Dezember 1997 - BVerwG 4 BN 23.97 - BRS 59 Nr. 71) nicht nur durch die
Festsetzung von Baugebieten im Sinne der BauNVO, sondern auch durch Festset-
zungen aufgrund einzelner Bestimmungen des § 9 Abs. 1 BBauG 1976/BauGB be-
stimmt werden kann, gibt es keinen Grund, die Zulässigkeit von Festsetzungen über
das Maß der baulichen Nutzung nach den §§ 16 ff. BauNVO auf Bebauungspläne zu
beschränken, die ein Baugebiet im Sinne der BauNVO ausweisen. Der Senat pflich-
tet daher dem Berufungsgericht und dem überwiegenden Teil des Schrifttums
(Gaentzsch, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl. 2002, § 9 Rn. 14; Gierke,
in: Brügelmann, BauGB, § 9 Rn. 96; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB,
§ 9 Rn. 9; Bracher, in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. 2004, S. 96,
Rn. 237 f.) darin bei, dass der Bebauungsplan Regelungen über das Maß der bauli-
chen Nutzung auch für Flächen treffen darf, deren Nutzungsart - wie hier - auf der
Grundlage des § 9 Abs. 1 Nr. 5 BBauG 1976/BauGB festgesetzt worden ist.
Die aufgeworfene Rechtsfrage hat nicht deshalb grundsätzliche Bedeu-
tung, weil das OVG Bremen in seinem Urteil vom 15. September 1970 - I BA 25/70 -
(BRS 23 Nr. 9) angenommen hat, jedenfalls die Vorschriften der BauNVO über das
Maß der baulichen Nutzung bezögen sich nur auf Baugebiete und seien ebenso wie
die Bestimmungen über die Art der baulichen Nutzung auf Baugrundstücke für den
Gemeinbedarf unmittelbar nicht anwendbar, und der VGH Mannheim in seinem Be-
schluss vom 27. Januar 1972 - II 217/70 - (BRS 25 Nr. 18) die Anwendbarkeit der
Vorschriften der BauNVO auf ausgewiesene Baugebiete nach § 1 Abs. 2 BauNVO
beschränkt hat. Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um die
Feststellung zu treffen, dass die beiden Entscheidungen, die zum BBauG 1960 er-
gangen sind, jedenfalls nicht der Rechtslage seit In-Kraft-Treten des BBauG 1976
entsprechen. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a) BBauG 1960 setzte der Bebauungsplan für das
"Bauland" die Art und das Maß der baulichen Nutzung fest, und es mag sein, dass
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nur Baugebiete nach der BauNVO Bauland waren (so Gaentzsch, a.a.O., § 9
Rn. 14). Seitdem § 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB neu formuliert worden ist, sind Festsetzun-
gen über Art und Maß der baulichen Nutzung in Bebauungsplänen freilich generell
zulässig und nicht nur in Plänen für ein Baugebiet nach § 1 Abs. 2 BauNVO. Die
Rechtsgrundlage für den Erlass der BauNVO, § 2 Abs. 8 BBauG 1976 (jetzt: § 9a
BauGB), bleibt dahinter nicht zurück, weil sie die zuständige Stelle in Nr. 1 a) und b)
ermächtigte, Vorschriften über Darstellungen und Festsetzungen "in den Bauleitplä-
nen" über die Art und das Maß der baulichen Nutzung zu erlassen. Das Berufungs-
gericht hebt zutreffend hervor, dass eine Einschränkung auf die "Baugebiete" wie in
Nr. 2 nicht erfolgt ist.
2. Wegen der Frage nach der Zulässigkeit einer Doppelfestsetzung in
Form einer Ausweisung ein und desselben Bereichs als Gemeinbedarfsfläche und
zugleich als Baugebiet ist die Revision nicht zuzulassen, weil sich die Frage in dem
angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen würde. Das Berufungsgericht ist in
Auslegung der 1. Änderung des Bebauungsplans 84/3 zu dem Ergebnis gelangt,
dass der Rat der Stadt Bergisch Gladbach das Gelände des Schulzentrums Herken-
rath entgegen der Bezeichnung "MI" nicht als Mischgebiet, sondern ausschließlich
als Gemeinbedarfsfläche ausgewiesen hat. Hieran ist der Senat gebunden, da Be-
bauungspläne dem irrevisiblen Landesrecht angehören. Revisible Fragen im Zu-
sammenhang mit der Auslegung stellen sich nicht, weil Auslegungsregeln, die bei der
Interpretation von Landesrecht herangezogen worden sind, ihrerseits dem Lan-
desrecht zuzurechnen sind (BVerwG, Urteil vom 15. April 1988 - BVerwG 7 C
125.86 - Buchholz 442.01 § 45 a PBefG Nr. 2; BVerwG, Beschluss vom 6. Sep-
tember 1999 - BVerwG 11 B 13.99 - juris). Dass ausnahmsweise etwas anderes,
nämlich eine Zuordnung zum Bundesrecht in Betracht kommt, weil die Auslegung
offenbar willkürlich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1988 - BVerwG 7 C 125.86 -
a.a.O.), lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen.
3. Die Divergenzrüge bleibt erfolglos, weil sich die angeblich voneinander
abweichenden Rechtssätze aus dem Urteil des Senats vom 18. September 2003
- BVerwG 4 CN 3.02 - (NVwZ 2004, 229) und der Berufungsentscheidung nicht auf
dieselbe Rechtsvorschrift beziehen (vgl. zum Erfordernis der Identität der Rechts-
normen z.B. BVerwG, Beschluss vom 26. Mai 1999 - BVerwG 6 B 65.98 - NVwZ-RR
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1999, 745). Die Beschwerde entnimmt den Ausführungen unter II. 2. b) des zitierten
Senatsurteils den Rechtssatz, dass zur Auslegung des Inhalts eines Bebauungsplans
nicht auf die Aufstellungsvorgänge zurückgegriffen werden darf. Die in Bezug
genommenen Darlegungen verhalten sich freilich zur Auslegung eines vorhabenbe-
zogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB. Um einen solchen Plan geht es hier
nicht. Im Übrigen hat der Senat seinerzeit auch nicht den Rechtssatz formuliert, den
die Beschwerde dem Urteil beilegt, sondern die Aussage getroffen, dass zur Ausle-
gung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nicht auf den Durchführungsver-
trag zurückgegriffen werden darf, weil er nicht Bestandteil der Bauleitplanung ist und
von anderen Planbetroffenen nicht eingesehen werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO
i.V.m. § 100 Abs. 2 ZPO, § 159 Satz 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf
§ 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow
Gatz
Dr. Philipp
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BBauG 1960
§ 9 Abs. 1 Nr. 1 a)
BBauG 1976
§ 2 Abs. 8; § 9 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5
BauGB
§ 9 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 5; § 9 a
BauNVO
§ 1 Abs. 2; §§ 16 ff.
Stichworte:
Bebauungsplan; bauliche Nutzung; Art und Maß der baulichen Nutzung; Festsetzung
von -; Baugebiet; Gemeinbedarfsfläche; Flächen für den Gemeinbedarf.
Leitsatz:
Jedenfalls seit In-Kraft-Treten des BBauG 1976 kann das Maß der baulichen Nut-
zung im Bebauungsplan nicht nur für Baugebiete im Sinne der BauNVO, sondern
auch für Flächen festgesetzt werden, deren Art der baulichen Nutzung auf der
Grundlage von § 9 Abs. 1 BauGB - hier Nr. 5 (Flächen für den Gemeinbedarf) - be-
stimmt wird.
Beschluss des 4. Senats vom 10. Oktober 2005 - BVerwG 4 B 56.05
I. VG Köln
vom 08.06.2004 - Az.: VG 2 K 6971/02 -
II. OVG Münster vom 21.06.2005 - Az.: OVG 7 A 3611/04 -