Urteil des BVerwG vom 03.06.2010

Eugh, Kommission, Ausnahme, Erhaltung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 54.09
OVG 8 C 10399/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Juni 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 8. Juli 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.
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1.1 Die Beschwerde wirft zur Alternativenprüfung (§ 34 Abs. 3 Nr. 2
BNatSchG 2009) folgende Fragen auf:
Darf bei der Prüfung von Standortalternativen für ein
Flughafenausbauvorhaben auf der Grundlage von § 27
Abs. 2 Nr. 2 LNatSchG RP /§ 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG
bzw. Art. 6 Abs. 4 Unterabs. 1 FFH-RL eine Standortalter-
native bereits deshalb ausgeschlossen werden, weil ein
Vorhabenträger für die Realisierung des Ausbauvorha-
bens an diesem Alternativstandort nicht zur Verfügung
steht?
Darf ein Alternativstandort für ein Flughafenausbauvorha-
ben allein deshalb als unzumutbare Alternative bzw. als
anderes Projekt im Sinne von § 27 Abs. 2 Nr. 2 LNatSchG
RP /§ 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG bzw. Art. 6 Abs. 4 Unter-
abs. 1 FFH-RL angesehen werden, weil eine realistische
Möglichkeit der Verwirklichung dieses Vorhabens am Al-
ternativstandort innerhalb des Planungshorizonts infolge
der absehbaren Dauer eines erst noch einzuleitenden Pla-
nungs- beziehungsweise Genehmigungsverfahrens nicht
gegeben ist?
Diese Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätz-
licher Bedeutung weil sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würden.
Zwar geht der Senat - in Übereinstimmung mit dem Beklagten und der Beigela-
denen - davon aus, dass die Grundsatzrügen die Auslegung von Bundesrecht
im Sinne von § 137 Abs. 1 VwGO (einschließlich des Europarechts) betreffen,
da die in der Fragestellung genannte Vorschrift des Landesrechts lediglich das
bindende Bundes- und Europarecht nachvollzieht (Urteile vom 9. Juli 2009
- BVerwG 4 C 12.07 - BVerwGE 134, 166 Rn. 6 und vom 21. Februar 2008
- BVerwG 4 C 13.07 - BVerwGE 130, 223 Rn. 9).
Die formulierten Fragen gehen jedoch von Voraussetzungen aus, die in den
tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts keine Grundlage
finden. Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, die Planfest-
stellungsbehörde habe davon ausgehen dürfen, dass eine realistische Möglich-
keit zur Verwirklichung eines Ausbaus des Coleman-Airfield in Mannheim-
Sandhofen für eine zivile Flugplatzmitbenutzung an diesem Standort in abseh-
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barer Zeit nicht gegeben sei (UA S. 103). Es müsse - wenn wie hier auch an
dem anderen Standort ein Ausbau erforderlich sei - gewährleistet sein, dass
überhaupt ein Investor für die Realisierung des Ausbauvorhabens am Alterna-
tivstandort zur Verfügung stehe (UA S. 104). Für den am Standort Coleman-
Airfield erforderlichen Ausbau sei kein Investor in Sicht. Die Begründung des
Oberverwaltungsgerichts beschränkt sich jedoch nicht auf das Fehlen eines
Vorhabenträgers. Daher kommt es nicht darauf an, ob bereits dieser Umstand
ausreichen könnte, der behandelten Standortalternative ihre mangelnde Eig-
nung entgegenzuhalten, weil er vor dem Hintergrund der vorhandenen Konkur-
renz möglicher Träger (vgl. Urteil vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 -
BVerwGE 123, 261 <272>) auf eine mangelnde wirtschaftliche Realisierbarkeit
schließen lässt. Vielmehr begründet das Oberverwaltungsgericht eingehend die
Probleme, denen sich ein Vorhabenträger auf dem Weg zur Verwirklichung ei-
nes Ausbaus des Coleman-Airfield gegenüber sähe. Hierzu zählt es die Investi-
tionskosten, die ein regelkonformer Ausbau der Start- und Landebahn ein-
schließlich der unverzichtbaren Infrastruktureinrichtungen für eine zivile (Mit-)
Nutzung erfordern werde. Ferner fehle es an einer konkreten Ausbauplanung.
Anders als im Falle des Verkehrslandeplatzes Speyer gebe es keine landes-
planerische Entscheidung mit der nach § 6 Abs. 2 Satz 2 LuftVG erforderlichen
Feststellung, dass das Ausbauvorhaben den Erfordernissen der Raumordnung
und Landesplanung entsprechen würde. Es sei auch zweifelhaft, ob eine Kon-
versionsgenehmigung ausreichen werde und ob eine Umweltverträglichkeits-
prüfung vorgenommen werden müsse. Ferner seien die Bedingungen, unter
denen die US-Streitkräfte eine zivile Mitbenutzung zulassen würden, sowie et-
waige Beschränkungen im Hinblick auf den militärischen Flugverkehr noch of-
fen. Auch die Stadt Mannheim, die nach Ansicht des Klägers als möglicher In-
vestor für einen Ausbau des Coleman-Airfield und als Betreibergesellschaft für
dessen zivile Mitbenutzung in Betracht käme, habe sich zu dem Ausbau ableh-
nend geäußert. Das Oberverwaltungsgericht hat seiner Würdigung somit nicht
nur das bloße Fehlen eines (konkreten) Projektträgers zugrunde gelegt, son-
dern hat Unwägbarkeiten und Hindernisse aufgezeigt, die einer zeitnahen Rea-
lisierung des Vorhabens am Standort Coleman-Airfield unabhängig von der
Person des Investors entgegen stehen, mithin jeden potentiellen Investor tref-
fen.
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Aus denselben Gründen ist auch die zweite Teilfrage nicht entscheidungser-
heblich. Denn nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts fehlt es an
einer realistischen Möglichkeit der Verwirklichung des Vorhabens am Alter-
nativstandort innerhalb des Planungshorizonts nicht lediglich der abseh-
baren Dauer eines erst noch einzuleitenden Planungs- beziehungsweise Ge-
nehmigungsverfahrens. Vielmehr stehen - wie dargelegt - der Verwirklichung
weitere und gewichtigere Hindernisse entgegen, als lediglich der Zeitablauf für
ein Planungs- beziehungsweise Genehmigungsverfahren. Das Oberverwal-
tungsgericht hebt ausdrücklich hervor, die Zeitverzögerung für die Erstellung
der in einem Planfeststellungsverfahren prüffähigen Antragsunterlagen durch
einen Investor sei für die Frage der Realisierbarkeit ohne Belang; auch die zu
erwartende durchschnittliche Dauer eines Genehmigungs- oder Planfeststel-
lungsverfahrens für sich genommen sieht es nicht als Hindernis an (UA S. 104).
Im Übrigen hat der Senat die maßgeblichen Grundsätze für die Beachtlichkeit
von Standortalternativen bereits in seinem Urteil vom 9. Juli 2009 (a.a.O.
Rn. 33) unter Verwertung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
dargestellt.
Danach ist der Begriff der Alternative in Art. 6 Abs. 4 Fauna-Flora-Habitat-
Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der
natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen - FFH-
RL -) aus der Funktion des durch Art. 4 FFH-RL begründeten Schutzregimes zu
verstehen. Er steht in engem Zusammenhang mit den Planungszielen, die mit
einem Vorhaben verfolgt werden. Lässt sich das Planungsziel an einem nach
dem Schutzkonzept der Habitat-Richtlinie günstigeren Standort oder mit gerin-
gerer Eingriffsintensität verwirklichen, so muss der Projektträger von dieser
Möglichkeit Gebrauch machen. Ein irgendwie gearteter Gestaltungsspielraum
wird ihm nicht eingeräumt. Anders als die fachplanerische Alternativenprüfung
ist die FFH-rechtliche Alternativenprüfung nicht Teil einer planerischen Abwä-
gung. Der Behörde ist für den Alternativenvergleich kein Ermessen eingeräumt.
Art. 6 Abs. 4 FFH-RL begründet aufgrund seines Ausnahmecharakters ein strikt
beachtliches Vermeidungsgebot, das zu Lasten des Integritätsinteresses des
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durch Art. 4 FFH-RL festgelegten kohärenten Systems nicht bereits durchbro-
chen werden darf, wenn dies nach dem Muster der Abwägungsregeln des
deutschen Planungsrechts vertretbar erscheint, sondern nur beiseite gescho-
ben werden darf, soweit dies mit der Konzeption größtmöglicher Schonung der
durch die Habitat-Richtlinie geschützten Rechtsgüter vereinbar ist. Die Anforde-
rungen an den Ausschluss von Alternativen steigen in dem Maß, in dem sie
geeignet sind, die Ziele des Vorhabens zu verwirklichen, ohne zu offensichtli-
chen - ohne vernünftigen Zweifel - unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen zu
führen. Entscheidend ist daher, ob zwingende Gründe des überwiegenden öf-
fentlichen Interesses die Verwirklichung gerade dieser Alternative verlangen
oder ob ihnen auch durch eine andere Alternative genügt werden kann
(Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zu Rs. C-239/04 - Slg. 2006,
I-10183 Rn. 43, 46). Eine Ausführungsalternative ist vorzugswürdig, wenn sich
mit ihr die Planungsziele mit geringerer Eingriffsintensität verwirklichen lassen
(Urteile vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 170
und vom 17. Mai 2002 - BVerwG 4 A 28.01 - BVerwGE 116, 254 <262>). In-
wieweit Abstriche von einem Planungsziel hinzunehmen sind, hängt maßge-
bend von seinem Gewicht und dem Grad seiner Erreichbarkeit im jeweiligen
Einzelfall ab (Beschluss vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B 61.08 - NVwZ 2009,
910 Rn. 62 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 34
veröffentlicht>). Auch bei einem standortgebundenen Vorhaben, wie dem Aus-
bau eines vorhandenen Flughafens, ist zu prüfen, ob sich an anderer Stelle
eine Alternativlösung anbietet oder gar aufdrängt. Als Alternative sind allerdings
nur solche Änderungen anzusehen, die nicht die Identität des Vorhabens be-
rühren. Von einer Alternative kann dann nicht mehr die Rede sein, wenn sie auf
ein anderes Projekt hinausläuft, weil die vom Vorhabenträger in zulässiger
Weise verfolgten Ziele nicht mehr verwirklicht werden könnten. Zumutbar ist es
nur, Abstriche vom Zielerfüllungsgrad in Kauf zu nehmen. Eine planerische Va-
riante, die nicht verwirklicht werden kann, ohne dass selbständige Teilziele, die
mit dem Vorhaben verfolgt werden, aufgegeben werden müssen, braucht da-
gegen nicht berücksichtigt zu werden (Urteile vom 9. Juli 2009 - BVerwG 4 C
12.07 - BVerwGE 134, 166 Rn. 33, vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 C
9.06 - BVerwGE 130, 83 Rn. 67, vom 17. Januar 2007 - BVerwG 9 A 20.05 -
BVerwGE 128, 1 Rn. 143 und vom 15. Januar 2004 - BVerwG 4 A 11.02 -
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BVerwGE 120, 1 <11>; Beschluss vom 16. Juli 2007 - BVerwG 4 B 71.06 - juris
Rn. 42).
Eine Standortalternative durch Ausbau eines anderen Flughafens an anderer
Stelle ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann
anzunehmen, wenn die in Betracht kommenden anderen Flughäfen im Wesent-
lichen denselben Verkehrsbedarf decken würden (Urteile vom 9. Juli 2009
a.a.O. Rn. 37 und vom 13. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 67). Davon ist das Ober-
verwaltungsgericht ausgegangen, da sich der Suchraum der Alternativenprü-
fung auf die gesamte, Länder- und Zuständigkeitsgrenzen übergreifende Met-
ropolregion Rhein-Neckar zu erstrecken habe (UA S. 102). Eine weitere Vor-
aussetzung für das Vorliegen einer Standortalternative stellt ihre objektive Rea-
lisierbarkeit dar, die hier jedoch - wie ausgeführt - nach den Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts nicht gewährleistet ist. Daher kann dahingestellt blei-
ben, ob eine mit erheblichen baulichen Erweiterungen verbundene erstmalige
Umwidmung eines bisher ausschließlich militärisch genutzten Landeplatzes zu
einem für die zivile Luftfahrt mitbenutzten Verkehrslandeplatz im Verhältnis zu
einer durch neue Sicherheitsregelungen erforderlich gewordenen - geringeren -
Erweiterung eines vorhandenen zivilen Verkehrslandeplatzes nicht schon von
vornherein unabhängig von der Realisierbarkeit - wie vom Oberverwaltungsge-
richt angedeutet (UA S. 99) - ein anderes Projekt darstellt und schon aus die-
sem Grund als Alternative nicht in Betracht kommt.
1.2 Auch die Frage
Kann bei der Zulassung eines Projekts, das geeignet ist,
ein zum Vogelschutzgebiet erklärtes Gebiet erheblich zu
beeinträchtigen, die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 Vogel-
schutz-RL mit seinen gegenüber Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-
RL strengeren Voraussetzungen allein dadurch ausge-
schlossen werden, dass in der für das betreffende Projekt
erstellten FFH-Verträglichkeitsprüfung die erhebliche Be-
einträchtigung einer in dem Gebiet vorkommenden Vogel-
art geprüft und bejaht wird, wenn zugleich offen bleibt, ob
die betreffende Vogelart in einer für die Erstellung der
FFH-Verträglichkeitsprüfung maßgeblichen Art und Weise
zum Gegenstand der Erhaltungsziele des Gebiets ge-
macht wurde und ob das betreffende Gebiet zu den für die
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Erhaltung dieser Vogelart zahlen- und flächenmäßig
geeignetsten Gebieten gehört,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.
Ausgangspunkt der Fragestellung ist die Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs zum Wechsel des Schutzregimes nach der Vogelschutz-Richtlinie
(VRL) in dasjenige der FFH-Richtlinie (Art. 7 FFH-RL). Danach gilt Art. 6 Abs. 2
bis 4 FFH-RL nicht für Gebiete, die nicht zu besonderen Schutzgebieten erklärt
wurden, obwohl dies erforderlich gewesen wäre (EuGH, Urteil vom 7. Dezem-
ber 2000 - Rs. C-374/98 - Slg. 2000, I-10799, Rn. 57). Die Erklärung zum be-
sonderen Schutzgebiet im Sinne von Art. 7 FFH-RL erfordert einen „förmlichen
Akt“ (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 a.a.O. Rn. 53). Ein Mitgliedstaat er-
füllt seine Ausweisungspflicht nach Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL ferner nur dann
rechtswirksam, wenn er die besonderen Schutzgebiete „vollständig und endgül-
tig“ ausweist (EuGH, Urteil vom 6. März 2003 - Rs. C-240/00 - Slg. 2003, I-2202
Rn. 21). Die Erklärung muss das Gebiet Dritten gegenüber rechtswirksam ab-
grenzen und nach nationalem Recht „automatisch und unmittelbar“ die Anwen-
dung einer mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehenden Schutz- und
Erhaltungsregelung nach sich ziehen (EuGH, Urteil vom 27. Februar 2003
- Rs. C-415/01 - Slg. 2003, I-2089 Rn. 26). Hieraus hat das Bundesverwal-
tungsgericht abgeleitet, dass die „Erklärung“ zum besonderen Schutzgebiet
nach Art. 4 Abs. 1 VRL, die nach Art. 7 FFH-RL den Wechsel des Schutzre-
gimes auslöst, jedenfalls eine endgültige rechtsverbindliche Entscheidung mit
Außenwirkung darstellen muss, wobei deren rechtliche Gestalt durch das Recht
der Mitgliedstaaten näher bestimmt wird (Urteil vom 1. April 2004 - BVerwG 4 C
2.03 - BVerwGE 120, 276 <285>). Eine einstweilige Sicherstellung reicht hierfür
nicht aus, da ihr die erforderliche Dauerhaftigkeit und Festigkeit fehlen. Ist ein
Gebiet in dieser Weise als Schutzgebiet ausgewiesen worden, bestimmt sich
der Maßstab für die Frage, ob ein Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen
ergriffen hat, nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und nicht nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 der
VRL (EuGH, Urteile vom 13. Juni 2002 - Rs. C-117/00 - Slg. 2002, I-5335
Rn. 25 und vom 7. Dezember 2000 a.a.O. Rn. 43 ff.).
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Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist das Oberverwaltungsgericht zu
dem Ergebnis gelangt, dass die unmittelbar durch Gesetz erfolgende Erklärung
des europäischen Vogelschutzgebiets 6716-402 „Berghausener und Lingenfel-
der Altrhein mit Insel Flotzgrün“ zum besonderen Schutzgebiet den Anforde-
rungen an eine endgültige, vorbehaltlose und rechtsverbindliche Schutzge-
bietserklärung mit Außenwirkung genügt. Dies stellt die Beschwerde nicht in
Frage.
Klärungsbedarf sieht die Beschwerde hinsichtlich der Voraussetzungen eines
Regimewechsels nach Art. 7 FFH-RL; sie wendet sich dagegen, dass das
Oberverwaltungsgericht offen gelassen habe, ob Vogelarten, die bei der Be-
stimmung der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebiets als „Nebenvorkommen“
gekennzeichnet worden seien, aus naturschutzfachlichen Gründen als „Haupt-
vorkommen“ hätten eingestuft werden müssen und damit auch offen geblieben
sei, ob das Vogelschutzgebiet für diese Arten zu den zahlen- und flächenmäßig
geeignetsten Gebieten zähle. Klärungsbedürftig sei, ob unter diesen Umstän-
den ein Regimewechsel allein damit begründet werden dürfe, dass - wie vom
Oberverwaltungsgericht angenommen (UA S. 52) - die FFH-Verträglichkeits-
untersuchung auch die vorhabenbedingten Beeinträchtigungen von Vorkommen
der lediglich als Nebenvorkommen des Gebiets aufgeführten Vogelarten als
erhebliche Beeinträchtigungen von Erhaltungszielen des Gebiets bewertet und
nicht geringer gewichtet habe als die ebenfalls festgestellte erhebliche Be-
einträchtigung der als Hauptvorkommen gekennzeichneten Vogelarten. Die
Frage ist indes nicht entscheidungserheblich.
Das Oberverwaltungsgericht gelangt in Auslegung des nicht revisiblen Landes-
rechts zu dem Ergebnis, die Erklärung des europäischen Vogelschutzgebiets
„Berghausener und Lingenfelder Altrhein mit Insel Flotzgrün“ zum besonderen
Schutzgebiet (§ 25 Abs. 2 LNatSchG Rheinland-Pfalz) ziehe auch unmittelbar
eine mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehende Schutz- und Erhal-
tungsregelung nach sich (UA S. 47). Es sei Aufgabe der Landesregierung, die
Erhaltungsziele für das jeweilige Gebiet durch Rechtsverordnung zu bestim-
men. Dies sei mit der Verordnung vom 18. Juli 2005 geschehen. In der An-
lage 2 zu § 25 Abs. 2 LNatSchG Rheinland-Pfalz werde auf bestimmte nament-
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lich aufgeführte Vogelarten Bezug genommen. Dabei würden mit „(H)“ bezeich-
nete Vogelarten als Hauptvorkommen definiert, die für die Bestimmung der Er-
haltungsziele charakteristisch seien. Insofern mache der Landesgesetzgeber
von seinem fachlichen Beurteilungsspielraum Gebrauch (vgl. dazu Beschluss
vom 24. Februar 2004 - BVerwG 4 B 101.03 - juris Rn. 13). Dies sei in nicht zu
beanstandender Weise erfolgt (UA S. 50).
Das Oberverwaltungsgericht ist somit zu dem Ergebnis gelangt, dass bereits
die Erklärung des betreffenden Vogelschutzgebiets im Einklang mit den Anfor-
derungen des Europäischen Naturschutzrechts erfolgt ist. Dabei geht das
Oberverwaltungsgericht davon aus, dass die Erhaltungsziele so umfassend
formuliert seien, dass sie auch den Lebensraumansprüchen der als „Nebenvor-
kommen“ aufgeführten Vogelarten und Vogelartengruppen hinreichend Rech-
nung trügen (UA S. 50). Darauf, dass im Rahmen der für das hier betroffene
Projekt vorgenommenen Verträglichkeitsprüfung keine Unterscheidung zwi-
schen dem Hauptvorkommen und dem Nebenvorkommen vorgenommen wor-
den ist, kommt es daher nicht an. Das Oberverwaltungsgericht hat die ange-
sprochenen Aspekte - Gegenstand der Erhaltungsziele und Auswahl der zah-
len- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete - nicht offen gelassen. Vielmehr ist
es davon ausgegangen, dass bereits auf der Ebene der Festsetzung der Vo-
gelschutzgebiete durch den (rheinland-pfälzischen) Gesetzgeber und der Fest-
legung der Einzelheiten durch den Verordnungsgeber den Anforderungen an
den Auswahlprozess genügt worden ist und die Erhaltungsziele ohne Verstoß
gegen Europarecht beschrieben worden sind.
Im Übrigen hat der Senat bereits hervorgehoben, im Falle einer teilweise unzu-
reichenden Unterschutzstellung spreche alles dafür, dass bezüglich der unter
Schutz gestellten Gebietsteile ein Regimewechsel eintrete, es für die nicht unter
Schutz gestellten, aber unter Schutz zu stellenden Gebietsteile dagegen beim
Verschlechterungsverbot des Art. 4 Abs. 4 VRL verbleibe (Beschluss vom
11. November 2009 - BVerwG 4 B 57.09 - UPR 2010, 103 Rn. 12). Erst recht ist
ein Regimewechsel für ein ausgewiesenes Vogelschutzgebiet zu bejahen, wenn
lediglich vorgetragen wird, ein Bundesland hätte an anderer Stelle ein weiteres
Vogelschutzgebiet ausweisen müssen. Davon geht auch die Rechtsprechung
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des EuGH aus (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Rs. C-374/98 -
Slg. 2000, I-10799 Rn. 43 ff.; Schlussantrag der Generalanwältin Sharpston
vom 25. Februar 2010 in der Rs. C-535/07 Rn. 31).
Die in diesem Zusammenhang hilfsweise zum Einwand der Präklusion erho-
bene Verfahrensrüge (Beschwerdebegründung S. 22) bedarf daher keiner Ver-
tiefung.
1.3 Zur Bedeutung von Kohärenzsicherungsmaßnahmen erhebt der Kläger eine
Grundsatzrüge, die er unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 9. Juli 2009
- BVerwG 4 C 12.07 - (BVerwGE 134, 166) um eine Divergenzrüge ergänzt hat
(Beschwerdebegründung S. 33). Nach Bekanntgabe der schriftlichen Gründe
des genannten Urteils hat er die Divergenzrüge mit Schriftsatz vom 14. Oktober
2009 weiter begründet.
Er hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob bei der Prüfung der zwingenden Gründe des überwie-
genden öffentlichen Interesses nach § 34 Abs. 3 Nr. 1
BNatSchG bzw. nach den entsprechenden landesrechtli-
chen Vorschriften zu Gunsten des Vorhabens bereits be-
rücksichtigt werden darf, dass in der betreffenden Zulas-
sungsentscheidung dem Vorhabenträger die erforderli-
chen Maßnahmen zur Sicherung der Kohärenz des Net-
zes Natura 2000 auferlegt wurden.
Diese Frage bedarf jedenfalls nach Ergehen des genannten Urteils vom 9. Juli
2009 keiner grundsätzlichen Klärung mehr. Der Senat hat dort ausgeführt
(Rn. 28):
Auch Kohärenzsicherungsmaßnahmen können jedoch das
Gewicht des Integritätsinteresses mindern. Voraussetzung
hierfür ist, dass sie einen Beitrag auch zur Erhaltung der
Integrität des FFH-Gebiets leisten. Kohärenzsi-
cherungsmaßnahmen können eine erhebliche Beeinträch-
tigung zwar nicht ausschließen. Insoweit unterscheiden
sie sich von Vermeidungsmaßnahmen, die bei der Prü-
fung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL relevant sind und für die
der volle Nachweis ihrer Wirksamkeit erbracht sein muss.
An Kohärenzsicherungsmaßnahmen sind dagegen weni-
ger strenge Anforderungen zu stellen. Für die Eignung ei-
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ner Kohärenzsicherungsmaßnahme genügt es, dass nach
aktuellem wissenschaftlichen Erkenntnisstand eine hohe
Wahrscheinlichkeit ihrer Wirksamkeit besteht. Mit Rück-
sicht auf den prognostischen Charakter der Eignungs-
beurteilung verfügt die zuständige Behörde bei der Ent-
scheidung über Kohärenzsicherungsmaßnahmen über ei-
ne naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative (Urteil
vom 12. März 2008 - BVerwG 9 A 3.06 - BVerwGE 130,
299 Rn. 202). Gleichwohl muss sich die Wirkung von Ko-
härenzsicherungsmaßnahmen nicht darin erschöpfen,
durch Ausgleich etwa an anderer Stelle einen funktionalen
Beitrag zur Sicherung der Kohärenz von Natura 2000 zu
leisten. Sie können im Einzelfall auch zur Minderung der
Beeinträchtigung beitragen. Das kann insbesondere der
Fall sein, wenn die Beeinträchtigung eingriffs- und zeitnah
und mit hoher Erfolgsaussicht ausgeglichen werden kann.
Eine solche Beeinträchtigung wiegt weniger schwer als ei-
ne Beeinträchtigung, bei der ein Ausgleich nur eingriffs-
fern, langfristig und mit relativ ungewissem Erfolg möglich
ist (vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Kokott
zu Rs. C-239/04 – Slg. 2006, I-10183 Rn. 54). Ob Kohä-
renzsicherungsmaßnahmen in diesem Sinne einen Beitrag
zur Wahrung der Integrität des FFH-Gebiets leisten,
beurteilt sich nach den konkreten Gegebenheiten des
Einzelfalls. Zur Eingriffs- und Zeitnähe der Maßnahmen
sowie der Wahrscheinlichkeit ihrer Wirksamkeit geben die
naturschutzfachlichen Gutachten Auskunft. Sollen Kohä-
renzsicherungsmaßnahmen bei der Gewichtung des In-
tegritätsinteresses eingestellt werden, muss anhand der
Gutachten nachvollziehbar dargelegt werden, welcher Ef-
fekt von den angeordneten Maßnahmen ausgeht. Von
Bedeutung kann dabei auch sein, ob die Maßnahmen vor
Eingriffsbeginn abzuschließen sind. Ebenso kann eine
Rolle spielen, ob der Ausgleich unmittelbar am Ort der
Beeinträchtigung oder nur durch Anlegung und Entwick-
lung eines Lebensraums oder Habitats an anderer Stelle
erfolgt. Unzulässig ist es jedenfalls, das Gewicht des In-
tegritätsinteresses pauschal mit dem Hinweis zu relativie-
ren, dass geeignete Kohärenzsicherungsmaßnahmen an-
geordnet worden sind.
Weiteren Klärungsbedarf lässt auch die ergänzende Beschwerdebegründung
nicht erkennen.
Die Divergenzrüge, von deren Zulässigkeit auszugehen ist, bleibt ebenfalls oh-
ne Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht hat seiner Entscheidung keinen Rechts-
satz zugrunde gelegt, der zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
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richts im Widerspruch stünde. Die auf Seite 2 der ergänzenden Beschwerde-
begründung unter 1.1 enthaltene Formulierung gibt die Rechtsauffassung des
Oberverwaltungsgerichts verkürzt wieder. Das Oberverwaltungsgericht weist
zwar auf S. 96 seines Urteils darauf hin, schließlich sei auch im Rahmen der
Abwägung des Eingriffs mit dem Erhaltungsinteresse bereits zu berücksichti-
gen, dass der Beklagte im Planfeststellungsbeschluss - wie noch auszuführen
sein werde - die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung der Kohärenz des
Netzes Natura 2000 vorgesehen und verbindlich festgelegt habe. Das Ober-
verwaltungsgericht gewichtet damit jedoch nicht das Integritätsinteresse pau-
schal geringer. Es unterscheidet vielmehr zwischen Schadenminderungs- und
-begrenzungsmaßnahmen (UA S. 94) bzw. Maßnahmen der Minimierung (UA
S. 96) und Kohärenzsicherungsmaßnahmen (UA S. 111 ff.). Die Ausführungen
zu den Kohärenzsicherungsmaßnahmen (UA S. 111 - 122) verdeutlichen, dass
das Oberverwaltungsgericht - in Übereinstimmung mit dem in Bezug genom-
menen Urteil des Senats, das das Oberverwaltungsgericht zum Zeitpunkt seiner
Entscheidung nicht kennen konnte, - bei der gebotenen Abwägung das In-
teresse an der Integrität des betroffenen FFH-Gebiets (Urteil vom 12. März
2008 a.a.O. Rn. 154) und nicht lediglich das bloße Interesse an der Kohärenz
von Natura 2000 (Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O. Rn. 27) in den Blick genommen
hat. Es hat sich ersichtlich von der zutreffenden Vorstellung leiten lassen, dass
auch Kohärenzsicherungsmaßnahmen das Gewicht des Integritätsinteresses
mindern können, vorausgesetzt, dass sie einen Beitrag auch zur Erhaltung der
Integrität des FFH-Gebiets leisten (Urteil vom 9. Juli 2009 a.a.O. Rn. 28). Nach
den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, die
auf einer Würdigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls beruhen, ist
ein Teil der Kohärenzsicherungsmaßnahmen ersichtlich geeignet, einen Beitrag
zur Erhaltung der Integrität des Vogelschutzgebiets oder des FFH-Gebiets zu
leisten und erschöpft sich gerade nicht darin, durch Ausgleich etwa an anderer
Stelle funktional zur Sicherung der Kohärenz von Natura 2000 beizutragen.
Dass das Oberverwaltungsgericht in der angegriffenen Passage nicht aus-
drücklich seinen Rechtssatz dahingehend präzisiert hat und die Voraussetzun-
gen formuliert hat, unter denen auch Kohärenzsicherungsmaßnahmen das
Gewicht des Integritätsinteresses mindern können, führt nicht auf die behaupte-
te Divergenz.
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1.4 Auch die zum Artenschutz aufgeworfene Frage
ob „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Recht-
sprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 14. Juni 2007
- Rs. C-342/05 -) jedenfalls dann vorliegen, wenn mit dem
Planfeststellungsbeschluss, der eine Ausnahme gemäß
§ 43 Abs. 8 BNatSchG zulässt, ein Verkehrsinfrastruktur-
vorhaben zugelassen wird, für das zwingende Gründe des
überwiegenden öffentlichen Interesses streiten und für das
eine zumutbare Alternativlösung nicht vorhanden ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, da sie sich - soweit es nicht ohne-
hin auf die konkrete Würdigung des Einzelfalls ankommt - auf der Grundlage
der maßgeblichen rechtlichen Regelungen sowie der vorhandenen Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts be-
antworten lässt.
Nach § 43 Abs. 8 Satz 1 BNatSchG 2007 können die zuständigen Behörden
unter anderem Ausnahmen aus anderen zwingenden Gründen des überwie-
genden öffentlichen Interesses einschließlich solcher wirtschaftlicher oder sozi-
aler Art zulassen (Nr. 5). Mit dieser Formulierung knüpft der deutsche Gesetz-
geber ebenso wie mit den weiteren Regelungen in diesem Absatz an die For-
mulierung in Art. 16 Abs. 1 Buchst. c der FFH-RL an. Hierzu kann auf den „Leit-
faden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Inte-
resse im Rahmen der FFH-RL 92/43/EWG“ der Kommission (Leitfaden) ver-
wiesen werden, auf den der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom
14. Juni 2007 - Rs. C-342/05 – (Slg. 2007, I-4713 Rn. 29) und der Senat in sei-
nem Beschluss vom 1. April 2009 - BVerwG 4 B 61.08 - (NVwZ 2009, 910
Rn. 55) Bezug genommen haben. Außergewöhnliche Umstände können nicht
nur bei der unmittelbaren Gefährdung höchster Güter vorliegen (Beschlüsse
vom 1. April 2009 a.a.O. Rn. 53 und - BVerwG 4 B 62.08 - NuR 2009, 414
Rn. 39). Nur von öffentlichen oder privaten Körperschaften geförderte
Interessen können gegen die Erhaltungsziele der Richtlinie abgewogen
werden (Leitfaden, Rn. III.2.3, S. 67 ff.). Derartige öffentliche Interessen bejaht
und begründet das Oberverwaltungsgericht nicht lediglich damit, dass es sich
um ein „alternativloses Verkehrsinfrastrukturvorhaben“ handelt, sondern es
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25
- 15 -
stellt darauf ab, dass es um ein Vorhaben von hoher Dringlichkeit gehe (UA
S. 134). Ferner hebt die Kommission in ihrem Leitfaden hervor, dass das öf-
fentliche Interesse überwiegen muss. Dementsprechend ist nicht jede Form von
öffentlichem Interesse sozialer oder wirtschaftlicher Art hinreichend, insbeson-
dere wenn man es dem besonderen Gewicht der durch die Richtlinie geschütz-
ten Interessen gegenüberstellt. Vielmehr muss - auch nach der Auffassung der
Kommission - zwischen den jeweiligen Interessen sorgfältig abgewogen wer-
den. Eine derartige Abwägung hat das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden
Fall vorgenommen. Weder dem Leitfaden der Kommission noch der Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich jedoch entnehmen, dass
das Gewicht der in der genannten Abwägung für eine Ausnahme sprechenden
öffentlichen Belange nicht auch bei der Prüfung der Auswirkungen auf den Er-
haltungszustand in die Waagschale geworfen werden dürften.
Ferner ist vorliegend zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts die lokalen Populationen sämtlicher betroffener Arten
unter Berücksichtigung der vorgesehenen Schadensvermeidungs-,
-minderungs- und Ausgleichsmaßnahmen in ihrem Erhaltungszustand stabil
bleiben (UA S. 133). Die im öffentlichen Interesse liegende Maßnahme trägt
somit nicht zu einer Verschlechterung des gegenwärtigen Zustands bei. Damit
ist die weitere in § 43 Abs. 8 Satz 2 BNatSchG 2007 enthaltene Voraussetzung,
wonach sich der Erhaltungszustand einer Art durch die genehmigte Maßnahme
nicht verschlechtern darf, erfüllt. In der Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts ist ferner im Einklang mit dem genannten Leitfaden der Kommis-
sion bereits entschieden, dass dann, wenn der Erhaltungszustand der betroffe-
nen lokalen Population günstig bleibt, damit zugleich fest steht, dass keine ne-
gativen Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Art in ihrem überörtlichen
Verbreitungsgebiet zu besorgen sind. Lediglich wenn sich dem Vorhaben die
Unbedenklichkeit für die lokale Population nicht attestieren lässt, ist ergänzend
eine weiträumigere Betrachtung geboten (Urteil vom 12. März 2008 - BVerwG
9 A 3.06 - BVerwGE 130, 299 Rn. 249). Daher folgen aus dem Hinweis des
Oberverwaltungsgerichts, dass sich bestimmte Arten - wie etwa die
Bechsteinfledermaus und einige Amphibienarten - „bezogen auf das gesamte
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland möglicherweise nicht (mehr) in einem
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günstigen Erhaltungszustand befinden“ (UA S. 133), keine weitergehenden An-
forderungen an den Projektträger. Auch der FFH-Richtlinie in Verbindung mit
der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt
sich nicht entnehmen, dass die in den Mitgliedstaaten zuständigen Genehmi-
gungsbehörden gehalten wären, weitergehende Anforderungen aufzustellen. In
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - auf die sich die Be-
schwerde selbst bezieht - ist geklärt, dass die Formulierung in Art. 16 der FFH-
RL „unter der Bedingung, dass die Populationen der betroffenen Art in ihrem
natürlichen Verbreitungsgebiet trotz der Ausnahmeregelung ohne Beeinträchti-
gung in einem günstigen Erhaltungszustand verweilen“ der Erteilung von Aus-
nahmen nicht von vornherein entgegensteht. Dabei handelt es sich nach der
Auffassung der Generalanwältin um eine Anwendung des Prinzips der Verhält-
nismäßigkeit (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rs. C-342/05 -
Slg. 2007, I-04713 Rn. 54), das nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland
als Teil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang genießt, sondern auch zu
den elementaren Grundsätzen des Rechts der Europäischen Union zählt. Nach
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Juni 2007 (a.a.O. Rn. 29)
sind solche Ausnahmen „unter außergewöhnlichen Umständen“ weiterhin zu-
lässig, wenn hinreichend nachgewiesen ist, dass sie den ungünstigen Erhal-
tungszustand dieser Populationen nicht verschlechtern oder die Wiederherstel-
lung eines günstigen Erhaltungszustands nicht behindern können. Die Heran-
ziehung der Fassungen dieser Formulierung in anderen Sprachen - „a titre ex-
ceptionel“; „by way of exception“;„con caracter excepcional“ - macht deutlich,
dass sich die entscheidende Behörde des Ausnahmecharakters ihrer Entschei-
dung bewusst zu sein und die Ausnahme entsprechend zu begründen hat, der
durch die Abweichungstatbestände in Art. 16 Abs. 1 Buchst. a - e FFH-RL ab-
gesteckte Rahmen jedoch nicht verlassen wird (vgl. auch Beschluss vom
17. April 2010 - BVerwG 9 B 5.10 -).
Ob die Genehmigung eines Verkehrsinfrastrukturvorhabens, für das zwingende
Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses streiten und für das eine
zumutbare Alternativlösung nicht vorhanden ist, stets eine Ausnahme in diesem
Sinn rechtfertigt, bedarf entgegen der Ansicht der Beschwerde vorliegend kei-
ner Klärung; die Frage ließe sich ohnehin nicht in dieser Allgemeinheit ohne
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- 17 -
Berücksichtigung der im Einzelfall vorzunehmenden Abwägung beantworten.
Denn im vorliegenden Fall tritt hinzu, dass sich der Erhaltungszustand der be-
troffenen lokalen Population sämtlicher Arten vorhabenbedingt aufgrund der
vorgesehenen Schadensvermeidungs- und Kompensationsmaßnahmen nicht
verschlechtern wird (UA S. 134), mithin
stabil bleibt und lediglich bestimmte
Arten sich bundesweit (möglicherweise) nicht in einem günstigen Zustand be-
finden. Auf den Zustand, in dem sich die Arten bundesweit befinden, hat der
Vorhabenträger jedoch keinen Einfluss. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
gebietet, ihn nicht mit Anforderungen zu belasten, die nicht seinen Verantwor-
tungsbereich betreffen. Auch der genannte Leitfaden der Kommission geht da-
von aus, dass danach zu differenzieren ist, welches der tatsächliche Erhal-
tungszustand der betroffenen Art auf biogeografischer Ebene und auf Ebene
der (lokalen) Population ist und welche Auswirkungen die Ausnahme als solche
hat (Leitfaden, Rn. 49). In Fällen, in denen der Erhaltungszustand auf den ver-
schiedenen Bewertungsebenen unterschiedlich ist, ist zunächst die Situation
auf Populationsebene zu berücksichtigen (Leitfaden, Rn. 52). Diese Gesichts-
punkte sind in die sowohl nach nationalem Recht als auch nach Europarecht
gebotene Abwägung einzubeziehen.
1.5 Auch die Frage
ob ein anerkannter Naturschutzverein auch dann noch
gemäß § 61 Abs. 3 BNatSchG mit seinen vor Klageerhe-
bung nicht erhobenen, im gerichtlichen Verfahren dann
aber geltend gemachten Einwendungen ausgeschlossen
ist, wenn der angegriffene Planfeststellungsbeschluss
während des gerichtlichen Verfahrens geändert oder er-
gänzt wird,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Dabei geht der Senat zugunsten
des Klägers davon aus, dass die zur Auslegung von § 61 Abs. 3
BNatSchG 2007 gestellte Frage auch noch nach der Änderung von § 10 Abs. 4
Satz 2 LuftVG ihre grundsätzliche Bedeutung nicht verloren hat.
28
- 18 -
In der von der Beschwerde durch die Formulierung der Frage vorgegebenen
Allgemeinheit würde sich die Frage nicht stellen. Im Übrigen ist in der Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass die Durchführung ei-
nes ergänzenden Verfahrens nicht die unbeschränkte Möglichkeit eröffnet, alte
wie neue Einwendungen gegen das Vorhaben vorzubringen. Vielmehr wird das
Verwaltungsverfahren nur insoweit aufgegriffen, als es zur Beseitigung der ge-
richtlich festgestellten oder von der Behörde selbst erkannten Mängel im er-
gänzenden Verfahren erforderlich ist. Den anerkannten Naturschutzvereinen
eröffnen sich nur dann neue Einwendungs- oder Klagemöglichkeiten, wenn eine
Planänderung vorgenommen worden ist, die zu neuen oder anderen Belas-
tungen für Natur und Landschaft führt (Beschlüsse vom 17. Juli 2008 - BVerwG
9 B 15.08 - Buchholz 451.91 Europ. UmweltR Nr. 35 Rn. 28, vom 22. Septem-
ber 2005 - BVerwG 9 B 13.05 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 189 S. 193 f.
und vom 23. November 2007 - BVerwG 9 B 38.07 - Buchholz 406.400 § 61
BNatSchG 2002 Nr. 7 Rn. 30). Der entgegenstehenden Auffassung in der Be-
schwerdebegründung ist nicht zu folgen. Nach den Feststellungen des Ober-
verwaltungsgerichts führen die Änderungen des Planfeststellungsbeschlusses
hier ausschließlich zu einer Reduzierung des Eingriffs ohne zusätzliche Beein-
trächtigungen von Erhaltungszielen der Schutzgebiete und betreffen nur Detail-
regelungen (UA S. 95 f.).
2. Auch die Verfahrensrügen bleiben ohne Erfolg.
2.1 Der Kläger sieht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin, dass das
Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil eine Formulierung aus dem Flugha-
fenkonzept der Bundesregierung 2009 übernommen habe, obwohl dieses erst
am 27. Mai 2009 und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung veröf-
fentlicht worden sei und er somit hierzu nicht habe Stellung nehmen können.
Diese Rüge greift nicht durch. Sie bezieht sich auf folgende Ausführungen des
Oberverwaltungsgerichts: „Im neuen Flughafenkonzept der Bundesregierung
wird zur Bedeutung des Geschäftsreiseflugverkehrs ausgeführt, angesichts zu-
nehmender internationaler Verflechtungen gewinne die schnelle Erreichbarkeit
entfernter Ziele künftig weiter an Bedeutung. Damit steige der Einfluss des
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- 19 -
Luftverkehrs auf die wirtschaftliche Prosperität der Regionen. Die Nutzung von
Geschäftsreiseflugzeugen ermögliche es, flexibel, schnell und komfortabel je-
den Wirtschaftsraum in Europa direkt (Punkt zu Punkt) zu erreichen. Eine ver-
gleichbare Mobilität ermögliche kein anderes Verkehrsmittel“ (UA S. 92). Diese
sehr allgemeinen, zum Teil nahezu selbstverständlichen Ausführungen betref-
fen keine Tatsachen, die erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung er-
mittelt (vgl. hierzu den von der Beschwerde angeführten Beschluss vom
16. August 2000 - BVerwG 7 B 66.00 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 27 [in-
soweit in Buchholz nicht veröffentlicht]) oder entstanden wären. Vielmehr ist -
was die Beschwerde auch nicht in Frage stellt - auf die Bedeutung des Ge-
schäftsreiseflugverkehrs sowohl im Planfeststellungsbeschluss als auch in den
Schriftsätzen der Beteiligten hingewiesen worden. Einen Beleg für die Bedeu-
tung des hier konkret betroffenen Standorts sollen die vom Oberverwaltungsge-
richt wiedergegebenen Formulierungen aus dem Flughafenkonzept ersichtlich
nicht erbringen. Mit auf den Standort bezogenen Überlegungen setzt sich das
Oberverwaltungsgericht vielmehr sowohl vor als auch nach der zitierten Passa-
ge auseinander. Der Umstand, dass die angeführten allgemeinen Ausführungen
in dem erst nach der mündlichen Verhandlung des Oberverwaltungsgerichts be-
schlossenen und veröffentlichten Flughafenkonzept in dieser Weise formuliert
worden sind, stellt keine Tatsache dar, die das Oberverwaltungsgericht
verpflichtet hätte, auf seine Wiedergabe zu verzichten, wenn die Beteiligten
hierzu nicht ausdrücklich haben Stellung nehmen können.
Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, dass die in der Passage enthaltene
Beschreibung der Bedeutung des Luftverkehrs, insbesondere des Geschäfts-
reiseflugverkehrs in der Sache unzutreffend sei. Sie verweist lediglich darauf,
dass sich im Flughafenkonzept Aussagen zu anderen Fragestellungen (Bedeu-
tung von Regionalflughäfen etc.) fänden, auf die sie verwiesen hätte. Noch we-
niger legt sie dar, dass das Oberverwaltungsgericht, wenn es das - vermeintlich
verletzte - rechtliche Gehör gewährt hätte, auf der Grundlage seiner materiell-
rechtlichen Auffassung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Dies wäre
vorliegend jedoch in besonderer Weise geboten, da das Oberverwaltungsge-
richt sich unmittelbar vor und nach den wiedergegebenen allgemeinen Passa-
gen ausführlich mit den für das Vorhaben im Hinblick auf seine Stellung in der
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- 20 -
betreffenden Region sprechenden Gesichtspunkten auseinandersetzt und das
Ergebnis seiner Abwägung umfassend begründet.
2.2 Auch die Aufklärungsrüge greift nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht
hat den Beweisantrag Nr. 1 (UA S. 20) mit der Begründung abgelehnt, mit dem
Vortrag, im Bereich des Runkedebunk am Nordrand der Insel Horn befinde sich
ein Vorkommen des prioritären Lebensraumtyps *91E0 und dieses werde durch
das Vorhaben beeinträchtigt, sei der Kläger präkludiert. Die FFH-Verträglich-
keitsprüfung sei zu dem Ergebnis gelangt, im Wirkungsbereich des Vorhabens
sei ein diesem prioritären Lebensraumtyp zuzurechnendes Vorkommen nur in
einem - hier nicht streitigen - schmalen Streifen am Ufer der Insel Horn vorhan-
den. Der Kläger hätte daher im Verwaltungsverfahren thematisieren müssen,
dass nach seiner Ansicht auch an anderer Stelle der Insel Horn eine Zuordnung
zu diesem Lebensraumtyp hätte erfolgen müssen (UA S. 65 f.).
Das Oberverwaltungsgericht hat den Beweisantrag somit aus Gründen des
sachlichen Rechts auf der Grundlage seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauf-
fassung - die im Übrigen mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts im Einklang steht (vgl. hierzu oben 1.5) - abgelehnt. Dem steht nicht ent-
gegen, dass während des gerichtlichen Verfahrens eine Änderung und Ergän-
zung des Planfeststellungsbeschlusses erfolgt ist. Denn als Folge der Präklusi-
on durfte das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage des Ergebnisses der
Verträglichkeitsprüfung ohne weitere Beweiserhebung davon ausgehen, dass in
dem betreffenden Gebiet der genannte Lebensraumtyp nicht vorhanden ist.
Dementsprechend konnte es ohne Verfahrensfehler die Schlussfolgerung zie-
hen, dass auch eine Beeinträchtigung dieses Lebensraumtyps nicht in Betracht
kommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streit-
wertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Bumke
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36
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Luftverkehrsrecht
Fachpresse: ja
Naturschutzrecht
Rechtsquellen:
LuftVG
§ 6
BNatSchG 2009
§ 34 Abs. 3; § 64
FFH-Richtlinie
Art. 6 Abs. 4; Art. 7; Art. 16
Vogelschutz-Richtlinie
Art. 4
Stichworte:
Verkehrslandeplatz; Alternativenprüfung; Standortalternative; Vogelschutzge-
biet; Wechsel des Schutzregimes; Artenschutz; Erhaltungszustand; Verbands-
klage; Präklusion.
Leitsätze:
1. Der Ausbau und die zivile Mitbenutzung eines zur Zeit militärisch genutzten
Flugplatzes kann nur dann eine zumutbare Alternativlösung für den Ausbau
eines zivilen Verkehrslandeplatzes darstellen, wenn die mit dem Vorhaben an-
gestrebten Ziele auch dort realistischerweise innerhalb eines absehbaren Zeit-
raums verwirklicht werden können.
2. Wenn die Erklärung des betreffenden Vogelschutzgebiets im Einklang mit
den Anforderungen des Europäischen Naturschutzrechts erfolgt ist, steht der
Umstand, dass das Bundesland an anderer Stelle ein weiteres Vogelschutzge-
biet hätte ausweisen müssen, dem Regimewechsel (Art. 7 FFH-RL) nicht ent-
gegen.
Beschluss des 4. Senats vom 3. Juni 2010 - BVerwG 4 B 54.09
I. OVG Koblenz vom 08.07.2009 - Az.: OVG 8 C 10399/08 -