Urteil des BVerwG vom 02.08.2004

Grundstück, Verfahrensmangel, Zumutbarkeit, Einkaufszentrum

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 54.04
OVG 1 LB 40/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. August 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 14. April 2004 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision
nicht.
1. Die Beschwerde entnimmt den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils, dass
das Oberverwaltungsgericht die Eigenart der näheren Umgebung des Grundstücks
der Klägerin und des Baugrundstücks als ein Gewerbegebiet im Sinne des § 8
BauNVO eingeordnet habe. Hieran anknüpfend macht sie als Verfahrensmangel gel-
tend, dass das Urteil keinerlei Ausführungen dazu enthalte, dass das streitige Ein-
kaufszentrum gegen § 8 BauNVO verstoße und ob und aus welchen Gründen die
Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten verletzt sei. Die Entscheidung
sei insoweit unter Verstoß gegen § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen.
Der geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Beschwerde misst den
Ausführungen des Berufungsurteils zur näheren Umgebung des Grundstücks der
Klägerin und des Baugrundstücks eine Bedeutung zu, die ihnen nicht zukommt. Das
Berufungsgericht ist nicht - wie die Beschwerde meint - davon ausgegangen, dass
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die Eigenart der für die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB
maßgeblichen näheren Umgebung einem Gewerbegebiet entspricht. Es hat einen
Abwehranspruch der Klägerin gegen das Vorhaben der Beigeladenen gemäß § 34
Abs. 2 BauGB i.V.m. der Baunutzungsverordnung verneint, weil die Grundstücke
beider Beteiligten nicht, wie hierzu erforderlich, "einem" der in den §§ 2 ff. BauNVO
geregelten Baugebiete zuzuordnen seien (UA S. 11). Soweit es auf die Bebauung
beiderseits der K.straße bis zur Einmündung der J.straße oder der D.straße abge-
stellt hat, kam die Einordnung als Gewerbegebiet schon wegen der Wohnbebauung
südwestlich der K.straße nicht in Betracht. Das Berufungsgericht führt in diesem Zu-
sammenhang aus, dass die Wohnbebauung im Knie von K.- und J.straße von zu
geringem Gewicht sei, um dem Bereich nordöstlich der K.straße einen anderen Cha-
rakter als den eines reinen Gewerbegebietes zu verleihen. Damit erklärt es diesen
Bereich der Bebauung jedoch weder zur maßgebenden näheren Umgebung im Sin-
ne von § 34 Abs. 2 BauGB noch zu einem Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO). Es legt
lediglich dar, dass die - bezogen auf die Bebauung beiderseits der K.straße - allein in
Betracht kommende Annahme eines Mischgebietes an der hierfür kennzeichnenden
Durchmischung von Wohnen und Gewerbe scheitere (vgl. UA S. 12).
Soweit es den "ersten Grundstücksstreifen" am Westrand des Karrees von H.-, G.-,
J.- und K.straße in den Blick nimmt, verneint es die Anwendung des § 34 Abs. 2
BauGB, weil die Betrachtung nicht auf diesen Grundstücksstreifen begrenzt werden
könne; in dem genannten Karree dominiere die gewerbliche, zum Teil an ein Son-
dergebiet Einzelhandel heranreichende Bebauung in einem Umfang, dass eine Re-
duzierung der Betrachtung auf den genannten Geländestreifen bauplanungsrechtlich
den Gegebenheiten nicht entsprechen würde (vgl. UA S. 13). Auch damit erklärt es
das genannte Karree jedoch nicht zu einem "faktischen" Gewerbegebiet.
Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht daraus, dass die Klägerin nach Auffas-
sung des Berufungsgerichts gegenüber dem An- und Abfahrtsverkehr zum Vorhaben
des Beigeladenen nur den Schutzanspruch erheben kann, den im Gewerbegebiet
gelegene Grundstücke genießen (vgl. UA S. 14). Insoweit prüft das Berufungsgericht
nicht mehr Nachbarrechte nach den vom Senat in seinem Urteil vom 16. September
1993 - BVerwG 4 C 28.91 - (BVerwGE 94, 151) zu § 34 Abs. 2 BauGB entwickelten
Grundsätzen, sondern - ausgehend davon, dass die nähere Umgebung nicht einem
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in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiet entspricht - das Gebot der
Rücksichtnahme. Lediglich im Hinblick auf die Zumutbarkeit des dem Vorhaben zu-
zurechnenden Verkehrslärms hält es das Grundstück der Klägerin für mit einem im
Gewerbegebiet gelegenen Grundstück vergleichbar.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst. Die von ihr aufgeworfenen Grundsatzfragen würden sich in ei-
nem Revisionsverfahren nur stellen, wenn das Berufungsgericht davon ausgegangen
wäre, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem Gewerbegebiet entspricht.
Das hat es - wie bereits dargelegt - nicht getan.
3. Aus diesem Grund liegt auch die geltend gemachte Abweichung des Berufungsur-
teils von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. September
1993 - BVerwG 4 C 28.91 - (BVerwGE 94, 151) und vom 24. Februar 2000 - BVerwG
4 C 23.98 - (BRS 63 Nr. 80) nicht vor. Das Berufungsgericht hat weder den Rechts-
satz aufgestellt, dass auf die Bewahrung der Gebietsart kein Schutzanspruch be-
steht, noch den Rechtssatz, dass der Nachbarschutz entfällt, wenn eine schutzni-
veauverschlechternde Entwicklung nicht eintreten kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streit-
wertfestsetzung auf § 72 Nr. 1 GKG n.F. i.V.m. § 14 Abs. 1 und 3 sowie auf § 13
Abs. 1 Satz 1 GKG a.F.
Dr. Paetow
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Philipp