Urteil des BVerwG vom 30.11.2009

Verwaltungsakt, Vorkaufsrecht, Anfechtungsklage, Prozessvoraussetzung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 52.09
OVG 1 KO 825/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsge-
richts vom 8. April 2009 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beige-
ladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Er-
folg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen:
„Handelt es sich um einen einzigen, einheitlichen Verwal-
tungsakt im Sinne von § 35 ThürVwVfG …, wenn die Be-
klagte als Verwaltungsbehörde unter Verletzung von Be-
kanntmachungsvorschriften und unter Verletzung der Be-
lehrungsverpflichtung gemäß § 58 VwGO mit bis auf das
Adressfeld und die Anrede identischen Schreiben gleichen
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Datums, Aktenzeichens, Schreibensinhalt und Aufbau das
Vorkaufsrecht gegenüber den Klägern als Grund-
stückskäufer und dem Beigeladenen als Grundstücksver-
käufer nach § 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ausübt? Tritt hierbei
die Lehre vom Verwaltungsakt nach dem äußerlichen Er-
scheinungsbild zurück, so dass gemäß des Grundsatzes
der Gewährung effektiven Rechtsschutzes die Kläger mit
Widerspruch und Anfechtungsklage voll umfänglich die
Ausübung des Vorkaufsrechts durch die Beklagte als Be-
hörde angegriffen haben?“
Diese Frage ist, soweit sie der revisionsgerichtlichen Klärung bedarf und sich in
einem Revisionsverfahren stellen würde, einer rechtsgrundsätzlichen Klärung
nicht zugänglich.
Gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB kann das Vorkaufsrecht nur binnen zwei
Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags durch Verwaltungsakt gegenüber
dem Verkäufer ausgeübt werden. Dass die Ausübung des Vorkaufsrechts ge-
genüber dem Verkäufer ein Verwaltungsakt ist, ergibt sich mithin unmittelbar
aus dem Gesetz. Die Ausübung des Vorkaufsrechts hat den Charakter eines
privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakts. Sie stellt sich auch gegenüber dem
Käufer als belastender Verwaltungsakt dar, gegen den sich dieser mit Wider-
spruch und Anfechtungsklage wehren kann. Das ist in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Beschlüsse vom 25. Mai 1982 - BVerwG
4 B 98.82 - BRS 39 Nr. 96 und vom 15. Februar 2000 - BVerwG 4 B 10.00 -
BRS 63 Nr. 130). Auch das Oberverwaltungsgericht hat dies nicht in Abrede
gestellt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage gegen die Ausübung des Vorkaufs-
rechts, die die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen als Verkäufer erklärt hat,
als unzulässig angesehen, weil die Kläger hiergegen keinen Widerspruch erho-
ben hätten. Den Widerspruch, den die Kläger erhoben haben, hat das Ober-
verwaltungsgericht dahin ausgelegt, dass er sich ausschließlich gegen einen an
sie als Käufer gerichteten Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts
richte. Dieses Auslegungsergebnis stützt es auf die anwaltlichen Ausführungen
im Widerspruchsschreiben und in der Klageschrift (UA S. 8). Der Sache nach
möchten die Kläger geklärt wissen, ob diese Auslegung ihres Widerspruchs
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richtig ist. Die zweite, hier im Wortlaut nicht wiedergegebene Frage, die die Be-
schwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnet, ist ausdrücklich hierauf gerichtet
und bestätigt dies. Der Auslegung eines konkreten Widerspruchs kommt aber
eine fallübergreifende, grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Insoweit gilt nichts
anderes als für die Auslegung des Inhalts eines konkreten Verwaltungsakts
(vgl. hierzu Beschlüsse vom 30. Mai 2000 - BVerwG 11 B 18.00 - juris).
2. Die Beschwerde ist der Auffassung, dass das nach ihrer Auffassung fehler-
hafte Auslegungsergebnis zugleich einen Verfahrensfehler darstelle. Das Ober-
verwaltungsgericht habe, indem es nicht nur das Widerspruchsschreiben, son-
dern auch die Klageschrift herangezogen habe, Auslegungsgrundsätze verletzt.
Damit ist ein Verfahrensmangel nicht bezeichnet. Die Grundsätze über die Aus-
legung von Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) sind nicht dem Verfahrens-,
sondern dem materiellen Recht zuzurechnen. Auch eine Entscheidung durch
Prozessurteil anstatt durch Sachurteil stellt nur dann einen Verfahrensfehler
dar, wenn sie auf einer fehlerhaften Anwendung prozessualer Vorschriften be-
ruht, die Vorinstanz etwa die dort verwendeten Begriffe verkannt hat. Ist die
Vorinstanz hingegen deshalb zu einem Prozessurteil gelangt, weil sie den
Sachverhalt infolge ihrer materiellrechtlichen Beurteilung unter eine zutreffend
erkannte Prozessvoraussetzung fehlerhaft subsumiert hat, liegt kein Verfah-
rensfehler, sondern ein materiellrechtlicher Mangel des Urteils vor (stRspr; vgl.
Beschlüsse vom 28. Juli 2006 - BVerwG 7 B 56.06 - ZOV 2006, 373 und vom
13. August 2009 - BVerwG 7 B 30.09 - juris Rn. 14). So liegt es hier.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Jannasch
Dr. Philipp
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