Urteil des BVerwG vom 03.02.2004

Selbsthilfe, Kritik, Anwendungsbereich, Offenkundig

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 5.04
VGH 15 B 02.1578
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. Februar 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l , H a l a m a und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts-
hofs vom 20. Oktober 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen,
die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 112 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das
Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen der behaupteten
Abweichung der angefochtenen Entscheidung von einer höchstrichterlichen Ent-
scheidung oder wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers zuzulassen ist.
Zu Unrecht meint die Beschwerde, das Urteil des Berufungsgerichts stehe mit dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 -
(BVerwGE 109, 314) nicht im Einklang. Das Berufungsurteil enthält keinen entschei-
dungstragenden abstrakten Rechtssatz, der einem ebensolchen Rechtssatz in der
angegebenen Senatsentscheidung widerspricht. Die Berufungsentscheidung sieht
ein kurzzeitiges Schließen der Fenster in Wohnräumen, die der Schallquelle zuge-
wandt sind, als dem Bauherrn mögliche und zumutbare Maßnahmen der "architekto-
nischen Selbsthilfe" zur Minderung der eigenen Lärmbetroffenheit an. Eine Aussage,
die dem entgegenstünde, enthält das Urteil vom 23. September 1999 nicht. Der Se-
nat erkennt darin weder ausdrücklich noch konkludent nur eine von der Immissions-
quelle abgewandte Anordnung von Wohnräumen und ihrer notwendigen Fenster als
Maßnahme "architektonischer Selbsthilfe" an. Die im Urteil im Einzelnen aufgezähl-
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ten baulichen Gestaltungsmittel und Vorkehrungen sind beispielhaft genannt ("z.B.")
und ergeben keinen als abschließend zu verstehenden Maßnahmenkatalog.
Der Vorwurf an das Berufungsgericht, dem Kläger das rechtliche Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG) abgeschnitten zu haben, entbehrt der Berechtigung. Das Gebot des
rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten
zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist aller-
dings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht
nicht nachgekommen ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 -
BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Davon kann vorliegend keine Rede sein. Das Beru-
fungsgericht hat sich mit der im Berufungsverfahren vorgebrachten Ansicht des Klä-
gers, die dem Beigeladenen nach Art. 70 Abs. 1 BayBO gestattete Abweichung von
den Abstandsvorschriften sei rechtswidrig, auseinander gesetzt und sie durch die
Bezugnahme auf seine Ausführungen zu § 34 Abs. 1 BauGB im Kern mit der Be-
gründung verworfen, das Interesse des Klägers an einem spiegelbildlichen Grenzbau
sei bislang rein theoretischer Natur und als bloße Option für die Zukunft nicht schutz-
würdig. Die an dieser Rechtsauffassung geäußerte Kritik der Beschwerde geht am
Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG vorbei. Die Vorschrift schützt nicht vor
einer als handgreiflich falsch empfundenen Anwendung sachlichen Rechts. Aus der
von der Beschwerde zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
30. Januar 1985 - 1 BvR 876/84 - (BVerfGE 69, 145 <149>) ergibt sich nichts ande-
res. Darin wird nicht die offenkundig unrichtige Anwendung jedweder Vorschrift als
Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG gewertet, sondern nur die offensichtlich unzutref-
fende Handhabung von Präklusionsvorschriften. Das ist in der Tat zwingend, weil
Präklusionsvorschriften die Gerichte daran hindern, sich mit dem präkludierten Vor-
bringen eines Beteiligten überhaupt zu befassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die
Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Lemmel
Halama
Gatz