Urteil des BVerwG vom 27.10.2008

Raumordnung, Regionalplan, Begriff, Kritik

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 49.08
VGH 1 B 05.1104
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2008
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 26. Juni 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt erfolglos.
1. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
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1.1 Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe unter Verletzung des
Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) außer
Acht gelassen, dass die Begründungskarte des Regionalplans für die Region
Südostbayern im Abschnitt B I 2 („Windkraftanlagen und Antennenträger“) von
einem „Anschlussgebiet“ für die vorgenannten Vorhaben spreche und dass in
der Begründung zum Abschnitt B VII 7.2 formuliert werde, hohe Antennenträger
(über 30 m Höhe) seien in den südlichen Tourismusgebieten der Region „aus-
geschlossen“. Aus diesen Formulierungen folge, dass der Regionalplan entge-
gen der Ansicht des Berufungsgerichts für Windkraft- und Antennenträger glei-
chermaßen eine abschließende Entscheidung getroffen und auch für Anten-
nenträger ein Ausschlussgebot als Ziel der Raumordnung (§ 3 Nr. 2 ROG) und
nicht nur ein Vermeidungsgebot in der Gestalt eines Grundsatzes der Raum-
ordnung (§ 3 Nr. 3 ROG) festgelegt habe.
Damit zeigt die Beschwerde keinen Verfahrensfehler auf. Das Berufungsgericht
hat durchaus zur Kenntnis genommen, dass der Mobilfunkmast, der um knapp
5 m erhöht werden soll, in einem Bereich steht, der in dem vom Regionalplan
umschriebenen „Ausschlussgebiet“ liegt. Die Vorinstanz gibt die entsprechen-
den Passagen aus der Begründung des Regionalplans zur Festlegung unter
B I 2 auf S. 11 seines Urteils im Wortlaut wieder und verwendet diesen Begriff
auch selbst in den tragenden Gründen seines Urteils (UA S. 15). Nach ihrer
Ansicht steht der im Regionalplan verwendete Begriff des „Ausschlussgebiets“
der Einordnung der umstrittenen Festlegungen unter B I 2 und B VII 7.2 als
Grundsätze der Raumordnung i.S.v. § 3 Nr. 3 ROG nicht entgegen (vgl. UA
S. 13 bis 16). Der Sache nach richtet sich die Verfahrensrüge der Beschwerde
gegen die Richtigkeit der tatrichterlichen Sachverhalts- und Beweiswürdigung
sowie gegen die vorinstanzliche Auslegung einer Vorschrift des irrevisiblen
Landesrechts. Eine solche Urteilskritik kann einen Verfahrensmangel i.S.v.
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen. Fehler in der Sach-
verhalts- und Beweiswürdigung sind - wenn sie denn vorlägen, wofür hier nichts
spricht - revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem
materiellen Recht zuzurechnen (Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG
9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 = DVBl 1996, 108; stRspr). So
liegt es hier.
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1.2 Aus den vorstehenden Gründen muss auch die Rüge der Beschwerde er-
folglos bleiben, das Berufungsgericht habe bei der Auslegung des Regional-
plans die Festlegung unter B VII 7.5 nicht berücksichtigt, die vorsehe, dass
Richtfunkstrecken ausgebaut und von störender Bebauung freigehalten werden
sollen. Auch hinter dieser Verfahrensrüge verbirgt sich eine inhaltliche Kritik an
der tatrichterlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsauslegung. Ein Verstoß
gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung in § 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO kann nicht dargetan werden, indem der Sachverhaltswürdigung der Tat-
sacheninstanz eine eigene, davon abweichende Einschätzung entgegengesetzt
wird.
2. Der Rechtssache kommt auch nicht die grundsätzliche Bedeutung zu, die ihr
die Klägerin beimisst.
Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob Mobilfunkanla-
gen von Art. 87f Abs. 1 GG erfasst werden, der bestimmt, dass der Bund im
Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend ange-
messene und ausreichende Dienstleistungen gewährleistet.
Die aufgeworfene Frage zielt auf die Ansicht des Berufungsgerichts, der Ge-
währleistungsauftrag in Art. 87f Abs. 1 GG spreche dagegen, die umstrittenen
Festlegungen des Regionalplans zur Vermeidung hoher Antennenträger als
Ziele der Raumordnung (§ 3 Nr. 2 ROG) einzuordnen (UA S. 14 f.). Die Vorin-
stanz führt hierzu aus, der Gewährleistungsauftrag richte sich zwar in erster
Linie an den Bundesgesetzgeber und lasse diesem einen erheblichen Ent-
scheidungsspielraum bei der Umsetzung. Die Vorschrift erhöhe aber auch das
Gewicht der Belange der Mobilfunkanbieter im Rahmen von Abwägungs- bzw.
Ermessensentscheidungen. Hiermit wäre ein pauschales, rund ein Drittel der
gesamten Region erfassendes Errichtungsverbot (mit Zielcharakter) für mehr
als 30 m hohe Antennenträger, von denen nur aus tatsächlichen Gründen in
unvermeidbaren Fällen abgewichen werden dürfe, nicht zu vereinbaren. Die
Auslegung des „Vermeidungsgebots“ als Grundsatz der Raumordnung führe
hingegen zu einem sachgerechten, den Gewährleistungsauftrag ausreichend
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berücksichtigenden Ergebnis: Im Hinblick auf die besondere Schutzwürdigkeit
des „Ausschlussgebiets“ müsse auf die Errichtung von hohen Antennenträgern
verzichtet werden, soweit dies nicht unter Berücksichtigung vor allem einer ge-
ringeren Schutzwürdigkeit des betroffenen Teils des Gebiets und des für die
Vermeidung erforderlichen Aufwandes unverhältnismäßig erscheine (vgl. UA
S. 14 bis 15).
Die von der Beschwerde als klärungsbedürftig angesehene Frage rechtfertigt
die Zulassung der Revision nicht, weil auf der Grundlage der berufungsgericht-
lichen Rechtsausführungen in dem angestrebten Revisionsverfahren offen blei-
ben könnte, ob Art. 87f Abs. 1 GG den Belangen der Mobilfunkanbieter im
Rahmen von Abwägungs- bzw. Ermessensentscheidungen ein erhöhtes Ge-
wicht verleiht.
Neben dem aus Art. 87f Abs. 1 GG abgeleiteten Argument führt das Beru-
fungsgericht selbständig tragend weitere Gründe dafür an, dass die umstritte-
nen Festlegungen des Regionalplans zur Standortsteuerung hoher Antennen-
träger nicht als Ziele, sondern als Grundsätze der Raumordnung aufzufassen
seien. Ausgangspunkt seiner Ausführungen und entscheidungstragend sind die
Erwägungen, dass die Festlegungen für „große Antennenträger“ - im Gegen-
satz zu den Regelungen für die Windkraftanlagen - nicht i.S.v. § 3 Nr. 2 ROG
abschließend abgewogen seien und als Vorgaben mit Zielcharakter auch nicht
das Ergebnis einer ordnungsgemäßen regionalplanerischen Abwägung hätten
sein können. Diesen Standpunkt stützt das Berufungsgericht zunächst auf den
Wortlaut des Regionalplans, der für „hohe Windkraftanlagen“ und „große An-
tennenträger“ unterschiedliche Formulierungen verwende. Das wird im Einzel-
nen näher ausgeführt (UA S. 14 Rn. 54).
Dass ein Errichtungsverbot mit Zielcharakter die Belange der Beigeladenen und
anderer Mobilfunkanbieter nicht ausreichend berücksichtigen würde, führt das
Berufungsgericht ferner („im Übrigen“) auf die geringe Schutzwürdigkeit des
Teilgebiets zurück, in dem das Vorhaben der Beigeladenen verwirklicht werden
soll (UA S. 15 Rn. 56). In seiner Auffassung, dass die umstrittenen Festlegun-
gen des Regionalplans der Ergänzung durch eine einzelfallbezogene „Verhält-
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nismäßigkeitsprüfung“ auf der Zulassungsebene bedürfen, sieht es sich
schließlich durch Überlegungen zum naturschutzrechtlichen Vermeidungsgebot
(§ 19 Abs. 1 BNatSchG) und zur „nachvollziehenden Abwägung“ bei der An-
wendung von § 35 BauGB bestätigt (UA S. 15 Rn. 57). Vor diesem rechtlichen
Hintergrund sind die auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützten Er-
wägungen des Berufungsgerichts geeignet, sein Auslegungsergebnis unab-
hängig davon mitzutragen, ob Mobilfunkeinrichtungen vom Gewährleistungsin-
halt des Art. 87f Abs. 1 GG erfasst werden. Der beschließende Senat misst da-
her der Ansicht der Vorinstanz, Art. 87f Abs. 1 GG erhöhe das Gewicht der Be-
lange der Mobilfunkanbieter im Rahmen von Abwägungs- und Ermessensent-
scheidungen, im Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe keine entschei-
dungstragende Bedeutung bei.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO,
die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rojahn
Gatz
Dr. Bumke
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