Urteil des BVerwG vom 12.07.2006

Gemeinde, Ausschluss, Konzentration, Windenergie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 49.06
OVG 8 A 2672/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. März 2006 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
a) Die Beschwerde möchte in dem Revisionsverfahren die Richtigkeit folgender
These geklärt wissen:
„Ein schlüssiges, den gesamten Außenbereich erfassen-
des Plankonzept im Sinne einer Vorbehaltsplanung nach
§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erfordert im Rahmen der Pla-
nung einer Windvorrangfläche grundsätzlich eine voll-
ständige Erfassung der für die Nutzung der Windenergie
geeigneten Potentialflächen. Ob der Planungsträger dem
Gebot, der Windenergienutzung eine substantielle Chance
zu geben, genügt, lässt sich dann, wenn in der Planung
von vornherein nur die windtechnisch am besten geeigne-
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ten Flächen in den Blick genommen werden, nicht mehr
feststellen.“
Die Beschwerde geht mit dieser These von Voraussetzungen aus, die das
Oberverwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Soweit die These entschei-
dungserheblich wäre, wirft sie keine Fragen auf, die der Klärung in einem Revi-
sionsverfahren bedürften.
Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts liegt der 28. Änderung
des Flächennutzungsplans ein Konzept zugrunde, das sich auf den gesamten
Außenbereich der Beigeladenen erstreckt (UA S. 20). Die Beigeladene hat nicht
nur Teile ihres Gemeindegebiets, sondern ihr Gemeindegebiet vollständig auf
die Windhöffigkeit untersuchen lassen (vgl. UA S. 24). Sie hat die Konzent-
rationszone für Windkraftanlagen unter den Flächen ausgewählt, die nach dem
Ergebnis dieser Untersuchung in 50 und 65 m Höhe besonders günstige Wind-
verhältnisse bieten; andere Flächen hat sie auf dieser Grundlage von der weite-
ren Betrachtung ausgenommen (vgl. UA S. 23). Das Oberverwaltungsgericht
hat eine solche Flächenauswahl unter den vorab ermittelten besten Windlagen
des Gemeindegebiets nur dann als mit der gesetzlichen Wertung vereinbar an-
gesehen, wenn bereits dort für die Windenergie in substanzieller Weise Raum
geschaffen und dadurch im Sinne einer geordneten städtebaulichen Entwick-
lung eine Konzentration auf bestimmte Flächen angestrebt werde. Um dies zu
gewährleisten, bedürfe es nicht zwingend einer detaillierten Betrachtung aller
für die Windkraftnutzung geeigneten Flächen im Gemeindegebiet. Es sei daher
nicht sachfremd, eine Grobanalyse anhand einer gemeindegebietsübergreifen-
den Untersuchung der Windhöffigkeit vorzunehmen und in erster Linie die wind-
technisch am besten geeigneten Flächen näher in den Blick zu nehmen. Denn
auf solchen Flächen werde den Belangen der Windkraftnutzung, denen durch
die Ausweisung von Konzentrationsflächen Rechnung getragen werden solle,
am effektivsten entsprochen. Bereits unter diesem Gesichtspunkt könne es
städtebaulich gerechtfertigt sein, für die Windkraftnutzung weniger geeignete
Flächen im Planungsprozess auszuscheiden, ohne sie unter anderen möglichen
Gesichtspunkten näher zu untersuchen. Erst wenn in den besten Windlagen
keine ausreichend großen Flächen gefunden werden könnten, müsse die
Gemeinde notwendig in eine nähere Prüfung der windtechnisch weniger geeig-
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neten Lagen eintreten, um den Belangen der Windkraftnutzung hinreichend
entsprechen zu können (UA S. 24).
Bedenken gegen diese Rechtsauffassung, die die Durchführung eines Revisi-
onsverfahrens erfordern könnten, hat die Beschwerde nicht aufgezeigt. Nach
der Rechtsprechung des Senats setzt der Planungsvorbehalt nach § 35 Abs. 3
Satz 3 BauGB gebietsbezogene Festlegungen des Plangebers über die Kon-
zentration von Windenergieanlagen an bestimmten Standorten voraus, durch
die zugleich ein Ausschluss der Anlagen an anderer Stelle im Plangebiet ange-
strebt und festgeschrieben wird. Der Ausschluss der Anlagen auf Teilen des
Plangebiets lässt sich nach der Wertung des Gesetzgebers nur dann rechtferti-
gen, wenn der Plan sicherstellt, dass sich die betroffenen Vorhaben an anderer
Stelle gegenüber konkurrierenden Nutzungen durchsetzen. Dem Plan muss
daher ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen,
das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsge-
bots gerecht wird. Dagegen ist es einer Gemeinde verwehrt, den Flächennut-
zungsplan als Mittel zu benutzen, das ihr dazu dient, unter dem Deckmantel der
Steuerung Windkraftanlagen in Wahrheit zu verhindern. Mit einer bloßen „Fei-
genblatt“-Planung, die auf eine verkappte Verhinderungsplanung hinausläuft,
darf sie es nicht bewenden lassen. Vielmehr muss sie der Privilegierungsent-
scheidung des Gesetzgebers Rechnung tragen und für die Windenergienutzung
in substanzieller Weise Raum schaffen (vgl. Urteile vom 17. Dezember 2002
- BVerwG 4 C 15.01 - BVerwGE 117, 287 <295>, vom 13. März 2003 - BVerwG
4 C 4.02 - BVerwGE 118, 33 <37> und vom 21. Oktober 2004 - BVerwG 4 C
2.04 - BVerwGE 122, 109 <111>). Wo die Grenze zur unzulässigen
„Negativplanung“ verläuft, lässt sich nicht abstrakt bestimmen; auch das ist in
der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. Urteil vom 13. März 2003 a.a.O.
S. 47; Beschluss vom 28. November 2005 - BVerwG 4 B 66.05 - NVwZ 2006,
339). Maßgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Planungs-
raum; Größenangaben sind, isoliert betrachtet, als Kriterium ungeeignet (vgl.
Urteil vom 17. Dezember 2002 a.a.O.; Beschluss vom 28. November 2005
a.a.O.). Die Relation zwischen der Gesamtfläche der Konzentrationszonen ei-
nerseits und der überhaupt geeigneten Potentialflächen andererseits kann,
muss aber nicht auf das Vorliegen einer Verhinderungsplanung schließen las-
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sen; auch dies hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Oberverwal-
tungsgericht hat dem Umstand, dass die Beigeladene neben der im Flächen-
nutzungsplan dargestellten, für die Windkraftnutzung außerordentlich gut ge-
eigneten Fläche keine weiteren Flächen ausgewiesen hat, im Hinblick darauf,
dass praktisch der gesamte Außenbereich des Gemeindegebiets der Beigela-
denen unter Landschaftsschutz stehe, keine missbilligenswerte Verhinderungs-
tendenz entnehmen können (vgl. UA S. 21). An diese tatrichterliche Würdigung
wäre der Senat in einem Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO ge-
bunden.
Warum es, wenn eine Gemeinde für die Windenergienutzung auf hierzu be-
sonders geeigneten Flächen substanziell Raum schafft, den allgemeinen An-
forderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots widersprechen sollte,
die Errichtung von Windenergieanlagen nur auf diesen Flächen zuzulassen und
die weniger geeigneten Flächen von der weiteren Betrachtung auszunehmen,
zeigt die Beschwerde nicht auf. Eine Verhinderungsplanung liegt nicht schon
dann vor, wenn die Festlegung von Konzentrationszonen zu einer Art Kontin-
gentierung der Anlagenstandorte führt (vgl. Urteile vom 17. Dezember 2002
a.a.O. S. 294 und vom 13. März 2003 a.a.O.). Der Planungsvorbehalt des § 35
Abs. 3 Satz 3 BauGB soll es der Gemeinde ermöglichen, durch eine Kanalisie-
rung der in § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB aufgeführten Vorhaben die städte-
bauliche Entwicklung in ihrem Gemeindegebiet in geordnete Bahnen zu lenken
(vgl. Urteil vom 17. Dezember 2002 a.a.O. S. 293 f.). Dass es sachgerecht ist,
die Konzentrationszonen für Windkraftanlagen in erster Linie unter den Flächen
auszuwählen, die hierfür am besten geeignet sind, versteht sich von selbst.
b) Die Beschwerde möchte außerdem, dass die Richtigkeit folgender These
bestätigt wird:
„Der Vorbehaltswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB
steht die Annahme des Planungsträgers, man habe zu-
nächst ausreichende Flächenreserven geschaffen und
man müsse, falls sich ein größerer Bedarf abzeichne, zu
einem späteren Zeitpunkt über weitere Konzentrationsflä-
chen nachdenken, entgegen. Das gilt zumindest dann,
wenn die tatsächlich ausgewiesene Fläche im Zeitpunkt
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der maßgeblichen Beschlussfassung über den Planent-
wurf bereits ausgeschöpft war und/oder der Planungsträ-
ger dafür ernst zu nehmende Anhaltspunkte hatte.“
Auch diese These wäre so nicht entscheidungserheblich. Soweit sie entschei-
dungserheblich wäre, ergibt sich ihre Unrichtigkeit ohne weiteres aus dem Ge-
setz und der bisherigen Rechtsprechung des Senats.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Aussage der Beigeladenen im Erläute-
rungsbericht, dass in dem ausgewiesenen Gebiet „zunächst ausreichende Flä-
chenreserven“ vorhanden seien, im Kontext der Flächennutzungsplanung, de-
ren Aufgabe gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 BauGB die Darstellung der sich aus der
beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung ergebenden Art der Bodennutzung
nach den voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde sei, so verstanden, dass
diese Fläche nach Ansicht der Beigeladenen genügte, um der Windkraft im
Rahmen der beabsichtigten städtebaulichen Entwicklung einen ihrer Privile-
gierung und den im Erläuterungsbericht angeführten Planungsvorgaben des
Landesentwicklungsplans NRW gerecht werdenden Stellenwert einzuräumen
(UA S. 23). An diese Auslegung des Erläuterungsberichts wäre der Senat in
einem Revisionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden. Dass der
Planungsträger bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächen-
nutzungsplan angenommen habe, dass sich ein größerer, auf den ausgewiese-
nen Flächen nicht angemessen zu befriedigender Bedarf abzeichne, hat das
Oberverwaltungsgericht mithin nicht festgestellt. Der Hinweis des Planungsträ-
gers, unter geänderten tatsächlichen Umständen zu einem späteren Zeitpunkt
über weitere Konzentrationsflächen nachdenken zu wollen, steht der Rechtmä-
ßigkeit einer Planung, die den im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flä-
chennutzungsplan voraussehbaren Bedürfnissen der Gemeinde angemessen
Rechnung trägt, nicht entgegen. Das ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz;
gemäß § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist für die Abwägung die Sach- und Rechts-
lage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Flächennutzungsplan maß-
gebend.
Dass es auf die Anzahl der bereits genehmigten oder errichteten Windenergie-
anlagen in der Planungsregion bei der Gegenüberstellung von Positivauswei-
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sungen und Ausschlussflächen nicht ankommt, ist in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt (vgl. Urteil vom 13. März 2003 a.a.O.
S. 48). Ob die ausgewiesene Fläche bei der Beschlussfassung über den Flä-
chennutzungsplan erkennbar schon ausgeschöpft war, ist - wie das Oberver-
waltungsgericht zu Recht angenommen hat - für die Frage, ob der Flächennut-
zungsplan für die Windenergienutzung in substanzieller Weise Raum schafft,
nicht relevant (vgl. UA S. 22 f.).
2. Die geltend gemachte Abweichung des angefochtenen Urteils von den Urtei-
len des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2002 - BVerwG 4 C
15.01 - (a.a.O.) und vom 13. März 2003 - BVerwG 4 C 4.02 (a.a.O.) und 4 C
3.02 (Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 356) - liegt nicht vor. Die Thesen, die
die Beschwerde im Rahmen der Grundsatzrüge aufgestellt hat, lassen sich den
genannten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts nicht entnehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp
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