Urteil des BVerwG vom 23.10.2002

Verkehr, Weisung, Anteil, Rüge

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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 49.02
VGH 8 B 01.1170
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. R o j a h n und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des
Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom
10. April 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdever-
fahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 59 304 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO ge-
stützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
a) Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig
gehaltene Frage, wann Straßen einem weiträumigen Verkehr im
Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG "dienen oder zu dienen be-
stimmt" und wie die alternativ genannten Tatbestandsmerkmale
voneinander abzugrenzen sind, rechtfertigt keine Zulassung
der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Der Frage fehlt
die für eine Zulassung erforderliche Klärungsbedürftigkeit.
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer
Vorschrift enthält gleichzeitig eine erst im Revisionsverfah-
ren zu klärende Fragestellung. Das Zulassungsbeschwerdever-
fahren dient nicht dazu, die Beachtung der Bundesrechtskon-
formität zu sichern. Vielmehr ist nach seiner Zielsetzung die
Zulassung der Revision davon abhängig, dass der im Rechts-
streit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des
Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine
Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung
verlangt. Das ist dann nicht der Fall, wenn sich die Antwort
auf die aufgeworfene Frage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt.
So liegt es hier.
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG sind Bundesstraßen des Fernver-
kehrs (Bundesfernstraßen) öffentliche Straßen, die ein zusam-
menhängendes Verkehrsnetz bilden (Netzzusammenhang) und einem
weiträumigen Verkehr dienen oder zu dienen bestimmt sind
(Verkehrsbedeutung). Aus der Verwendung der Konjunktion
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"oder" ergibt sich, dass die Verkehrsbedeutung einer Straße
als Bundesfernstraße sowohl durch das tatsächliche Ver-
kehrsaufkommen ("dienen") als auch durch die der Straße zuge-
dachte Verkehrsfunktion ("zu dienen bestimmt") erreicht wer-
den kann. Dass beide Kriterien einander nicht gleichzusetzen
sind, sondern gleichberechtigt nebeneinander stehen
(Marschall/Schröter/Kastner, Bundesfernstraßengesetz,
5. Aufl., § 1 Rn. 22, S. 48), entspricht auch dem Willen des
Gesetzgebers, der der Vorschrift, die in ihrer Ursprungsfas-
sung vom 6. August 1953 (BGBl I S. 903) nur darauf abstellte,
dass die Straße einem weiträumigen Verkehr zu dienen bestimmt
war, durch das Gesetz zur Änderung des Fernstraßengesetzes
vom 10. Juli 1961 (BGBl I S. 877) den heutigen Wortlaut ver-
liehen hat. Mit der Änderung des § 1 Abs. 1 FStrG ist das mit
der Einteilung der Straßen in bestimmte Gruppen verfolgte An-
liegen des Gesetzgebers optimiert worden, die Straßenbaulast
und die Verkehrssicherungspflicht derjenigen Körperschaft zu
überantworten, der eine Straße am meisten nützt.
Angesichts der Gesetzeslage kann ohne weiteres und ohne
Durchführung eines Revisionsverfahrens die rechtliche Aussage
getroffen werden, dass eine dem weiträumigen Verkehr dienende
und bislang zu dienen bestimmte Straße auch dann eine Bundes-
straße bleibt, wenn die zuständige Behörde mit ihrer Konzep-
tion, der Straße die Bestimmung für den weiträumigen Verkehr
zu nehmen, scheitert. Dagegen dient die Straße nicht mehr dem
weiträumigen Verkehr, wenn der Anteil dieses Verkehrs hinter
dem Anteil jeder Art der übrigen Verkehrsvorgänge zurück-
bleibt (Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., Kap. 9
Rn. 15.2, S. 263; Marschall u.a., a.a.O., § 1 Rn. 23, S. 49).
Ob das Berufungsurteil diesen Maßstäben gerecht wird, ist ei-
ne Frage seiner Richtigkeit. Auf deren Prüfung zielt das Zu-
lassungsbeschwerdeverfahren aber nicht. Ohne dass es darauf
noch ankäme, weist der Senat darauf hin, dass die tatsächli-
chen Feststellungen des Berufungsgerichts allerdings dafür
sprechen, dass die B 303 alt, die durch den Ort Schirnding
hindurchführt, nicht mehr dem weiträumigen Verkehr dient;
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denn die B 303 neu, die zur Entlastung der Ortsdurchfahrt um
den Ort Schirnding herumführt, erfüllt ihre Funktion an den
Tagen ohne Rückstau vor der deutsch-tschechischen Grenze
vollständig und an den von Stauungen betroffenen Tagen zumin-
dest zeitweise.
b) Die Revision ist auch nicht zum Zweck der Auslegung des
§ 2 Abs. 4 FStrG zuzulassen. Hiernach ist eine Bundesfern-
straße, bei der die Voraussetzungen des § 1 weggefallen sind,
entsprechend ihrer Verkehrsbedeutung in die sich aus dem Lan-
desrecht ergebenden Straßenklasse abzustufen. Es ergibt sich
unmittelbar aus § 2 Abs. 4 FStrG und wird auch vom Berufungs-
gericht nicht verkannt, dass sich die auf der Rechtsfolgesei-
te der Norm angesiedelte Frage, in welche niedrigere Straßen-
klasse eine Straße ihrer Verkehrsbedeutung nach einzuordnen
ist, erst stellt, nachdem auf der Tatbestandsseite festge-
stellt ist, dass die Straße die Voraussetzungen des § 1 FStrG
nicht mehr erfüllt. Die neue Einstufung ist nach dem jeweili-
gen Landesrecht vorzunehmen. Welche Kriterien dieses nennt,
ist einer revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen (§ 137
Abs. 1 VwGO, § 173 VwGO, § 560 ZPO). Daraus ergibt sich für
das Merkmal des § 2 Abs. 4 FStrG, wonach die Bundesstraße
"entsprechend" der (ihr verbleibenden) "Verkehrsbedeutung"
abzustufen ist, dass ihm neben der Verweisung des § 2 Abs. 4
FStrG auf das Landesstraßenrecht keine selbständige Bedeutung
im Sinne eines eigenständig-bundesrechtlichen Begriffs zu-
kommt. Auch mit diesem Merkmal verweist § 2 Abs. 4 FStrG
vielmehr auf jeweilige Landesstraßenrecht, das seinerseits in
allen Landesstraßengesetzen für die dort vorgesehene Klassi-
fizierung der Straßen auf das - danach in diesem Zusammenhang
durch eben das Landesrecht bestimmte - Merkmal der Verkehrs-
bedeutung abstellt (BVerwG, Urteil vom 22. August 1979
- BVerwG 4 C 34.76 - Buchholz 407.4 § 2 FStrG Nr. 1).
c) Die – in ihrem Sinngehalt nur schwer erfassbare - Frage,
"ob es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Umstu-
fungsverfügung gemäß § 2 Abs. 4 BFStrG nur auf innerhalb des
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Straßenverkehrs selbst liegende Gründe ankommt und im weite-
ren, ob das Vorhandensein eines Grenzübergangs und der da-
durch verursachten Verkehrserscheinungen diesen Gründen zuzu-
rechnen sind", vermag die Zulassung der Revision nicht auszu-
lösen, weil ihre Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt
ist. Das Berufungsgericht hält die Abstufung der bisherigen
Ortsdurchfahrt in eine niedrigere Straßenklasse nach dem Bau
einer Ortsumgehung auch dann für gerechtfertigt, wenn die
Ortsdurchfahrt von dem überregionalen Verkehr weiterhin teil-
weise und temporär in Anspruch genommen wird. Etwas anderes
hätte nach seiner Ansicht allenfalls dann zu gelten, wenn die
neue Straße ihre Funktion überhaupt nicht erfüllen würde und
somit keine Verbindung für den weiträumigen Verkehr bestünde.
Dieser Ausnahmefall liegt nicht vor, weil die B 303 neu nach
den Feststellungen des Berufungsgerichts ihre Funktion für
den Fernverkehr an den Tagen ohne Rückstau vor der deutsch-
tschechischen Grenze vollständig und an den von Stauungen be-
troffenen Tagen zumindest zeitweise erfüllt. Damit hat es für
die Frage, ob die B 303 alt ihre Eigenschaft als Bundesfern-
straße verloren hat, sein Bewenden. Im Übrigen ist die aufge-
worfene Frage auf die besonderen tatsächlichen Umstände des
Streitfalles zugeschnitten und deshalb einer verallgemeine-
rungsfähigen Klärung nicht zugänglich.
d) Schließlich führt die Frage, ob § 1 Abs. 1 FStrG "eine
Bundestrasse mit teilweise parallel laufender Zweittrasse
ausschließt", nicht zur Zulassung der Revision. Auch dieser
Frage liegen Besonderheiten des Streitfalles zugrunde, die
sich einer allgemein gültigen Klärung entziehen. Sie würde
sich im Übrigen nur stellen, wenn das Berufungsgericht fest-
gestellt hätte, dass die B 303 alt die tatbestandlichen Vo-
raussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 FStrG noch erfüllt. Die
Rechtsfrage muss aber selbst - so wie sie entschieden worden
ist - von grundsätzlicher Bedeutung sein und nicht erst die
Rechtsfrage, die sich stellen würde, wenn die Rechtssache an-
ders entschieden worden wäre (BVerwG, Beschluss vom 29. Juni
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1992 - BVerwG 3 B 102.91 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker
Nr. 17).
2. Die Rüge, das Berufungsurteil weiche von der Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2000 – 2 BvG 1/96
(BVerfGE 102, 167 ff.) und des Bundesverwaltungsgerichts vom
3. Mai 1988 – BVerwG 4 C 26.84 – (NVwZ 1989, 149 ff.) ab,
führt nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO. Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt
nur vor, wenn die Vorinstanz in Anwendung derselben Rechts-
vorschrift mit einem ihre Entscheidung tragenden Rechtssatz
zu einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
oder Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen
Rechtssatz in Widerspruch tritt (vgl. Beschluss vom
20. Dezember 1995 – BVerwG 6 B 35.95 – NVwZ-RR 1996, 712).
Eine Divergenz zu der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts scheidet schon deshalb aus, weil sich die Entscheidung
nicht mit Art. 28 Abs. 2 GG, den das Berufungsgericht nach
Ansicht der Beschwerde missachtet haben soll, sondern mit
Art. 85 Abs. 3 und Art. 90 Abs. 2 GG befasst. Überdies trifft
es nicht zu, dass sich ihr die Aussage entnehmen lässt, eine
Herabstufung von Bundesfernstraßen gegen den Willen der be-
troffenen Träger der Straßenbaulast sei unzulässig. Die Wei-
sung des Bundes an ein Land, ein Teilstück einer Bundesstraße
in eine Straße nach Landesrecht abzustufen, hat das Bundes-
verfassungsgericht für rechtswidrig erklärt, weil der Bund
mit der Weisung seine Kompetenzen überschritten hatte. Zu der
Frage, ob die Abstufung nur im Einverständnis mit dem Betrof-
fenen hätte ergehen dürfen, hat es sich nicht geäußert. So-
weit die Beschwerde eine Divergenz zu der zitierten Entschei-
dung des Bundesverwaltungsgerichts behauptet, genügt sie
nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO, weil sie keine miteinander unvereinbaren Rechtssätze
herausarbeitet. Indem sie nur die unrichtige Anwendung vom
Bundesverwaltungsgericht entwickelter und vom Berufungsge-
richt auch nicht in Frage gestellter Rechtssätze auf den zu
entscheidenden Einzelfall beanstandet, verkennt sie, dass
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(behauptete) Subsumtionsfehler nicht mit einer Divergenz im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gleichzusetzen sind.
3. Die Zulassung der Revision lässt sich nicht mit § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigen. Die Darlegung der behaupte-
ten Verfahrensmängel genügt nicht den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO. Wird - wie hier - ein Verstoß gegen § 86
Abs. 1 Satz 1 VwGO, der das Gericht zur Erforschung des Sach-
verhalts verpflichtet, beanstandet, muss substanziiert darge-
legt werden, hinsichtlich welches konkreten tatsächlichen Um-
standes ein (weiterer) Aufklärungsbedarf bestand, welche für
geeignet und erforderlich gehaltene Aufklärungsmaßnahme (Be-
weismittel) für das vorinstanzliche Gericht hierfür in Be-
tracht gekommen wäre, welche tatsächliche Feststellung bei
Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung vo-
raussichtlich getroffen worden wäre und inwiefern das (unter-
stellte) Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entschei-
dung hätte führen können. Diesen Erfordernissen wird die Be-
schwerde nicht gerecht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die
Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3,
§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Rojahn Gatz