Urteil des BVerwG vom 09.05.2011

Rechtliches Gehör, Grundstück, Verfahrensmangel, Kritik

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 47.10
OVG 2 L 267/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Mai 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 11. August 2010 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
(grundsätzliche Bedeutung) und des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (Verfahrens-
mangel) rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Der Frage
Ist es ermessensfehlerfrei, eine Beseitigung trotz der für
solche Fälle geregelten Spezialermächtigungen in § 20
Abs. 1 StrG LSA vom Beklagten auf der Grundlage des
§ 79 BauO LSA anzuordnen, wenn ein Verstoß gegen
Vorschriften der Bauordnung oder des Baugesetzbuches
nicht vorliegen?
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie bezieht sich zunächst auf Nor-
men des irrevisiblen Landesrechts, dessen Auslegung und Anwendung vom
Revisionsgericht nicht nachgeprüft wird (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) und die Zu-
lassung der Revision deswegen nicht begründen kann.
Die grundsätzliche Bedeutung der Frage ergibt sich auch nicht daraus, dass die
Beschwerde als Maßstab der Ermessensprüfung die - revisible - Norm des § 40
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VwVfG LSA anführt. Einen gerade diese Norm betreffenden, über eine bloße
Einzelfallentscheidung hinausgehenden und mithin verallgemeinerungsfähigen
Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde entgegen den Anforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht auf.
2. Die Verfahrensrügen der Beschwerde, mit denen sie geltend macht, das
Oberverwaltungsgericht habe wesentlichen Vortrag nicht verwertet und dadurch
ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, greifen nicht durch.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt dem an einem gerichtlichen Verfahren
Beteiligten ein Recht darauf, dass er Gelegenheit erhält, im Verfahren zu Wort
zu kommen, namentlich sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrun-
deliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern, Anträge zu stellen und
Ausführungen zu machen. Dem entspricht die grundsätzliche Pflicht des Ge-
richts, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in
Erwägung zu ziehen. Die Gerichte sind aber nicht verpflichtet, jedes Vorbringen
eines Beteiligten in den Gründen einer Entscheidung ausdrücklich zu beschei-
den. Artikel 103 Abs. 1 GG gewährt auch keinen Schutz gegen Entscheidun-
gen, die den Sachvortrag des Beteiligten aus Gründen des formellen oder ma-
teriellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen; die Vorschrift ver-
pflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu fol-
gen (Beschluss vom 23. August 2006 - BVerwG 4 A 1067.06 u.a. - juris Rn. 3,
stRspr). Auch kann mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung ein Verfahrens-
mangel grundsätzlich nicht bezeichnet werden; die Beweiswürdigung ist regel-
mäßig dem sachlichen Recht zuzuordnen (Beschluss vom 12. Januar 1995
- BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 4).
Gemessen hieran ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerde keine Ver-
letzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
a) Soweit die Beschwerde (unter III. 1. b) aa) und bb)) geltend macht, das Ober-
verwaltungsgericht habe Vorbringen zur fehlenden Befahrbarkeit und Begeh-
barkeit des „Weges hinter der Fabrik“ nicht verwertet, legt sie nicht dar, dass die
Entscheidung der Vorinstanz hierauf beruht. Die von der Beschwerde geltend
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gemachten Umstände, das Tiefbauamt der Gemeinde habe eine Medienverle-
gung in diesem Bereich abgelehnt und es habe vom nördlichen zum südlichen
Bereich ihres Grundstückes keine Zufahrtsmöglichkeiten gegeben, stehen der
entscheidungserheblichen Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Zufahrt
über diesen Weg sei nicht aus tatsächlichen Gründen erheblich erschwert oder
zeitweise sogar unmöglich, nicht entgegen. Das gilt mangels näherer Substanti-
ierung auch für die Behauptung der Klägerin, am Fahrzeug eines Nachbarn
seien beim Befahren des Weges Schäden an der Ölwanne aufgetreten. Von
einer vollständigen Asphaltierung des Weges ist das Oberverwaltungsgericht
jedenfalls nicht ausgegangen.
b) Die Beschwerde legt (unter III. 1. b) cc)) auch nicht dar, dass das Urteil des
Oberverwaltungsgerichts auf unzureichender Verwertung von klägerischem
Vorbringen zum Bestandsschutz der vom Beklagten beanstandeten Zufahrt be-
ruht. Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, die frühere Badeanstalt
könne Bestandsschutz für diese Zufahrt aufgrund der aufgegebenen früheren
und veränderten derzeitigen Nutzung jedenfalls nicht vermitteln, wird durch das
angeblich nicht berücksichtigte Vorbringen der Klägerin, die Badeanstalt habe
sich nicht auf dem streitgegenständlichen Grundstück befunden, nicht in Frage
gestellt. Dass die frühere Zufahrt deswegen Bestandsschutz für die jetzige Zu-
fahrt vermitteln könnte, weil das Grundstück der Klägerin früher in derselben
Weise genutzt wurde wie heute, hat die Klägerin selbst nicht geltend gemacht.
c) Die Kritik der Beschwerde (unter III. 1. b) dd)) an der Auffassung des Ober-
verwaltungsgerichts, die beanstandete Zufahrt liege außerhalb der Ortsdurch-
fahrtsgrenze, lässt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör eben-
falls nicht erkennen. Soweit sich die Beschwerde dagegen wenden will, dass
die Vorinstanz für die Grenzziehung der Ortsdurchfahrt nicht inhaltliche Kriterien
herangezogen, sondern die Festsetzung der Straßenbaubehörde als verbindlich
angesehen hat, wendet sie sich gegen die Auslegung und Anwendung materiel-
len - und zudem irrevisiblen - Rechts. Soweit die Beschwerde beanstandet, das
Oberverwaltungsgericht habe sich zur Bestimmung der getroffenen Festsetzung
ausschließlich auf die Aussage der Straßenbaubehörde gestützt, ohne dass
sich den Verwaltungsvorgängen Entsprechendes entnehmen ließe, übt sie blo-
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ße Kritik an der Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz. Beides kann die Zulas-
sung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nicht rechtfertigen (vgl.
hierzu Beschlüsse vom 29. Oktober 1997 - BVerwG 7 B 336.97 -
nicht veröffentlicht in Buchholz 428.5 § 6 GVO Nr. 1> bzw. vom 2. November
1999 - BVerwG 4 BN 41.99 - ).
d) Mit ihrer Kritik (unter III. 1. b) ee)) an der Feststellung des Oberverwaltungs-
gerichts, der das Grundstück der Klägerin betreffende vorhabenbezogene Be-
bauungsplan sehe eine Zufahrt von der L 77 nicht mehr vor, wendet sich die
Beschwerde wiederum gegen die Auslegung und Anwendung materiellen
Rechts, denen sie lediglich eine eigene, abweichende Interpretation entgegen-
setzt. Soweit sie auch in diesem Zusammenhang auf ihr - angeblich nicht ver-
wertetes - Vorbringen zur Ortsdurchfahrtsgrenze und zur Erschließungsfunktion
der Zufahrt zur L 77 und des „Weges hinter der Fabrik“ Bezug nimmt, gilt das
bereits unter b) und c) Gesagte.
e) Die auch als Aufklärungsrüge bezeichneten Angriffe der Beschwerde (unter
III. 1. b) ff)) gegen die Ablehnung von Beweisanträgen durch die Vorinstanz
greifen nicht durch.
Soweit sie sich auf die von der Klägerin unter Beweis gestellt Tatsache bezie-
hen, dass bereits bis 1999 eine Zufahrt von der L 77 in der Lage der jetzigen
Zufahrt zu ihrem Grundstück bestanden habe, gehen sie schon deswegen fehl,
weil die Vorinstanz diese Tatsache als wahr unterstellt hat (UA S. 10). Die die
daran anschließenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zum Be-
standsschutz betreffenden Einwände der Beschwerde gehen nicht über das
bereits unter b) abgehandelte Vorbringen hinaus und begründen schon deswe-
gen keine Aufklärungsrüge, weil die Beschwerde nicht darlegt, aus welchen
anderen Umständen sich ein Bestandsschutz der Zufahrt ergeben könnte und
zu welchen weiteren Aufklärungsmaßnahmen dies Anlass gegeben hätte (vgl.
zu den Darlegungsanforderungen an eine Aufklärungsrüge Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO
Nr. 26).
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Den weiteren Beweisantrag der Klägerin zu der Tatsache, dass die Stadt See-
hausen die Zufahrt zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses als auch der Be-
kanntmachung der Satzung als Teil des Vorhaben- und Erschließungsbe-
schlusses angesehen habe, hat das Oberverwaltungsgericht aus drei selbstän-
dig tragenden Gründen als nicht entscheidungserheblich abgelehnt. Es erfüllt
nicht die Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung eines
Zulassungsgrundes, wenn sich die Beschwerde mit keiner dieser Begründun-
gen auseinandersetzt.
f) Auch die Einwände der Beschwerde (unter III. 1. b) gg)) gegenüber den Aus-
führungen des Oberverwaltungsgerichts zum Gesichtspunkt des Vertrauens-
schutzes lassen Verfahrensmängel nicht erkennen. Ob sich die Klägerin das
Wissen ihres Ehemannes, das dieser aus dem Telefax der Verwaltungsge-
meinschaft vom 5. April 2002 erlangt hat, zurechnen lassen muss, wovon das
Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist, ist eine Frage der Auslegung und
Anwendung materiellen Rechts, die einen Verfahrensmangel nicht begründen
kann. Dass die Klägerin die auch ihre Zufahrt betreffenden „relevanten Unterla-
gen“ im Rahmen des Baufreistellungsverfahrens vorgelegt hat, hat das Ober-
verwaltungsgericht nicht verkannt (UA S. 4), daraus im Hinblick auf einen mög-
lichen Vertrauenstatbestand jedoch - gemäß § 68 Abs. 8 Satz 3 BauO LSA
2001 zu Recht - andere rechtliche Schlüsse gezogen als sie die Klägerin für
geboten hält. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann sich
daraus ebenso wenig ergeben wie aus der Rechtsauffassung des Oberverwal-
tungsgerichts (UA S. 11), vorhandenen Zufahrten außerhalb der Ortsdurchfahrt
bei Nutzungsänderungen keinen weiteren Bestandsschutz zukommen zu las-
sen.
g) Die Beschwerde rügt (unter III. 1. b) hh)), das Oberverwaltungsgericht habe,
wenn es ausführe, dass die von der Straßenbaubehörde nicht beanstandete
Zufahrt der Familie L. zur L 77 als notwendige Zufahrt zu einem landwirtschaft-
lichen Betrieb nicht mit der Zufahrt der Klägerin vergleichbar sei, den klägeri-
schen Vortrag nicht verwertet, dass sich ein 3 600 m
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großer Karpfenteich auf
ihrem mithin nach wie vor auch landwirtschaftlich genutzten Grundstück befin-
de. Mit diesem Vorbringen legt die Beschwerde aber wiederum nicht dar, dass
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das Urteil auf diesem angeblichen Mangel beruht. Denn der Vergleichbarkeit
der Zufahrten steht jedenfalls entgegen, dass es sich im Falle der Klägerin nicht
um eine „notwendige“ Zufahrt handelt, sondern die Zufahrt zum klägerischen
Grundstück vielmehr nach den nicht erfolgreich mit einer Verfahrensrüge ange-
griffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts über den „Weg hinter der
Fabrik“ möglich ist.
h) Darüber hinaus macht die Beschwerde (unter III. 1. b) ii)) geltend, das Ober-
verwaltungsgericht habe im Rahmen seiner Ermessensfehlerprüfung nicht be-
rücksichtigt, dass es sich beim klägerischen Grundstück um drei Grundstücke
mit je einer Zufahrt handele, dass das Schreiben der Stadt S. eine Befreiung
nach § 31 Abs. 2 BauGB, zumindest aber eine „Zustimmung“ darstelle und dass
der Ehemann der Klägerin erwerbsunfähig und deswegen auf eine Zufahrt zur
L 77 angewiesen sei. Abgesehen davon, dass mangels näherer Darlegungen
schon nicht erkennbar ist, in welcher Weise dieses Vorbringen zur Annahme
eines Ermessensfehlers beitragen könnte, brauchte das Oberverwaltungsge-
richt hierauf schon deswegen nicht einzugehen, weil es nach seiner insoweit
maßgeblichen Sicht aus Rechtsgründen nicht entscheidungserheblich war (vgl.
zu diesem Kriterium Beschluss vom 30. April 2008 - BVerwG 4 B 29.08 - juris
Rn. 3). Denn das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass es we-
gen des Vorliegens von intendiertem Ermessen hier keiner besonderen Abwä-
gung der für und wider das Einschreiten sprechenden Gründe bedurfte.
i) Die übrigen Ausführungen der Beschwerde (unter III. 1. b) jj) und kk)) enthal-
ten kein weitergehendes Vorbringen. Von einer Begründung wird insoweit ab-
gesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO)
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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