Urteil des BVerwG vom 04.11.2008

Standort der Anlage, Windenergieanlage, Landwirtschaftlicher Betrieb, Nebenanlage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 44.08
OVG 12 LB 48/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. November 2008
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und Dr. Bumke
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 29. April 2008 wird zurückgewie-
sen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beige-
ladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 30 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Kläger begehrt (nunmehr) die Erteilung eines Vorbescheids für die Errich-
tung einer Windenergieanlage mit einer Nabenhöhe von 77,70 m, einem Rotor-
durchmesser von 43,7 m und einer Nennleistung von 600 kW. Er ist nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts Vollerwerbslandwirt und bewirtschaftet
einen landwirtschaftlichen Betrieb mit dem Schwerpunkt Schweine- und Hähn-
chenmast (genehmigt: 83 900 Masthähnchen in drei Ställen und 270 Mast-
schweine) und versorgt Pensionspferde.
Das Verwaltungsgericht wies - soweit es um die Frage der Privilegierung nach
§ 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB geht - die Klage des Klägers mit der Begründung ab,
das Vorhaben sei unabhängig davon, welcher Prozentsatz der damit zu gewin-
nenden Energie innerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes des Klägers tat-
sächlich verbraucht werden solle, nicht gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privile-
giert, weil es sich lediglich um die Angliederung eines an sich landwirtschafts-
fremden Betriebsteils an den bestehenden Betrieb handele, die keinen erkenn-
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baren Bezug zur Erzeugung und zum Absatz landwirtschaftlicher Güter aufwei-
se, sondern letztlich aus kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Gründen erfol-
gen solle.
Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 29. April 2008 das Urteil des
Verwaltungsgerichts geändert und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger einen
Vorbescheid über die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu
erteilen. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt: Die geplante Anlage
sei gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert; sie weise einen unmittelbaren
Bezug zum landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers auf (UA S. 11 f.). Es sei
hinreichend nachvollziehbar dargelegt worden, dass der durch die geplante
Windenergieanlage erzeugte Strom überwiegend unmittelbar dem landwirt-
schaftlichen Betrieb des Klägers zugute kommt und nur im Übrigen zu einem
weitaus geringeren Teil in das öffentliche Netz eingespeist werden solle (UA
S. 12 ff.). Der Standort der Anlage befinde sich aufgrund der vorhandenen örtli-
chen Gegebenheiten noch in angemessener räumlicher Nähe zu dem mit
Energie zu versorgenden Betrieb. Im Hinblick auf die Nähe der Anlage zu dem
Wohnhaus des Klägers und zu der Ortslage insgesamt lasse sich nicht sagen,
dass ein vernünftiger Landwirt im Interesse der Schonung des Außenbereichs
die Windkraftanlage näher an die Hofstelle heranrücken würde (UA S. 14). Die
geplante Anlage des Klägers weise zwar mit annähernd 100 m eine durchaus
beachtliche Gesamthöhe auf, dem stehe aber andererseits das Erscheinungs-
bild eines großen landwirtschaftlichen Betriebes gegenüber (UA S. 15 f.). Auch
die übrigen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB seien gegeben (UA
S. 16 f.). Es sei nicht ersichtlich und von dem Beklagten auch nicht eingewandt
worden, dass das Vorhaben Darstellungen des Flächennutzungsplans wider-
spreche (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB) oder schädliche Umwelteinwirkungen
hervorrufen könne (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Belange des Natur-
schutzes und der Landschaftspflege sind nicht nachteilig berührt (§ 35 Abs. 3
Satz 1 Nr. 5 BauGB). Der Umstand, dass die beigeladene Gemeinde mit der
40. Änderung ihres Flächennutzungsplans eine Sonderbaufläche „Windpark“ im
Ortsteil Osterbrock dargestellt habe, könne dem Vorhaben ebenfalls nicht mit
Erfolg entgegengehalten werden, da die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3
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Satz 3 BauGB nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung Vorhaben im Sin-
ne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB nicht erfasse (UA S. 17).
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Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beklagten
hat keinen Erfolg. Die von dem Beklagten als grundsätzlich klärungsbedürftig
aufgeworfene Frage,
ob eine ca. 100 m hohe, im Außenbereich zu errichtende
und ca. 170 m von einem landwirtschaftlichen Voller-
werbsbetrieb zu betreibende Windenergieanlage noch als
untergeordnete Nebenanlage und damit als sogenannter
mitgezogener Betriebsteil an der Privilegierung der
Hauptanlage im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, auch
durch seine äußerlich erkennbare Prägung, teilnimmt,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Wie bereits die Formulierung der
Frage offenbart, wendet sich der Beklagte der Sache nach - im Gewande der
Grundsatzrüge - in erster Linie gegen die Würdigung der Gegebenheiten im
konkreten Einzelfall seitens des Berufungsgerichts. Wie auch das Berufungsge-
richt zutreffend angemerkt hat, lässt sich die Frage, ob eine Windenergieanlage
als untergeordnete Nebenanlage einem gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privi-
legierten Betrieb dient, nicht anhand abstrakter Maßstäbe und Größenverhält-
nisse beantworten. Ob ein Vorhaben im Verhältnis zu dem privilegiert zulässi-
gen Betrieb bodenrechtlich eine „Nebensache“ ist, sich ihm dienend unterord-
net, gegenüber der Hauptnutzung im Hintergrund steht, ist nicht aufgrund einer
typisierenden, sondern einer konkreten Betrachtungsweise des privilegierten
Betriebes und der ihm zugeordneten Nebennutzung zu beurteilen (Beschluss
vom 28. August 1998 - BVerwG 4 B 66.98 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB
Nr. 336).
Soweit die Frage - mit Blick auf den in der Beschwerdebegründung angespro-
chenen Gesichtspunkt des gemeindlichen Planvorbehalts gemäß § 35 Abs. 3
Satz 3 BauGB und den Grundsatz der größtmöglichen Schonung des Außen-
bereichs - über den Einzelfall hinausweist und einer verallgemeinerungsfähigen
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Klärung zugänglich ist, ist sie auf der Grundlage von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB
und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
ohne Weiteres zu beantworten:
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass in den Fällen, in denen ein
landwirtschaftlicher Betrieb vorhanden ist, einzelne Betätigungen, die bei iso-
lierter Betrachtung landwirtschaftsfremd sind, durch ihre betriebliche Zuordnung
zu der landwirtschaftlichen Tätigkeit von dieser gleichsam mitgezogen werden
und damit im Sinne von § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB an der Privilegierung teilneh-
men können. Ist dies der Fall, so kann ein Vorhaben, das diesem Betätigungs-
bereich dient, dem landwirtschaftlichen Betrieb auch dann „dienen“, wenn dies
bei isolierter Betrachtung verneint werden müsste. Gegenüber dem vorhande-
nen landwirtschaftlichen Betrieb muss es sich bei der an sich landwirtschafts-
fremden Betätigung nach wie vor um eine bodenrechtliche Nebensache han-
deln (Beschluss vom 28. August 1998 a.a.O. m.w.N.). Eine im Sinne des § 35
Abs. 1 Nr. 1 BauGB dienende Funktion hat ein Vorhaben (nur) dann, wenn es
dem Betrieb unmittelbar zu- und untergeordnet ist und durch diese Zu- und Un-
terordnung auch äußerlich erkennbar geprägt wird. Hieran fehlt es, wenn es
nach seiner Zweckbestimmung nicht überwiegend im Rahmen der landwirt-
schaftlichen Betriebsführung genutzt werden soll. § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bie-
tet keine Handhabe dafür, einen landwirtschaftlichen Betrieb unter erleichterten
Voraussetzungen um einen von der landwirtschaftlichen Nutzung unabhängigen
gewerblich-kaufmännischen Betriebsteil zu erweitern.
Des Weiteren ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass eine Wind-
energieanlage, die eine privilegierte (Betriebs-)Anlage mit Strom versorgen soll,
als ein untergeordneter Betriebsteil angesehen werden kann (Urteil vom
18. Februar 1983 - BVerwG 4 C 10.82 - BVerwGE 67, 41 zu § 35 Abs. 1 Nr. 5
BBauG; vgl. auch Urteil vom 18. Februar 1983 - BVerwG 4 C 18.81 - BVerwGE
67, 23 zu § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO). Bei der Frage, ob eine im Außenbereich
gelegene Windenergieanlage einen unmittelbaren Bezug zu dem privilegierten
landwirtschaftlichen Betrieb aufweist, hat der Senat maßgeblich darauf
abgestellt, ob der betriebsbezogene Anteil der Energieerzeugung gemessen an
der Gesamtkapazität der Anlage erheblich ins Gewicht fällt (Urteil vom 16. Juni
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1994 - BVerwG 4 C 20.93 - BVerwGE 96, 95). Überwiegt der betriebsbezogene
Anteil der Energieversorgung dem zur Einspeisung in das öffentliche Netz be-
stimmten Anteil nicht deutlich, fehlt es an der dienenden Funktion der Anlage.
Die Rechtsprechung zur „mitgezogenen“ Privilegierung von Windenergie-
anlagen ist durch das Gesetz zur Änderung des Baugesetzbuchs vom 30. Juli
1996 (BGBl I S. 1189) nicht in Frage gestellt worden. Mit diesem Gesetz hat der
Gesetzgeber auf das Urteil des Senats vom 16. Juni 1994 (BVerwG 4 C 20.93
a.a.O.) reagiert. Der Senat hatte entschieden, dass eine Windenergieanlage,
deren Strom zu einem Fünftel der Versorgung eines landwirtschaftlichen
Betriebs dienen und zu vier Fünfteln ins öffentliche Netz eingespeist werden
soll, im Außenbereich nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 1, 4 oder 5 BauGB (jetzt: § 35
Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 BauGB) privilegiert zulässig sei. Der Gesetzgeber hat dar-
aufhin u.a. Anlagen, die der Nutzung der Windenergie dienen, eigenständig
privilegiert und sie gleichzeitig einem Planvorbehalt unterworfen. Die eigen-
ständige Privilegierung, die sich heute in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB findet, ist
nicht abschließend; Windenergieanlagen können weiterhin auch nach § 35
Abs. 1 Nr. 1 BauGB als untergeordnete Anlagen eines landwirtschaftlichen Be-
triebes privilegiert zulässig sein. Der Gesetzgeber wollte das Hemmnis der feh-
lenden allgemeinen Privilegierung von Vorhaben zur Erforschung, Entwicklung
und Nutzung von Windenergie im Außenbereich beheben, „ohne die nach gel-
tendem Recht bestehenden spezifischen Privilegierungen bei Nebenanlagen …
einzuengen“ (Gesetzentwurf des Bundesrats, BTDrucks 13/2208 S. 1, 5 mit zu-
stimmender Stellungnahme der Bundesregierung ); die ihm bekannte
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur „mitgezogenen“ Privilegie-
rung von Windenergieanlagen sollte hierdurch unberührt bleiben. Ein Geset-
zesantrag des Landes Schleswig-Holstein, der die eigenständige Privilegierung
auf Einzelanlagen zur Nutzung der Windenergie im räumlichen Zusammenhang
mit der Hofstelle eines landwirtschaftlichen Betriebes beschränken und auch
diese Vorhaben einem Planvorbehalt unterwerfen wollte (BRDrucks 153/95),
hatte im Bundesrat keine Mehrheit gefunden (vgl. BRDrucks 153/1/95 S. 2 f.
und 153/95 ); er wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht
wieder aufgegriffen.
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Dass sich die bisherigen Entscheidungen des Senats auf Windenergieanlagen
beziehen, die deutlich kleiner als die hier in Streit stehende Anlage waren, führt
nicht auf den behaupteten Klärungsbedarf. Wie bereits dargelegt, lässt sich die
Frage, ob eine Windenergieanlage als untergeordnete Nebenanlage im Sinne
des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB einem landwirtschaftlichen Betrieb dient, nicht an-
hand abstrakter Maßstäbe und Größenverhältnisse, sondern nur auf der Grund-
lage einer Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls
beantworten. Hier hat das Oberverwaltungsgericht maßgebend darauf abge-
stellt, dass der durchaus beachtlichen Gesamthöhe der Windenergieanlage das
Erscheinungsbild eines von drei großen Stallgebäuden geprägten landwirt-
schaftlichen Betriebes gegenüberstehe. Diese tatrichterliche Würdigung der hier
gegebenen Umstände wäre einer revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht zugäng-
lich.
Den gemeindlichen Planvorbehalt nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB hat der Ge-
setzgeber beschränkt auf Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB; für
Windenergieanlagen, die gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert sind, gilt
§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unabhängig von der Höhe der in Rede stehenden
Windenergieanlage nicht. Da der Gesetzgeber, dem die Rechtsprechung zur
„mitgezogenen“ Privilegierung von Windenergieanlagen im Rahmen des § 35
Abs. 1 Nr. 1 BauGB bekannt war, gleichwohl darauf verzichtet hat, den Ge-
meinden zur Steuerung von solchen Anlagen das naheliegende Instrument des
Planvorbehalts zur Absicherung ihrer gesamträumlichen Planungskonzepte
durch Konzentrationsplanung an die Hand zu geben, verbietet sich die Annah-
me, dass insoweit eine im Wege der Analogie zu schließende Regelungslücke
vorliege.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rojahn
Dr. Philipp
Dr. Bumke
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