Urteil des BVerwG vom 22.09.2010

Verfügung, Prostitution, Hindernis, Kontrolle

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 40.10
OVG 8 A 10559/10
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juni 2010
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 18 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin bei-
misst.
1. Die (unvollständig und missverständlich formulierte) Frage,
ob eine Polizeiverordnung, die ein ausnahmsloses Verbot
(hier der Prostitution) zum Inhalt hat und nur über die
Landesbauordnung und im Rahmen des dort zur Verfü-
gung stehenden Ermessens umgesetzt wird, ohne andere
Prostitutionsarten, die - wie die Straßenprostitution, Prosti-
tution in den Wohnungen der Freier, Autostrich, Hotel-
prostitution, Wohnmobilprostitution - mit dem Baurecht in
keinem Zusammenhang stehen, (?), konzeptionslos ist
und deshalb gegen § 40 VwVfG, den Gleichheitsgrund-
satz, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das
Willkürverbot verstößt und ob sich das auszuübende Er-
messen nicht allein an ordnungsrechtlichen Kriterien zu
orientieren hat,
führt nicht zur Zulassung der Revision. Es ergibt sich schon aus der Stellung
des § 40 VwVfG im Teil III des Verwaltungsverfahrensgesetzes, dass die Vor-
schrift nur die Verwaltungsakte, nicht aber für Verordnungen gilt. Der Bekräfti-
gung dieses Befundes durch ein Revisionsurteil bedarf es nicht. Soweit die
Klägerin die Vereinbarkeit einer Polizeiverordnung bestimmten Inhalts mit Art. 3
Abs. 1 GG und dem im Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verankerten
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geklärt wissen will, übersieht sie, dass es im
Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht genügt, die Frage der Verein-
barkeit von Landes- oder Ortsrecht mit Bundesrecht (einschließlich Bundesver-
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fassungsrecht) aufzuwerfen. Vielmehr muss dargelegt werden, dass der bun-
desrechtliche Maßstab selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigen-
den Klärungsbedarf aufweist (vgl. Beschluss vom 21. Dezember 1994
- BVerwG 4 B 266.94 - NVwZ 1995, 601 <602>; stRspr). Daran fehlt es hier.
Die Frage geht freilich erkennbar am eigentlichen Anliegen der Klägerin vorbei.
Die Klägerin beanstandet, dass das Oberverwaltungsgericht ihren Vorwurf als
unberechtigt zurückgewiesen hat, die Beklagte habe unter missbräuchlicher
und ermessensfehlerhafter Ausnutzung der Ermächtigung in § 81 Satz 1 LBauO
„der Einfachheit halber“ eine bauaufsichtliche Verfügung erlassen, obwohl es ihr
in Wahrheit nur um die Durchsetzung des Prostitutionsverbots nach der
SperrbezirksVO gegangen sei, für dessen Umsetzung allein das Instrument der
ordnungsrechtlichen Verfügung (nach dem POG RP) in Betracht komme. Ob
und wie die in der Beschwerde aufgeworfene Frage dem wirklichen Interesse
der Klägerin angepasst werden könnte, kann offen bleiben. Sie beträfe nämlich
kein revisibles Recht, sondern die nach Landesrecht zu beurteilende Thematik,
ob - wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat (UA S. 10, 11) - die
SperrbezirksVO eine sonstige öffentlich-rechtliche Vorschrift im Sinne des § 81
Satz 1 LBauO ist und ein Verstoß dagegen sowohl ein bauaufsichtliches als
auch ein ordnungsbehördliches Einschreiten rechtfertigt.
2. Die Fragen,
ob die zwangsweise Durchsetzung einer Verfügung im
Wege der Vollstreckung dann den Grundsatz der Zumut-
barkeit und der Verhältnismäßigkeit und das Übermaß-
verbot verletzt, wenn der Befolgung ein zivilrechtliches
Hindernis entgegensteht, das durch eine Duldungsverfü-
gung an einen Dritten einfacher und effizienter beseitigt
werden kann,
und
ob eine bauaufsichtliche Verfügung (hier die Nutzungsun-
tersagung) per se die Beseitigung zivilrechtlicher Hinder-
nisse durch den Adressaten zum Inhalt hat oder gegen
den Grundsatz der Klarheit und Bestimmtheit verstößt,
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rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Es ist juristi-
sches Allgemeingut, dass eine Maßnahme nicht erforderlich und damit nicht
verhältnismäßig im weiteren Sinne ist, wenn es eine zur Zweckerreichung gleich
taugliche, aber die Rechte des Betroffenen schonendere Maßnahme gibt. Mehr
ist aus Sicht des Bundesrechts verallgemeinernd nicht zu sagen. Ob dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung von Landesrecht (hier
§ 64 Abs. 1, § 66 LVwVG) genüge getan ist, entzieht sich der revisionsge-
richtlichen Kontrolle und beurteilt sich darüber hinaus nach den Umständen des
Einzelfalls. Dies gilt auch für die Frage, ob eine auf das Landesrecht gestützte
Verfügung ihrem Inhalt nach hinreichend bestimmt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Petz
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