Urteil des BVerwG vom 30.07.2002

Gemeinde, Gehalt, Abstimmung, Genehmigungsverfahren

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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 40.02
VGH 2 B 00.3129
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juli 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w sowie die Richter am Bundesverwaltungs-
gericht H a l a m a und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des Bay-
erischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. März
2002 wird zurückgewiesen.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens mit Ausnahme der außergerichtli-
chen Kosten der Beigeladenen, die diese auf
sich behält.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 4 090 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist
unbegründet.
Die Divergenzrügen greifen nicht durch.
Die Vorinstanz hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der in Wi-
derspruch zu der Aussage des Senats im Beschluss vom 11. No-
vember 1968 - BVerwG 4 B 55.68 - (DÖV 1969, 146) steht, wonach
sich daraus, dass "die mit der Gemeinde identische Baugenehmi-
gungsbehörde eine Genehmigung allein unter Berufung auf § 35
Abs. 3 BBauG ab(lehnt), ... nicht schließen (lässt), dass sie
gleichzeitig ihr Einvernehmen verweigern wollte". Das Beru-
fungsgericht sieht sich ganz im Gegenteil im Einklang mit die-
ser von ihm zitierten Entscheidung, die es ausdrücklich als
Bestätigung für die Richtigkeit seiner Auffassung wertet. Die
Übereinstimmung beschränkt sich nicht auf bloße verbale Bekun-
dungen. Auch in der Sache liegt die vom Beklagten geltend ge-
machte Abweichung nicht vor. Der Senatsbeschluss vom 11. No-
vember 1968 stellt einerseits klar, dass es einer förmlichen
Einvernehmenserklärung im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB
nicht bedarf, wenn die Gemeinde selbst die Baugenehmigungsbe-
hörde ist (vgl. auch BVerwG, Urteile vom 6. Dezember 1967
- BVerwG 4 C 94.66 - BVerwGE 28, 268 und vom 21. Juni 1974
- BVerwG 4 C 17.72 - BVerwGE 45, 207), macht andererseits aber
deutlich, dass es der mit der unteren Bauaufsichtsbehörde
identischen Gemeinde nicht verwehrt ist, die Ablehnung der
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Baugenehmigung auch mit der Verweigerung des Einvernehmens zu
begründen (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 1969
- BVerwG 4 B 121.69 - DÖV 1970, 349). Davon, dass das Einver-
nehmen stets als versagt zu betrachten wäre, kann freilich
keine Rede sein. Ob die Ablehnung jedenfalls auch auf das Feh-
len des Einvernehmens gestützt ist oder nicht, hängt vielmehr
- wie der Senat hervorhebt - in erster Linie vom Inhalt und
der Auslegung des im Einzelfall ergangenen Bescheides ab. Die
Vorinstanz hat sich über diese Aussage weder zielgerichtet
noch auch nur sinngemäß hinweggesetzt. Als unschädlich hat sie
lediglich den Umstand gewertet, dass die Klägerin ihren Ableh-
nungsbescheid nicht gleichzeitig äußerlich sichtbar als Versa-
gung des Einvernehmens kenntlich gemacht hat. Die gegen die
Zulässigkeit des Vorhabens ins Feld geführten Gründe sind nach
ihrer Einschätzung aber ohne weiteres geeignet, eine Versagung
nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu rechtfertigen. Unterliegt es
mit den Worten des Berufungsgerichts "keinem Zweifel", dass
der Ablehnungsbescheid seinem sachlichen Gehalt nach darauf
abzielt, das Einvernehmen zu versagen, so kommt es nicht da-
rauf an, in welches äußere Gewand die Klägerin ihre Entschei-
dung gekleidet hat. Auf der Grundlage des Senatsbeschlusses
vom 11. November 1968 reicht es vielmehr aus, dass der Inhalt
des Bescheides entsprechende Schlüsse zulässt. Der Beklagte
zeigt insoweit keine Divergenz auf. Er lässt es vielmehr damit
bewenden, der Würdigung des Berufungsgerichts seine eigene ab-
weichende Wertung entgegenzusetzen.
Die geltend gemachte Abweichung von dem Senatsurteil vom
12. Dezember 1996 - BVerwG 4 C 24.95 - (Buchholz 406.11 § 36
BauGB Nr. 51) liegt ebenfalls nicht vor. Nach § 36 Abs. 2
Satz 2 BauGB gilt das Einvernehmen der Gemeinde als erteilt,
wenn es nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens
der Genehmigungsbehörde verweigert wird. Diese Frist ist nach
der Auffassung, die der Senat in der Entscheidung vom 12. De-
zember 1996 vertreten hat, nicht verlängerbar. Der Beklagte
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stellt nicht in Abrede, dass die Ausführungen im Urteil vom
12. Dezember 1996 auf die in § 36 BauGB beschriebene Konstel-
lation gemünzt sind, die durch die Dualität von Bauaufsichts-
behörde und Gemeinde gekennzeichnet ist. Er räumt selbst ein,
dass sich der Senat in der von ihm zitierten Entscheidung
nicht zu der Frage äußert, ob der zur Bedeutung der Fristbe-
stimmung des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB aufgestellte Rechtssatz
auch für den Fall der Identität von Bauaufsichtsbehörde und
Gemeinde gilt. Der Beklagte legt dar, dass es aus seiner Sicht
für eine unterschiedliche Behandlung keinen sachlichen Grund
gibt, und folgert hieraus, dass sich eine Weiterentwicklung
der vom Senat formulierten Grundsätze in der von ihm bezeich-
neten Richtung aufdrängt. Selbst wenn dies zuträfe, wäre hie-
rin keine Divergenz im Rechtssinne zu sehen. Ein Zulassungs-
grund lässt sich aus § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nur dann herlei-
ten, wenn der Tatrichter es abgelehnt hat, einer Rechtsansicht
des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen, nicht aber, wenn er,
aus welchen Gründen immer, davon abgesehen hat, einen von ihm
nicht in Zweifel gezogenen Rechtssatz des Bundesverwaltungsge-
richts auf den konkreten Fall anzuwenden.
Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung,
die ihr der Beklagte beimisst.
Es bedarf nicht eigens der Durchführung eines Revisionsverfah-
rens, um die Auffassung des Berufungsgerichts zu bestätigen,
wonach eine Gemeinde dadurch in ihrer Planungshoheit verletzt
werden kann, dass die Widerspruchsbehörde sie gegen ihren Wil-
len verpflichtet, einen positiven Vorbescheid zu erteilen.
Entgegen der Auffassung des Beklagten kommt es in diesem Zu-
sammenhang nicht entscheidend darauf an, wie weit § 36 BauGB
tatbestandlich im Einzelnen reicht. Diese Vorschrift sichert
der Gemeinde unter den dort genannten Voraussetzungen ein Mit-
wirkungsrecht, das die Baugenehmigungsbehörde zu achten hat
und dessen Wahrung im Klagewege erzwingbar ist. Hinter dem ge-
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setzlichen Einvernehmenserfordernis steht der Zweck, die ge-
meindliche Planungshoheit zu schützen. § 36 Abs. 1 BauGB
trifft indes keine abschließende Regelung über die Sicherung
der planerischen Belange der Gemeinde. Er zielt darauf ab,
Verfahrensvorkehrungen zu schaffen, durch die eine Beeinträch-
tigung gemeindlicher Rechtspositionen von vornherein verhin-
dert wird. Kommt es außerhalb seines Anwendungsbereichs zu ei-
ner Verletzung der Planungshoheit, so ist das Schutzbedürfnis
nicht geringer zu veranschlagen. Ob die Gemeinde in einer ei-
genen Rechtsposition betroffen ist, richtet sich allein nach
dem materiellen Gehalt der Planungshoheit und nicht nach der
Reichweite des Einvernehmenserfordernisses. § 36 BauGB er-
schöpft sich darin, das behördliche Genehmigungsverfahren nä-
her auszugestalten. Er begründet nicht erst aus der Planungs-
hoheit abgeleitete materielle Rechte, sondern setzt sie voraus
(vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 1991 - BVerwG 4 C
31.89 - Buchholz 406.11 § 36 BauGB Nr. 46, vom 11. Februar
1993 - BVerwG 4 C 25.91 - BVerwGE 92, 66 und vom 14. April
2000 - BVerwG 4 C 5.99 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 342).
Hat die Widerspruchsbehörde im Vorhabenzulassungsverfahren
- wie dies nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts hier zutrifft - der Pla-
nungshoheit Rechnung zu tragen, so hat sie die Gemeinde einzu-
schalten, unabhängig davon, ob sich diese Verpflichtung aus
§ 36 BauGB herleiten lässt oder nicht. Wann ein solcher Sach-
verhalt vorliegt, ist einzelfallbezogen zu ermitteln und lässt
sich nicht in eine allgemeine Formel fassen. Der Beklagte
zeigt nicht auf, inwiefern die Rechtsprechung des Senats zu
diesem Problemkreis korrektur- oder fortentwicklungsbedürftig
sein könnte.
Auch in Bezug auf das Fristerfordernis des § 36 Abs. 2 Satz 2
BauGB besteht kein Klärungsbedarf. Der Beklagte macht unter
Hinweis auf das Senatsurteil vom 12. Dezember 1996 - BVerwG
4 C 24.95 - (a.a.O.) selbst darauf aufmerksam, dass diese Re-
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gelung dem Zweck dient, das Verfahren zu beschleunigen. Es
soll verhindert werden, dass sich die Entscheidung der Bauauf-
sichtsbehörde aus Gründen, die außerhalb ihrer Einflusssphäre
liegen, nur deshalb ungebührlich verzögert, weil die Einver-
nehmenserklärung oder -versagung aussteht. Dieser Aspekt
spielt indes ersichtlich keine Rolle, wenn das Einvernehmens-
erfordernis nicht zum Tragen kommt. Das ist der Fall, wenn die
Gemeinde in sich die Funktionen des Bauplanungsträgers und der
Bauaufsichtsbehörde vereint. Kommt es hier zu Verzögerungen,
weil gemeindeintern eine nach § 36 BauGB nicht gebotene, aber
zulässige Abstimmung stattfindet, so kann sich der Bauherr
hiergegen ebenso wie gegen Verzögerungen aus sonstigen Gründen
mit den Mitteln zur Wehr setzen, die ihm das Prozessrecht zur
Verfügung stellt. Ihm steht der Weg der Untätigkeitsklage nach
§ 75 Satz 2 VwGO offen, ohne dass er befürchten muss, mit Er-
folg entgegengehalten zu bekommen, die nach § 36 BauGB erfor-
derliche Einvernehmenserklärung oder -fiktion lasse noch auf
sich warten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 162
Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 3
und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Dr. Paetow Halama Gatz