Urteil des BVerwG vom 28.01.2003

Rüge, Verfahrensmangel, Schweinehaltung, Umbau

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BESCHLUSS
BVerwG 4 B 4.03
OVG 8 A 11957/00
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Januar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom
30. Oktober 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerde-
verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das
Beschwerdeverfahren auf 5 113 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt
erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht,
dass die Revision wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen
ist.
a) Die Beschwerde hält das schriftlich erstellte und in der
mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 16. Oktober
2002 erläuterte Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. S.
durch die Einwände des Sachverständigen H. für erschüttert und
sieht in der Ablehnung ihres Antrags, durch einen weiteren
Sachverständigen Beweis zur Häufigkeit, Lästigkeit und gegebe-
nenfalls Gesundheitsschädlichkeit der von der Schweinehaltung
des Beigeladenen unter Zugrundelegung der streitigen Baugeneh-
migung ausgehenden Immissionen zu erheben, und zwar im Ver-
gleich zur Vorbelastung vor der Umbaumaßnahme, einen Verstoß
gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Diese Rüge greift nicht durch. Die Einholung zusätzlicher
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Sachverständigengutachten liegt nach der ständigen Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 98 VwGO in Verbin-
dung mit den §§ 404, 412 ZPO im Ermessen des Tatsachenge-
richts, das nur dann nicht verfahrensfehlerfrei ausgeübt wird,
wenn das Gericht von der Einholung absieht, obwohl die Notwen-
digkeit einer weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrän-
gen müssen (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1987
- BVerwG 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31). Maßgebend
für die Frage, welche Tatsachen der Tatrichter dabei nach § 86
Abs. 1 VwGO aufzuklären hat, ist seine eigene materiellrecht-
liche Auffassung, auch wenn diese einer Überprüfung nicht
standhalten sollte (BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG
6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183). Nach diesen Maß-
stäben ist ein Verfahrensmangel nicht ersichtlich. Das Beru-
fungsgericht hat die zwischen den Sachverständigen S. und H.
kontrovers behandelten Fragen als nicht entscheidungserheblich
erachtet, weil eine Verschlechterung der Situation bereits
aufgrund eines Vergleichs der Nutzung vor und nach der Geneh-
migung ausgeschlossen sei. Die Beschwerde legt nicht dar, wa-
rum und zu welchen konkreten Punkten unter diesen Vorausset-
zungen ein weiteres, die Differenzen zwischen beiden Gutach-
tern klärendes Obergutachten hätte eingeholt werden sollen.
Die Tatsache, dass das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf
gutachterliche Äußerungen der Sachverständigen S. und H. der
Nachbarklage im Verfahren 8 A 11956/00 stattgegeben hat, gibt
für die Aufklärungsrüge mangels Identität der Streitgegenstän-
de nichts her. Das vorliegende Verfahren betrifft die Bauge-
nehmigung für den Umbau und die Umnutzung des Erdgeschosses,
das Verfahren 8 A 11956/00 die Baugenehmigung für die Nutzung
des Obergeschosses des so genannten Stalles 3.
Mit der Rüge, das Berufungsgericht habe die Ablehnung ihres
Beweisantrags nicht ausreichend begründet und dadurch gegen
§ 86 Abs. 2 VwGO verstoßen, ist die Beschwerde ausgeschlossen.
Nach § 295 Abs. 1 ZPO, der über § 173 VwGO auch im verwal-
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tungsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, hätte der be-
hauptete Mangel - sein Vorliegen unterstellt - spätestens in
der nächsten mündlichen Verhandlung gerügt werden müssen, wo-
bei hierunter auch der Teil der mündlichen Verhandlung zu ver-
stehen ist, der sich unmittelbar an den Verfahrensabschnitt
anschließt, in dem der Verfahrensverstoß geschehen sein soll
(BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - BVerwG 9 C 45.97 - BVerwGE
107, 128 <132> m.w.N.). Danach hat die Klägerin ihr Rügerecht
bereits in der Berufungsinstanz verloren, weil sie den angeb-
lichen Verfahrensfehler ausweislich des Terminsprotokolls, das
gemäß § 415 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 98 VwGO den vollen
Beweis der darin beurkundeten Vorgänge erbringt, in der Beru-
fungsverhandlung nicht beanstandet hat. Der eingetretene Ver-
lust des Rügerechts gilt auch für die Revisionsinstanz (§ 173
VwGO in Verbindung mit § 556 ZPO).
b) Die Gehörsrüge, mit der die Beschwerde der Sache nach gel-
tend macht, das Berufungsgericht habe eine unzulässige "Über-
raschungsentscheidung" getroffen, geht ebenfalls fehl. Zu Un-
recht hält die Beschwerde dem Berufungsgericht vor, die Kläge-
rin nicht auf einen im Lauf der mündlichen Verhandlung am
16. Oktober 2002 eingetretenen Wandel seiner Rechtsauffassung
hingewiesen zu haben. Sie legt schon nicht dar, dass das Beru-
fungsgericht seine Rechtsauffassung überhaupt geändert hat.
Die Ladung des Sachverständigen S. zeigt, dass der Ausgang des
Berufungsverfahrens für das Berufungsgericht bis zur mündli-
chen Verhandlung noch offen war und von der Aussage des Sach-
verständigen abhing. Nach dessen Vernehmung und der Ablehnung
des Antrags der Klägerin auf Beiziehung eines weiteren Sach-
verständigen war klar, dass das Berufungsgericht die maßgebli-
chen Fragen nunmehr als geklärt ansah; die Klägerin musste mit
der Möglichkeit rechnen, dass die Berufung zurückgewiesen wer-
den würde. In einem entgegenstehenden Irrglauben konnte sich
die Klägerin nicht deshalb bestätigt fühlen, weil die Berufung
im Verfahren 8 A 11956/00 Erfolg hatte; denn das Urteil in je-
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nem Verfahren betraf zum einen einen anderen Streitgegenstand
und war zum anderen am 16. Oktober 2002 auch noch nicht ergan-
gen, sondern wurde zeitgleich mit dem Urteil dieses Verfahrens
am 30. Oktober 2002 verkündet. Im Übrigen könnte die Revision
selbst dann nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht
tatsächlich eine unzulässige Überraschungsentscheidung getrof-
fen hätte. Die schlüssige Rüge, das rechtliche Gehör sei ver-
letzt, erfordert regelmäßig die substanziierte Darlegung des-
sen, was der Beteiligte bei ausreichender Gehörsgewährung noch
vorgebracht hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klä-
rung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre
(vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. April 1999 - BVerwG 9 B
188.99 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 44). Daran fehlt
es hier. Die nur pauschale Behauptung, die Klägerin hätte
- gegebenenfalls im Wege des Schriftsatznachlasses - noch wei-
ter zur Sache vorgetragen und zusätzliche Beweisanträge ge-
stellt, reicht nicht aus.
c) Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde schließlich einen
Verstoß gegen den in § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verankerten
Überzeugungsgrundsatz. Dabei kann dahinstehen, ob hier über-
haupt die Voraussetzungen gegeben sein könnten, unter denen
eine Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ausnahmsweise ei-
nen Verfahrensmangel und nicht einen materiellrechtlichen Man-
gel darstellt. Die Beschwerde führt zwar Tatsachen für ihren
Vorwurf an, das Berufungsgericht sei von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen, "indem es in seiner Entscheidung un-
terstellt hat, dass mit der Nutzungsänderung des ursprünglich
ausschließlich zur Rinderhaltung genutzten Stalles 1 zur
Schweinehaltung nicht zugleich im Zuge von baulichen Verände-
rungen im Bereich des Wohnhauses des Beigeladenen und der vor-
beiführenden Gemeindestraße Dungstätte und Jauchegrube ... des
seinerzeit im Jahr 1953 genehmigten Stalles beseitigt worden
sind." Sie legt aber nicht dar, dass die Entscheidung auf dem
behaupteten Verfahrensmangel beruht. Es fehlen Rechtsausfüh-
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rungen dazu, warum bei Zugrundelegung des von der Beschwerde
geschilderten Sachverhalts die Nutzung des Stalles Nr. 1 als
Schweinestall nicht als Vorbelastung der vorhandenen Umgebung
hätte in Rechnung gestellt werden dürfen. Mit der reinen,
durch keine rechtlichen Erwägungen unterlegten Behauptung, der
wahre Sachverhalt habe die "Nichtberücksichtigungsfähigkeit
der Schweinehaltung im Stall 1 zur Ermittlung der rechtmäßigen
Vorbelastung" zur Folge, ist es nicht getan.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3
VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Lemmel Gatz