Urteil des BVerwG vom 13.05.2014

Grundstück, Aufklärungspflicht, Abgrenzung, Gebäude

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 38.13
OVG 10 B 4.12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in
dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Branden-
burg vom 13. März 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf alle Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde bleibt ohne Erfolg.
Die benachbarten Grundstücke der Klägerin und der Beigeladenen befinden
sich in einem Stadtviertel mit einer gründerzeitlichen, in der Regel fünfgeschos-
sigen straßenseitigen Blockrandbebauung. Ein Bebauungsplan besteht nicht.
Der Beklagte erteilte der Beigeladenen im November 2009 die streitgegen-
ständliche Baugenehmigung für einen Seitenflügel nebst Quergebäude, der im
rückwärtigen Teil ihres Grundstücks an die bestehende Blockrandbebauung
anschließt und an der Grundstücksgrenze zum Grundstück der Klägerin bele-
gen ist. Das Vorhaben soll über sechs, in ihrer Ausdehnung gestaffelte Ge-
schosse verfügen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die
Baugenehmigung aufgehoben (Urteil vom 13. März 2013 - OVG 10 B 4.12 -
DÖV 2013, 948 ; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
16. November 2010 - OVG 10 S 31.10 - OVGE BE 31, 204 = LKV 2010, 567
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= ZfBR 2011, 161 = BRS 76 Nr. 85), da das Vorhaben die Vorschrift über die
Abstandsflächen (§ 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauO Berlin) verletze. Na-
mentlich dürfe die Beigeladene nicht nach planungsrechtlichen Vorschriften an
die Grenze bauen (§ 6 Abs. 1 Satz 3 BauO Berlin). Das Vorhaben füge sich ent-
gegen § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach der Grundstücksfläche, die überbaut
werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Maßgeblich als
nähere Umgebung sei allein der südliche Teil des Straßengevierts, in dem eine
rückwärtige Bebauung mit einem mehrgeschossigen Seitenflügel kein Vorbild
finde, sich vielmehr eine grundstücksübergreifende, im räumlichen Zusammen-
hang stehende, nicht bebaute Grundstücksfläche befinde. In der so bestimmten
näheren Umgebung verlaufe hinter der Blockrandbebauung eine Baugrenze.
Das Vorhaben der Beigeladenen überschreite diese Baugrenze und löse durch
eine nicht auszuschließende Vorbildwirkung bodenrechtliche Spannungen aus.
Die Beigeladene fordert im Kern, auch den nördlichen Teil des Straßengevierts
als nähere Umgebung in den Blick zu nehmen. Dort befinden sich auch im rück-
wärtigen Teil der Grundstücke Seitenflügel.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde zumisst.
a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
bei der Auslegung des Begriffs der „näheren Umgebung“
im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB im Hinblick auf
die überbaubaren Grundstücksflächen der Kreis für die
maßgebliche Umgebung regelmäßig enger zu ziehen ist
als hinsichtlich der Art der Nutzung,
ferner, ob insofern der maßgebliche Umkreis hinsichtlich
der überbaubaren Grundstücksflächen tendenziell kleiner
zu ziehen ist als das Straßengeviert, in dem das Bauvor-
haben liegt.
Diese Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Sie wären in einem Re-
visionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie nicht entscheidungserheblich sind
(vgl. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO Nr. 26 S. 14).
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Maßstabsbildend im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Umgebung,
insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und in-
soweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Bau-
grundstücks prägt oder doch beeinflusst (stRspr; Urteile vom 26. Mai 1978
- BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380> = Buchholz 406.11 § 34 BBauG
Nr. 63 S. 48, vom 21. November 1980 - BVerwG 4 C 30.78 - Buchholz 406.11
§ 34 BBauG Nr. 79 S. 85 und vom 5. Dezember 2013 - BVerwG 4 C 5.12 -
NVwZ 2014, 370 Rn. 10 - zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen). Dabei
ist die nähere Umgebung für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten
Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen (allg. Meinung, vgl. Bracher, in: Bra-
cher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 8. Aufl. 2014, Rn. 2197; Mitschang/
Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 34 Rn. 21; Rieger,
in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 34 Rn. 26; Dürr, in: Brügelmann, BauGB,
Bd. 3, Stand Oktober 2013, § 34 Rn. 25; Spannowsky, in: Spannowsky/Uecht-
ritz, BauGB, 2. Aufl. 2014, § 34 Rn. 32.3). Denn die Merkmale, nach denen sich
ein Vorhaben im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Eigenart dieser
näheren Umgebung einfügen muss, sind jeweils unabhängig voneinander zu
prüfen (Beschluss vom 6. November 1997 - BVerwG 4 B 172.97 - Buchholz
406.11 § 34 BauGB Nr. 188 S. 57). So hat der Senat zu § 34 BBauG ange-
nommen, dass bei der Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nut-
zung eines Grundstücks der Umkreis der zu beachtenden vorhandenen Bebau-
ung „in der Regel“ enger zu begrenzen sein werde als bei der Ermittlung des
Gebietscharakters (Urteil vom 19. September 1969 - BVerwG 4 C 18.67 -
Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 25 S. 58).
Mit dem in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verwendeten Begriff der Grundstücksflä-
che, die überbaut werden soll, ist die konkrete Größe der Grundfläche der bau-
lichen Anlage und ihre räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung
gemeint. Es geht also um den Standort im Sinne des § 23 BauNVO (Beschluss
vom 28. September 1988 - BVerwG 4 B 175.88 - Buchholz 406.11 § 34
BBauG/BauGB Nr. 128 S. 29). Die Instanzgerichte neigen dazu, hinsichtlich
dieses Merkmals einen kleineren Umgriff der näheren Umgebung anzunehmen
als bei der Art der baulichen Nutzung; dies gelte „in der Regel“ (so OVG Mag-
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deburg, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 2 L 94/11 - BRS 79 Nr. 101; VGH Mün-
chen, Beschluss vom 25. April 2005 - 1 CS 04.3461 - juris Rn. 18 und Urteil
vom 7. März 2011 - 1 B 10.3042 - juris Rn. 22; VGH Mannheim, Urteil vom
23. September 1993 - 8 S 1281/93 - juris Rn. 22 und Beschluss vom 15. De-
zember 2005 - 5 S 1847/05 - juris Rn. 8) oder „im Regelfall“ (OVG Bautzen, Be-
schluss vom 29. Dezember 2010 - 1 A 710/09 - juris Rn. 6; OVG Münster, Urtei-
le vom 16. November 2001 - 7 A 1143/00 - juris Rn. 29 und vom 9. September
2010 - 2 A 508/09 - juris Rn. 37). Hiervon geht auch das Oberverwaltungsge-
richt aus („in der Regel“, UA S. 16).
Ob diese Annahme „im Regelfall“ oder - bezogen auf das Straßengeviert „ten-
denziell“ - zutrifft, ist nicht entscheidungserheblich. Denn sie bezeichnet nur
einen gedanklichen Ausgangspunkt, der jedenfalls von einer Würdigung der
tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall nicht entbindet, wie sie das Oberverwal-
tungsgericht hier vorgenommen hat (UA S. 17 ff.) und die sich rechtsgrundsätz-
licher Klärung entzieht. Hinzu tritt, dass der von der Beschwerde zum Vergleich
herangezogene Umgriff der näheren Umgebung im Hinblick auf die Art der bau-
lichen Nutzungen sich ebenfalls nur im Einzelfall, aber nicht rechtsgrundsätzlich
bestimmen lässt, da er unter anderem von der Art der jeweiligen baulichen Nut-
zung abhängt. Soweit die Beschwerde als Bezugspunkt das „Straßengeviert“
benennt, scheidet eine rechtsgrundsätzliche Klärung schon wegen der Vielge-
staltigkeit solcher Straßengevierte aus.
b) Die Beschwerde wirft als grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen auf,
ob die maßgebliche nähere Umgebung im Sinne des § 34
Abs. 1 Satz 1 BauGB im Hinblick auf die überbaubaren
Grundstücksflächen auf einen (sowohl hinsichtlich absolu-
ter Maße als auch hinsichtlich der Relation zur übrigen
Bebauung im Straßengeviert) kleinen Bereich, welcher nur
das Baugrundstück und dessen unmittelbare Umgebung
umfasst, reduziert sein kann, wenn sich die daran an-
schließende Bebauung allein im Hinblick auf die dort ver-
wirklichten Bebauungstiefen unterscheidet,
hieran anschließend, ob unter den genannten Vorausset-
zungen eine „städtebauliche Zäsur“ wegen andersartiger
„baulicher Struktur“ angenommen werden kann.
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Diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Ober-
verwaltungsgericht hat bei der Abgrenzung der näheren Umgebung nicht allein
auf die im nördlichen Bereich vorhandene Bebauungstiefe abgestellt, sondern
auch darauf verwiesen, dass die Bereiche durch eine relativ hohe fünfgeschos-
sige Bebauung im Blockinnern optisch vollständig voneinander getrennt seien
(UA S. 19). Hiermit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander.
c) Die Beschwerde sieht grundsätzlichen Klärungsbedarf für die Frage,
ob es bei der Auslegung des Begriffs der „näheren Umge-
bung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB und der
dabei erforderlichen Ermittlung, was sich auf das Bau-
grundstück noch „prägend“ auswirkt, allein auf den Blick-
winkel eines (stehenden) Menschen ankommt oder ob
- zumindest ergänzend - ein Blickwinkel von oben (Vogel-
perspektive) erforderlich ist.
Die Frage ist geklärt, soweit sie rechtsgrundsätzlich klärungsfähig ist. Die für die
Bestimmung des Bebauungszusammenhangs erforderliche wertende und be-
wertende Betrachtung der konkreten tatsächlichen Verhältnisse kann nach dem
Sachzusammenhang, in den sie eingebettet ist, nur an äußerlich erkennbare,
also mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung
und der übrigen Geländeverhältnisse anknüpfen (Urteil vom 12. Dezember
1990 - BVerwG 4 C 40.87 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 138 S. 55). Dies
kann auf die Abgrenzung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1
Satz 1 BauGB übertragen werden (Beschluss vom 20. August 1998 - BVerwG
4 B 79.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 191 S. 76). Zur Ermittlung können
auch Lagepläne verwendet werden (Beschluss vom 3. Dezember 2008
- BVerwG 4 BN 26.08 - BRS 73 Nr. 91 Rn. 3), die ein Bild „von oben“ vermitteln.
Dabei kann die für § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB kennzeichnende wechselseitige
Beeinflussung auch über ein den optischen Zusammenhang unterbrechendes
Hindernis noch eintreten (Beschluss vom 27. Mai 1988 - BVerwG 4 B 71.88 -
Buchholz 406.11 § 34 BBauG/BauGB Nr. 127 S. 27). Hiervon ist auch das
Oberverwaltungsgericht ausgegangen, das seine tatrichterliche Würdigung
auch auf einen Lageplan (UA S. 4) und ein Luftbild (UA S. 17) stützt. Ob eine
wechselseitige Beeinflussung trotz einer, vom Standpunkt eines stehenden
Menschen nicht überwindbaren optischen Trennung vorliegt, ist eine Frage des
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Einzelfalls, die eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
nicht rechtfertigt.
d) Die Beschwerde will weiter rechtsgrundsätzlich klären lassen,
ob die nach § 34 Abs. 1 BauGB bestehende Bebauungs-
möglichkeit eines Grundstücks durch eine in der Umge-
bung vorhandene Bebauung eingeschränkter sein kann,
als wenn diese Bebauung nicht vorhanden wäre.
Die Frage rechtfertigt ebenfalls nicht die Durchführung eines Revisionsverfah-
rens. Sie lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Se-
nats beantworten. Maßgebend für die nähere Umgebung, in die sich das Vor-
haben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach Art und Maß der baulichen Nut-
zung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ein-
fügen muss, ist die vorhandene Bebauung. Aus ihr ist der Rahmen abzuleiten,
zu dem das Vorhaben in einer bestimmten Beziehung stehen muss (stRspr;
Urteil vom 26. Mai 1978 - BVerwG 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369 <380, 385 ff.>).
Es ist nicht angängig - wie es der Beschwerde offensichtlich vorschwebt -, bei
der in der näheren Umgebung vorhandenen Bebauung danach zu unterschei-
den, ob sie Bebauungsmöglichkeiten eröffnet oder einschränkt.
e) Schließlich zeigt die Beschwerde auch mit der Frage, ob
bei der Bestimmung der hinteren Baugrenze ein deutlich
wahrnehmbares Gebäude der Hauptnutzung als nicht
prägend außer Acht gelassen werden kann, nur weil es
deutlich kleiner ist als die Gebäude in der unmittelbaren
Umgebung,
keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf. Aus der Betrachtung der näheren
Umgebung sind solche baulichen Anlagen auszusondern, die von ihrem quanti-
tativen Erscheinungsbild (Ausdehnung, Höhe, Zahl usw.) nicht die Kraft haben,
die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also
nicht oder nur am Rande wahrnimmt (Urteil vom 15. Februar 1990 - BVerwG
4 C 23.86 - BVerwGE 84, 322 <325> und Beschluss vom 16. Juni 2009
- BVerwG 4 B 50.08 - BRS 74 Nr. 95 Rn. 6; stRspr). Von diesen Rechtsgrund-
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sätzen ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA S. 18). Die Be-
schwerde erschöpft sich in einem Angriff auf dessen tatrichterliche Bewertung.
2. Die Divergenzrügen nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO führen ebenfalls nicht zur
Zulassung der Revision.
a) Die behauptete Divergenz zu den Urteilen vom 13. Juni 1969 - BVerwG 4 C
80.67 - (Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 21) und vom 18. Oktober 1974
- BVerwG 4 C 77.73 - (Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 45) ist nicht hinrei-
chend bezeichnet. Diesem Erfordernis ist nur genügt, wenn die Beschwerde
einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrak-
ten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift widersprochen hat.
Nach den von der Beschwerde angeführten Urteilen des Senats kann die Fra-
ge, ob etwas nach der vorhandenen Bebauung unbedenklich ist, nicht allein
nach der Bebauung eines Grundstücks oder nur ganz weniger Grundstücke
bestimmt werden (Urteil vom 13. Juni 1969 a.a.O. S. 38). Es darf nicht nur die-
jenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittel-
baren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch
die Bebauung der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt
werden, als auch sie noch „prägend“ auf dasselbe einwirkt (Urteil vom 18. Ok-
tober 1974 a.a.O. S. 114).
Wie auch die Beschwerde anerkennt, hat sich das Oberverwaltungsgericht der
Rechtsprechung des Senats ausdrücklich angeschlossen (UA S. 16). Sie meint
indes, der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts den (unausgesproche-
nen) Rechtssatz entnehmen zu können, dass auch ein derart kleiner Umge-
bungsumgriff grundsätzlich die „nähere Umgebung“ innerhalb eines deutlich
größeren Bebauungszusammenhangs darstellen könne und die über das Bau-
grundstück und dessen unmittelbare Nachbargrundstücke hinausgehende Um-
gebung allein wegen insoweit andersartiger Bebauung ausgeklammert werden
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könne (Beschwerdebegründung S. 5). In der Sache wendet sich die Beschwer-
de gegen die tatrichterliche Annahme, der nördliche Teil des Straßenblocks wir-
ke infolge der optischen Trennung und der unterschiedlichen baulichen Struktu-
ren nicht mehr prägend für das Grundstück der Beigeladenen. Die damit erho-
bene Rüge einer fehlerhaften Subsumtion führt indes nicht zur Annahme einer
Divergenz (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz
310 § 133
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VwGO Nr. 26 S. 14).
b) Die geltend gemachte Divergenz zum Urteil vom 19. September 1969
- BVerwG 4 C 18.67 - (Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 25) liegt ebenfalls
nicht vor. Die in Bezug genommenen Ausführungen des Senats (a.a.O. S. 57 f.)
sind nicht divergenzfähig, weil sie die dortige Entscheidung nicht tragen (vgl.
Beschluss vom 3. April 1996 - BVerwG 4 B 253.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO
Nr. 269 S. 28; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 36).
3. Die Verfahrensrügen führen nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zur Zulas-
sung der Revision.
Die als Aufklärungsrügen erhobenen Rügen verfehlen die Darlegungsanforde-
rungen. Eine Aufklärungsrüge muss substantiiert dartun, hinsichtlich welcher
tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet
und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht ge-
kommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der
vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (Be-
schluss vom 8. Juli 2009 - BVerwG 4 BN 12.09 - juris Rn. 6 f.
veröffentlicht in BRS 74 Nr. 230>; stRspr). Die erhobenen Aufklärungsrügen
beschränken sich darauf, vorgebliche Ermittlungsdefizite aufzuzeigen, benen-
nen aber nicht substantiiert, welche Aufklärungsmaßnahmen die Beigeladene
noch für geeignet und erforderlich hält.
Die Rügen müssten aber auch hiervon unabhängig ohne Erfolg bleiben.
a) Die Beschwerde meint, der Einbeziehung des südlichen Teils des Grund-
stücks K.-straße 44 in die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks im Hin-
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blick auf die überbaubare Grundstücksfläche (UA S. 15) widerspreche es, die-
ses Grundstück bei der Herleitung einer faktischen Baugrenze nicht einzube-
ziehen (UA S. 21). Damit wendet sie sich gegen die tatrichterliche Würdigung,
die dem materiellen Recht zuzuordnen ist (Beschluss vom 12. Januar 1995
- BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 4; stRspr), be-
zeichnet aber keine Verletzung der Aufklärungspflicht.
b) Die Beschwerde rügt weiter, das Oberverwaltungsgericht habe die Wirkung
des Geländesprungs von 2 m im südlichen Teil des Straßengevierts und der
darauf befindlichen Ziegelmauer sowie der Bebauung des Grundstücks
K.-straße 44 durch eine Remise und einen Seitenflügel fehlerhaft gewürdigt.
Das Oberverwaltungsgericht hat diese Verhältnisse seinem Urteil zu Grunde
gelegt (UA S. 18, 19, 21). Dass es sie rechtlich anders bewertet als die Beige-
ladene, führt nicht auf einen Verfahrensfehler.
c) Die Beschwerde meint, das Oberverwaltungsgericht habe unter Verletzung
seiner Aufklärungspflicht angenommen, es sei in der Umgebung jenseits des
Straßengevierts des Vorhabengrundstücks nicht „mehr oder weniger gang und
gäbe“, dass in den von der Blockrandbebauung umschlossenen Flächen Sei-
tenflügel oder Quergebäude mit Hauptnutzungen stehen (UA S. 19). Das Ober-
verwaltungsgericht hat indes aus den Feststellungen zu den Blockinnenberei-
chen zweier Straßenviertel in der Umgebung gefolgert, eine Blockinnenbebau-
ung in der Umgebung sei nicht „mehr oder weniger gang und gäbe“. Einer wei-
teren Aufklärung zu anderen Straßenvierteln bedurfte es nach der für die Be-
urteilung des Vorliegens eines Verfahrensfehlers maßgeblichen materiell-
rechtlichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht (vgl. Urteil
vom 14. Januar 1998 - BVerwG 11 C 11.96 - BVerwGE 106, 115 <119>).
d) Die Beigeladene meint, das Oberverwaltungsgericht habe Unterlagen zu den
Gründen für die Beseitigung von Seitenflügeln in der Vergangenheit fehlerhaft
beurteilt. Damit wendet sie sich gegen die tatrichterliche Würdigung, ohne einen
Verfahrensfehler zu bezeichnen.
e) Die unter 8. erhobene Rüge bezeichnet keinen Verfahrensfehler.
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f) Die Beschwerde vermisst eine Aufklärung darüber, welche Grundstücke in
der näheren Umgebung überbaubare Innenhofflächen aufweisen. Es ist aber
weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, inwieweit dieser Umstand nach der
materiellen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts von Bedeutung
gewesen sein könnte. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Abgrenzung der nä-
heren Umgebung unter anderem auf die Baustruktur im südlichen Teil des
Straßengevierts abgestellt, wo eine grundstücksübergreifende, im räumlichen
Zusammenhang stehende, nicht bebaute Grundstücksfläche vorhanden sei.
Diese werde durch die straßenseitige Blockrandbebauung mit einer großen, im
Wesentlichen nicht überbauten Freifläche im Blockinnern geprägt (UA S. 17 f.).
Hiervon ausgehend kam es nicht auf die Frage an, welche einzelnen Grundstü-
cke über eine bebaubare Grundstücksfläche im straßenabgewandten Grund-
stücksteil verfügen.
g) Die Beschwerde sieht schließlich die gerichtliche Aufklärungspflicht verletzt,
weil das Oberverwaltungsgericht angenommen habe, eine Vorbildwirkung des
streitgegenständlichen Vorhabens sei nicht auszuschließen (UA S. 28). Im Hin-
blick auf das Flurstück 92 wendet sie sich (erneut) gegen die materiell-recht-
liche Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zum Umgriff der näheren Umge-
bung. Ihr weiterer Hinweis, die derzeitige Bebauung des Flurstücks 94 schließe
eine Errichtung von Seitenflügeln aus, zieht die vom Oberverwaltungsgericht
angenommene Vorbildwirkung für mögliche Veränderungen der Bebauung auf
diesem Grundstück nicht in Zweifel.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Festsetzung
des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Petz
Dr. Külpmann
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Bauplanungsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
BauGB
§ 34 Abs. 1 Satz 1
BauNVO
§ 23
Stichworte:
Eigenart der näheren Umgebung; Grundstücksfläche, die überbaut werden soll.
Leitsätze:
1. Die nähere Umgebung ist für die in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bezeichneten
Kriterien jeweils gesondert abzugrenzen.
2. Die Annahme, hinsichtlich des Merkmals der „Grundstücksfläche, die über-
baut werden soll“, erfasse die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1
Satz 1 BauGB in der Regel einen kleineren Bereich als hinsichtlich des Merk-
mals der Art der baulichen Nutzung, entbindet jedenfalls nicht von einer Würdi-
gung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall.
Beschluss des 4. Senats vom 13. Mai 2014 - BVerwG 4 B 38.13
I. VG Berlin vom 20.04.2012 - Az.: VG 13 K 25.11 -
II. OVG Berlin-Brandenburg vom 13.03.2013 - Az.: OVG 10 B 4.12 -