Urteil des BVerwG vom 12.07.2006

Materielle Rechtskraft, Spiel, Eigentum, Unterlassen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 37.06
OVG 1 A 11246/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 2. März 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 80 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
a) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob, wenn man von der Identi-
tät des Streitgegenstandes dahingehend ausgehe, dass im Urteil des Verwal-
tungsgerichts vom 2. Juli 2002 die Erschließungsvariante Rohrer Pfad zusam-
men mit den angrenzenden Privatgrundstücken abgelehnt worden sei, die Kla-
ge durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen oder eine Sachentscheidung
zu treffen sei, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die
Frage ist auf die konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Einzelfalles zuge-
schnitten; welche verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse ihre Klärung in ei-
nem Revisionsverfahren erwarten lassen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Im Übrigen hat das Oberverwaltungsgericht die Zulässigkeit der Klage nicht
verneint, weil der vorliegende Rechtsstreit denselben Streitgegenstand habe
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wie das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 2. Juli 2002 (1 K 2597.01.KO), in
dem über die Erteilung eines Bauvorbescheides zu entscheiden war. Es hat
vielmehr das Rechtsschutzbedürfnis für das hier mit dem Hauptantrag verfolgte
Begehren, festzustellen, dass die unter dem 18. September 2000 erteilten
Baugenehmigungen mindestens bis zum 3. September 2008 gelten, und das
hilfsweise geltend gemachte Verpflichtungsbegehren, die Geltungsdauer der
Baugenehmigungen um vier Jahre zu verlängern, verneint, weil die Klägerin
die streitgegenständlichen Bauvorhaben, so wie sie nach den eingereichten
Bauantragsunterlagen konzipiert seien, tatsächlich nicht verwirklichen könne
(UA S. 12).
b) Die Frage, ob bei Identität des Streitgegenstandes durch Erteilung eines
neuen Sachbescheides die materielle Rechtskraft von der Beklagten zur Dispo-
sition gestellt worden sei, würde sich in dem erstrebten Revisionsverfahren
nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Be-
klagte über den durch Urteil vom 2. Juli 2002 rechtskräftig verneinten Anspruch
auf Erteilung eines Bauvorbescheides für das Vorhaben mit der dort vorgese-
henen Erschließung erneut entschieden habe.
c) Die Frage, wann ein identischer Streitgegenstand vorliegt, bedarf nicht der
Klärung in einem Revisionsverfahren. In der Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts ist bereits geklärt, dass der Streitgegenstand identisch ist mit
dem prozessualen Anspruch, der seinerseits durch die erstrebte, im Klagean-
trag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, nämlich
den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist
(vgl. Urteil vom 10. Mai 1994 - BVerwG 9 C 501.93 - BVerwGE 96, 24 <25>;
Beschluss vom 9. August 2000 - BVerwG 8 B 72.00 - Buchholz 310 § 121
VwGO Nr. 80). Die Beschwerde legt nicht dar, welche über diese Rechtspre-
chung hinausgehenden verallgemeinerungsfähigen Erkenntnisse das erstrebte
Revisionsverfahren zu diesem Fragenkomplex erbringen könnte.
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2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
a) Entgegen der Auffassung der Beschwerde stellt es keinen Verfahrensmangel
dar, dass das Oberverwaltungsgericht eine Sachprüfung unterlassen hat, weil
es sich an die Rechtskraft einer früheren Entscheidung gebunden gefühlt hat.
Bei der Prüfung, ob der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von
deren materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese
verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 -
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183, stRspr). Warum das Oberverwaltungsge-
richt ausgehend von seiner materiellen Rechtsauffassung, dass die von der
Klägerin ins Spiel gebrachte Erschließungskonzeption identisch mit derjenigen
Erschließungsvariante sei, über die bereits rechtskräftig - für die Klägerin nega-
tiv - entschieden worden sei (UA S. 15 f.), den Sachverhalt weiter hätte aufklä-
ren sollen, legt die Beschwerde nicht dar.
b) Dem Oberverwaltungsgericht musste sich auch nicht aufdrängen, durch
Ortsbesichtigung zu prüfen, ob eine Erschließung über die südlich angrenzen-
den, im Eigentum der Bundeswasserstraßenverwaltung stehenden Parzellen
möglich ist. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, im Berufungsverfahren auf
diese von den Beteiligten zuvor nicht in Betracht gezogene Möglichkeit hinzu-
weisen und ihre tatsächliche Realisierbarkeit darzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertent-
scheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp
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