Urteil des BVerwG vom 21.06.2005

Wahrung der Frist, Rechtliches Gehör, Fassade, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 37.05
VGH 2 B 01.2052
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs
vom 17. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 77 844,19 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfeh-
lers zuzulassen.
a) Die Beschwerde macht zu Unrecht geltend, das Berufungsgericht habe seine
Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt. Ihre Auffas-
sung, dem Gericht habe sich die Einschaltung eines zusätzlichen Gutachters oder
die nochmalige Einvernahme des erstinstanzlich tätig gewordenen Gutachters B. zu
der Frage aufdrängen müssen, ob die von den Klägern verwirklichte oder die von der
Beklagten verlangte Fassadengestaltung den Erfordernissen des Denkmalschutzes
entspricht, trifft nicht zu.
Nach Einschätzung des Berufungsgerichts ist die vorhandene Fassadengestaltung
nicht denkmalgerecht (UA S. 5). Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat sich
das Gericht damit nicht aus angemaßter eigener Sachkenntnis über entgegenste-
hende Befunde des Konservators W. vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpfle-
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ge in der Stellungnahme vom 12. November 1999 und des Sachverständigen B. im
Gutachten vom 12. Dezember 2000 hinweggesetzt.
aa) Anders als die Beschwerde glauben machen will, hat der Konservator W. nicht
bestätigt, dass die derzeitige Fassade den Zustand des 19. Jahrhunderts widerspie-
gelt, den die Kläger nach der mit den genehmigten Bauvorlagen verfolgten Zielset-
zung wiederherzustellen haben. Vielmehr hat er attestiert, dass die jetzige Ausfüh-
rung noch nicht einmal den Anspruch auf eine annähernde Richtigkeit der histori-
schen Form oder eine entsprechende handwerklich-künstlerische Umsetzung erhe-
ben könne. Die applizierten Stuckformen seien reine Phantasieprodukte, die mit der
historischen Architektur des 19. Jahrhunderts nichts zu tun hätten. Sie wirkten wie
maschinell gefertigt; ihre Farbgestalt mit grauem Grundton und vergoldeten Mu-
scheln sei völlig verfehlt.
bb) Der Sachverständige B., der sich zu der denkmalrechtlichen Genehmigungsfä-
higkeit u.a. des gewählten Farbanstrichs geäußert hat, hat in seinem Gutachten be-
klagt, der Anstrich "mit einem sehr intensiven und dichten Farbton" beeinträchtige
das Erscheinungsbild des Hauses Brunnstraße 11 sowie der Baugruppe Brunnstraße
9 + 11, Kreuzstraße 1 und sprenge den städtebaulichen Kontext der kleinen Bau-
gruppe. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht hätte sich dieser Bewertung
nicht ohne erneute Befragung des Sachverständigen anschließen dürfen; denn der
Sachverständige habe sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsge-
richt am 23. Mai 2001 dahingehend korrigiert, dass auch die Fassade des Gebäudes
Kreuzstraße 1 in einem Vollton gehalten sei. Die Kritik der Beschwerde ist unberech-
tigt, weil ihr eine verkürzte Darstellung der Einlassung des Sachverständigen gegen-
über dem Erstgericht zugrunde liegt. Der Sachverständige hat zwar in seiner Befra-
gung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass "bei dem Anwesen Kreuz-
straße 1 der Farbton auf dem Foto schon sehr intensiv ist" und kein Unterschied zu
einem beginnenden Vollton erkennbar sei. Er hat jedoch auf die Möglichkeit einer
Verfremdung auf dem Foto hingewiesen. Dies wird von der Beschwerde verschwie-
gen.
cc) Ohne Erfolg moniert die Beschwerde, dass das Berufungsgericht unter Missach-
tung des entgegenstehenden Befundes des Sachverständigen B. angenommen ha-
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be, eine (nunmehr verloren gegangene) "Bodenhaftigkeit" des Gebäudes Brunnstra-
ße 11 um 1900 sei "deutlich ablesbar." Der behauptete Widerspruch in der Einschät-
zung, ob die Gestaltung des Erdgeschossbereichs aus denkmalschützerischer Sicht
genehmigungsfähig ist, ist nicht schlüssig dargetan. Zwar hat der Sachverständige in
der Tat ausgesagt, dass bereits um die Jahrhundertwende "die Bodenständigkeit
nicht nachzuvollziehen war". Die Beschwerde lässt aber außer Acht, dass es nach
dem materiellrechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts, auf den für die Frage
des Vorliegens eines Verfahrensmangels abzustellen ist (vgl. BVerwG, Beschluss
vom 2. Juli 1998 - BVerwG 11 B 30.97 - Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 2; stRspr),
nicht auf das Erscheinungsbild des Gebäudes um 1900, sondern auf das historische
Vorbild von 1877 ankam, wie es sich aus den damaligen Plänen (PlNr. 6874
v. 19.5.1877 - Fassade) ergibt (UA S. 7).
b) Der Vorwurf der Beschwerde, das Berufungsgericht habe gegen § 116 Abs. 2
VwGO verstoßen, geht ebenfalls fehl. Die Vorschrift ordnet an, dass das Urteil im
Falle seiner Zustellung statt seiner Verkündung binnen zwei Wochen nach der
mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übergeben ist. Zur Wahrung der
Frist genügt in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO die
Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel (BVerwG, Urteil vom 11. Juni 1993
- BVerwG 8 C 5.92 - Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 20, S. 4). Da die mündliche
Verhandlung am 14. Januar 2005 durchgeführt und der Tenor der angefochtenen
Entscheidung ausweislich des Eingangsvermerks am 17. Januar 2005 zur Ge-
schäftsstelle gelangt ist (Beiakte II S. 119), ist die Frist des § 116 Abs. 2 VwGO ein-
gehalten.
c) Auch die Gehörsrüge führt nicht zur Zulassung der Revision.
aa) Zu Unrecht vermisst die Beschwerde in den Gründen des Berufungsurteils ein
Eingehen auf die Argumente, die in der mündlichen Verhandlung von den Klägern
gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung vorgebracht worden sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwal-
tungsgerichts ist in der Regel davon auszugehen, dass das Gericht bei seiner Ent-
scheidung die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwä-
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gung gezogen hat. Das gilt auch für Vorbringen, das in den Entscheidungsgründen
nicht erörtert ist. Das Gericht muss sich in seinem Urteil nicht mit jedem Vorbringen
auseinander setzen. Es darf sich auf die Gründe beschränken, die für seine Ent-
scheidung leitend gewesen sind. Darum ist der Schluss von der Nichtbehandlung
eines Vorbringens in den Entscheidungsgründen auf die Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das betreffende
Vorbringen nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts entscheidungserheblich war
(BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>;
BVerwG, Beschluss vom 25. November 1999 - BVerwG 9 B 70.99 - Buchholz 310
§ 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 64). Das ist hier nicht der Fall, soweit die geschilderten
Spannungen zwischen den Klägern und der unteren Denkmalschutzbehörde in Rede
stehen. Die behauptete Weigerung der Behörde, mit den Klägern zu sprechen und
ihnen Akteneinsicht zu gewähren, ist für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Ver-
fügung vom 9. Februar 2000 sowohl nach Auffassung des Berufungsgerichts als
auch objektiv irrelevant. Mit der Verfügung wird von den Klägern nicht, wie die Be-
schwerde konkludent geltend macht, ein unmögliches Verhalten verlangt. Dass die
untere Denkmalschutzbehörde es ablehnt, bei der geforderten Zurückführung des
Anwesens Brunnstraße 11 in einen denkmalgerechten Zustand mitzuwirken, ergibt
sich aus dem Vorbringen der Beschwerde nicht.
Auf die in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage nach der inhaltlichen
Bestimmtheit der denkmalschutzrechtlichen Nebenbestimmungen in der Baugeneh-
migung vom 29. September 1997 ist das Berufungsgericht eingegangen (UA S. 8).
Dass die Beschwerde die Antwort für falsch hält, lässt sich mit der Gehörsrüge nicht
geltend machen.
bb) Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe eine Überraschungsentscheidung ge-
troffen, weil es ohne vorherigen Hinweis von gutachtlichen Feststellungen abgewi-
chen sei, liegt nach den Ausführungen zu Punkt 1 des Beschlusses neben der Sa-
che.
2. Die Zulassung der Revision lässt sich auch nicht auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
stützen. Sämtliche Fragen, die die Beschwerde formuliert, stellen der Sache nach
einen Angriff gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwen-
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dung dar. Mit auf den Einzelfall zugeschnittenen Rügen kann die grundsätzliche Be-
deutung einer Rechtssache nicht begründet werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen,
unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO und die Streit-
wertentscheidung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp