Urteil des BVerwG vom 15.01.2014

Auflage, Vollzug, Berechnungsgrundlagen, Erfüllung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 36.13
OVG 11 A 19.13
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Decker
beschlossen:
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Berlin-Brandenburg vom 25. April 2013 wird zurück-
gewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfah-
rens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 195 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Er-
folg.
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Beigeladene das für die Zulässigkeit ihrer Be-
schwerde erforderliche allgemeine Rechtsschutzbedürfnis (noch) besitzt, nach-
dem sie mit den Schreiben ihrer Geschäftsführung vom 8. Juli 2013 und vom
15. Oktober 2013 gegenüber den Klägerinnen (sowie allgemein über ihre Web-
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site im Internet) und mit Schreiben vom 16. Juli 2013 gegenüber dem Ministe-
rium für Infrastruktur und Landwirtschaft des Landes Brandenburg (bisheriger
Beklagter) erklärt hat, dass sie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts „ohne
Wenn und Aber umsetzen“ werde, dass sie mithin den Schallschutz für die an-
spruchsberechtigten Anwohner des Flughafens gemäß den Vorgaben der ein-
schlägigen Schutzauflagen im Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des
Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld in der aktuellen Fassung unter Beach-
tung der Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg und
des Bundesverwaltungsgerichts realisieren werde. Das bedarf jedoch keiner
Vertiefung. Der Beschwerde muss jedenfalls deshalb der Erfolg versagt bleiben,
weil Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2
VwGO nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genü-
genden Weise dargelegt sind oder aber nicht vorliegen.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beigeladene
beimisst.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine
Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung
einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Be-
schwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen
und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1
VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine
bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungs-
bedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu
erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B
78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011
- BVerwG 7 B 45.10 - juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde hält folgende Fragen für klärungsbedürftig:
Gewährt § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, gegebenenfalls unter
welchen Voraussetzungen, den von der Schutzauflage ei-
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nes bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses Be-
günstigten einen einklagbaren Rechtsanspruch gegen die
bescheiderlassende Behörde auf Vollzug der Auflage ge-
genüber dem durch die Auflage belasteten Vorhabenträ-
ger (Anspruch auf behördliches Einschreiten gegenüber
dem Vorhabenträger)?
Gewährt § 47 Abs. 1 Nr. 2 LuftVZO (Befugnis zur Prü-
fungspflicht durch die bescheiderlassende Behörde) dem
von der Schutzauflage eines bestandskräftigen Planfest-
stellungsbeschlusses „Begünstigten“ ein Recht gegenüber
der bescheiderlassenden Behörde auf Vollzug der Auflage
(Anspruch auf behördliches Einschreiten gegenüber dem
Vorhabenträger)?
Beschränkt § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG Ansprüche einer
durch die Auflage eines bestandskräftigen Planfeststel-
lungsbeschlusses Begünstigten auf das Verhältnis zwi-
schen Begünstigten und dem durch die Auflage Belaste-
ten?
Falls auf der Grundlage von § 47 Abs. 1 Nr. 2 LuftVZO
oder anderer Rechtsgrundlagen dem durch die Auflage
eines bestandskräftigen Planfeststellungsbeschlusses Be-
günstigten ein Rechtsanspruch auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung der bescheiderlassenden Behörde (Auf-
sichtsentscheidung) über den Vollzug der Auflage, na-
mentlich die Bestimmung der Berechnungsgrundlagen von
in der Auflage genannten Lärmwerten zustehen sollte, ist
es dem im Klagewege angerufenen Gericht gestattet, die
Ermessenserwägungen der Behörde zum Vollzug der be-
standskräftig begünstigenden Auflage eines Planfeststel-
lungsbeschlusses, insbesondere die Einzelheiten der Be-
rechnungsgrundlagen von Lärmwerten, durch eine eigene
Entscheidung zu ersetzen?
Diese Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, denn sie würden sich in
einem anschließenden Revisionsverfahren nicht stellen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerinnen gegen die Be-
klagte auf Einschreiten gegen die Beigeladene im Hinblick auf die Einhaltung
der Schutzauflage unter A II 5.1.2 Abs. 1 des Planfeststellungsbeschlusses zum
Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004 - in der derzeit
geltenden Fassung - (im Folgenden „Planfeststellungsbeschluss“) weder aus
§ 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG (Frage 1), noch aus § 47 Abs. 1 Nr. 2 LuftVZO (Fra-
ge 2) hergeleitet. Vielmehr ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen,
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dass sich der Anspruch auf aufsichtsrechtliches Einschreiten unmittelbar aus
der genannten Schutzauflage ergibt (UA S. 15). Das folge daraus, dass dieser
Auflage für die Klägerinnen schützende Wirkung zukomme und dass das Er-
messen der Beklagten in Bezug auf das Einschreiten gegen die Beigeladene
angesichts der systematischen Verfehlung des Tagschutzzieles durch die Bei-
geladene auf Null reduziert sei. Lediglich hinsichtlich der Wahl des Mittels zur
Durchsetzung dieser Verpflichtung hat es der Beklagten noch einen Ermes-
sensspielraum zugestanden (UA S. 32). In Bezug auf diese, die Entscheidung
des Oberverwaltungsgerichts tragende Begründung, wirft die Beschwerde aller-
dings keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, sondern beschränkt
sich auf eine inhaltliche Kritik an dem erstinstanzlichen Urteil.
Die auf § 75 Abs. 1 Satz 2 VwVfG bezogene Frage 3 würde sich in einem Revi-
sionsverfahren nicht stellen, weil die Norm vorliegend schon nicht anwendbar
ist; sie wird durch den inhaltsgleichen § 9 Abs. 1 Satz 2 LuftVG in der bis zum
31. Mai 2014 geltenden Fassung verdrängt (Schiller, in: Grabherr/Reidt/Wysk,
LuftVG, Stand Juni 2013, § 9 Rn. 2). Unabhängig davon wäre die von der Bei-
geladenen aufgeworfene Frage auch ohne Weiteres zu verneinen. Dem § 75
Abs. 1 Satz 2 VwVfG lässt sich nichts dafür entnehmen, dass durch Schutzauf-
lagen in einem Planfeststellungsbeschluss begünstigte Dritte darauf beschränkt
sind, deren Erfüllung nur gegenüber dem Vorhabenträger geltend machen zu
können.
Frage 4 ist schließlich nicht entscheidungserheblich, weil das Oberverwaltungs-
gericht die Ermessenserwägungen der Planfeststellungsbehörde nicht durch
eigene Ermessenserwägungen, insbesondere zu den Einzelheiten der Berech-
nungsgrundlagen von Lärmwerten, ersetzt hat. Das erstinstanzliche Gericht hat
vielmehr die unter A II 5.1.2 des Planfeststellungsbeschlusses zugunsten der
Klägerinnen angeordnete Schutzauflage ausgelegt und anhand dieses Ausle-
gungsergebnisses geprüft, ob von Seiten der Beklagten und der Beigeladenen
die Erfüllung der so konkretisierten Schutzauflage sichergestellt ist. Das hat es
verneint. Dass das Oberverwaltungsgericht die genannte Schutzauflage anders
verstanden hat als Beklagte und Beigeladene bisher, bedeutet folglich keinen
Eingriff in den Ermessensbereich der Planfeststellungsbehörde. Soweit die Bei-
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geladene in diesem Zusammenhang weiter eine Verletzung des § 114 VwGO
rügt, genügt die Beschwerde schon nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die
Beigeladene legt nicht dar, dass das angefochtene Urteil von Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit
dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder
des Bundesverfassungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung dersel-
ben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschlüsse vom 19. August 1997
- BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 und vom
13. Juli 1999 - BVerwG 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO
Nr. 9). Daran fehlt es vorliegend.
Soweit eine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Au-
gust 1960 - BVerwG 1 C 42.59 - (BVerwGE 11, 95 <97>) behauptet wird, schei-
tert die Rüge jedenfalls daran, dass das Oberverwaltungsgericht den Anspruch
der Klägerinnen auf aufsichtsbehördliches Einschreiten der Planfeststellungs-
behörde gegen die Beigeladene weder ausdrücklich noch konkludent aus
Art. 19 Abs. 4 GG, sondern aus den Auflagen in Teil A II 5.1 des Planfeststel-
lungsbeschlusses hergeleitet hat (UA S. 15).
Die behauptete Divergenz zum Urteil des Senats vom 16. März 2006 - BVerwG
4 A 1075.04 - (BVerwGE 125, 116 = Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 23) ist
ebenfalls nicht ausreichend dargelegt. Die Beschwerde zeigt keine divergieren-
den Rechtssätze auf. Soweit die Beigeladene dem erstinstanzlichen Urteil den
Rechtssatz entnimmt, dass „eine systematische Verfehlung des hinter den
Schutzauflagen stehenden Schutzzieles einen Anspruch der Auflagenbegünsti-
genden gegen die bescheiderlassende Behörde auf Einhaltung des vom Erst-
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gericht festgesetzten Schutzzieles (v)ermittelt“ (Beschwerdebegründung vom
29. Juli 2013 S. 15), fehlt es an einer Divergenz schon deshalb, weil sich das
Urteil vom 16. März 2006 (a.a.O.) nicht zu dieser Frage verhält. Die weitere
Aussage des Oberverwaltungsgerichts, „Das Tagschutzziel der Auflage A II
5.1.2 des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 sei nur dann er-
füllt, wenn im Rauminnern ‚tagsüber höhere A-bewertete Maximalpegel als
55 dB(A) in den sechs verkehrsreichsten Monaten rechnerisch insgesamt weni-
ger als einmal auftreten, (bzw.) bezogen auf den Durchschnittstag der sechs
verkehrsreichsten Monate (die) Überschreitungshäufigkeit des Maximalpegels
von 55 dB(A) weniger als 0,005 beträgt
′“ (Beschwerdebegründung vom 29. Juli
2013 S. 15), steht offensichtlich mit dem Urteil des Senats vom 16. März 2006
- BVerwG 4 A 1075.04 - (BVerwGE 125, 116
Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 23) in Einklang. Dort ist unter Rn. 295 Folgen-
des ausgeführt:
„… Dieser Eindruck wird noch verstärkt bei einem Ver-
gleich mit der in Teil A II 5.1.2 (PFB S. 105 f.) getroffenen
textidentischen Tagesschutzregelung. Diese lässt - auch
mit Blick auf die dazu gegebene Begründung (PFB S. 561,
655) - keinen Raum für die Deutung, dass in dem Tag-
schutzgebiet, das von der Grenzlinie eines für die Tag-
stunden (6:00 bis 22:00 Uhr) der sechs verkehrsreichsten
Monate ermittelten energieäquivalenten Dauerschallpe-
gels von 60 dB(A) außen umschlossen wird, im Innern der
in Satz 1 genannten Räume der Maximalpegel von
55 dB(A) auch nur einmal überschritten werden dürfte …“.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung
des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
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