Urteil des BVerwG vom 07.06.2012

Gebot der Transparenz, Gemeinde, Konzept, Kritik

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 36.11
OVG 1 LC 86/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juni 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 19. Mai 2011 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 8 453,97 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzli-
cher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die Formulierung
einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsent-
scheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die
Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Be-
deutung bestehen soll (stRspr).
1. Die Frage,
ob nur Kosten umlagefähig sind, die sich aus den ur-
sprünglichen Schulplanungen ergeben haben abzüglich
etwaiger Zuschüsse von dritter Seite, im vorliegenden Fall
also des Landkreises Diepholz,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass einem Folgekostenvertrag
die für die städtebaulichen Maßnahmen insgesamtentstandenen Kosten zu-
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grunde gelegt werden können. Dabei sind die Zuschüsse Dritter abzuziehen
(Urteil vom 29. Januar 2009 - BVerwG 4 C 15.07 - BVerwGE 133, 85 Rn. 34).
Daraus ergibt sich, dass es für die gerichtliche Kontrolle auf die der Gemeinde
tatsächlich entstandenen Kosten ankommt. Auf die Höhe der Kosten, wie sie
„ursprünglichen Schulplanungen“ zugrunde gelegen haben, könnte es nur an-
kommen, wenn die von der Beschwerde angesprochenen und im Urteil behan-
delten (UA S. 20) Mehrkosten zum einen unangemessen und zum anderen
auch umgelegt worden wären. Das Oberverwaltungsgericht hat aber ausdrück-
lich festgestellt, dass die Mehrkosten nicht durch Folgekostenbeiträge umgelegt
worden seien.
2. Die Frage,
ob in das Gesamtkonzept einer Gemeinde auch Gebiete
völlig unterschiedlichen Charakters und insbesondere sol-
che Gebiete mit eingestellt werden dürfen, die überhaupt
keinen Zusatzbedarf an städtebaulichen Folgemaßnah-
men hervorrufen,
bedarf ebenfalls keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Mit der Formulie-
rung „Gebiete völlig unterschiedlichen Charakters“ nimmt die Beschwerde Be-
zug auf die Unterscheidung, die das Oberverwaltungsgericht zwischen Zuzugs-
gebieten und Eigenentwicklungsgebieten macht (UA S. 21 ff.). Es kann nicht
zweifelhaft sein, dass auch Gebiete mit unterschiedlichen Eigenschaften in das
Gesamtkonzept eingestellt werden können. Dem ist gegebenenfalls durch eine
unterschiedliche Behandlung Rechnung zu tragen (hierzu UA S. 21). Gebiete,
die überhaupt keinen Zusatzbedarf an städtebaulichen Folgemaßnahmen her-
vorrufen, sind nach den - nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen - Feststel-
lungen des Oberverwaltungsgerichts nicht einbezogen worden (UA S. 23). Die
Klägerin wendet sich im Gewand der Grundsatzrüge gegen die tatrichterliche
Würdigung, dass der Zuzug in Eigenentwicklungsgebiete einen Folgebedarf
auslöst. Mit einer Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und
Rechtsanwendung ist der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO je-
doch nicht dargelegt.
3. Die Formulierung,
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ob die Bewertung des anzufechtenden Urteils trotz der
unter a) bis f) aufgeführten Sachverhalte
dem vom Bundesverwaltungsgericht herausgearbeiteten
Gebot der Transparenz überhaupt noch entspricht oder ob
dies verletzt ist,
lässt ebenfalls keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf erkennen. Der Se-
nat hat in seinem dieselben Beteiligten betreffenden Urteil vom 29. Januar 2009
folgende Grundsätze aufgestellt (a.a.O. Rn. 32; vgl. auch Urteil vom 24. März
2011 - BVerwG 4 C 11.10 - BVerwGE 139, 262 Rn. 11):
Ein Gesamtkonzept, wie es die Beklagte hier für sich in
Anspruch nimmt, erfüllt nur dann die gesetzlichen Anfor-
derungen, wenn die Gemeinde transparent, nachvollzieh-
bar und damit kontrollierbar belegen kann, dass die von
ihr in einem überschaubaren zeitlichen Zusammenhang zu
beschließenden und realistischerweise verwirklichungsfä-
higen Bebauungspläne (oder anderen Satzungen) einen
(weiteren) Bedarf an öffentlichen Einrichtungen hervorru-
fen. Ein derartiges Konzept muss vom Rat der Gemeinde
beschlossen und damit von seiner planerischen und ge-
staltenden Willensbildung gedeckt sein. Wenn mehrere
Bebauungspläne zur Begründung eines Bedarfs an öffent-
lichen Einrichtungen herangezogen werden sollen, kann
dies - worauf die Beklagte vorliegend in besonderer Weise
Bezug nimmt - mit einer Änderung des Flächennutzungs-
plans einhergehen. Dieser bereitet die weitere Planung
durch Bebauungspläne vor und strukturiert damit die pla-
nerischen Absichten der Gemeinde auf einer übergreifen-
den Ebene. In jedem Fall muss anhand nachvollziehbarer
und realistischer Prognosen dargelegt werden, mit wel-
cher Zunahme der Bevölkerung gerechnet wird. Daraus ist
abzuleiten und anhand von Erfahrungswerten zu belegen,
welcher Bedarf an öffentlichen Anlagen und Einrichtun-
gen, die der Allgemeinheit dienen, dadurch hervorgerufen
wird und welche Kosten in dessen Folge (nach Abzug von
Zuschüssen etc.) auf die Gemeinde zukommen.
Auf dieser Grundlage hat das Oberverwaltungsgericht die Beschlüsse des Rats
überprüft. Dass ein Gesamtkonzept im Sinne dieser Rechtsprechung aus meh-
reren Beschlüssen des Rats bestehen kann, versteht sich von selbst. Die weite-
re Kritik der Beschwerde am Vorgehen der Antragsgegnerin unter b) bis f) be-
trifft Besonderheiten des Einzelfalls, die einer rechtsgrundsätzlichen Klärung
nicht zugänglich sind, oder Fragen des Landes-Kommunalrechts.
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4. Die zum Gleichheitssatz gestellte Frage legt wie die oben unter 2. behandelte
einen Sachverhalt zugrunde, der vom Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt
worden ist. Denn dieses geht davon aus, dass auch in den Eigenentwicklungs-
gebieten ein Folgebedarf entsteht. Die Beschwerde legt auch keinen Klärungs-
bedarf zur Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes dar (vgl. hierzu Urteile vom
29. Januar 2009 a.a.O. Rn. 34 sowie vom 24. März 2011 a.a.O. Rn. 20).
5. Auch die Frage,
ob eine Unangemessenheit durch Überkompensation
nicht auch dann besteht, wenn - abweichend vom ur-
sprünglichen Konzept - bewusst Mehrkosten des Bauvor-
habens aufgewendet werden, weil inzwischen ein Zu-
schuss von dritter Stelle erfolgt ist,
legt einen Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz nicht festgestellt hat. Das
Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Beklagte schon bei der Er-
stellung des Strukturplans die Absicht gehabt hat, eine besser ausgestattete
Schule zu errichten (vgl. UA S. 4).
6. Die Frage,
ob nicht bei Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes die
Gesamtbelastung des individuellen bau- oder veräuße-
rungswilligen Grundstückseigentümers unangemessen ist
mit der Folge, dass aus diesem Grund ein Folgekosten-
vertrag unwirksam ist,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. In der Rechtsprechung
des Senats ist geklärt, dass bei der Prüfung der Angemessenheit alle in einem
städtebaulichen Vertrag enthaltenen Verpflichtungen des Grundstückseigentü-
mers im Zusammenhang und damit in ihrer wirtschaftlichen Gesamtwirkung zu
würdigen sind. Dies gilt in besonderer Weise bei einem Vertrag der vorliegen-
den Art, in dem sowohl eine Beschränkung des Preises bei einer Veräußerung
des Grundstücks als auch eine Pflicht zur Zahlung von Folgekosten vereinbart
worden sind (Urteil vom 29. Januar 2009 a.a.O. Rn. 34). Dem ist das angegrif-
fene Urteil gerecht geworden. Auch bei einer Gesamtschau des Folgekosten-
beitrags und der durch den städtebaulichen Vertrag vorgenommenen
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Preisdeckelung gelangt das Gericht indes zu einer Gesamtbelastung von etwa
28 % (UA S. 26). Damit stellt sich die Anwendbarkeit des sog. Halbteilungs-
grundsatzes vorliegend nicht. Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts
zu diesem Grundsatz betreffen lediglich eine Hilfserwägung, auf der das Urteil
nicht beruht (UA S. 26 letzter Absatz). Im Übrigen weist die Beklagte zutreffend
darauf hin, dass auch das Bundesverfassungsgericht selbst für die Belastung
mit Steuern (Einkommen- und Gewerbesteuer) den sog. Halbteilungsgrundsatz
nicht als Belastungsobergrenze ansieht (Beschluss vom 18. Januar 2006
- 2 BvR 2194/99 - BVerfGE 115, 97, 114).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Prof. Dr. Rubel Dr. Gatz Dr. Jannasch
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