Urteil des BVerwG vom 07.06.2006

Unverletzlichkeit der Wohnung, Öffentliche Sicherheit, Durchsuchung, Gefahr

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 36.06
OVG 8 A 11500/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Juni 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 15. Februar 2006 wird zurückgewie-
sen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein
Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage auf, ob
die von der Beklagten auf der Grundlage von § 59 Abs. 4 Satz 2 LBauO ange-
ordnete Bauzustandsbesichtigung eine Durchsuchung im Sinne von Art. 13
Abs. 2 GG darstellt oder den Eingriffen und Beschränkungen des Grundrechts
auf Unverletzlichkeit der Wohnung im Sinne von Art. 13 Abs. 7 GG zuzuordnen
ist. Diese Rechtsfrage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie sich
auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne
weiteres beantworten lässt.
Wie das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit dem Bundesver-
waltungsgericht bereits mehrfach entschieden hat, ist für eine Durchsuchung im
Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher
Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts
kennzeichnend. Zweck der Durchsuchung ist es, etwas aufzuspüren, was der
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Inhaber der Wohnung von sich aus nicht herausgeben oder offen legen will
(BVerfGE 75, 318 <327> m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 6. September 1974
- BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <36 f.>). Durchsuchungen sind danach
Mittel zum Auffinden und Ergreifen einer Person, zum Auffinden, Sicherstellen
oder zur Beschlagnahme einer Sache oder zur Verfolgung von Spuren. „Durch-
suchen“ bedeutet in diesem Zusammenhang, in der Wohnung „etwas nicht klar
zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu
lüften“ (BVerwG, Urteil vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - a.a.O.
S. 37).
Es liegt auf der Hand, dass der Tatbestand einer Durchsuchung nicht - wie die
Klägerin meint - immer schon dann vorliegt, wenn bei dem Betreten und der
Besichtigung einer Wohnung Dinge wahrgenommen werden, die offen zutage
liegen, die der Wohnungsinhaber aber gern vor den zuständigen Behörden ge-
heim halten möchte. Die Befugnis zum Betreten und Besichtigen einer Woh-
nung, die den Bauaufsichtsbehörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe einge-
räumt wird, die Nutzung baulicher Anlagen daraufhin zu überwachen, ob sie die
öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften einhalten, verfolgt gerade nicht - wie das
Berufungsgericht zutreffend ausführt - den Zweck, in der Wohnung verborgene
Dinge oder Sachverhalte „aufzuspüren“. Das bauaufsichtsbehördliche Betreten
einer Wohnung fällt in den Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 7 GG. Insoweit
gilt für das Betretungs- und Besichtigungsrecht der Bauaufsichtsbehörden
nichts anderes als für die gesetzlichen Betretungs- und Besichtigungsrechte der
Überwachungsbehörden auf den Gebieten des Apotheken-, Handwerks- und
Lebensmittelrechts (vgl. dazu BVerfGE 17, 232 <251>; 32, 54 <73>; BVerwG,
Urteil vom 5. November 1987 - BVerwG 3 C 52.85 - BVerwGE 78, 251 <254>).
2. Die Rechtsfragen, die die Beschwerde zu dem Erfordernis der Verhütung
dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von
Art. 13 Abs. 7 GG aufwirft, rechtfertigen die Zulassung der Revision ebenfalls
nicht. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Art. 13 Abs. 7 GG nicht den Ein-
tritt einer konkreten Gefahr voraussetzt. Eingriffe und Beschränkungen des
Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung sind bereits dann zulässig,
wenn sie dem Zweck dienen, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der sei-
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nerseits eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar-
stellen würde (BVerfGE 17, 232 <251 f.>; BVerwG, Urteil vom 6. September
1974 - BVerwG 1 C 17.73 - a.a.O. S. 40).
Im Übrigen erschöpft sich das Beschwerdevorbringen zum Erfordernis einer
dringenden Gefahr und zur Verhältnismäßigkeit der hier umstrittenen Bauzu-
standsbesichtigung in Angriffen gegen die tatrichterliche Sachverhaltswürdigung
und Rechtsanwendung, ohne einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf
aufzuzeigen. Der Vorwurf der unrichtigen Anwendung von Rechtsgrundsätzen,
die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundes-
verwaltungsgerichts aufgestellt worden sind, ist nicht geeignet, die grundsätzli-
che Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage darzulegen. Von einer weiteren Be-
gründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
3. Die Rechtsfragen, die die Beschwerde zum Problem der „Verwirkung und
Duldung“ aufwirft, sind nach den tragenden Gründen des Berufungsurteils (Ur-
teilsabschrift S. 11) nicht entscheidungserheblich. Sie wären deshalb in einem
Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig.
4. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsurteil weiche von dem
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C
17.73 - (a.a.O.) ab, genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine die Revision eröffnende Divergenz, also ein Wider-
spruch im abstrakten Rechtssatz, läge im Übrigen nur vor, wenn das Beru-
fungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Ent-
scheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Ent-
scheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechts-
satz abgewichen wäre. Aus den oben unter 1. und 2. dargelegten Gründen ist
das nicht der Fall.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Dr. Jannasch
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Verfassungsrecht
Fachpresse: ja
Baurecht
Rechtsquellen:
GG
Art. 13 Abs. 2 und Abs. 7
LBauO Rheinland-Pfalz
§ 59 Abs. 4 Satz 2
Stichworte:
Betreten einer Wohnung; Durchsuchung; Bauzustandsbesichtigung.
Leitsatz:
Das bauaufsichtliche Betreten und Besichtigen einer Wohnung ist keine Durch-
suchung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 GG, sondern fällt in den Anwendungsbe-
reich von Art. 13 Abs. 7 GG.
Beschluss des 4. Senats vom 7. Juni 2006 - BVerwG 4 B 36.06
I. VG Neustadt vom 27.06.2005 - Az.: VG 3 K 2107/04.NW -
II. OVG Koblenz vom 15.02.2006 - Az.: OVG 8 A 11500/05 -