Urteil des BVerwG vom 24.07.2014

Konzept, Ermessensausübung, Rüge, Erlass

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 34.14
VGH 3 S 1962/13
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und Dr. Külpmann
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs
Baden-Württemberg vom 16. April 2014 wird zurückge-
wiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf
100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Er-
folg.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
Die Beschwerde sieht grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich der Fragen,
ob ein Sanierungs- und Handlungskonzept zum Vorgehen
gegen sogenannte Schwarzbauten mit dem Gleichbe-
handlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren
ist, nach welchem lediglich für ab einem bestimmten Zeit-
punkt errichtete bauliche Anlagen eingeschritten wird und
vor diesem Zeitpunkt errichtete vergleichbare illegale Bau-
lichkeiten geduldet werden,
und ob dies auch dann der Fall ist, wenn der maßgebliche
Zeitpunkt des Konzeptes in der Vergangenheit liegt.
Mit den vorstehenden Fragen möchte der Kläger klären lassen, inwiefern die
Ermessensausübung in den verfahrensgegenständlichen Bescheiden mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings dem Landes-
recht zu entnehmen, wie bei Erlass einer Beseitigungsanordnung das Ermes-
sen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben ist und wo die
Grenzen des Ermessens liegen (vgl. zuletzt Urteil vom 21. März 2013 - BVerwG
4 C 14.11 - juris Rn. 10 m.w.N.). Der Kläger rügt damit in der Sache die Nicht-
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beachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landes-
recht. Die Zulassung der Grundsatzrevision lässt sich in einem solchen Fall al-
lerdings nur mit der Darlegung erreichen, dass der bundesrechtliche Maßstab
selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf auf-
weist (vgl. etwa Beschluss vom 7. Mai 2014 - BVerwG 4 B 17.14 - juris Rn. 3
m.w.N.). Daran fehlt es hier. Hiervon unabhängig, sind die Fragen auch nicht
klärungsbedürftig, weil sie bereits geklärt sind. Nach der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, von der auch der Verwaltungsgerichtshof ausge-
gangen ist (UA S. 18), ist das bundesrechtliche Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1
GG bei jeder Ermessensausübung zu beachten. Die Behörde darf daher ihr
Ermessen nicht ohne erkennbaren Grund unterschiedlich, systemwidrig oder
planlos ausüben. Die Bauaufsichtsbehörde darf sich auf die Regelung von Ein-
zelfällen beschränken, wenn sie hierfür sachliche Gründe anzuführen mag.
Dem behördlichen Einschreiten können Fälle, in denen noch nicht eingeschrit-
ten worden ist, ausnahmsweise dann entgegengehalten werden, wenn es nach
der Art des Einschreitens an jedem System fehlt, für diese gewählte Art des
zeitlichen Vorgehens keinerlei einleuchtende Gründe sprechen und die Hand-
habung deshalb als willkürlich angesehen werden muss (Beschlüsse vom
19. Februar 1992 - BVerwG 7 B 106.91 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht
Nr. 37 S. 26 und vom 23. November 1998 - BVerwG 4 B 99.98 - Buchholz
406.17 Bauordnungsrecht Nr. 68 S. 31 f.). Der Senat hat ferner bereits ent-
schieden, dass den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG auch dann genügt werden
kann, wenn die Behörde nur gegen Schwarzbauten vorgeht, die nach einem
bestimmten Zeitpunkt errichtet oder verändert worden sind (Beschlüsse vom
13. Februar 1989 - BVerwG 4 B 16.89 - juris Rn. 3 und vom 6. Juli 1989
- BVerwG 4 B 130.89 - juris Rn. 3; zur Zulässigkeit von Stichtagsregelungen
vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 25. August 1992 - 1 BA 9/92 - BauR 1993,
208; Köhler-Rott, in: Reichel/Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 2004,
Kap. 15 Rn. 346), um so die Verschlechterung einer vorgefundenen Situation
zu verhindern. Nach Art. 3 Abs. 1 GG ist ein Zeitpunkt als Stichtag für das zu-
künftige Einschreiten jedenfalls dann zulässig, wenn er nach sachlichen Krite-
rien bestimmt ist (Beschluss vom 6. Juli 1989 a.a.O.). Weiteren grundsätzlichen
Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
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Hinsichtlich der zweiten Frage legt der Kläger nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO), welche Bedenken er gegen die Festsetzung eines in der Vergangen-
heit liegenden Stichtages erhebt, wenn - wie hier vom Verwaltungsgerichtshof
angenommen (UA S. 9 f.) - der Erlass einer Abbruchsanordnung voraussetzt,
dass die Anlage nicht durch eine Baugenehmigung gedeckt ist und seit ihrem
Beginn fortlaufend gegen materielles Baurecht verstößt, und so dem Bestands-
schutz des Eigentümers Rechnung getragen wird. Auch der Senat hat in seiner
Rechtsprechung Einwände gegen einen in der Vergangenheit liegenden Stich-
tag nicht erhoben (Beschluss vom 6. Juli 1989 a.a.O).
2. Die Beschwerde meint, der Verwaltungsgerichtshof habe aktenwidrig nicht
festgestellt, dass der Beklagte sein Konzept zum Einschreiten aus dem April
2007 ausweislich eines Aktenvermerks vom „30. Juni 2007“ (richtig: 13. Juni
2007) zu Gunsten eines anderen Konzeptes aufgegeben und erst nach Errich-
tung des streitigen Anbaus am 28. März 2008 das konkrete, hier zugrunde ge-
legte Konzept über das behördliche Einschreiten festgelegt habe.
Diese Rüge hat keinen Erfolg. Die von der Beschwerde als Verfahrensrüge
(§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) erhobene Rüge der Aktenwidrigkeit bedingt die
schlüssig vorgetragene Behauptung zwischen den in der angegriffenen Ent-
scheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstritte-
nen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Dieser Widerspruch muss offen-
sichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des rich-
tigen Sachverhalts nicht bedarf (Beschluss vom 3. Juni 2014 - BVerwG
4 BN 14.14 - juris Rn. 9). Hieran fehlt es. Nach der Sachverhaltswürdigung des
Verwaltungsgerichtshofs entspricht das Einschreiten im März 2008 dem im April
2007 entwickelten Konzept (UA S. 19). Diese Feststellung steht nicht in offen-
sichtlichem Widerspruch zu dem Aktenvermerk vom 13. Juni 2007, der nach
dem Verständnis des Klägers ein Vorgehen gegen alle Überschreitungen vor-
sah und das bisherige Konzept aufgab. Der Verwaltungsgerichtshof hat den
vom ihm berücksichtigten Vermerk (vgl. UA S. 3 oben) nicht als Aufgabe des
Konzeptes aus dem April 2007 verstanden, sondern als Teil der Maßnahmen
für die Umsetzung dieses Konzeptes (UA S. 19). Diese Würdigung ist nicht of-
fensichtlich aktenwidrig. Denn die von der Beschwerde angeführte Passage
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skizziert nur den Inhalt eines beabsichtigten Hinweises gegenüber der Stand-
ortgemeinde, um diese zu bewegen, entsprechend dem ursprünglichen Ziel des
Konzeptes aus dem April 2007 einen Bebauungsplan zu erlassen. Dass der Ak-
tenvermerk unter Verkürzung der Rechtslage andeutet, es müsse gegen alle
Verstöße durch Abbruchanordnungen vorgegangen werden, erlaubt ebenso
das Verständnis, dass es sich nur um eine lose interne Skizze zum weiteren
Vorgehen handelte, aber nicht um eine grundsätzliche Abkehr von dem bisheri-
gen Konzept.
Damit bleibt auch die erhobene Gehörsrüge erfolglos. Der Verwaltungsge-
richtshof hat den Vermerk vom 13. Juni 2007 zur Kenntnis genommen; dies
zeigt der Hinweis auf die in diesem Vermerk angeordnete Auflistung der fest-
stellbaren baurechtlichen Verstöße (UA S. 3). Dass er diesem Vermerk im
Rahmen seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht dieselbe Bedeutung
beigemessen hat wie der Kläger, führt nicht auf einen Gehörsverstoß.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Decker
Dr. Külpmann
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