Urteil des BVerwG vom 28.05.2008

Verzicht, Erforschung, Mangel, Rüge

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 33.08
OVG 7 A 593/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Mai 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. April 2008 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 8 550 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Das ange-
fochtene Urteil weicht weder vom Beschluss des Senats vom 20. April 2000
- BVerwG 4 B 25.00 - (BRS 63 Nr. 103) noch vom Urteil des Senats vom
15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 - (BVerwGE 84, 322) ab.
Der Revisionszulassungsgrund der Abweichung liegt nur vor, wenn die Vorin-
stanz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem ihre Entscheidung
tragenden Rechtssatz einem ebensolchen Rechtssatz des Bundesverwaltungs-
gerichts widerspricht (vgl. Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B
35.95 - NVwZ-RR 1996, 712; stRspr). Zwischen beiden Gerichten muss ein
prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer Rechts-
vorschrift bestehen. Die Vorinstanz muss einen Rechtssatz des Bundesverwal-
tungsgerichts ablehnen, weil sie ihn für unrichtig hält. Demzufolge liegt eine
Divergenz nicht vor, wenn die Vorinstanz einen Rechtssatz des Bundesverwal-
tungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die
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rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdi-
gung geboten sind (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG
7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).
Die von der Beschwerde gerügte Divergenz zum Senatsbeschluss vom 20. Ap-
ril 2000 besteht nicht, weil die angeblich widersprechenden Rechtssätze zu un-
terschiedlichen Bestimmungen formuliert sind. Der im Senatsbeschluss enthal-
tene Rechtssatz, für die Frage, ob sich ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb
in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge, komme es nicht auf die in § 11
Abs. 3 BauNVO bezeichneten negativen Auswirkungen an, bezieht sich auf
§ 34 Abs. 1 BauGB. Die Auswirkungen eines großflächigen Einzelhandelsbe-
triebs in der Nachbarschaft eines Bauvorhabens spielen nach Auffassung des
Oberverwaltungsgerichts im Rahmen des § 34 Abs. 2 BauGB eine Rolle, näm-
lich für die Einordnung der näheren Umgebung des Vorhabens in ein Baugebiet
nach der BauNVO anhand der umliegenden Bebauung (UA S. 8 f.). Zwar hat
das Oberverwaltungsgericht nur pauschal die Unvereinbarkeit des Bauvorha-
bens der Klägerin mit § 34 BauGB festgestellt, aus der Begründung („weil sich
die nähere Umgebung als faktisches Gewerbegebiet darstellt und der geplante
großflächige Einzelhandelsbetrieb in einem solchen Baugebiet nicht zulässig
ist“ ) ergibt sich aber, dass es einen Widerspruch zu § 34 Abs. 2
BauGB festgestellt hat.
An der Divergenz zum Senatsurteil vom 15. Februar 1990 fehlt es, weil das
Oberverwaltungsgericht nicht einem darin enthaltenen Rechtssatz die Gefolg-
schaft verweigert hat. Es hat den Inhalt des Urteils, soweit er vorliegend von
Bedeutung ist, referiert und „in Anwendung dieser Grundsätze“ verneint, dass
der Verbrauchermarkt (der Fa. HIT) die Eigenart der näheren Umgebung prägt
(UA S. 12). Eine fehlerhafte Anwendung eines höchstrichterlichen Rechtssat-
zes, so sie denn vorläge, begründet - wie dargelegt - keine Divergenz.
2. Auch der Revisionszulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht
vor. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Be-
schwerde beimisst.
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Der Senat hat im Urteil vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 - (a.a.O.)
den Rechtssatz aufgestellt, dass bei der Ermittlung der näheren Umgebung im
Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB singuläre Anlagen, die in einem auffälligen
Kontrast zu der sie umgebenden, im Wesentlichen homogenen Bebauung
stünden, regelmäßig als Fremdkörper unbeachtlich seien, soweit sie nicht aus-
nahmsweise ihre Umgebung beherrschten oder mit ihr eine Einheit bildeten.
Wann dies im Einzelfall anzunehmen sei, lasse sich allerdings nicht allgemein
formulieren, sondern hänge von einer wertenden Betrachtung des tatsächlich
Vorhandenen ab.
Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass ein Revisionsverfahren
zu weiterführenden Erkenntnissen führen könnte. Die Vorschläge zur Präzisie-
rung der vom Senat entwickelten Formel können nicht darüber hinwegtäuschen,
dass die Beschwerde der Sache nach die tatrichterliche Würdigung des
Oberverwaltungsgerichts angreift, der Verbrauchermarkt (der Fa. HIT) präge die
Eigenart der näheren Umgebung nicht. Die einzelfallbezogene Kritik an der
vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung verleiht einer
Rechtssache nicht dadurch grundsätzliche Bedeutung, dass sie in das Gewand
einer Grundsatzrüge gekleidet wird.
3. Die Zulassung der Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO veranlasst. Dabei kann offen bleiben, ob die Rüge, das Oberwaltungs-
gericht habe durch den Verzicht auf eine Ortsbesichtigung gegen seine Pflicht
zur Erforschung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, den Anforde-
rungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Die Verfahrensrüge scheitert
jedenfalls daran, dass das angefochtene Urteil auf dem geltend gemachten
Verfahrensfehler nicht beruht. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen,
dass der Verbrauchermarkt (der Fa. HIT) die Umgebung schon deshalb nicht
beherrscht, weil sich in der Umgebung noch erheblich größere Anlagen befin-
den und der Verbrauchermarkt zudem zusammen mit dem Holzhandel am
Rande des gewerblich geprägten Gebiets liegt (UA S. 13). Der Umfang der
PKW-Frequentierung des Verbrauchermarkts und der Verlauf der Kundenströ-
me, die nach Auffassung der Beschwerde hätten ermittelt werden müssen, wa-
ren aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Die
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Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, ist aber vom
materiellrechtlichen Standpunkt des Berufungsgerichts aus zu beurteilen, auch
wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (Beschluss vom 23. Januar 1996
- BVerwG 11 B 150.95 - NVwZ-RR 1996, 369).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfest-
setzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Dr. Paetow Prof. Dr. Rojahn Gatz
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