Urteil des BVerwG vom 28.07.2015

Ablauf der Frist, Besitz, Rechtswidrigkeit, Anhörung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 32.14
VGH 9 C 2177/13.T
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juli 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Petz
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 25. März 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 12 264,00 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht
schlüssig dargetan.
Die Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, ist vom
materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, auch wenn
dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom
23. Januar 1996 - 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1). Der Vortrag,
das vorinstanzliche Urteil sei verfahrensfehlerhaft, weil der Verwaltungsge-
richtshof für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Besitzeinweisungsbe-
schlusses zu Unrecht auf die Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass abstellt,
ist deshalb unschlüssig.
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2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
a) Nach Auffassung der Beschwerde ist "die Rechtsfrage der formellen Rechts-
widrigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses aufgrund der Fristversäumnis"
(gemeint ist: nach § 27g Abs. 4 Satz 1 LuftVG) von grundsätzlicher Bedeutung.
Damit verfehlt die Beschwerde die Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO.
Der Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung setzt die Formulie-
rung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisi-
onsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem
die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung bestehen soll (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B
261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 m.w.N.). Daran fehlt es hier.
Denn die Rechtswidrigkeit des Besitzeinweisungsbeschlusses ist keine be-
stimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts. Auch der Begründung dieser
Grundsatzrüge lässt sich eine bestimmt formulierte Rechtsfrage nicht entneh-
men. Der Sache nach wendet sich die Beschwerde vielmehr gegen die dem
angegriffenen Urteil zugrunde liegende rechtliche Würdigung. Mit Angriffen hie-
rauf kann der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan
werden (BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 1998 - 7 B 73.98 - juris Rn. 2).
Aber selbst wenn man zugunsten der Beschwerde annimmt, sie wolle in einem
Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich klären lassen, ob die Regelung in § 27g
Abs. 4 Satz 1 LuftVG auch der Sicherung von Rechten desjenigen dient, dem
der Besitz entzogen werden soll, führt die Grundsatzrüge nicht zur Zulassung
der Revision. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer
Vorschrift des revisiblen Rechts enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO in einem Revisionsverfahren zu klärende Thematik. Nach der Ziel-
setzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der
im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts
eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das
ist nach ständiger Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts
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dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage
vorhandener Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter
Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, z.B. BVerwG,
Beschluss vom 28. Mai 1997 - 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172). So liegen die Din-
ge hier.
§ 27g Abs. 4 Satz 1 LuftVG bestimmt, dass der Beschluss über die Besitzein-
weisung dem Unternehmer und den Betroffenen spätestens zwei Wochen nach
der mündlichen Verhandlung zuzustellen ist. Nach - soweit ersichtlich - einheit-
licher obergerichtlicher Rechtsprechung (OVG Bautzen, Beschluss vom 2. De-
zember 1998 - 1 S 466/98 - NVwZ-RR 1999, 487 ;
VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 5 S 2379/98 - NVwZ-RR
1999, 487 ; vgl. auch OVG Weimar, Beschluss
vom 11. März 1999 - 2 EO 1247/98 - NVwZ-RR 1999, 488 <489>
wochenfrist nach § 29a Abs. 2 Satz 1 PBefG) sollen die durch das Gesetz zur
Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege vom 17. Dezember
1993 (BGBl. I S. 2123 - Planungsvereinfachungsgesetz -) in den verschiedenen
Verkehrswegegesetzen eingeführten Fristen allein dem öffentlichen Interesse
der Beschleunigung des Verfahrens bei der Planung von Verkehrswegen die-
nen, nicht hingegen der Sicherung von Rechten desjenigen, dem der Besitz
entzogen werden soll. Dieser Beschleunigungsgedanke kommt auch in den
Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 12/4328 S. 17) zum Ausdruck.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde steht der Wortlaut des § 27g Abs. 4
Satz 1 LuftVG dieser Auslegung nicht entgegen. Richtig ist zwar, dass die
Zweiwochenfrist "einzuhalten ist", die Enteignungsbehörde also zur Einhaltung
der Frist verpflichtet ist. Hiervon ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegan-
gen. Im Wortlaut der Vorschrift kommt indes nicht zum Ausdruck, ob der Ge-
setzgeber die Einhaltung der Frist allein im öffentlichen Interesse oder auch
zum Schutz desjenigen angeordnet hat, dem der Besitz entzogen werden soll.
Auch der von der Beschwerde angestellte systematische Vergleich mit § 27g
Abs. 4 Satz 3 LuftVG bringt insoweit keine näheren Aufschlüsse.
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Sinn und Zweck des § 27g Abs. 4 Satz 1 LuftVG lassen sich für die Auffassung
der Beschwerde ebenfalls nicht ins Feld führen. Soweit die Beschwerde meint,
durch die Zweiwochenfrist sichere der Gesetzgeber, dass es zwischen der An-
hörung und der Zustellung des Beschlusses über die Besitzeinweisung zu kei-
ner großen Veränderung komme, bleibt sie hierfür eine überzeugende Begrün-
dung schuldig. Ihr Hinweis, andernfalls bestehe die Gefahr, dass sich die tat-
sächlichen Voraussetzungen zwischen Anhörung und Besitzeinweisung verän-
dern könnten und der Betroffene keine Möglichkeit habe, hierzu Stellung zu
nehmen, trägt schon deshalb nicht, weil es nach Auffassung des Verwaltungs-
gerichtshofs für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Besitzeinweisung auf
die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses ankommt. Das weitere
Argument der Beschwerde, jeder Bürger könne darauf vertrauen, dass es nach
Ablauf der Frist keine Besitzeinweisung geben wird, ist zirkulär, weil es ein sub-
jektiv schutzwürdiges Vertrauen voraussetzt und deshalb nicht zur Begründung
desselben herangezogen werden kann. Im Übrigen ist ihm mit der obergerichtli-
chen Rechtsprechung (VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 5 S
2379/98 - NVwZ-RR 1999, 487) entgegenzuhalten, dass das Interesse desjeni-
gen, dem der Besitz entzogen werden soll, eher dahin gehen dürfte, möglichst
lange im Besitz des ihm gehörenden und gegebenenfalls auch von ihm genutz-
ten Grundstücks zu bleiben. Äußerste verfassungsrechtliche Grenzen wie etwa
das rechtsstaatliche Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit
(BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - NVwZ 2013, 1004;
vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 4 C 11.13 - BVerwGE 149, 211
Rn. 16) sind im Falle einer vom Gesetzgeber im Beschleunigungsinteresse
nachträglich eingeführten Zweiwochenfrist ersichtlich nicht berührt. Sie zwingen
nicht dazu, der Vorschrift im Wege der Auslegung drittschützende Wirkung bei-
zumessen. Vollends an der Sache vorbei geht das von der Beschwerde ange-
führte Gebot der Waffengleichheit zwischen einerseits Planfeststellungsbehörde
und Flughafenbetreiber und andererseits betroffenen Bürgern.
Es liegt deshalb auf der Hand und bedarf nicht der Klärung in einem Revisions-
verfahren, dass die Zweiwochenfrist des § 27g Abs. 4 Satz 1 LuftVG - wie vom
Verwaltungsgerichtshof angenommen - allein der Beschleunigung des Verfah-
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rens dient mit der Folge, dass die Klägerin durch eine Überschreitung dieser
Frist nicht in eigenen Rechten verletzt wird.
b) Die Darlegungsanforderungen verfehlt die Beschwerde auch, soweit sie sich
im Gewande der Grundsatzrüge gegen die Auffassung des Verwaltungsge-
richtshofs wendet, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Beschlus-
ses über die Besitzeinweisung auf die Sach- und Rechtslage bei dessen Erlass
abzustellen sei. Auch insoweit gilt, dass mit Angriffen gegen die dem angegrif-
fenen Urteil zugrunde liegende rechtliche Würdigung der Zulassungsgrund des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht dargetan werden kann. Im Übrigen lässt die Be-
schwerde auch völlig im Unklaren, welchen Zeitpunkt sie anstelle des Zeit-
punkts des Erlasses des Besitzeinweisungsbeschlusses für richtig hält.
c) In Angriffen gegen die vorinstanzliche rechtliche Würdigung erschöpft sich
schließlich auch der - überdies über weite Strecken völlig unsubstantiierte - Vor-
trag, das angegriffene Urteil enthalte "mehrere fehlerhafte Rechtsanwendun-
gen", die auch Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung beträfen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
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