Urteil des BVerwG vom 01.09.2010

Holzverarbeitender Betrieb, Verfahrensmangel, Lagerung, Tierhaltung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 31.10
OVG 1 A 11294/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. September 2010
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers zu 1 gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Rheinland-Pfalz vom 30. April 2010 wird zurückge-
wiesen.
Die Beschwerde der Klägerin zu 2 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
je zur Hälfte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten
des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerden beider Kläger bleiben ohne Erfolg.
1. Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Be-
schwerde des Klägers zu 1 ist zulässig, aber nicht begründet.
1.1 Die Rechtssache hat nicht die vom Kläger zu 1 geltend gemachte grund-
sätzliche Bedeutung.
1.1.1 Der Kläger zu 1 möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
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ob von einer „Gemengelage aus Wohngebiet und Dorfge-
biet“ im Sinne der Baunutzungsverordnung ausgegangen
werden kann, wenn in dem betreffenden Gebiet keine
Wirtschaftsstellen noch existierender landwirtschaftlicher
Betriebe vorhanden sind und damit wesentliche Elemente
des Dorfgebiets fehlen.
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Das Ober-
verwaltungsgericht hat einen Gebietserhaltungsanspruch der Kläger nach § 34
Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 oder § 4 BauNVO nicht verneint, weil die Eigenart der
näheren Umgebung des streitgegenständlichen Pferdestalls einer bestimmten
Gemengelage entspricht, sondern weil sie kein faktisches reines oder allgemei-
nes Wohngebiet darstellt (UA S. 9, 11). Bei einer Ortsbesichtigung hat es fest-
gestellt, dass sich in der näheren Umgebung zwar überwiegend Wohngebäude
befinden, daneben aber auch gewerbliche Nutzungen - darunter ein immissi-
onsträchtiger holzverarbeitender Betrieb (UA S. 11 f.) - und mehrere Stallungen
und Scheunen, die für Tierhaltungen und die Lagerung von Heu genutzt wer-
den. Im Hinblick auf diese Nutzungen hat es eine Qualifizierung der Umgebung
als reines oder allgemeines Wohngebiet verneint. Insoweit zeigt die Beschwer-
de einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf nicht auf.
Eine Verletzung des im Merkmal des Einfügens im Sinne des § 34 Abs. 1
BauGB enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme hat das Oberverwaltungsge-
richt verneint, weil aufgrund der dörflichen Prägung des Gebiets mit zahlreichen
Formen von Tierhaltungen (Pferde, Rinder, Schafe, Hühner) die Haltung von
zwei Pferden in Nachbarschaft zu einem Wohnhaus nicht rücksichtslos sei (UA
S. 16). Auch insoweit hat es nicht auf eine abstrakt umschriebene „Gemenge-
lage aus Wohngebiet und Dorfgebiet“, sondern auf die konkreten, durch eine
Vielzahl von Tierhaltungen (UA S. 13) geprägten örtlichen Verhältnisse abge-
stellt.
Dass ein Baugebiet, in dem Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher
Betriebe nicht untergebracht werden können, nicht als Dorfgebiet im Sinne des
§ 5 BauNVO festgesetzt werden kann, ist im Übrigen geklärt (Urteil vom
23. April 2009 - BVerwG 4 CN 5.07 - BVerwGE 133, 377). Als faktisches Dorf-
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gebiet im Sinne von § 5 BauNVO hat auch das Oberverwaltungsgericht die
Umgebung nicht qualifiziert.
1.1.2 Als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet die Beschwerde wei-
ter die Frage,
ob die Nutzung von Wirtschaftsstellen ehemaliger land-
wirtschaftlicher Betriebe von Nichtlandwirten, z.B. zur La-
gerhaltung, sowie die Einzäunung von Wiesen als Weide-
flächen zur Hobbyhaltung (gemeint: Hobbytierhaltung)
dem Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets
entgegenstehen.
Die Frage bedarf, soweit sie einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich ist,
nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Dass ehemalige landwirtschaft-
liche Betriebe, die von Nichtlandwirten zur Tierhaltung zu Hobbyzwecken und
zur Lagerhaltung genutzt werden, der Qualifizierung eines Gebiets als fakti-
sches allgemeines Wohngebiet entgegenstehen können, ergibt sich unmittelbar
aus § 4 BauNVO. Denn als Hauptnutzung sind Anlagen zur Tierhaltung und zur
Lagerung landwirtschaftlicher Produkte in einem allgemeinen Wohngebiet nach
§ 4 Abs. 2 und 3 BauNVO weder allgemein noch ausnahmsweise zulässig. Ob
derartige Anlagen die nähere Umgebung prägen oder als Fremdkörper unbe-
achtlich sind, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab (vgl. Ur-
teil vom 15. Februar 1990 - BVerwG 4 C 23.86 - BVerwGE 84, 322 <325 ff.>).
Die Frage, ob auch eingezäunte Weideflächen für sich genommen der Qualifi-
zierung eines Gebiets als allgemeines Wohngebiet entgegen stehen können,
wäre in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, denn das
Oberverwaltungsgericht hat die Weideflächen nur im Zusammenhang mit den
Wirtschaftsgebäuden der ehemaligen landwirtschaftlichen Betriebe als mit ei-
nem allgemeinen Wohngebiet unvereinbar angesehen (UA S. 13).
1.2 Die geltend gemachte Divergenz zu den im Beschluss des Bundesverwal-
tungsgerichts vom 19. Januar 1996 - BVerwG 4 B 7.96 - (BRS 58 Nr. 67) dar-
gelegten Anforderungen an ein Dorfgebiet im Sinne von § 5 BauNVO liegt nicht
vor. Einen Rechtssatz zur Auslegung von § 5 BauNVO hat das Oberverwal-
tungsgericht nicht aufgestellt. Entscheidungserheblich war - wie bereits darge-
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legt - lediglich, ob die nähere Umgebung ein faktisches Wohngebiet im Sinne
von § 3 oder § 4 BauNVO darstellt.
1.3 Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, dass das Oberverwaltungsge-
richt von einem unvollständigen bzw. unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei
und dadurch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1
VwGO) verletzt habe. Wenn ein Gericht bei seiner Beweiswürdigung entschei-
dungstragend von einem zweifelsfrei unrichtigen oder unvollständigen Sach-
verhalt ausgeht, kann darin zwar ein Verfahrensmangel liegen (Urteile vom
2. Februar 1984 - BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 und vom 18. Mai
1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155 <157 f.>). Die Beschwerde legt
aber nicht dar, dass diese Voraussetzungen hier gegeben sind. Sie kritisiert die
tatrichterliche Würdigung der beim Ortstermin festgestellten tatsächlichen Ge-
gebenheiten und die Rechtsanwendung im vorliegenden Einzelfall. Ein Verfah-
rensmangel ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht.
2. Die Beschwerde der Klägerin zu 2 ist unzulässig. Sie wurde nicht - wie ge-
mäß § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO erforderlich - innerhalb von zwei Monaten nach
der Zustellung des angefochtenen Urteils begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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