Urteil des BVerwG vom 19.06.2003

Landschaft, Ausdehnung, Versuch, Erforschung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 31.03
OVG 2 L 456/00
In der Verwaltungsstreitssache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision
in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-
Anhalt vom 12. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließ-
lich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 315 824,96 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 und 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus dem
Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass die Revision wegen eines Verfahrensmangels
oder der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen ist.
1. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und § 86 Abs. 3
VwGO, dass das Berufungsgericht die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, an seiner
früheren, der Klägerin günstigen Auslegung des Regionalen Entwicklungsprogramms für den
Regierungsbezirk Magdeburg und der Beurteilung der Raumbedeutsamkeit von Wind-
kraftanlagen im Beschluss vom 29. August 2001 - 2 M 130/01 - nicht mehr festhalten zu wol-
len. Der Senat geht nicht davon aus, dass das Berufungsgericht eine unzulässige "Überra-
schungsentscheidung" getroffen hat. Das Berufungsgericht hat in seinem Beschluss über die
Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde festgehalten, dass der Senatsvorsitzende im
Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung auf die Möglichkeit der Änderung der bisher
im vorgenannten Beschluss geäußerten Rechtsauffassung hingewiesen hat und deren
rechtliche Konsequenzen für den anhängigen Rechtsstreit debattiert worden sind. Die
Beigeladene hat diesen Sitzungsverlauf in ihrem Schriftsatz vom 16. Mai 2003 in vollem Um-
fang und der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 19. Mai 2003 in Bezug auf die Erörterung
des Regionalen Entwicklungsprogramms bestätigt. Auf den Inhalt dieser Schriftsätze und
des Nichtabhilfebeschlusses hat die Beschwerde innerhalb der ihr vom Senat gewährten
Stellungnahmefrist nicht reagiert.
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Ebenfalls erfolglos beanstandet die Beschwerde eine Missachtung der sich aus § 86 Abs. 1
VwGO ergebenden gerichtlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts. Sie legt nicht dar,
dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung von Tatsachen ausgegangen ist, die sich
bei der vermissten Augenscheinnahme als unzutreffend oder unvollständig erwiesen hätten.
Sie stellt nicht in Abrede, dass die geplanten Windkraftanlagen in einer vorwiegend flachen,
nur durch eine Hochspannungsleitung durchkreuzten Landschaft platziert werden sollen und
weithin sichtbar wären. Vielmehr kritisiert sie die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts
aus diesen tatsächlichen Gegebenheiten auf die Raumbedeutsamkeit der Anlagen. Damit
lässt sich eine Aufklärungsrüge nicht erfolgreich begründen.
2. Die Frage, ob einzelne - eine oder zwei - Windenergieanlagen schon dadurch raumbe-
deutsam im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB werden, dass sie in einer vorwiegend fla-
chen Landschaft weithin sichtbar sind, nötigt nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision. Der
durch die Wahl einer allgemein gehaltenen Formulierung unternommene Versuch, eine
Rechtsfrage zu bezeichnen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Beschwerde die
einzelfallbezogene tatrichterliche Wertung des Berufungsgerichts angreift, die zwei knapp
100 m hohen Windenergieanlagen erwiesen sich angesichts ihrer vertikalen Ausdehnung
und ihrer weitreichenden Sichtbarkeit in der vorwiegend flachen und lediglich durch eine
Hochspannungstrasse durchkreuzten Landschaft als raumbedeutsam. Mit Angriffen gegen
die Tatsachenwürdigung lässt sich der Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht
dartun.
Die Revision ist ferner nicht zur Beantwortung der Frage zuzulassen, ob einzelne - eine oder
zwei - Windenergieanlagen wegen ihrer Wirkung erst dann raumbedeutsam werden, wenn
sie wegen ihres besonderen Standortes Spannungen hervorzurufen vermögen. Es ist in der
Rechtsprechung des Senats geklärt, dass zur Ausfüllung des Begriffs der Raumbedeutsam-
keit im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB die Definition in § 3 Nr. 6 ROG herangezogen
werden kann (vgl. Beschluss vom 2. August 2002 - BVerwG 4 B 36.02 - und Urteil
vom 13. März 2003 - BVerwG 4 C 4.02 - NVwZ 2003, 738 <739>). Danach sind Planungen,
Vorhaben und Maßnahmen raumbedeutsam, durch die Raum in Anspruch genommen oder
die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebiets beeinflusst wird. Wann das Merkmal
der Raumbeeinflussung erfüllt ist, ist eine Frage der Würdigung des Einzelfalls (BVerwG,
Beschluss vom 7. November 1996 - BVerwG 4 B 170.96 - Buchholz 442.40 § 8 LuftVG
Nr. 13 ). Das Berufungsgericht hat die streitigen Anlagen wegen ihrer Höhe von knapp
100 m, ihrer vertikalen Ausdehnung und ihren Wirkungen auf die weitere Umgebung als
raumbedeutsam angesehen. Diese Beurteilung gibt zu weiterführenden Überlegungen kei-
nen Anlass.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwert-
festsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Paetow Lemmel Gatz