Urteil des BVerwG vom 18.04.2012

Bebauungsplan, Bekanntmachung, Form, Normenkontrolle

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 30.11
OVG 1 LC 74/10
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. April 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 27. April 2011 wird zurückgewie-
sen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 350 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde rügt als Verfahrensfehler, das Oberverwaltungsgericht habe
entgegen dem Amtsermittlungsgrundsatz den Sachverhalt nicht hinreichend
aufgeklärt. Diese Rüge bleibt ohne Erfolg.
Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des
Verwaltungsgerichts geändert und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Be-
klagte verpflichtet ist, der Klägerin den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.
Dabei geht es davon aus, der das Bauvorhaben betreffende Bebauungsplan in
der Fassung seiner 2. Änderung (2009/2011) sei hinsichtlich des Ausschlusses
von Lebensmitteleinzelhandel unwirksam, denn es bestünden nicht genug An-
haltspunkte für eine Gefährdung der Nahversorgung in Grone-Süd (OVG UA
S. 10 - 11). Daher gelte für das Grundstück der Klägerin der Bebauungsplan in
seiner Ursprungsfassung vom 1. Dezember 1977 (OVG UA S. 11). Danach sei
Lebensmitteleinzelhandel mit nicht wesentlich störenden Schallimmissionen zu-
lässig.
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Die Beklagte ist der Ansicht, das Oberverwaltungsgericht hätte - ausnahms-
weise auch ohne Beweisantrag - eine weitere Sachaufklärung zur Wirksamkeit
des ursprünglichen Bebauungsplans betreiben müssen. Dies begründet sie mit
dem Hinweis, dem Oberverwaltungsgericht hätte sich eine Aufklärung aufdrän-
gen müssen, „nachdem es einen relevanten Fehler des neueren Plans festge-
stellt“ habe (Beschwerdebegründung S. 6). Dem ist nicht zu folgen.
Ein Aufklärungsmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen
als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird. Es muss
dementsprechend substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächli-
chen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und er-
forderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen
wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterblie-
benen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiter-
hin hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsa-
chengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder auf die
Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt
wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermitt-
lungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müs-
sen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines
Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der
Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (stRspr). Diesen Anforderun-
gen genügt die Verfahrensrüge vorliegend nicht.
Hinzu kommt, dass es grundsätzlich Sache einer Gemeinde ist, diejenigen tat-
sächlichen Abläufe vorzutragen und darzulegen, mit denen sie die Unwirksam-
keit der früheren Fassung eines Bebauungsplans geltend machen will, wenn
das Oberverwaltungsgericht materiellrechtliche Bedenken gegen eine spätere
Fassung des Bebauungsplans äußert, mit der Bebauungsmöglichkeiten einge-
schränkt werden. Denn sie ist im Besitze der entsprechenden Verwaltungsvor-
gänge einschließlich der Abläufe im Zusammenhang mit der Bekanntmachung.
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Die Beklagte legt ferner nicht abschließend dar, dass das Berufungsurteil auf
dem behaupteten Verfahrensmangel beruht; denn sie setzt sich nicht mit der
Frage auseinander, ob die erneute Bekanntmachung vom 25. März 2011 nicht
auch einen eventuellen Mangel des ursprünglichen Bebauungsplans geheilt
hat, der nach der Behauptung der Beklagten darin liegen soll, dass es an einem
Hinweis darauf gefehlt hat, in welcher Form Betroffene von der in Bezug ge-
nommenen DIN-Vorschrift 18005 Kenntnis erlangen können.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs scheidet von vornherein aus, da die
Beklagte sich bereits nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts im Parallelver-
fahren 2 A 184/07 darauf einstellen konnte, dass ein Rückgriff auf den Bebau-
ungsplan aus dem Jahre 1977 in Betracht kam.
2. Das Beschwerdevorbringen ergibt auch nicht, dass die Revision wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre. Dies setzt die
Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die
Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und au-
ßerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausge-
hende Bedeutung bestehen soll (stRspr).
Die Beklagte wirft die Frage auf, ob ein Tatsachengericht verpflichtet ist, die
Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans in jedem Fall von Amts wegen zu
prüfen, jedenfalls aber dann, wenn es einen ihn ersetzenden Bebauungsplan
für fehlerhaft hielt und der Ursprungsbebauungsplan u.a. an demselben Rechts-
fehler leidet.
Die Beschwerde genügt nicht den Darlegungsanforderungen. Sie legt selbst
dar, dass ein Gericht bei der Normenkontrolle nicht auf die Überprüfung der von
den Beteiligten geltend gemachten Mängel beschränkt ist (Beschluss vom
4. Oktober 2006 - BVerwG 4 BN 26.06 - BRS 70 Nr. 66), andererseits es eine
Maxime richterlichen Handelns darstellt, nicht gleichsam ungefragt auf Fehler-
suche zu gehen (Urteil vom 17. April 2002 - BVerwG 9 CN 1.01 - BVerwGE
116, 188 <196 f.>; Beschluss vom 6. März 1996 - BVerwG 4 B 184.95 - BRS 58
Nr. 78). Dagegen wird nicht erkennbar, aus welchen Gründen diese Rechtspre-
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chung einer Weiterentwicklung bedürfte. Soweit in der Beschwerdebegründung
auf die Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls eingegangen wird, sind
diese nicht geeignet, eine grundsätzliche Bedeutung zu belegen. Im Übrigen
fehlt es bereits an Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu Text und
Verfahren des Bebauungsplans in seiner ursprünglichen Fassung; die Verfah-
rensrüge ist aus den oben ausgeführten Gründen erfolglos geblieben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Jannasch
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