Urteil des BVerwG vom 26.05.2005

Windkraftanlage, Befragung, Zukunft, Wohnhaus

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 30.05
OVG 8 A 11488/04
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Mai 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht G a t z und die Richterin am Bundesverwal-
tungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 21. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 und 1 VwGO gestützte Beschwerde des Beigeladenen hat
keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Verfahrensmängel zuzulassen.
a) Die Beschwerde macht in erster Linie geltend, dass das Berufungsgericht den
Sachverhalt nicht richtig aufgeklärt und dadurch gegen § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen
habe. Sie meint, dass es eines ergänzenden Gutachtens bedurft hätte, "soweit das
OVG entgegen dem schriftlichen Gutachten einen Tonzuschlag von 3 dB(A) auf-
schlägt". In dem Gutachten vom 17. Dezember 2003 hat sich der Sachverständige
Dipl.-Ing. P. für einen Tonzuschlag von lediglich 2 dB(A) entschieden und daran an-
lässlich seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht
festgehalten.
Der Erfolg einer Aufklärungsrüge setzt voraus, dass substanziiert aufgezeigt wird,
hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, wel-
che für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Be-
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tracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei der Durchfüh-
rung der vermissten Sachverhaltsaufklärung vermutlich getroffen worden wären.
Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tat-
sachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der
Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden
ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches
Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr); denn die Aufklä-
rungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der
Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu
kompensieren (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1986 - BVerwG 8 C 10.84 -
BVerwGE 74, 222 <223>). Diesen sich aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ergebenden
Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Sie macht schon nicht geltend,
dass ein ergänzendes Gutachten oder eine zusätzliche schriftliche Befragung des
Sachverständigen P. zu dem ihr günstigeren Ergebnis geführt hätte, dass ein höherer
Tonzuschlag als 2 dB(A) nicht gerechtfertigt werden könne. Ausschlaggebend ist
freilich, dass der Beigeladene nicht in der gebotenen Weise auf die Durchführung der
unterbliebenen Sachverhaltsermittlungen hingewirkt hat. Wenn schon schriftsätzlich
angekündigte Beweisanträge nicht ausreichen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März
1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265), ist es mit
Beweisanregungen, wie sie der Bevollmächtigte des Beigeladenen in der Beru-
fungsverhandlung gegeben haben will, erst recht nicht getan. Dass sich dem Beru-
fungsgericht die Notwendigkeit einer weiteren Beweisaufnahme von sich aus hätte
aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Nach ihrem eigenen Vorbringen
hat es der Gutachter in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht im-
merhin für vertretbar gehalten, auch einen Tonzuschlag von 3 dB(A) in Rechnung zu
stellen.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist es kein Verfahrensmangel, dass das
Berufungsgericht keinen Beweis darüber erhoben hat, ob die zur Genehmigung ge-
stellte Windkraftanlage vom Typ Nordex aufgrund des zwischenzeitlichen Einbaus
schallreduzierender Komponenten keine Tonhaltigkeit mehr aufweist. Bei der Prü-
fung, ob der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von deren materiell-
rechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese verfehlt sein sollte
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(BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 183, stRspr). Nach Ansicht des Berufungsgerichts sind die behaupteten
Änderungen der Anlage (Verbesserung des Kühlsystems durch Ersetzung der nach
außen wirkenden Luftkühler durch eine ausschließlich intern gelagerte Wasserküh-
lung) nicht Gegenstand der Baugenehmigung und können deshalb im Rechtsstreit
über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht berücksichtigt werden (UA
S. 13). Vor diesem Hintergrund hatte das Berufungsgericht keinen Anlass, der Frage
nachzugehen, ob und inwieweit die angeführten baulichen Veränderungen an der
Windkraftanlage deren Tonhaltigkeit vermindern.
Soweit sich die Beschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht in die
Prognose der Immissionsbelastung durch die Windkraftanlage einen Sicherheitszu-
schlag (u.a. wegen möglicher "Serienstreuung") hineinrechnet, zeigt sie keinen Ver-
fahrensmangel auf, sondern legt dar, warum sie die Aussage im Berufungsurteil, der
Prognose sei der mit einem Sicherheitszuschlag versehene Schallleistungspegel
zugrunde zu legen, der für die Nennleistung bei einer Referenzmessung desselben
Anlagentyps ermittelt worden sei, für inhaltlich falsch hält.
Zu Unrecht vermisst die Beschwerde die Einholung eines Gutachtens zu der Frage,
ob es trotz eines prognostizierten Beurteilungspegels am Wohnhaus der Kläger von
40 dB(A) im ungünstigsten Fall noch zu Überschreitungen dieses Wertes kommen
könne. Das Berufungsgericht hatte aus seiner Sicht keine Veranlassung zu einer wei-
teren Beweiserhebung. Es räumt ein, dass bei einem Beurteilungspegel von
35 dB(A) zuzüglich einem Tonhaltigkeitszuschlag von 3 dB(A) und einem Sicher-
heitszuschlag von 2 dB(A) der Richtwert von 40 dB(A) gerade eingehalten wird (UA
S. 12). Gleichwohl hat es sich nicht auf der sicheren Seite gesehen, weil der der
Prognose zugrunde liegende Schallleistungspegel in der Baugenehmigung nicht
festgeschrieben und somit seine Einhaltung für die Zukunft nicht sichergestellt sei.
b) Die Beschwerde wirft dem Berufungsgericht ferner vor, nicht zu verstehen gege-
ben zu haben, dass ihm die Nebenbestimmung, die der Beklagte in der mündlichen
Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht der Baugenehmigung beigefügt hat, zum
Schutz der Kläger nicht ausreiche. Die Nebenbestimmung sieht vor, dass der von der
genehmigten Windkraftanlage erzeugte Lärm Werte von 55 dB(A) tags und 40 dB(A)
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nachts am Wohnhaus der Kläger nicht überschreiten darf. Die Beschwerde knüpft
ihren Vorhalt an § 104 Abs. 1 VwGO, wonach der Vorsitzende die Streitsache mit
den Beteiligten tatsächlich und rechtlich zu erörtern hat.
Der Senat hat Zweifel, ob das vom Berufungsgericht mit den Beteiligten geführte
Rechtsgespräch den von der Beschwerde aufgezeigten Mangel tatsächlich aufweist;
denn ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21. Januar
2005 wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten "eingehend" erörtert. Den
Zweifeln braucht jedoch nicht nachgegangen und eine dienstliche Äußerung der an
der Berufungsverhandlung beteiligten Richter nicht eingeholt zu werden. Die Erörte-
rungsrüge scheitert nämlich daran, dass das Berufungsgericht nicht verpflichtet war,
sich schon vor der Urteilsberatung auf eine Rechtsauffassung festzulegen und diese
in der mündlichen Verhandlung zu offenbaren (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl.,
§ 104, Rn. 4; BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1998 - BVerwG 4 B 19.98 - juris).
Außerdem mussten die Prozessbeteiligten schon vor dem abschließenden Rechts-
gespräch in Rechnung stellen, dass es aus Sicht des Berufungsgerichts mit der Ne-
benbestimmung zu Gunsten der Kläger nicht getan war. Da es der eingangs der
mündlichen Verhandlung erfolgten Befragung des Sachverständigen P. zu den zu
erwartenden Lärmimmissionen nicht bedurft hätte, wenn mit der Nebenbestimmung
der Schutz der Kläger sichergestellt gewesen wäre, ließ der Ablauf der Berufungs-
verhandlung jedenfalls aus Sicht eines Rechtskundigen darauf schließen, dass nach
Auffassung des Berufungsgerichts der Schutz der Kläger durch die Nebenbestim-
mung nicht gewährleistet war. Sollten der Beklagte und der Beigeladene die Pro-
zesssituation verkannt und deshalb nicht versucht haben, die drohende Niederlage
mit einer - die vorhandene Nebenbestimmung verschärfenden - Auflage "in Form
einer konkreten Betriebsregelung auf Begrenzung der Emissionen der Anlage auf
einen unterhalb der Nennleistung liegenden Schallleistungspegel in Verbindung mit
einer entsprechenden Steuerung der Anlage" abzuwenden, wären sie dafür selbst
verantwortlich.
c) Mit der Rüge, für den Beigeladenen sei die Entscheidung des Berufungsgerichts
überraschend gekommen, macht die Beschwerde geltend, dem Beigeladenen sei
das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) versagt worden. Sie
trägt vor, dass der Beigeladene von der Zurückweisung der Berufung jedenfalls in
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diesem Verfahren habe ausgehen können, nachdem der Sachverständige in der
mündlichen Verhandlung die Frage des Gerichts bejaht habe, ob bei Wegfall einer
der drei Windkraftanlagen die Grenzwerte eingehalten würden. Da lediglich die An-
lage des Verfahrens 5 K 173/03 (OVG 8 A 11492/04, BVerwG 4 B 29.05) angeblich
den Grenzwert überschreite, hätte die Baugenehmigung für die vorliegend umstritte-
ne Anlage Bestand haben müssen.
Die Gehörsrüge ist nicht schlüssig erhoben. Sie erfordert regelmäßig die substanzi-
ierte Bezeichnung dessen, was die Prozesspartei bei ausreichender Gehörsgewäh-
rung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des gel-
tend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom
19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - a.a.O.). Die Beschwerde legt nicht dar, mit
welchen Argumenten sie der Auffassung des Berufungsgerichts entgegengetreten
wäre, die Kläger seien trotz prognostizierter Einhaltung der Grenzwerte nicht hinrei-
chend sicher vor unzumutbaren Lärmimmissionen geschützt. Sie beschränkt sich
vielmehr auf die bloße Behauptung, es hätte noch ergänzend vorgetragen werden
können. Das genügt nicht den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache zuzulassen. Die Beschwerde formuliert keine bestimmte, höchst-
richterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage
des revisiblen Rechts, sondern wendet sich im Gewand der Grundsatzrüge gegen
die tatrichterliche, den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindende Sachverhaltswürdi-
gung im Berufungsurteil, wonach der maßgebliche Richtwert von 40 dB(A) zwar ge-
rade eingehalten werden dürfte, die Prognose aber gleichwohl deshalb nicht auf der
sicheren Seite sei, weil der der Prognose zugrunde liegende Schallleistungspegel in
der Baugenehmigung nicht festgeschrieben und somit seine Einhaltung für die Zu-
kunft nicht sichergestellt sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentschei-
dung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1, § 72 Nr. 1 GKG.
Dr. Paetow Gatz Dr. Philipp