Urteil des BVerwG vom 26.03.2014

Rüge, Kritik, Rechtskraft, Auflage

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 4 B 3.14
OVG 1 LB 235/07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. März 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:
Die Beschwerden des Beklagten und des Beigeladenen
zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom
10. September 2013 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und der Beigeladene zu 1 tragen die Ge-
richtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klä-
gers im Beschwerdeverfahren je zur Hälfte und ihre eige-
nen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst. Außerge-
richtliche Kosten der Beigeladenen zu 2 sind nicht erstat-
tungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützten Be-
schwerden haben keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Die Be-
schwerdeführer legen nicht dar, dass das Berufungsurteil von Entscheidungen
des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
Der Beklagte rügt eine Divergenz des Berufungsurteils zu dem Urteil des Bun-
desverwaltungsgerichts vom 10. September 1976 - BVerwG 4 C 89.75 - (Buch-
holz 406.11 § 35 BBauG Nr. 130 S. 39) und dem darin enthaltenen Rechtssatz,
dass ein Tatsachengericht seine Aufklärungspflicht verletze, wenn es sich eine
ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zutraue oder die eigene Sach-
kunde erkennbar überbewerte und auf dieser Grundlage tatsächliche Feststel-
lungen trotz der mangelnden Sachkunde ohne Zuziehung eines geeigneten
Sachverständigen treffe. Der Beklagte zeigt indes nicht auf, dass das Oberver-
waltungsgericht diesem Rechtssatz widersprochen hätte. Er räumt ein, dass
das Oberverwaltungsgericht auf den Rechtssatz Bezug genommen hat, meint
aber, dass ihm bei der Anwendung des Rechtssatzes ein Zirkelschluss unter-
laufen sei. Dabei übersieht er, dass eine Divergenz nicht vorliegt, wenn die Vor-
instanz einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts, den sie nicht in Fra-
ge stellt, im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtli-
chen Folgerungen zieht, die etwa für die Sachverhalts- und Beweiswürdigung
geboten sind (stRspr; vgl. nur Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B
261.97 - NJW 1997, 3328).
Eine Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März
2005 - BVerwG 7 B 16.05 - (NuR 2005, 729) zeigt der Beklagte ebenfalls nicht
auf. Er macht nicht geltend, dass das Oberverwaltungsgericht dem Rechtssatz,
es sei nicht abstrakt, sondern nach den örtlichen Gegebenheiten zu entschei-
den, ob die Alternative einer Errichtung des Vorhabens in einem Plangebiet be-
stehe, einen widersprechenden Rechtssatz gegenübergestellt hätte, sondern
bemängelt, dass das Oberverwaltungsgericht der Frage, ob die Alternative ei-
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ner Errichtung des Vorhabens in einem Plangebiet in der Standortgemeinde
oder in der Nähe bestehe, nicht nachgegangen sei. Das Aufzeigen einer unter-
bliebenen Anwendung eines Rechtssatzes, den das Bundesverwaltungsgericht
in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt indes nicht den Anforderungen
einer Divergenzrüge (Beschluss vom 19. August 1997 a.a.O.).
Der Beklagte zitiert das Oberverwaltungsgericht mit dem Rechtssatz, die Zu-
mutbarkeit von Lärmimmissionen sei anhand der Technischen Anleitung zum
Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) zu ermitteln
und zu bewerten, und sieht darin eine Abweichung von dem Beschluss vom
17. Juli 2003 - BVerwG 4 B 55.03 - (Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 166
S. 18), in dem der Senat technischen Regelwerken nur die Funktion einer Ori-
entierungshilfe oder eines groben Anhalts für die Einzelfallprüfung zugewiesen
habe. Der Beigeladene zu 1 moniert, dass das Oberverwaltungsgericht die Fra-
ge, ob von der beabsichtigten Hundepension des Klägers schädliche Umwelt-
einwirkungen durch Lärm ausgehen werden, ausschließlich anhand der Regeln
der TA Lärm beantwortet und auf eine einzelfallbezogene Markierung der
Schädlichkeitsgrenze aufgrund einer eigenen Würdigung verzichtet habe. Der
rechtliche Ansatz des Oberverwaltungsgerichts stehe im Widerspruch zu den
Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 1988 - BVerwG
7 C 33.87 - (BVerwGE 79, 254 = Buchholz 406.25 § 22 BImSchG Nr. 5), vom
19. Januar 1989 - BVerwG 7 C 77.87 - (BVerwGE 81, 197 = Buchholz 406.25
§ 22 BImSchG Nr. 6), vom 20. Oktober 1989 - BVerwG 4 C 12.87 - (BVerwGE
84, 31 = Buchholz 407.4 § 18c FStrG Nr. 2) und vom 19. Februar 2013
- BVerwG 7 B 38.12 - juris, aus denen sich ergebe, dass auch vom Tatrichter zu
wertende Elemente wie beispielsweise Herkömmlichkeit, Sozialadäquanz und
allgemeine Akzeptanz der Geräuschquelle mitbestimmend seien.
Die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor.
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Senats kommt der TA Lärm eine im
gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu, soweit sie für Ge-
räusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen
im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, § 3 Abs. 1 BImSchG konkreti-
siert (Urteile vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209
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Rn. 12 und vom 29. November 2012 - BVerwG 4 C 8.11 - BVerwGE 145, 145
Rn. 18 sowie Beschluss vom 8. Januar 2013 - BVerwG 4 B 23.12 - BauR 2013,
739 Rn. 5). Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die
Schädlichkeit von Geräuschen ist insoweit abschließend, als sie bestimmte Ge-
bietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten
Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurtei-
lung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Be-
urteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das
normkonkretisierende Regelungskonzept nur insoweit Raum, als die TA Lärm
insbesondere durch Kann-Vorschriften und Bewertungsspannen Spielräume
eröffnet.
Das Oberverwaltungsgericht hat nicht angenommen, dass eine einzelfallbezo-
gene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze unzulässig sei, und deshalb keinen
Rechtssatz aufgestellt, der einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts
widerspricht. Es ist davon ausgegangen, dass eine Hundepension Lärmauswir-
kungen mit sich bringt, die sich vom Lärm etwa eines Gewerbebetriebs unter-
scheiden und einer besonderen Prüfung zu unterwerfen sind (UA S. 10). Das
entspricht Nr. 3.2.2 der TA Lärm, die vorsieht, dass bei Vorliegen besonderer
Umstände des Einzelfalls, die bei der Regelfallprüfung nach Nr. 3.2.1 keine Be-
rücksichtigung finden, nach Art und Gewicht jedoch wesentlichen Einfluss auf
die Beurteilung haben können, ob die Anlage zum Entstehen schädlicher Um-
welteinwirkungen relevant beiträgt, ergänzend zu prüfen ist, ob sich unter Be-
rücksichtigung dieser Umstände des Einzelfalls eine vom Ergebnis der Regel-
fallprüfung abweichende Beurteilung ergibt. Die tatrichterliche Würdigung des
Oberverwaltungsgerichts, dass mit den - zahlreichen - Zuschlägen u.a. für Im-
pulshaltigkeit und Informationshaltigkeit der Geräusche die besondere Lästig-
keit von Hundegebell zureichend erfasst werde (UA S. 11), kann mit der Diver-
genzrüge nicht angegriffen werden.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die
Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerden
beimessen.
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a) Der Beklagte und der Beigeladene zu 1 werfen im Kern übereinstimmend die
Frage auf, ob zur Klärung des Umfangs der Umwelteinwirkungen durch Geräu-
sche, die eine Hundepension im Außenbereich hervorruft, eine Regelfallprüfung
nach der TA Lärm ausreicht oder eine ergänzende Prüfung wegen eines Son-
derfalls erforderlich ist, in die u.a. die Aspekte Herkömmlichkeit, Sozialad-
äquanz und eine Vielzahl weiterer Parameter einzubeziehen sind. Die Frage
führt nicht zur Zulassung der Revision. Die Rüge des Beklagten genügt bereits
nicht den Erfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil in ihr jegliche
Darlegung fehlt, aus welchen Gründen die formulierte Frage grundsätzliche Be-
deutung haben soll. Dem Beigeladenen zu 1 ist entgegenzuhalten, dass zum
einen die Würdigung, ob eine ergänzende Prüfung nach Nr. 3.2.2 der TA Lärm
- u.a. im Hinblick auf besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der
sozialen Adäquanz der Geräuschimmission - durchzuführen ist, eine Aufgabe
der Tatsachengerichte ist (vgl. Urteil vom 29. August 2007 a.a.O. Rn. 31 zur
Vergabe eines Impulszuschlags), und zum anderen, dass das Oberverwal-
tungsgericht die Frage dergestalt zu Gunsten einer Sonderfallprüfung beantwor-
tet hat, dass er der besonderen Lästigkeit von Hundegebell durch Zuschläge
nach Nr. 3.2.2 der TA Lärm Rechnung getragen hat (UA S. 11 f). Dass der Bei-
geladene zu 1 das Ergebnis der Prüfung nicht für richtig hält, ist ohne Belang.
Mit einer Kritik an der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung und Rechtsan-
wendung lässt sich die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht be-
legen.
b) Auch die weiteren Fragen, die der Beklagte für grundsätzlich klärungsbedürf-
tig hält, rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
Der Beklagte will wissen,
− ob es zur Beurteilung der Frage, ob ein Vorhaben im Au-
ßenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB zugelassen
werden soll, ausreichend ist, wenn im Verwaltungsverfah-
ren und/oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren sachver-
ständige Stellungnahmen zu der Frage eingeholt wurden,
ob ein Vorhaben an einer konkret bezeichneten Stelle für
die Nachbarschaft zumutbar ist,
− ob, falls die vorstehende Frage bejaht wird, gleichwohl ei-
ne Prüfung vorzunehmen ist, ob das Vorhaben auf der
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Grundlage der Aussagen der eingeholten Gutachten in-
nenbereichsverträglich ist mit der Folge, dass es an einer
anderen Stelle im Innenbereich zugelassen werden kann
und damit im Außenbereich unzulässig ist.
Auf die Fragen lässt sich antworten, ohne dass es der Durchführung eines Re-
visionsverfahrens bedarf: Die Privilegierung eines immissionsträchtigen Vorha-
bens nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB ist u.a. davon abhängig, dass es wegen
seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt
werden soll. Sie scheidet aus, wenn das Vorhaben auf einen Standort im In-
nenbereich verwiesen werden kann (Beschluss vom 12. April 2011 - BVerwG
4 B 6.11 - BauR 2011, 1299), wobei es nicht auf die Beschaffenheit von Innen-
bereichen im Allgemeinen ankommt, sondern auf die Beschaffenheit des In-
nenbereichs in der jeweiligen Gemeinde (Beschluss vom 27. Juni 1983
- BVerwG 4 B 201.82 - BRS 40 Nr. 74 S. 179). Ist der Privilegierungstatbestand
erfüllt, weil es für das Vorhaben keinen Innenbereichsstandort gibt, ist u.a. zu
prüfen, ob öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB
entgegenstehen, weil das Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen hervorru-
fen kann. Ob die Voraussetzungen der Privilegierung oder die Umweltschäd-
lichkeit eines Vorhabens nur mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt werden
können, hängt von der Sachkunde des Gerichts ab (vgl. Urteil vom 10. Septem-
ber 1976 - BVerwG 4 C 89.75 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 130) und be-
urteilt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls.
Zur Frage, welche Anforderungen an die Darlegung eines nachhaltigen Betriebs
bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Vorhaben im Außenbereich zugrunde
zu legen sind, insbesondere ob es ausreichend ist, wenn überhaupt keine
schriftlichen Unterlagen (z.B. Wirtschaftlichkeitsberechnung, Business-Plan
etc.) vorgelegt werden, gibt es bereits Rechtsprechung des Senats. Ob sich ein
Betrieb auf Dauer als lebensfähig erweist, ist im Wege einer Prognose zu be-
antworten. Notwendig ist eine Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls (Urteil vom 11. Oktober 2012 - BVerwG 4 C 9.11 -
NVwZ 2013, 155 Rn. 8). Welche Umstände eine Rolle spielen, hat der Senat im
Einzelnen dargestellt. Einen Rentabilitätsnachweis anhand konkreter Zahlen
hält er nicht stets, sondern allenfalls in Zweifelsfällen für erforderlich (vgl. auch
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Urteil vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 4 C 7.04 - BVerwGE 122, 308 <313>
jeweils zu § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Der Beklagte zeigt nicht auf, dass Anlass
bestehen könnte, die Senatsrechtsprechung weiter zu entwickeln oder zu korri-
gieren.
Die Frage, ob es zur Bestimmung der gesicherten Erschließung im Sinne des
§ 35 Abs. 1 BauGB genügt, dass die Art der Befestigung eines landwirtschaftli-
chen Weges nicht näher geprüft wird, wenn anzunehmen ist, dieser entspreche
seiner Art nach einem landwirtschaftlichen Weg, würde sich in dem angestreb-
ten Revisionsverfahren nicht stellen. Sie wird dem Berufungsurteil nicht gerecht.
Das Oberverwaltungsgericht hat sich nicht darauf beschränkt, die Angabe des
Klägers zu übernehmen, der Zufahrtsweg zu seinem Vorhaben sei nach Art
landwirtschaftlicher Wege befestigt (UA S. 14), sondern hat mit bindender Wir-
kung für den Senat (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass es sich bei dem
Weg um einen geschotterten Feldweg handelt (UA S. 15).
Die Frage, ob es zulässig ist, ein Verpflichtungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 1
VwGO) zu erlassen, wonach die Behörde verpflichtet wird, auf den Antrag des
Antragstellers eine Genehmigung zu erteilen, wenn sich aus dem Tatbestand
des Urteils ergibt, dass ein Gutachten in Bezug genommen wird, welches nicht
Gegenstand des Antrags ist, aus dem sich aber weitere Handlungspflichten
(Lärmminderungsmaßnahmen) für den Antragsteller ergeben, ist auf den kon-
kreten Einzelfall zugeschnitten und nicht von fallübergreifender Bedeutung. Sie
dient dem Beklagten als Anknüpfungspunkt für den an das Oberverwaltungsge-
richt gerichteten Vorwurf, ihn zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung
verpflichtet zu haben, obwohl wegen der von dem Beklagten für möglich gehal-
tenen Notwendigkeit, die Baugenehmigung durch Nebenbestimmungen zur
Lärmreduzierung zu beschränken, allenfalls ein Bescheidungsurteil (§ 113
Abs. 5 Satz 2 VwGO) hätte ergehen dürfen (Beschwerdebegründung S. 11). Mit
einer Kritik an der vorinstanzlichen Rechtsanwendung lässt sich die grundsätz-
liche Bedeutung einer Rechtssache jedoch nicht darlegen.
Sollte die Frage mit einer anderslautenden Formulierung verallgemeinerungsfä-
hig sein, wäre auf sie mit der Rechtsprechung des Senats zu antworten, dass
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ein Bescheidungsurteil dann in Betracht kommt, wenn individuelle Einschätzun-
gen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich sind, ob einer Bauge-
nehmigung diese oder jene häufig gleichermaßen geeignete Auflage oder sons-
tige Nebenbestimmung beizufügen ist (Beschluss vom 25. November 1997
- BVerwG 4 B 179.97 - NVwZ-RR 1999, 74). Ob die Rechtskraft eines Verpflich-
tungsurteils auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsakts die Behörde hin-
dert, dem Verwaltungsakt belastende Nebenbestimmungen beizufügen, lässt
sich nicht rechtsgrundsätzlich beantworten, sondern hängt von der Reichweite
der Rechtskraft des Urteils im Einzelfall ab (vgl. VGH Mannheim, Beschluss
vom 3. Januar 1991 - 8 S 2901/90 - NVwZ 1991, 1197).
3. Die Revision ist schließlich nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines
Verfahrensmangels zuzulassen.
Die Rügen, das Oberverwaltungsgericht habe seine Pflicht zur Klärung des
Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, genügen nicht den Darlegungsan-
forderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird,
hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat,
welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür
in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der
Durchführung der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen
worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Beschwer-
deführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Weiterhin muss darge-
legt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesonde-
re in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklä-
rung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt worden ist oder
dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches
Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August
1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328; stRspr).
Die Beschwerdeführer beanstanden übereinstimmend, dass das Oberverwal-
tungsgericht darauf verzichtet habe, sich vom Kläger Unterlagen zur Wirtschaft-
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lichkeit des umstrittenen Vorhabens vorlegen zu lassen. Sie legen jedoch nicht
dar, dass sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht
auf der Vorlage einer Wirtschaftlichkeitsberechnung bestanden hätten. Der Be-
klagte zeigt auch nicht auf, dass sich dem Oberverwaltungsgericht diese Art der
Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Der Beigeladene zu 1 macht
das zwar geltend, beschränkt sich aber auf eine Kritik an der Beweiswürdigung
des Oberverwaltungsgerichts. Aus seinem Beschwerdevorbringen ergibt sich
nicht, welche Erkenntnisse eine Wirtschaftlichkeitsberechnung voraussichtlich
vermittelt und inwieweit das unterstellte Ergebnis der Berechnung zu einer ihm
günstigeren Entscheidung geführt hätte.
Die Rüge des Beklagten, das Oberverwaltungsgericht habe den Zustand des
die Erschließung des Vorhabens angeblich sichernden landwirtschaftlichen
Wirtschaftsweges nicht aufgeklärt, entspricht ebenfalls nicht den Darlegungsan-
forderungen. Der Beklagte vermisst die Prüfung, ob in absehbarer Zeit unwirt-
schaftliche Aufwendungen zur Erhaltung des Weges auf den Baulastpflichtigen
zukommen. Er zeigt aber nicht auf, welche für geeignet und erforderlich gehal-
tene Aufklärungsmaßnahmen das Oberverwaltungsgericht hätte durchführen
sollen und welches mutmaßliche Ergebnis sie erbracht hätten.
Der Beklagte wirft dem Oberverwaltungsgericht einen Zirkelschluss vor: Die
Annahme der Vorinstanz, bereits die Notwendigkeit einer gutachterlichen Klä-
rung, ob von einem Vorhaben mit einer Entfernung von 400 m zur bebauten
Ortslage noch ein für die Ortslage unzumutbarer Lärm ausgehe, zeige, dass
das Vorhaben innerhalb der Ortslage selbst nicht ohne nachteilige Auswirkun-
gen auf die Umgebung errichtet werden könne (UA S. 10), sei denkgesetzwid-
rig. Da die Gutachten gerade zur Klärung der Frage der Innenbereichsverträg-
lichkeit beitragen sollten, könne die Frage nicht schon aufgrund der Tatsache
verneinend beantwortet werden, dass Gutachten eingeholt worden seien. Die
Kritik des Beklagten verhilft der Verfahrensrüge nicht zum Erfolg. Der Senat
unterstellt zu Gunsten des Beklagten, dass der reklamierte Verstoß gegen
Denkgesetze vorliegend nicht ein Fehler bei der Anwendung sachlichen Rechts,
sondern ein Verfahrensfehler ist (vgl. dazu Urteil vom 19. Januar 1990
- BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>). Der Verstoß liegt indes nicht
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vor. Die Argumentation des Beklagten beruht auf der unzutreffenden Prämisse,
dass die vom Oberverwaltungsgericht ausgewerteten Gutachten dazu beitragen
sollten, die Innenbereichsverträglichkeit des klägerischen Vorhabens, also die
Privilegierungsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB, zu klären. Nach
den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, die den Senat nach § 137
Abs. 2 VwGO binden, sind die Gutachten eingeholt worden, um zu ermitteln, ob
auch bei einer Entfernung von mehr als 400 m zwischen dem Vorhaben und der
bebauten Ortslage von dem Vorhaben Lärm ausgehe, der für die Bewohner der
Ortslage unzumutbar sei (UA S. 10), mithin mit Blick auf § 35 Abs. 3 Satz 1
Nr. 3 BauGB. Entgegen der Darstellung des Beklagten hat das Oberverwal-
tungsgericht nicht aus der Notwendigkeit der Einholung eines Gutachtens be-
reits das Ergebnis des Gutachtens abgeleitet, sondern einen Erst-Recht-
Schluss des Inhalts gezogen, dass das Vorhaben des Klägers nicht innenbe-
reichsverträglich sei, wenn es schon der Hilfe von Gutachtern bedürfe, um zu
meinen, ob an dem gewählten Standort im Außenbereich der öffentliche Belang
des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB entgegenstehe. Ob dieser Schluss über-
zeugend ist, ist ohne Belang. Ein Verstoß gegen die Denkgesetze setzt voraus,
dass das Gericht einen unmöglichen Schluss gezogen hat, indem es Voraus-
setzungen und Folgerung in einer Weise verknüpft hat, dass die Folgerung un-
ter keinen Umständen richtig sein kann (Beschluss vom 19. Oktober 1999
- BVerwG 9 B 407.99 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 11 S. 11). Das ist
hier nicht geschehen.
Mit der Rüge, das Oberverwaltungsgericht hätte die Frage, ob das klägerische
Vorhaben schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1
Nr. 3 BauGB hervorrufen kann, nicht allein anhand der TA Lärm beurteilen dür-
fen, macht der Beklagte keinen Verfahrensfehler geltend, sondern einen Fehler
bei der Anwendung sachlichen Rechts. Gleiches gilt für die Rüge, dass das
Oberverwaltungsgericht statt eines Verpflichtungsurteils ein Bescheidungsurteil
hätte erlassen müssen. Verkennt ein Gericht das Prüfprogramm des § 113
Abs. 5 VwGO, liegt darin ein inhaltlicher Mangel des Urteils (vgl. Kraft, in:
Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132 Rn. 45).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47
Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Prof. Dr. Rubel
Dr. Gatz
Dr. Külpmann
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